Rolf Brackmann Politischer Baukasten Stand: 13.04.2024 Eine Perspektive für
Deutschland und Europa. |
2. Steigende Kosten durch ältere Bevölkerung, Integration und Inklusion
3. Politikverdrossenheit – Parteienverdrossenheit
4. Bundespräsident: Direktwahl und neue Aufgaben
5. Gesellschaftliche Regeln und menschliche Vorbilder
6. Kapitalismus: Korruptionsbekämpfung, Transparenz, Weiterentwicklung
8. Innovationen: Entstehung und Förderung
9. Verkehr auf Straße, Schiene, Wasser, Luft
10. Jugendarbeitslosigkeit, Ausbildungsabgabe, Begabtenförderung
11. Ziele des nationalen Finanzsystems, Kontrolle der Finanzmärkte
13. Politik der begrenzten Risiken und der Sicherheit – Atomtechnologie
14. Politik der guten Nachbarschaft
16. Entwicklungspolitik – Entwicklungshilfe – Immigration
17. Prinzip der Klarheit, Einfachheit und Eindeutigkeit
18. Bürgerinfo im Internet und Sicherheit im Netz
19. Wirtschaftskrisen – Klimakatastrophen – Luftverschmutzung
20. Energie – Rohstoffe – Recycling – Normen
21. Elektro-Fahrzeuge: E-Autos, E-Fahrräder, Transportsysteme; autonomes Fahren
22. Überwindung der Entfremdung der Arbeit durch Humanisierung der Arbeitswelt
24. Schluss Zusammenfassung und Ausblick
25. Anhang – Wie dieses Buch entstanden ist
1. Buchtitel mit in den Endnoten (weiter unten) verwendeten Kürzeln
2. Endnoten (=Verweise aus dem Word-Text) mit Kürzeln für Buchtitel.
Die eingeklammerten Zahlen ([1]) verweisen auf Endnoten (Word-Bezeichnung)
im Literaturverzeichnis. Sprung durch Markieren plus Doppelklick linke Maustaste.
(Druck unterdrückt):
1. Einleitung
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1.
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Am 7.Oktober 2023 hat die Palästinenser-Organisation Hamas Israel vom Gazastreifen aus überfallen. Mittlerweile ist Israels Armee in das Gaza-Gebiet eingerückt.Israels Geheimdienst hat die Vorbereitungen dazu offensichtlich nicht bemerkt.Die Grenzsicherungsanlagen haben ihre Funktion nicht erfüllt. Nun ist Krieg in dieser schon immer unruhigen Region der Welt. Israel ist sehr entschlossen und vermutlich auch in der Lage, diesen Krieg zu gewinnen. Eine negative politische Auswirkung dieses Konflikts wird sein, dass die vorsichtige Annäherung zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn für längere Zeit unterbrochen wird. Wie die weltpolitische Entwicklung durch diesen Konflikt beeinflusst wird, lässt sich noch nicht abschätzen, aber eine humanitäre Katastrophe zeichnet sich ab. Für Juden und Muslime in aller Welt wird die gegenseitige Akzeptanz und Toleranz erschwert.
In der Nacht vom 24.Februar 2022 ist Russland mit Präsident Putin überraschend in die Ukraine einmarschiert und hat dort Krieg begonnen.Bis dahin haben viele geglaubt, so auch ich, dass die deutsche Ostpolitik mit der Annäherung an Russland Früchte getragen hat und auch zum Vorteil unseres östlichen Nachbarn war. Nun ist sie über Nacht ein Scherbenhaufen. Präsident Wladimir Putin bezeichnet den Zerfall der Sowjetunion als größte Katastrophe des 21. Jahrhunderts. Nun will er Russland wieder zu „alter Größe“ verhelfen und vergleicht seine Rolle mit der Peters des Großen (1672-1725).Die Ukraine ist in diesem Weltbild zwar ein Bruderstaat, aber ein von Moskau gelenkter. Dabei erinnert der Begriff Bruderstaat an Kain und Abel und daran, dass Kain seinen Bruder Abel erschlagen hat. Heute hofft die freie Welt, dass die Ukraine nicht vom großen russischen Bruder erschlagen wird. Bisher hat sie sich mit ihrem Präsidenten Selenski (ukrainisch: Selenskyj) tapfer gewehrt. Europa und Amerika unterstützen sie dabei mit Waffen. Aber niemand -außer vielleicht die Ukraine- will, dass die NATO in diese Auseinandersetzung hineingezogen wird. Viele befürchten dann einen neuen Weltkrieg, möglicherweise sogar einen Atomkrieg. Weltweit kommt die Bedrohung Taiwans durch Nationalchina noch als zusätzliches Schreckensszenario von morgen hinzu. Und wir dachten, nach dem 2.Weltkrieg habe zumindest in Europa ein friedlicheres Zeitalter begonnen. Das war leider ein großer Irrtum!
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2. |
Ab Anfang 2020 stand die durch das SARS-CoV-2-Virus ausgelöste weltweite Corona-Krise so sehr im Mittelpunkt, dass alle übrigen Probleme warten mussten, bis die gravierendsten gesundheitlichen Probleme gelöst waren. Nun ist Corona noch nicht ganz erledigt und schon haben wir das nächste Riesenproblem: den Krieg und mit ihm eine Güterverknappung und Teuerung, besonders bei Gas und Energie. Die nachfolgenden wirtschaftlichen Probleme lassen sich noch nicht abschätzen. Die Bürger haben in der Vergangenheit erlebt, dass uns die „unsichtbare Hand des Marktes“ (ein Begriff des großen englisch-schottischen Ökonomen Adam Smith, 1723-1790) nicht vor Krisen schützt.
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3. |
Ein Blick zurück in die jüngere deutsche Geschichte lässt einen deutlichen Unterschied zu heute erkennen. Nach dem 2.Weltkrieg, besonders nach der Währungsreform 1948, ging es den meisten Deutschen von Jahr zu Jahr besser. Jeder konnte sich mehr leisten, es gab bessere, schönere Produkte, die Arbeitslosigkeit ging zurück, die Löhne stiegen. Dadurch gab es eine Aufbruchstimmung im Lande, bei der sich die belastende politische Vergangenheit gut ausblenden ließ. Die soziale Komponente wurde durch die soziale Marktwirtschaft mit der Mitbestimmung und durch breit akzeptierte Gewerkschaften berücksichtigt. Der Unterschied zwischen arm und reich war noch nicht so krass. Heute ist zwar die Vergangenheit besser aufgearbeitet. Das reicht aber nicht, um die Menschen zufrieden zu machen. Heute hat man nicht mehr das Gefühl, dass es sozial vorangeht.
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4. |
Demokratische Realpolitik muss wichtige Vorhaben mit vielen politischen Strömungen und Bürgern abstimmen. Dabei kommt es leider auch vor, dass sich Bürger vom Verhindern Vorteile versprechen. So wird verständlich, dass Frau Carla del Ponte die UNO 2018 als Schwatzbude mit zu vielen Beamten, die zu wenig arbeiten, beschimpft hat.([2]) Sie war UN-Chefanklägerin und hatte noch andere wichtige UN-Funktionen inne. Da dürfte sie einen guten Einblick in diese Organisation bekommen haben. Derselbe Schwatzbuden-Vorwurf trifft leider auch die Institutionen der EU.Im Gegensatz dazu können Diktatoren wichtige Dinge oft kurzfristig durchsetzen. Deshalb gibt es viele, die sich nach einem „guten Diktator“ sehnen. Dieses Konzept will zeigen, dass es Wege ohne einen guten Diktator gibt. Gute Diktatoren haben den riesigen Nachteil, dass sie über Nacht zu sehr bösen Diktatoren werden können, wenn sie glauben, dass Rücksichtslosigkeit siegt und dass sie irgendeine Großmachts-Phantasie verwirklichen müssen.
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5. |
Ich will an der Vision eines besseren Staates mitwirken. Wir haben nach einer Zeit mit schrecklichen Kriegen und Konflikten mit unseren Nachbarn in einem europäischen Bündnis Wohlstand erreicht. Allerdings ist die Hoffnung auf die Dauerhaftigkeit von Wohlstand und Frieden durch den Krieg in der Ukraine jäh zerstört worden. Die Zusammenarbeit in Europa ist gefährdet.Dass wir Deutschen 2020 von mehreren großen italienischen Zeitungen pauschal als Enkel Hitlers bezeichnet wurden, nur weil unsere Politiker Eurobonds nicht zustimmen wollten, war enttäuschend und ein Hinweis darauf, dass noch kein gemeinsames Europagefühl vorhanden ist.Dieses Buch will zu einer positiven Entwicklung beitragen und anspornen.
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6. |
Kriegen unsere Politiker unsere Probleme gelöst oder versuchen sie nur politisch zu überleben? Beispielsweise könnte jede Obergrenze von Flüchtlingen pro Jahr deutsche Kommunen und ihre Bürger überfordern. Wie viele Menschen die Kommunen aufnehmen können und wollen, müssen diese vor Ort entscheiden. Weder Berlin noch Brüssel darf das bestimmen! Wenn alle kommen, die sich ein besseres Leben in Europa erhoffen, kann das keine europäische Gemeinschaft in Sicherheit und Würde verkraften. Das würde jede europäische Gemeinschaft sprengen.
Bei der Auswahl der Flüchtlinge muss eine Rolle spielen, ob diese sich überhaupt in absehbarer Zeit integrieren können. Menschen, die weder schreiben noch lesen können und eine religiöse Einbettung in einen Staat ohne Trennung von Kirche und Staat gewohnt sind und für richtig halten, sind bei uns kaum integrierbar. Sie werden sich hier immer ausgegrenzt und bedroht fühlen. Sie glauben leicht, dass die Mitmenschen ihren Gott und ihren Propheten nicht gebührend achten. Sie sind gefährdet, in die Kriminalität abzurutschen, was in ihrer angestammten Heimat –eingebettet in Familie, Tradition und Religion- niemals passieren würde.
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7. |
Aber die Friedensidee Europa darf nicht an solchen Problemen scheitern! Zuwanderung ist kein Kernproblem unserer Europäischen Gemeinschaft, die erst noch zu einer solidarischen Gemeinschaft zusammenwachsen muss. Sie soll in Krisensituationen helfen, Frieden und Wohlstand zu erhalten.
1. die Einheit Europas leicht zu erreichen ist. Und dass 2. wir einen Weg über gestärkte Nationalstaaten überspringen können. Und dass 3. eine Währungsunion ein automatischer Wegbereiter für ein geeintes Europa ist. Das waren drei riesige Irrtümer!!!
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8. |
In Europa fühlen sich viele Menschen durch schlecht kontrollierte Zuwanderung bedroht. Der Politik ist es nicht einmal ansatzweise gelungen, den Menschen diese Ängste zu nehmen. Die Kölner Silvesternacht 2015 mit über 1000 (tausend!) Strafanzeigen und dem sinngemäßen Polizeistatement „keine besonderen Vorkommnisse“ hat die Bürger geschockt. Sie werden über katastrophale Vorkommnisse vor ihrer Haustür nicht richtig oder gar nicht informiert. Wenn es die lokalen Zeitungen nicht gegeben hätte, wäre in Köln alles unter den Teppich gekehrt worden. Ohne wirksame Kontrolle neigen viele Politiker zum Vertuschen!Vielleicht neigen sogar alle Menschen, die Macht und Einfluss haben, zum Vertuschen, zum Vertuschen ihres Einflusses, der oft nicht der Gemeinschaft dient.Bis März 2019 –also in mehr als 4 Jahren- sind nur 4 Täter dieser schrecklichen Silvesternacht verurteilt worden, weil die Polizei weder Personen noch ihre Taten festhalten konnte. Das steigert die Ängste der Bürger. Hierbei erscheint der Staat, der seine Bürger schützen soll, als hilflose Institution, die von Straftätern nicht ernst genommen wird.
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9. |
Außer der Angst vor ungeregelter Zuwanderung gibt es noch weitere Ängste:die Angst der Bürger vor Krankheiten wie Corona, vor technologischen Neuerungen, vor Wohnungsnot, vor ungesunder Luft und Nahrung, vor Klimakatastrophen und vor weiteren Gefahren der Zukunft, auch vor Armut im Alter.Wenn die Politik diese Probleme zu spät realisiert, werden die daraus entstehenden Zukunftsängste die Fremdenangst noch steigern und die Menschen doppelt verunsichern. Im Osten Deutschlands hat beispielsweise der Eingang von englischen Begriffen in die Umgangssprache später stattgefunden als im Westen, dadurch bleibt besonders dort, aber auch bei älteren Menschen vieles unverständlich im Umbruch der Zeit, was die Angst vor Überfremdung noch verstärkt. Im Westen gab es eine Integration von Gastarbeitern, die sich hier gut zurechtgefunden haben. Gastarbeiter in Osten, wie sozialistische Vietnamesen, Angolaner und Kubaner, waren dagegen kaum integriert.
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10. |
Auch die Automatisierung und Computerisierung der Arbeitsplätze wächst vielen über den Kopf. Es entstehen neue Missbrauchsmöglichkeiten. Das EDV-System des Bundestags funktionierte Mitte 2015 wochenlang gar nicht, weil es von außen beeinflussbar geworden war. Die hausinternen Spezialisten waren nicht in der Lage, es zu reparieren. Alle Geräte, also auch die Hardware, die gar nicht kaputt war, mussten ausgetauscht werden, weil man die problematische Software nicht eindeutig entfernen konnte. Die Lage ist bis 2023 nicht besser geworden. Ende Oktober 2023 haben Cyberkriminelle 72 NRW-Kommunen lahmgelegt. Rettungsdienste funktionierten nicht mehr.
Politiker sagen schnell: da ist die Globalisierung Schuld und vergessen dabei: die Globalisierung soll den Menschen nützen! Da, wo sie vielen schadet, muss sie gebremst werden. Besonders die betrugsanfällige Finanzbranche tut so, als wäre das Ganze eine unvermeidliche Entwicklung. Die fehlende Rechtschaffenheit von industriellem Führungspersonal lässt auch Befürchtungen aufkommen. Die großen Autofirmen haben bei ihren Dieselfahrzeugen die Reinigung von giftigem Stickoxid außerhalb der Prüfstände einfach abschalten lassen. Das Gift in der Luft hat sie nicht beunruhigt. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat diesen Betrug nicht bemerkt oder politisch gewollt übersehen. Wenn die USA den Betrug nicht aufgedeckt und hart bestraft hätten, hätte unser Verkehrsministerium vermutlich noch beim Vertuschen geholfen.
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11. |
Es gibt politische Gruppierungen wie die „Reichsbürger“, die offen sagen, dass sie die Gesetze unseres Staates nicht anerkennen. Da muss man sich nicht wundern, wenn es kriminelle Clans ihnen gleichtun. Allein in NRW soll es einhundert solcher Clans geben, die sich nicht als Teil unseres Gemeinwesens begreifen. Sie leben schon Jahrzehnte hier und halten sich nicht an unsere Gesetze, man hat sie bisher zu wenig kontrolliert. Man hat vielen die deutsche Staatsangehörigkeit gegeben, obwohl sie unser Gemeinwesen nicht akzeptieren und sich gar nicht als Deutsche fühlen. Die deutsche Staatsangehörigkeit ist für sie nur eine Hilfe für kriminelle Geschäfte.
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12. |
Großbritannien musste feststellen, dass viele Immigranten aus Commonwealth-Ländern, die bereits seit Jahrzehnten im Land leben und mittlerweile gut Englisch sprechen, dennoch schlecht integriert sind. Da war die weitere ungebremste Zuwanderung eines der wichtigsten Argumente für den Brexit. Dagegen standen selbst große finanzielle Vorteile für die Finanzmetropole London deutlich zurück.Durch den Brexit bekam die Idee eines gemeinsamen Europas erste große Risse.Rechte Populisten in mehreren europäischen Ländern zielen in dieselbe Richtung. Da bleibt zu wenig politische Energie für die gravierenden Probleme unserer Zeit übrig. Und wenn das Brexit-Problem gelöst ist, melden sich wieder alte ungelöste Probleme wie Flüchtlinge, armer Süden, Euro-Zone, Ukraine, und, und...
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13. |
Die fundamentalen Probleme unserer Gesellschaft sind aber ganz andere, nämlich folgende: Wie verbessern wir unser Bildungssystem? Wie halten wir unser Gesundheitssystem leistungsfähig und bezahlbar? Wie schaffen wir genügend bezahlbaren Wohnraum? Wie bekommen wir gesunde Nahrung, Luft und Wasser für alle? Wie versorgen wir die zunehmende Zahl alter und kranker Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind? Wie verhindern wir Altersarmut? Wie erreichen wir Gerechtigkeit in der Gesellschaft? Wie stabilisieren wir den Frieden in Europa und in der Welt? Wie können wir Entwicklungsländern helfen, damit sie ihren Einwohnern Lebenschancen bieten und diese nicht in die Emigration drängen? Folgendes ist besonders wichtig: Wie gestalten wir unsere Gesellschaft so innovativ und effizient, dass wir das alles bezahlen können? Dafür müssen wir eine „Innovations-Gesellschaft“ werden! |
14. |
Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir zum Aufbau einer Innovations-Gesellschaft gezielte Zuwanderung von Spezialisten brauchen. Aber gerade solche Leute müssen gut behandelt werden und dürfen nicht mit Leuten verwechselt werden, die unseren Wohlstand mit uns teilen wollen, ohne viel dazu beitragen zu können. Diese Spezialisten wollen nicht einer Überfremdungsstimmung ausgesetzt werden, sondern brauchen allgemeine Wertschätzung.
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15. |
Langfristig betrachtet sind wir heute in der spannenden geschichtlichen Situation, dass mit dem Umbruch im Jahr 1989 der reale Sozialismus in Osteuropa seine Unfähigkeit bewiesen hat und dann in der Rezession 2008 die Gier des unregulierten Marktes seine Unmoral und Zerstörungskraft gezeigt hat. Das private Bankensystem brach völlig zusammen, die Regierungen mussten das Geldsystem mithilfe der Notenbanken retten.
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16. |
Jetzt müssen wir überlegen, wie ein guter Staat funktionieren kann, ohne sozialistische oder unkontrollierbare marktliberale Einflüsse! Wir stehen ja auf einem Fundament, das als Ausgangspunkt gar nicht schlecht ist. Uns ist die Freiheit kritischen Denkens, Publizierens und Handelns gegeben. Dieses Buch will ermutigen, aktiv zu werden, um die Zukunft unseres Landes mitzugestalten. Das Buch soll die Fülle und Dringlichkeit der anstehenden Probleme zeigen. Es will darauf hinweisen, dass wir nicht Zeit haben, uns in Ruhe zurückzulehnen und lange nachzudenken.
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17. |
Ob wir bei der Gestaltung unserer Zukunft ganz frei sind, bezweifelt Harald Welzer ([3]), wenn er sagt: „Der Weg in eine nachhaltige Moderne verläuft nicht über einen herrschaftsfreien Diskurs. Keiner derjenigen, die für die Aufrechterhaltung des Gegebenen sind, von dem sie profitieren, wird das Feld freiwillig räumen.“ Das heißt mit anderen Worten, dass sich neue Ideen oft erst nach Auseinandersetzungen mit den Platzhirschen, die von alten Zuständen profitieren, durchsetzen. Wir müssen unser Land unseren Kindern und Enkeln in einem besseren Zustand hinterlassen, als wir es vorgefunden haben und dürfen uns bei diesem Vorhaben nicht entmutigen lassen!
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18. |
Zwischendurch ein Hinweis zum frustarmen Lesen dieses Konzepts: Um zu zeigen, wie komplex die Dinge sind, gehe ich manchmal ins Detail. Wenn ein Detail nicht interessiert, bitte unbedingt den Abschnitt überspringen. Sie sollen schnell an den Text kommen, mit dem Sie etwas anfangen können! Als kleinen Trost beim Lesen von vielen Einzelheiten kann ich Ihnen versprechen, dass Sie so nebenbei einige geschichtliche und politische Hintergründe aus der Entwicklung Deutschlands auffrischen und damit auch Gedächtnistraining betreiben werden.
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19. |
Mein Buch nenne ich auch deshalb Buchprojekt, weil noch unklar ist, ob am Ende daraus ein Buch entstehen wird. Es soll einerseits ein relativ schlüssiges Gesamtkonzept sein. Andererseits soll es ein Baukasten sein, aus dem man Elemente weglassen und eigene Ideen hinzufügen kann. Es soll ein Modell für einen besseren Staat werden. So ein Modell ist mehr als ein Warenkorb von Anforderungen, da viele Dinge miteinander verflochten sind und aufeinander aufbauen. Das ist bei Änderungen zu berücksichtigen. Der Begriff Baukasten soll hier als Zeichen von Toleranz verstanden werden. Die politischen Bausteine dieses Buches beanspruchen keine Alleingültigkeit, sie sollen durch andere Bausteine ersetzt oder ergänzt werden können.
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20. |
Das Projekt will darauf hinweisen, dass wir noch weit von einem idealen Bürger-Gemeinwesen entfernt sind. Andererseits soll es helfen, Protest zu bündeln und dabei Schwerpunkte zu setzen. Die Details sollen die politische Fantasie anregen und eine Lösungshilfe für politische Fragen sein.
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21. |
Zur Richtigkeit der Informationen in diesem Buch sei so viel gesagt: Ich habe nirgends versucht, zu schummeln oder das Schicksal zu korrigieren. Aber sowohl meine Erinnerungen als auch das viele Material, das ich zusammengetragen habe, sind nicht ohne Fehler. Ich bin dankbar für Korrekturhinweise an meine E-Mail-Adresse. Hinweise bitte immer mit dem Stand/Datum des „Buches“ und der Abschnittsnummer, rechts außen in den Zeilen. Mit beiden zusammen finde ich jede gesuchte Textstelle wieder. Mir wäre es äußerst peinlich, zitiert zu werden und dann den Zitierenden wegen der Naivität, mir zu glauben, ausgelacht zu sehen. Wenn ich schreibe, Herr Mustermann, der Präsident der xyz-Gesellschaft, dann sehe man mir bitte nach, wenn er diese Funktion zum Zeitpunkt des Lesens bereits nicht mehr innehat. Wenn ich aus den historischen Daten, besonders aus der Zeit Martin Luthers, ein Szenario ableite, dann muss ein wenig Phantasie einfließen, um die bekannten historischen Bausteine zu einem –subjektiv- stimmigen Gesamtbild zu ergänzen.
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22. |
Mich ärgert beispielsweise die Vita des Künstlers Josef Beuys, den Krimtartaren nach seinem Flugzeugabsturz im Zweiten Weltkrieg in Fett und Wolle eingepackt und ihm damit das Leben gerettet haben sollen. So ein Erlebnis könnte manche Fett-Skulptur dieses besonderen Künstlers erklären. Seine Schilderung hat aber leider einen gravierenden Nachteil, sie hat – außer dem Flugzeugabsturz – nichts mit der Realität zu tun. Darüber war ich verärgert und fühlte mich verarscht. Die Welt ist, auch ohne dass wir hinzudichten, kompliziert genug. Künstler berufen sich auf künstlerische Freiheit. Ich will mir in diesem Buch keine künstlerische Freiheit nehmen, ich bin aber leider nicht frei von mir peinlichen Irrtümern.
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23. |
Eine Grundidee des Buches lautet: „Mehr Demokratie wagen“, oder besser noch: „Demokratie fördern und mehr Demokratie fordern“. Die Bürger sollen Forderungen an Politiker stellen oder in Einrichtungen der Erwachsenenbildung diskutieren oder Bürgerinitiativen gründen. Gut, wenn mein politischer Baukasten ihnen dabei hilft. Wenn Politiker Anregungen für eigenes Handeln daraus entnehmen, ist auch das zu begrüßen. Ich hoffe auch auf eine Unterstützung durch die Medien. Eine Anregung zum Erhalt einer ostdeutschen Kleinstadt mit staatlichen und städtischen Eingriffen zeigt einen mir wichtigen Weg zu einem humanen Kapitalismus auf, bei dem dem Kapital nicht alles erlaubt ist. Siehe Kapitel 6 „Kapitalismus…“.
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24. |
Ich würde mich freuen, wenn in unserem Lande –vielleicht sogar in Europa- noch einmal so eine Aufbruchsstimmung entstehen würde wie in den 1960er- und 1970er-Jahren, wo Hunderttausende junger Menschen in der ganzen Welt aktiv in Friedensbewegungen mit dazu beigetragen haben, den Vietnamkrieg zu beenden, so auch ich. Diese Aufbruchsstimmung machte dann beim Protest gegen den Vietnamkrieg nicht halt. In der Bundesrepublik wurde damals vieles hinterfragt. Beispielsweise auch, warum weiterhin Nazis am politischen Entscheidungsprozess beteiligt waren und wieso nicht mehr Verantwortliche aus der Nazizeit zur Rechenschaft gezogen worden sind. Das besserte sich ab dann.
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25. |
In der Bundesrepublik kam vieles in Bewegung, bis der hoffnungsvolle Jugendaufbruch durch die Gewalt und die Morde der Baader-Meinhof-Leute bzw. der RAF (Rote Armee Fraktion) beendet wurde. Den meisten Bürgern waren dann Ruhe, Ordnung und Sicherheit so wichtig geworden, dass kein Raum mehr für politische Experimente blieb, was vielen Politikern ganz recht war.
Zur Verunsicherung der Bürger trugen auch Protestgestalter (die den Protest zumindest mitgestalteten) wie Rudi Dutschke bei, der häufig von Revolution und Stadtguerilla redete, statt die neu gewonnene Freiheit zur Gestaltung zu nutzen. Immerhin kam Dutschke aus der DDR, dagegen war die Bundesrepublik ein Hort der Freiheit. Als dann ein verhetzter Bildzeitungsleser Dutschke niederschoss, solidarisierten sich mit ihm als Märtyrer viel mehr Jugendliche als es seine Ideen je verdient hätten. Herbert Marcuse, einer der geistigen Väter der Linken, hat Dutschke einen Faschisten genannt. Nach meiner Überzeugung hat er viel wirres Zeug geredet und wenig zur Emanzipation der Bürger beigetragen.
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26. |
Denen, die nicht dabei sein konnten und heute hören, dass eine aus dem Ruder gelaufene Jugend die politischen Experimente selbst beendet hat, möchte ich folgendes erklären und gestehen: Als die RAF 1977 Hans Martin Schleyer ermordet hat, konnte ich – wie viele aus meiner Generation – kein Mitleid empfinden. Schleyer war früher NS-Studentenfunktionär und hoher SS-Offizier gewesen und wir fragten uns damals, wieso muss sich jemand mit solcher Vergangenheit wieder so weit aus dem Fenster lehnen und Präsident einer mächtigen Arbeitgeber-Organisation werden, die oft im Konflikt mit den kleinen Leuten stand. Oder nutzten ihm seine alten Beziehungen noch, sollten noch an vielen wichtigen Stellen Gesinnungs-Nazis gesessen haben? Diese problematische Personalie bedeutete aber nicht, dass wir das Morden der RAF rechtfertigen wollten. Im Gegenteil, viele von uns waren erleichtert, als sich die Wichtigsten dieser Mörder in Stuttgart-Stammheim gemeinsam das Leben genommen haben.
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27. |
Aber das politische Klima für Reformen hatten sie durch
ihre Morde für lange Zeit kaputt gemacht. Hinzu kam allerdings, dass die
Wirtschaft nach der Ölkrise von 1973 erstmals in der Nachkriegszeit
deutlich ins Stottern geraten war. Das machte die Mehrheit der Bürger
ebenfalls vorsichtiger und skeptischer gegenüber einer aufbegehrenden
Jugend, die in ihrem Ungestüm Arbeitsplätze gefährden konnte.
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28. |
Nach dem Brexit sollten alle Europäer gründlich über Verbindendes nachdenken, ehe wir weitere Exits erleben und uns dann auch die europäischen Friedensmöglichkeiten davonlaufen. Die Präsidentschaft Donald Trumps (2016-2021) sollte das europäische Nachdenken intensivieren. Sein wiederholtes „America first“ kann nur so verstanden werden, dass ihn das Wohl der Verbündeten Amerikas wenig bis gar nicht interessiert. Da müssen wir aufpassen, nicht übervorteilt zu werden. Auch China berücksichtigt bei seiner nationalistischen Vision einer „neuen Seidenstraße“ unsere Interessen nur im Ausnahmefall. Gemeinsam als Europa können wir besser aufpassen und uns besser wehren!
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Wir haben auch ein staatsinternes Problem, das während der Corona-Epidemie deutlicher geworden ist. Viele Menschen sind durch Maßnahmen der Politik nicht mehr rational zugänglich. Im Internet entstehen Meinungen und werden dort verstärkt, die unvernünftig sind. Es muss intensiv überlegt und ausprobiert werden, wie man diese Menschen erreichen kann. Eine Demokratie kann nur begrenzt Zwang auf ihre Bürger ausüben. Dabei sind wir noch ratlos und müssen auch soziologische Experimente wagen. Da entsteht vermutlich eine neue Aufgabe für den Bundespräsidenten, weil dieses Amt parteiübergreifend ist und nicht dem Vorwurf von Parteitaktik unterliegt. Dieses Überlegen sollte allerdings so konkret sein wie folgendes Beispiel: wenn (Corona-) Ungeimpfte auf eine Intensivstation gelegt werden müssen, sollten sie mehr als Geimpfte bezahlen. Dieses Geld sollte als Risikozuschlag an die Betreuer der Intensivstation verwendet werden. Die Ungeimpften erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die Gesundheit ihrer Pfleger geschädigt wird. Das sollte sanktioniert werden.
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30. |
Mein Buch hat nichts mit der Idee „Deutschland, Deutschland über alles“ zu tun! Wenn man aber politisch etwas bewegen will, sollte man im kleineren nationalen Rahmen anfangen; wenn es hochkommt, im europäischen. Die UN als Gemeinschaft der Völker ist sehr wichtig und wird in Zukunft noch wichtiger. Dass sie aber das moralische Verhalten aller Mitglieder beeinflusst, werden wir nur selten erleben.
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31. |
2. Steigende Kosten durch ältere Bevölkerung, Integration und Inklusion
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32. |
Deutschland ist ein Land mit älter werdender Bevölkerung und zunehmenden Krankheitskosten. Wir wissen noch nicht, wie wir morgen die aufwendige Pflege einer steigenden Zahl von Demenz-, Alzheimer- und sonstigen Alters-Kranken organisieren und bezahlen sollen. Wieland Wagner gibt uns in seinem Buch „Japan - Abstieg in Würde“ ein paar Hilfestellungen aus einem großen Land mit dem höchsten Durchschnittsalter seiner Bewohner. Er ist mit einer Japanerin verheiratet, spricht sehr gut japanisch und ist in seiner japanischen Verwandtschaft gut integriert, sodass er an alle wichtigen Informationen zu dem Thema kommt.
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33. |
Unsere weltweite ökonomische Vernetzung wird auf den Prüfstand der Krisensicherheit gestellt werden. Wir werden feststellen, dass sich nicht nur die Gesundheitssysteme westafrikanischer Staaten –man denke besonders an Ebola- sehr verbesserungswürdig sind. Viele Gesundheitssysteme der gesamten Welt halten keine größere Belastung aus. Das Corona-Virus hat viele auf eine harte Probe gestellt. Die politische Beziehung zu China steht mittlerweile unter dem Motto „derisking“, also Verringerung der Risiken der Abhängigkeit. Für Lieferketten muss es Alternativen geben, auch wenn das teurer ist.
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34. |
Wir haben Probleme mit der Integration von Migranten, die wir nur durch Schulung und Ausbildung ausgleichen können. Wir brauchen gut geschulte Lehrer, die berücksichtigen, dass Ausländerkinder anders Deutsch und Technik lernen als deutsche Kinder und die Lehrer müssen Zeit zum differenzierten Unterrichten bekommen.
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35. |
Wir wissen, dass gerade frühkindliche Erziehung wichtig für die geistige Entwicklung der Menschen ist. Hier müssen neue Möglichkeiten geschaffen werden, Kinder zu fördern, einschließlich der Ausbildung der „Kinderförderer“. Ilse Wehrmann formuliert es so: „Wir brauchen Erzieher mit hoher Fachkompetenz, die den Kindern die Welt erklären können.“([4]) „Die Welt erklären können“, ist eine sehr anspruchsvolle Fähigkeit. Dieses Buch möchte ein wenig dazu beitragen.
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36. |
Professor Wassilios Fthenakis, Präsident des Didakta-Verbandes, wurde im Februar 2013 im Kölner Stadt-Anzeiger zitiert: „Die Forschung bestätigt, dass die ersten sechs Jahre in der Entwicklung eines Kindes die wichtigsten sind.“([5]) Ein Vorschulerzieher sollte mit seiner Kindergruppe in den Wald gehen und dort die Frage stellen, „warum ein Baum im Herbst seine Blätter abwirft“. „Die Fachkräfte können die Kinder ermuntern, ihre Ideen dazu zu entwickeln“. Wenn die Fachkräfte aber selbst nicht wissen, warum, könnten abstruse Thesen aufkommen. Der Vorschlag hört sich interessant an, da ist aber Unterstützung durch Lehrmaterial wichtig. Komplizierte Themen brauchen eine gute Vorbereitung.
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37. |
Bei Kindern, die eine intensive Förderung benötigen, stellt sich die Frage, ob ihre Mütter ebenfalls eine Förderung brauchen und ob beides aufeinander abgestimmt werden könnte oder sogar müsste.
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38. |
Die Linguistin Rosemary Tracy von der Uni Mannheim hat 2013 einen Test entwickelt, mit dem die deutschen Sprachkenntnisse von Migrantenkindern beurteilt werden können. Mit einer Modifikation des Tests konnte geprüft werden, ob Erzieherinnen wissen, welche Sprachförderungen die Kinder in den unterschiedlichen Lernfortschritten bräuchten. Nur die Hälfte der jeweils sinnvollen Sprachmaßnahmen war bekannt ([6]).
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39. |
Das Thema „die Welt erklären“ ist sehr komplex. Ich glaube, dass man ohne Kenntnis der Evolution zu wenig von dieser Welt erklären kann. Evolution kann man als Fachvokabel für die Entwicklung aller Lebewesen einschließlich der Pflanzen ansehen, braucht aber dafür das Wort „Evolution“ nicht unbedingt. Für Dittmar Graf, Professor für Biodidaktik an der Uni Gießen, gehört die Evolution allerdings in die Lehrpläne der Grundschule ([7]).
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40. |
Man sollte dabei umsichtig vorgehen und aus der Ankündigungseuphorie der Mengenlehre im Mathematikunterricht der 1970er Jahre lernen. Sie trug fast nichts zum Verständnis unserer Welt bei und leistete auch nicht die erwartete Verbesserung eines mathematischen Grundverständnisses. |
41. |
Daraus sollte man bei der Evolutionslehre lernen. Also zuerst Experimente an ausgewählten Schulen mit neuen Lehrplänen machen. Erst wenn das getestete Wissen der Schüler dieser Schulen überzeugt, sollte man einführen. Das Ganze würde eine Menge Steuergelder kosten und es sind keine schnellen Erfolge zu erwarten. Aber es wäre ein solideres Vorgehen als bei der Mengenlehre oder beim Folgethema Inklusion. Und es wäre ein Schritt in Richtung Aufklärung und Verstehen dieser hochkomplexen Welt, die wir dringend brauchen.
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42. |
Mit der Inklusion, der Integration Behinderter in Normalschulen, haben wir uns viel vorgenommen. Mir klingt der Hilfeschrei einer betroffenen, überforderten Lehrerin in den Ohren. Hoffentlich war das nicht kurz vor ihrem Gesundheits-Kollaps oder ihrem Ausstieg aus dem Beruf. Mit derselben Anzahl Lehrer, denselben Gebäuden und demselben Geld wie bisher ist diese Integration nicht zu bewältigen! Zumindest Schwerstbehinderte werden weiter eine Sonderschulung brauchen. Ein unbeabsichtigter Effekt der Inklusion könnte dann werden, dass dieser schwächste Teil der Schüler in gar keine reguläre Beschäftigung mehr vermittelt werden kann.
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43. |
Maria Montessori (1870-1952) war eine fantastische Pädagogin und Ärztin in Italien, die Behinderte zu einem normalen Schulabschluss geführt hat. Anschließend hat sie ihnen noch beim Start in ein normales Leben geholfen. Ich hoffe, dass unsere Politiker nicht ähnlich hohe Erwartungen an alle unsere Lehrer haben. In den Dorfschulen gab es früher etwas Ähnliches wie Inklusion, wobei zusätzlich noch die Begrenzung auf eine Jahrgangsstufe entfiel. Aber man war froh, mit wachsendem Wohlstand und verbesserten Transportmöglichkeiten diese Notbehelfe beenden zu können. Wenn in einem Unterrichtsraum gleichzeitig unterschiedliche Dinge vermittelt werden, wird das Kinder, die sich schlecht konzentrieren können, benachteiligen und überfordern. Außerdem wird es dort relativ laut sein, das verkraftet auch nicht jeder gut, einschließlich der Lehrer. Und die alten Disziplinierungsmethoden will ja wohl niemand mehr hervorholen wollen. Von einer englischen Lehrerin habe ich von erstaunlichen Erfolgen beim Training von schreib-lese-schwachen Schülern gehört, allerdings mit Einzeltraining! Also gerade nicht wie bei der Inklusion viele gravierende Lernprobleme junger Menschen in einer Klasse zusammenzupacken und dabei die besseren Schüler zu unterfordern.
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44. |
Bei den folgenden Beispielen hat man das Gefühl, dass Menschen mit der Inklusion überfordert sind. Im Mai 2014 geisterte das Beispiel von Henry durch die Medien. Seine Eltern wollten ihn unbedingt aufs Gymnasium schicken, obwohl er – ein Kind mit Down-Syndrom – am Ende des vierten Schuljahres die Buchstaben noch nicht beherrschte ([8])! Da sind Eltern bereit, ihr Kind brutal scheitern zu lassen, um irgendwelcher Prinzipien willen (er wollte auch mit alten Freunden zusammenbleiben) und berufen sich dabei auf die politisch gewollte Inklusion. Da müssen sich auch politische Befürworter sagen, dass man klare Regeln braucht, um so eine Idee nicht vor die Wand zu fahren. Und man sollte gründliche Vorarbeit leisten, bevor man etwas so Problematisches an Schulen einführt und völlig falsche Erwartungen weckt.
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Anders lag es bei Severin, 15, auch mit Down-Syndrom, der auf einer Förderschule scheiterte, weil er zu aggressiv zu Lehrern, Mitschülern, Begleitern und Fahrern zur Schule war. 2014 hat man einen geeigneten Schulbegleiter für ihn gefunden, der stärker als er ist und dazu noch geduldig und erfahren und der ihn ständig begleitet. So machte er auf einer anderen Förderschule gute Fortschritte, das hat allerdings mit Inklusion nichts direkt zu tun. Severins Mutter äußerte sich zur Inklusion: „Es ist längst Zeit, dass die Gesellschaft alle Kinder mit Behinderung annimmt.“ ([9]) Dass diese Mutter überfordert ist, lässt sich vielleicht aus ihren Worten schließen, aber können Schulen leisten, was sie fordert? Hier scheint es derzeit glücklich zu laufen, aber man sieht auch, welche hohen Erwartungen mit der Inklusion entstehen. Soll Severins Betreuer ihn sein ganzes Leben lang ständig begleiten und was passiert, wenn Severin mal sauer auf diesen Betreuer ist und ihn körperlich angreift?
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Die UN-Behindertenrechts-Konvention und das Zusatzprotokoll sind in Deutschland im März 2009 in Kraft getreten. Die daraus abgeleitete deutsche Richtlinie „Initiative Inklusion“ ist im September 2011 wirksam geworden. Alle vier Jahre müssen die beigetretenen Länder einen Länderbericht verfassen und berichten, wie sie vorangekommen sind. Einschließlich der jahrelangen Entscheidungsvorbereitungen und der Umsetzungsbürokratie mit den Behindertenbeauftragten des Bundes, der Länder und der Städte ist das Ganze ein sehr aufwendiges Projekt.
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47. |
Vielleicht ist das wichtigste an der Inklusion, dass sie in den Medien präsent bleibt und viele Menschen sich darüber Gedanken machen; denn es ist kein leichtes Thema und es wird nicht in absehbarer Zeit erledigt sein. Es gibt aber noch sehr wichtige Nachbarthemen, die die schulische Inklusion gar nicht lösen kann. Das vorgelagerte Problem ist: Können wir erreichen, dass weniger Menschen behindert werden und somit überhaupt erst ein Fall für die Inklusion werden? Das Folgeproblem ist: Wie können wir erreichen, dass mehr Behinderte nach der Schule einen existenzsichernden Beruf ergreifen können und nicht nur eine Arbeit in einem beschäftigungsorientierten Sonderbetrieb finden.
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48. |
Die Handwerks-, Industrie- und Handelskammern klagen, dass eine wachsende Zahl von Schulabgängern nicht ausbildungsfähig sei, da muss auch eine neuartige Schulung stattfinden, die eine wissenschaftliche Begleitung braucht.
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49. |
Da läuft meine Fantasie auf Hochtouren und ich möchte gerne andere dabei mitnehmen. Ein Ausbilder oder Ausbildungsbetrieb, der einen oder mehrere Behinderte aufnimmt, ist vermutlich schon ein Mensch (oder Betrieb) mit Idealismus, dem es nicht nur aufs Geld ankommt. Gut, wenn unsere Gesellschaft viele davon hat! Wenn nun so ein Ausbilder feststellt, dass sich sein Schützling sehr häufig verrechnet, aber Rechnen zu seinem Beruf gehört, dann muss es staatliche Hilfe geben. Der schwache Rechner muss dann entweder neben der regulären praktischen Ausbildung in Wochenendseminaren oder in einer Art Reha fit trainiert werden oder der Arme erhält leider ein hoffnungsloses Gutachten und sein Ausbildungsverhältnis wird möglicherweise beendet.
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50. |
Rechenschwäche ist nur ein möglicher Fall. Leider gibt es noch zig andere Schwächen, die Behinderte haben können. Der nächste braucht Rechtschreibhilfe, Muskeltraining, Konzentrationshilfe, Hilfe mit dem Stottern fertig zu werden und beliebig viele andere. Da muss es staatlicherseits einen großen Fächer an Unterstützungen geben. Aus der Notwendigkeit eines Gutachtens folgt, dass es auch psychologische Betreuung und Beurteilung geben muss.
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51. |
Da erkennt man einen weiteren Inklusionsbrocken, der viel kostet. Und im Gegensatz zur Schulinklusion kann hier eine potentielle Lebensbeschäftigung erreicht werden, die dem Leben benachteiligter Menschen Sinn stiftet. Solch ein verfügbarer Hilfekanon könnte sogar Ausbilder ermutigen, Behinderte einzustellen. Wenn dann in den Medien gelungene Fälle herausgestellt würden, sollte es auch gesellschaftliche Anerkennung für Ausbilder mit solchem Mut und Mitgefühl geben.
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52. |
Dagegen bringt die Schulinklusion neben horrendem Stress – zumindest bei der Einführung – in erster Linie nur eine Gewöhnung an Behinderte. Das überprüfbare Lernergebnis aller könnte sich verschlechtern. Einzelnen Behinderten würde eine relativ normale Schulzeit ermöglicht. Wie es dann mit der folgenden Berufsfindung aussähe, ist eine ganz andere Sache. Nach einer Bertelsmann-Studie finden nur sieben Prozent der Schulabgänger mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Lehrstelle, obwohl sie eine höhere Arbeitsmotivation haben ([10]).
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53. |
Im Folgenden werden Probleme aufgezeigt, die vor der Inklusion liegen. Die Süddeutsche Zeitung berichtete im Juli 2014 unter der Überschrift „Vernachlässigte Kinder: Beschädigte Seele, geschwächter Körper“ über lebenslange Probleme, die vernachlässigte Kinder haben ([11]). Ihre körperlichen und seelischen Abwehrkräfte bleiben oft lebenslang geschwächt. An einer Studie in den USA im ländlichen Georgia nahmen 270 alleinerziehende farbige Mütter und Kinder teil. Die Kinder waren noch nicht in der Pubertät. Mütter und Kinder nahmen sieben Wochen an einem psychosozialen Training teil und erzielten gute Erfolge. Das waren Jugendliche, die vorher nicht ausbildungsfähig waren. Nach Abschluss der Schule könnte ein solches Training für sie schon zu spät kommen.
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54. |
Ein Rückblick ohne Zorn auf die Inklusion sei mir gestattet. In den Sonderschulen haben oder hatten wir zumindest funktionierende Institutionen mit speziell ausgebildeten Lehrern in kleinen Klassen. Ob der heutige Inklusionsansatz besser ist, wissen wir noch gar nicht. Das Thema Inklusion wirft auch noch komplizierte Fragen zur Verteilung der Verantwortung zwischen den Einzelnen und dem Staat bzw. der Gesellschaft auf. Wie können unvernünftige Eltern vom Wohl ihrer Kinder überzeugt werden? Da reicht der Hinweis nicht, dass wir eine Demokratie sind, die Sozialämter hat.
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55. |
Ein Beweis, dass man mit der Inklusion falsche Hoffnungen geweckt hat und politisch den Mund zu voll genommen hat, ist die Entwicklung an den Gymnasien in NRW. Autisten und andere Behinderte mit Gymnasial-Empfehlung will man 2019 noch aufnehmen, aber nicht mehr Kinder, für die man keine Chance beim Erreichen des „Ziels Abitur“ sieht.([12]) Und was passiert an den Gesamtschulen?
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56. |
Eine wichtige Zwischenüberlegung: In einer offenen, globalisierten Welt mit alternder Bevölkerung und zunehmenden Gesundheitsproblemen entsteht ein steigendes Sicherheitsbedürfnis. Das erhöht die Kosten unseres Gemeinwesens. |
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Um diese erhöhten Kosten aufzubringen, wird die Förderung von innovativen Produkten und Dienstleistungen wichtiger, um international konkurrenzfähig zu bleiben. China und Indien investieren bereits mehr in Forschung und Entwicklung als Deutschland. Beide Staaten wollen der Rolle der Nachahmer entkommen, das gilt auch für Korea. Japan hat die Nachahmer-Rolle längst verlassen, hat aber noch größere Probleme mit der Überalterung der Bevölkerung.
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58. |
Gute Qualität lässt sich heute in globaler Konkurrenz in vielen Ländern produzieren. Auf den Weltmärkten erhalten die Deutschen keine höheren Preise, wenn sie nur gleichgute Qualität der Waren und Dienstleistungen anbieten. An diesen Teil der Globalisierung müssen wir uns anpassen. Da können wir kaum sparen.
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59. |
Die Liberalisierung der Finanzmärkte hat zu betrügerischen Banken, Hedgefonds und Firmen geführt. Diesen Teil der Globalisierung müssen wir da, wo er der Gemeinschaft schadet, korrigieren. Die Gesellschaft kann nicht entscheiden, wo ihre Bürger ihr Geld anlegen. Sie kann aber sehr wohl festlegen und kontrollieren, dass Menschen und Unternehmen, die hier Geld verdienen, auch hier Steuern bezahlen und sie muss es auch tun. Mehr dazu in Kapitel 11.„…Kontrolle der Finanzmärkte“.
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3. Politikverdrossenheit – Parteienverdrossenheit
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Laut Umfragen nimmt die Politikverdrossenheit der Bürger zu, vielleicht ist es aber eher eine Parteienverdrossenheit. Man ist nicht sicher, ob die Parteien den Bürgern dienen wollen oder aber mehr sich selbst und ihrer Klientel. Als Beispiel dazu mag der reduzierte Mehrwertsteuersatz für Hotels im Jahr 2009 dienen und danach die Entgegennahme von Parteispenden von Mövenpick u.a. Es ist nicht einzusehen, dass ein reduzierter Mehrwertsteuersatz dort einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen hat.
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In Europa ist die Politik schwer durchschaubar geworden. Alles ist recht kompliziert und nicht nur Bundespräsident Gauck forderte 2013 mehr Aufklärung von der Regierung. Man hört viel von einzelnen katastrophalen Zuständen, Fehlern und Versäumnissen, sieht aber kaum das funktionierende Ganze und seine positiven Entwicklungen.
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Wir bräuchten dringend Politiker, die als Vorbilder taugen. Jedenfalls solche, die ihren Beruf seriös und nachvollziehbar verrichten und dabei nicht den Eindruck hinterlassen, politische Verantwortung lasse sich nur mit moralischen Kompromissen tragen. Der Philosoph Ludwig Marcuse (1894-1971) formulierte dazu eine spitzfindige Kritik: „Da man Macht haben muss, um das Gute durchzusetzen, setzt man zunächst das Schlechte durch, um Macht zu gewinnen.“([13]). Wir erwarten von Politikern, dass sie diese Ausrede für das Schlechte ablehnen und ihr die Transparenz ihrer Ziele und ihres Handelns entgegensetzen. Dann könnten die Bürger leichter über Schwächen unseres Gemeinwesens hinwegsehen und wären zuversichtlich, dass an seiner Verbesserung gearbeitet wird.
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Nelson Mandela ist weltweit einer der stärksten politischen Vorbilder der letzten Jahrzehnte gewesen. Aber nach seiner langen Haft blieb ihm 1994 nur noch eine Amtsperiode von fünf Jahren, um als Präsident Südafrikas als Vorbild zu wirken. Seine Nachfolger haben offensichtlich keine vergleichbare Vorbildlichkeit angestrebt.
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Das relativ lautlose politische Wirken von Bundeskanzlerin Angela Merkel war für viele vorbildlich. Ob aber ihr gesamtes Wirken vorbildlich war, da gehen die Einschätzungen weit auseinander. Ihre „Wir schaffen das“-These zu einer Million Flüchtlingen, die 2015 schlecht kontrolliert nach Deutschland strömten, hat eine Bürgermehrheit nicht für vorbildlich gehalten. Auch ihre enge Energiebindung an Russland erwies sich 2022 als problematisch; dieser Teil ihrer Politik erfolgte allerdings in Übereinstimmung mit den meisten anderen Parteien.
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Michael Gorbatschow ist sicher die Schlüsselfigur für die deutsche Wiedervereinigung, aber auch der Schlüssel für die Auflösung der Sowjetunion. Das ist langfristig wahrscheinlich gut für Europa, aber viele Russen –und besonders Präsident Putin- sehen das anders. Für sie ist Gorbatschow eher der Zerstörer der Sowjetunion, der nationalen Größe und ihres Wohlstands.
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Der amerikanische Präsident Barack Obama ist als großer Hoffnungsträger gestartet, einer Vorstufe eines Vorbilds, und erhielt schon zum Amtsantritt den Friedensnobelpreis. Vorbildlich war vielleicht die Beendigung des unseligen Irakkriegs, aber den Krieg in Afghanistan hat er nicht vermeiden können und wollen. Am Ende seiner Regierungszeit wären viele erstaunt gewesen, wenn er den Friedens-Nobelpreis bekommen hätte. Ich musste auch ernsthaft überlegen, wofür er ihn damals bekommen hatte. Der Übergang seiner Regierungszeit zu der seines Nachfolgers Donald Trump ist eher von Resignation begleitet. Und sein Nachfolger redet –einmalig in der amerikanischen Geschichte- die Taten seines Vorgängers schlecht.
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Der Whistleblower und Aufdecker der Geheimdienst-Missstände Edward Snowden ist seit 2013 für viele –besonders jüngere Menschen- in der Welt ein Vorbild. Viele US-Bürger nennen ihn aber Vaterlandsverräter und er würde sofort ins Gefängnis kommen, wenn er in seine Heimat zurückginge. Für mich gehört er, auch wenn er kein Journalist ist, zum Umfeld des investigativen Journalismus, ohne den Demokratien nicht funktionieren. Snowden ist zwar für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen, aber nicht gewählt worden. Vielleicht sollte es einen Nobelpreis für Zivilcourage geben, den hätte er verdient. Immerhin hat er 2014 den alternativen Nobelpreis bekommen.
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69. |
Der Whistleblower Daniel Ellsberg, dessen Informationen in der Watergate-Affäre zum Rücktritt von US-Präsident Nixon führten, hat im Februar 2016 für seine Zivilcourage den Dresden-Preis bekommen. Er sagte dabei folgendes, das uns nachdenklich machen muss: die USA sind noch kein Polizeistaat. Aber jeder Staat könne sich heute in wenigen Stunden in einen Polizeistaat verwandeln und zwar durch die heutigen Möglichkeiten der Überwachung. Ich hoffe, dass er da zu pessimistisch war.
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70. |
Es fehlt die Möglichkeit, dass die Bürger ihren Staat so gestalten können, dass er für sie ein Höchstmaß an Nutzen, Identifikation und an Bürgerbeteiligung bietet. Die Idee, dass die Bürger ihr eigenes Gemeinwesen evolutionär weitergestalten sollen, ist etwas verschüttet. Manche Politiker sehen diese Gestaltung ausschließlich als ihre Aufgabe an. Die Bürger sollen dabei nur die Möglichkeit haben, unterschiedliche Politiker und Parteien zu wählen und genau das ist zu wenig und schafft Politikverdrossenheit.
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71. |
Ein Vorschlag, die Bürger stärker an der Politik zu beteiligen, wäre, die Bürger öfter zu befragen. Konkret könnte man überlegen, ob man bestimmte Wahlperioden auf zwei Jahre verkürzen kann. So beispielsweise bei Abgeordneten, die erstmalig im Amt sind und bei solchen, die das Rentenalter überschritten haben. Den jungen Abgeordneten könnte man dann leichter eine Rückkehrmöglichkeit in ihre alte Beschäftigung garantieren. Wenn sich ein Gewählter in dieser Tätigkeit überfordert oder unwohl fühlt, kann er schneller ohne formalen Rücktritt persönliche Konsequenzen ziehen. Aber auch die Wähler wären bei großer Enttäuschung früher in der Lage, ihre Entscheidung zu korrigieren; besonders, wenn sich finanzielle Verstrickungen der Gewählten herausstellen.
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72. |
Natürlich dürften neu entstehende Zwischenwahlkämpfe nicht mit gleichem Aufwand betrieben werden wie die Hauptwahlkämpfe. Eine bürgernahe Diskussion solcher Wahlalternativen könnte das Bürgerinteresse stärken. Es sollten auch regional unterschiedliche Lösungen möglich sein.
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Jeder Schritt in Richtung direkter Demokratie und Bürgerbefragung hilft uns weiter. Wir sollten dabei die Schweiz gut beobachten. Ihr System funktioniert vielleicht nur in kleinerem Rahmen, das könnten bei uns die Kommunen sein.
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4. Bundespräsident: Direktwahl und neue Aufgaben
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Eine direkte Wahl des Bundespräsidenten wäre auch ein begrüßenswerter Schritt zu mehr Demokratie. Die heutige Präsidentenwahl durch Bundestagsabgeordnete und Wahlmänner der Länder ist eine pseudodemokratische Veranstaltung und reine Zeit- und Geldverschwendung. Solange Politiker eine solche Zirkusveranstaltung für Demokratie halten, fühle ich mich als Demokrat nicht ernst genommen. |
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Die vielleicht einzige Abweichung der Ländervertreter von den Parteivorgaben –hier der CSU- gab es durch Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, der der Unionskandidat nicht gefallen hatte. Aber solche eigenständigen Meinungen und Abstimmungen sind bei den Parteien unerwünscht oder sogar gefürchtet.
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Der Aufgabenbereich eines direkt gewählten Bundespräsidenten sollte neu festgelegt werden. Seine Hauptaufgabe sollte die Weiterentwicklung unserer Demokratie sein. Im Einzelnen könnten das folgende Aufgaben sein: - Unterstützung von Bürgerbefragungen über Zeitung, TV, Internet: Pro-&-Kontra-Listen, Demoskopie (z.B. bei: Stuttgart21, Hafenerweiterung Köln-Godorf, Windradpositionen) - Bürgergespräche im TV über kritische Themen, bei denen sich die Parteien verhakt haben, z.B. in der Schulpolitik - Diskussion mit den Bürgern und der Jugend über unseren Staat, Fehler und Verbesserungsmöglichkeiten - Einrichtung und Koordination von Ombudsleuten bzw. Bürgeranwälten - Wecken von politischem Interesse, Gegengewicht zur Parteienverdrossenheit - Forum für Bürgerbeteiligungen und Bürgerinitiativen - Neue Ideen zu Europa und Bekanntmachung von Leistungen und Personen der EU. Bei der Weiterentwicklung der Demokratie muss besonders vermieden werden, Lösungen als alternativlos darzustellen. Denn das ist eine subtile, hinterhältige Art, Diskussionen über Alternativen zu unterdrücken. Kurzfristige Entscheidungen können alternativlos sein, langfristige aber niemals.
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78. |
Eine wichtige Aufgabe des Bundespräsidenten sollte die Darstellung des Standes der Wissenschaften sein. Impfgegner und Querdenker führen manchmal sogar wissenschaftliche Meinungen zur Verteidigung ihres Blödsinns an. Da braucht eine fortschrittliche wissenschaftliche fundierte Politik eine Koordinationsstelle. Selbst wenn es in einem Punkt wirklich mal 50:50 Stimmen gäbe, müsste hier von besonnener Stelle etwas dazu erklärt werden. Auch die Sicherheit einer wissenschaftlichen Erkenntnis müsste benannt werden. Hierbei wäre wichtig, dass der Präsident nicht von einer Partei bestimmt worden ist. Ein parteiischer Bundeskultusminister könnte diese Aufgabe nicht erfüllen.
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Folgende bisherigen Aufgaben des Präsidenten könnten entfallen: - Reisen durch die Welt mit Public-Relations-Aufgaben. Dafür haben wir: Kanzler/in, Wirtschaftsminister, Außenminister, Entwicklungshilfeminister, EU-Kontakthalter und manchmal noch den Verteidigungsminister, das reicht wirklich. - Über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen wacht das Bundesverfassungsgericht, das reicht ebenfalls. Zum Zeitpunkt der Aufgabenfestlegung des Bundespräsidenten gab es noch gar kein Verfassungsgericht, da war es sinnvoll oder sogar notwendig, dass der Bundespräsident das machte. Insgesamt sollten wichtige heutige Aufgaben entfallen, damit kein Übergewicht des Amtes gegenüber dem Amt des Bundeskanzlers entsteht.
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Beispiele von Bundespräsidenten, die bei einer Direktwahl vermutlich nicht gewählt worden wären: 1. Heinrich Lübke war schon vor seiner zweiten Amtszeit nicht mehr gesund. Seine Partei und möglicherweise seine Frau haben ihn zur zweiten Amtszeit gedrängt, seine Ärzte hatten ihm davon abgeraten. Seine abnehmende geistige Leistungsfähigkeit führte bei seinen Auftritten im In- und Ausland zu vielen Peinlichkeiten, die sich in „Lübke-Witzen“ spiegelten. Bei einer Direktwahl wäre er erst gar nicht für eine zweite Amtsperiode vorgeschlagen worden.
2. Johannes Rau (1999-2004; 2006 gestorben) war beim Amtsantritt 68 Jahre und schwer krank und hätte seinen politischen Ruhestand wohlverdient gehabt. Er wäre – trotz großer Verdienste als Ministerpräsident von NRW – vermutlich nicht direkt gewählt worden.
3. Christian Wulf wäre bei einer Direktwahl durch die Bürger vermutlich nicht gegen den populären Joachim Gauck gewählt worden.
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Die Direktwahl des Bundespräsidenten wäre zwar ein deutlich sichtbarer Schritt in Richtung Weiterentwicklung der Demokratie, aber nicht der wichtigste. Es braucht dazu ja eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat. Die kann schnell zusammenkommen, das kann aber auch noch Jahrzehnte dauern. Ein Hinweis auf neue Aufgaben des Bundespräsidenten wird in diesem Konzept immer wieder auftreten, da seine wichtigste Aufgabe ja werden sollte, mitzuhelfen, unsere Demokratie weiter zu entwickeln und innovatives Potential zu stärken. Diese Aufgabe könnte er auch erfüllen, ohne direkt gewählt zu sein. Aber eine direkte Wahl würde auch bei der Personalauswahl mehr Wert darauf legen, ob jemand die Entwicklung der Demokratie mutig vorantreiben kann.
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5. Gesellschaftliche Regeln und menschliche Vorbilder
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Als gesellschaftliche Grundregel kann man das Sittengesetz bzw. den kategorischen Imperativ des Königsberger Philosophen Immanuel Kant (1724-1804) ansehen: Handle stets so, dass die Grundlage deines Handelns zu einem Gesetz gemacht werden könnte. Das klingt heutzutage nicht mehr ganz so vertraut, der Inhalt entspricht aber allgemein-menschlicher Erfahrung. Auch fernöstliche Philosophen wie Konfuzius haben es ähnlich formuliert. In Wikipedia sind unter „kategorischer Imperativ“ über zehn ähnliche Zitate des großen Philosophen zu finden, da müssen wir uns nicht scheuen, etwas lockerer zu formulieren. Mir würde beispielsweise gut gefallen: „Ziehe keinen über den Tisch und lass dich nicht über den Tisch ziehen und hilf, wo du kannst“, und würde gerne hinzufügen: „Sei nicht stolz auf deine Siege, sondern auf gute Kompromisse!“ Der Volksmund kennt auch noch andere Formulierungen: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“. Das ist die Seite des Seinlassens, die zweite Seite des Tuns könnte dazukommen: „Behandle die Menschen so gut, wie du selbst behandelt werden möchtest.“ Diese Regeln sollten immer eingehalten werden. Da das leider nicht klappt, muss jede Gesellschaft Regeln und Sanktionen festlegen.
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Ob gesellschaftliche Regeln als Gesetze, Verordnungen oder als freiwillige Vereinbarungen eingeführt werden, wird nach ihrer Wichtigkeit und ihrer Befolgung entschieden. Freiwillige Regeln lassen sich politisch leichter und mit weniger Aufwand einführen. Wenn sie nicht befolgt werden, aber dennoch wichtig sind, müssen strengere Regeln mit Sanktionen aufgestellt werden. Gesetze stellen dann die strikteste Form von Regeln dar.
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Zu den Regeln gehört die Akzeptanz durch die Geregelten, die Bürger also, und dieses Akzeptieren braucht bei Regeländerungen Zeit. Dazu kann die Erkenntnis des Wirtschaftswissenschaftlers Günter Schmölders (1903-1991) angeführt werden: Die besten Steuern sind die, die langfristig akzeptiert sind, denn diese werden auch als relativ gerecht empfunden. Und Steuern sind ein Teil der gesellschaftlichen Regeln. Es kann also gar kein Jahrhundertgesetz geben, das morgen alles besser regelt! Das ist reines Marketinggeschwätz! Alles Neue muss sich erst in der Praxis bewähren und akzeptiert werden. Und dabei gilt der Bismarck‘sche Grundsatz: Politik ist die Kunst des Möglichen. Also nicht das Ideale wird gesucht, sondern das Machbare. Anders formuliert: der Weg von einem unbefriedigenden Zustand zu einem sehr guten, kann machbare Zwischenschritte nötig machen.
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Der Kölner Stadt-Anzeiger fragte 2014 den amerikanischen Sprachwissenschaftler und Globalisierungskritiker Noam Chomsky „Wie verändert man die Welt?“ Chomsky: „Es gibt keine Zaubertricks. All der Fortschritt, [...], ist das Resultat eines öffentlichen Engagements von Bürgern und des politischen Aktivismus für einen Wechsel“ ([14]). Ich möchte ergänzen, dass die erkämpften bürgerlichen Errungenschaften in gesellschaftliche Regeln gebracht und so festgehalten werden müssen.
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Dann geht Chomsky auf die wirtschaftliche Entwicklung in den USA ein: „Das, was seit 30, 40 Jahren hier (gemeint: in USA) passiert im Namen des sogenannten Neoliberalismus hat eine extrem schädliche Wirkung auf die Vereinigten Staaten gehabt. [...] Die Ungleichheit hat den höchsten Stand in der Geschichte dieses Staates erreicht. Ein paar hundert Leute sind reicher als die ärmsten 100 Mio. Amerikaner. [...] Die USA sind in Bezug auf soziale Gerechtigkeit ganz unten unter den OECD-Staaten. Das ist ein sehr ernst zu nehmender Rückschritt.“ Die Regeln, die diese Entwicklung nicht verhindert haben, gefallen Chomsky also gar nicht. Ich möchte daran erinnern, dass einige Superreiche den Wahlkampf von Präsident George W. Bush maßgeblich mitfinanziert haben und er sich gerade bei diesem Personenkreis durch eine Steuerreduzierung revanchiert hat. Wenn man gleichzeitig daran denkt, wie viele arme US-Amerikaner durch ein Loch im allgemeinen Wohlstand fallen, ist es schon eine Frage von Anstand, dass Chomsky sich darüber aufregt.
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88. |
Wünschenswert wäre, dass die Bürger mit Hilfe des Internets bei der Entwicklung gesellschaftlicher Regeln mitwirken. Das soll an einem zum Glück seltenen Beispiel gezeigt werden: Am Waffenmissbrauch und Amoklauf durch Jugendliche. Lobbygruppen von Waffenfirmen, Schützenvereinen, Sportschützen wollen wenige Einschränkungen beim Waffenbesitz. Die meisten übrigen Bürger wollen Schutz vor Waffenmissbrauch und Sicherheit. Parlamentarier wollen gute Lösungen erarbeiten, die oft lange dauern; dann ist der ursprüngliche Problemdruck weg. Im Zweifel brauchen die Politiker dann nichts mehr zu tun und haben das Problem ausgesessen, wenn es aus den Medien verschwunden ist. Aber das Problem ist dann nicht gelöst!
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Über die Parteienfinanzierung sind die Parteien vermutlich stärker mit der Waffen-Lobby verbunden als durch direkte Bestechung. Die Bürger sollten darauf dringen, dass die Parteien sich festlegen, innerhalb eines Jahres einen Vorschlag vorzulegen. Das ist dann auch für die Medien ein planbares Ereignis, um das Thema noch einmal aufzugreifen. Das könnte eine generelle wichtige demokratische Regel werden: nach einem im Parlament beschlossenen Zeitpunkt, aber spätestens z.B. nach einem Jahr, müssen Lösungsvorschläge vorgelegt werden. Es wäre eine Maßnahme gegen das Vergessen, gegen die Bequemlichkeit des Aussitzens und gegen das Verwässern von Maßnahmen durch Lobby-Gruppen.
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Ein neuer Weg bei der Aufstellung von Regeln für Banken könnte so funktionieren: Eine Stelle im Bundesfinanzministerium oder bei der BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) nimmt Vorschläge von Banken und Bankenverbänden entgegen, wie eine Finanzkrise künftig verhindert werden kann. Der Staat stellt die Vorschläge zur öffentlichen Diskussion ins Netz, aber auch Zeitungen und andere Medien sollen sie veröffentlichen und zur Diskussion auffordern. Nach einer bestimmten Zeit, z.B. einem Jahr, werden die Vorschläge gebündelt und durch Gutachter geprüft. Wenn die Maßnahmen nicht ausreichen oder nicht überzeugen, werden strengere Regeln aufgestellt, z.B. Transaktionssteuern (auch Tobin-Steuer genannt), Verbot von Leerverkäufen, Trennung des Einlagen- und Kreditgeschäfts vom Investment-Bereich eingeführt. Europäische Partner sollten in das Verfahren einbezogen werden, sie sollten aber keine gute Lösung verhindern dürfen. Die Finanzlobby ist stark und besonders in Brüssel schwer zu kontrollieren!
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91. |
Der grundsätzliche Gedanke dabei ist: Problemverursacher sollen Vorschläge zur künftigen Problemvermeidung machen, da sie die Sachlage und ihre Problemzonen gut kennen. Wenn sie unbrauchbare Vorschläge machen, ist ihnen der Spott der Medien und die Kritik der Bürger sicher. Dann wächst die allgemeine Bereitschaft, schärfer gegen sie vorzugehen und sie künftig nicht mehr an Problemlösungen zu beteiligen.
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Der Grundgedanke für Eingriffe in das Finanzsystem lautet: Klare, harte Regeln schaffen, möglichst für ganz Europa oder wenigstens für einen Teil von Europa. Die Regel-Macher und -Entscheider laufend auf Bestechlichkeit und Interessenkonflikte überprüfen. Auch die Effizienz der Regeln muss immer wieder überprüft werden. Nur die Banken, die sich an die Regeln halten, sollten im Notfall gerettet werden und sollten mündelsichere Verträge abschließen dürfen.
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Um unsere Gesellschaft menschlicher und zukunftsfähig zu machen, sind auch andere Regeln sehr wichtig. Der Wirtschaftsjournalist Caspar Dohmen schreibt 2014 in seinem Buch „Otto Moralverbraucher“, aus dem der Kölner Stadt-Anzeiger zitiert ([15]): „Heute ist es oft so, dass Unternehmen benachteiligt werden, wenn sie sich um Arbeiterrechte und Umweltschutz kümmern – denn dann sinken die Renditen. Wir kommen um starke staatliche Regeln nicht umhin, wenn wir eine soziale und grüne Wirtschaft schaffen wollen.“ Wenn wir Arbeiterrechte und Umweltschutz bei unseren Lieferanten aus Entwicklungsländern kontrollieren bzw. Kontrollen verlangen, leisten wir damit auch Entwicklungshilfe. Im Kapitel 16. „Entwicklungspolitik - Entwicklungshilfe…“ findet sich mehr dazu.
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Die Trennung von privater Herstellung und staatlicher Kontrolle ist eine äußerst wichtige Regel, unabhängig von der Branche. Die private Herstellung von Produkten & Dienstleistungen und die staatliche oder die im staatlichen Auftrag erfolgende Kontrolle müssen strikt getrennt werden, mit klaren Regeln zur Korruptionsvermeidung und angemessenen Strafen für Bestechung. Im Regelfall gehört eine andere Mentalität und Ausbildung zur kreativen, marktorientierten Produktentwicklung einerseits und andererseits zur effizienten, systematischen, mühsamen, manchmal fast kriminalistischen Kontrolle.
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Ein personelles Wechseln der Lager ist nicht etwa erforderlich, um die Gegenseite „auch mal“ kennen zu lernen, sondern beinhaltet zu viele Versuchungen der Vorteilsnahme. Staatliche Dienstleistungen sind möglichst zu privatisieren, aber staatlich effizient zu kontrollieren, einschließlich der Gehälter (z.B. Landeszentralbanken, Verkehrsbetriebe, soziale Wohnungswirtschaft). Zu dieser Trennung von staatlichen und privaten Aufgaben gehört auch, dass Politiker nach ihrer politischen Arbeit nicht sofort in parallele Wirtschaftsfunktionen wechseln können. Damit sie die Interessen ihrer künftigen Arbeitgeber nicht bereits vorher in ihren staatlichen Funktionen berücksichtigen.
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Neben den bisher beschriebenen Regeln muss zumindest eine im Grundgesetz festgelegte Regel überprüft werden. Die Religionsfreiheit ist eine im Grundgesetz nicht genau genug beschriebene Regel. Vor allem ist nicht festgeschrieben, dass zur Religionsfreiheit unbedingt gehört, eine Religionsgemeinschaft –ohne Sanktionen- verlassen zu dürfen.
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Im Islam gibt es die Vorstellung, dass solch ein Schritt mit dem Tode bestraft werden müsse. Am 20. Juli 2016 sagte der ägyptische Großmufti Allam, der auch Professor für Islamisches Recht ist: „Wer den Islam einmal für sich angenommen hat, ist daran gebunden. Es gibt keine Möglichkeit, den Islam zu verlassen“([16]). Auch christliche Sekten bestrafen und verfolgen ihre Abtrünnigen ähnlich wie die Mafia und der sowjetische Geheimdienst KGB, der (bzw. sein Vorläufer) den abtrünnigen Trotzki sogar im fernen Mexiko ermorden ließ. Auch Thomas von Aquin, ein katholischer Kirchenlehrer aus dem 13. Jahrhundert, schreibt in seiner Summa Theologica: „Die Annahme des Glaubens ist freiwillig, den angenommenen Glauben beizubehalten notwendig.“ Er vertrat also die Meinung des heutigen Großmuftis, aber bei Thomas kann man entschuldigend vom „finsteren Mittelalter“ sprechen.
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98. |
Wie wichtig Religionsfreiheit -einschließlich des Austretens aus einer Religionsgemeinschaft- ist, hat der indische Anwalt und Politiker Bhimrao Ramji Ambedkar (1891-1956) gezeigt ([17]). Nach langer schlimmster Behandlung als Unberührbarer ist er vom Hinduismus zum Buddhismus übergetreten und mit ihm 6 Millionen(!) Inder. Im Buddhismus gibt es keine Kasten. Ambedkar wird oft als zweitwichtigster Inder -nach Mahatma Gandhi- bezeichnet.
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99. |
Eine Hamburger Lehrerin mit 20 Jahren Erfahrung an Hamburger Stadtteilschulen mit vielen Schülerinnen mit Migrationshintergrund schrieb im Februar 2020 in Zeit-online. Sie sucht das persönliche Gespräch mit Mädchen, die zum ersten Mal ein Kopftuch tragen: „Sie erzählen davon, dass sie das Kopftuch nicht freiwillig tragen“ ([18]) manche weinen dabei sogar. Sie hat nie erlebt, dass ein Mädchen das von Anfang an mit Stolz trägt. Das wiederspricht massiv der Religionsfreiheit.
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100. |
Der französische Präsident Macron hat 2020 gesagt: „in Frankreich ist Gotteslästerung erlaubt; auch über den Papst darf man lästern“. Der Anlass war folgender: ein 18-jähriger Islamist aus Pakistan hat am 25.September 2020 einen Anschlag auf zwei Leute gemacht, nahe der alten Redaktion von Charlie Hebdo. Er war vor drei Jahren als minderjähriger Flüchtling nach Frankreich gekommen. Nach dem Anschlag wurde er in seinem Heimatdorf als Held gefeiert. Vielleicht sollte abweichend von der laizistischen Tradition Frankreichs in Deutschland generell gelten, dass die religiösen Gefühle anderer deutscher Bürger nicht beliebig verletzt werden dürfen. Zur Überprüfung müsste es dazu vermutlich eine Kommission geben, aus allen Parteien und mit Beratern aus Wissenschaft, Gewerkschaften, Polizei und Juristen.
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101. |
Eine deutsche Besonderheit der Religionsfreiheit muss ein vorsichtiger Umgang mit dem Judentum und eine sensible Position gegenüber dem Antisemitismus sein. Es gab in der Geschichte der Völker Völkermord, Unterdrückung und Versklavung; aber noch nie vorher wurden Millionen Menschen aus rassistisch-religiösen Gründen ermordet. Das sollte auch bei den Bewohnern der Nachbarstaaten Israels, von denen einige selbst Semiten sind, ein leichtes Grauen erzeugen. Besonders, wenn sie in Deutschland mit antisemitischen Parolen und Taten demonstrieren. Hier muss das hohe Gut des Demonstrationsrechts eine deutliche –spezifisch deutsche- Grenze haben.
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102. |
Es gibt auch Regeln mit länderspezifischen Schwerpunkten. Bei meinem ersten Aufenthalt in England vor 50 Jahren war ich fasziniert von der Disziplin beim Schlange stehen an Haltestellen, Kassen usw. Das passte gut zum Gentleman Ideal, das ich im Englischunterricht kennengelernt hatte. Beides sind menschlich großartige Verhaltensweisen, die überall Vorbildcharakter haben sollten.
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103. |
Neben funktionierenden und allgemein akzeptierten Regeln braucht eine Demokratie auch menschliche Vorbilder. Menschlichen Vorbildern zu folgen, ist leichter als abstrakte Regeln zu befolgen. Jede Zeit hat ihre eigenen Vorbilder. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren das mutige Unternehmer wie beispielsweise Grundig (Radio usw.), Borgward (Autos), Neckermann (Versandhandel), Nordhoff (VW) und andere. Unternehmer, die das Nachkriegs-Deutschland wirtschaftlich in Fahrt gebracht haben, die aber leider oft nicht langfristig erfolgreich waren.
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104. |
Albert Schweitzer (1875-1965) ist für viele – auch für mich – ein menschlich-christliches Vorbild gewesen. Sein afrikanisches Krankenhaus in Lambarene im Staat Gabun hat den in erreichbarer Nähe Lebenden und Leidenden sehr gut geholfen. Aber es ist kein auf ganz Afrika übertragbares Modell geworden. Es ist sehr an die Person Albert Schweizers gebunden geblieben. Als der nicht mehr da war, entstand eine nicht zu ersetzende Lücke. Das Krankenhaus in Lambarene gibt es zwar immer noch, es ist modernisiert und erweitert worden, aber es hat keine weltweite Wirkung mehr. Schweitzer hatte dieselben rassistischen Vorurteile gegenüber schwarzen Ärzten und Krankenschwestern wie die meisten seiner Zeit.
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105. |
Der große Nachteil von Vorbildern besteht darin, dass ihre Faszination oft mit dem Tod des großen Vorbilds verblasst. Manchmal werden danach erst kritische Stimmen bekannt. Das Buch „Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung – das Beispiel Summerhill“ von Alexander S. Neill (1883-1973) hat ab 1969 in Deutschland eine riesige Auflage von über einer Million erreicht. Diese Bücher haben damals eine breite Diskussion des Themas unterstützt. Obwohl die Privatschule von Summerhill in der Grafschaft Suffolk nach dem Tod Neills zuerst von seiner Frau, dann von seiner Tochter weitergeführt wurde, ist die internationale Faszination verblasst. Das mag daran liegen, dass Neills antiautoritäre Ideen keine neuen Menschen hervorgebracht haben. Auch antiautoritär Erzogene haben Lehrer und Chefs und müssen mit diesen klarkommen, auch wenn diese Vorgesetzten autoritär sind.
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106. |
Geblieben von der Neill-Summerhill-Begeisterung ist vielleicht etwas mehr Skepsis gegenüber Autoritäten, die glauben, dass sie sich Rücksichtnahme und Begründung für ihr Handeln sparen können. Das kam besonders in Deutschland gut an, wo jedes Rütteln am „Führerprinzip“ des Nationalsozialismus auf fruchtbaren Boden fiel.
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107. |
Zum anderen sind aber auch Zweifel gegenüber der antiautoritären Erziehung geblieben. Vor meinen Augen taucht das Bild eines kleinen Jungen in einer Kinderkrippe auf, der auf einer Klaviertastatur herumgelaufen ist und dabei vermutlich viele Klavierhämmerchen beschädigt hat. Kein Erzieher hat ihn gebremst. Neill hatte damals immerhin seine Werkzeuge gut weggeschlossen und eine Werkstatt gehörte zu den unverzichtbaren Elementen seiner Erziehungsmethode. Seine pädagogischen Sporen hatte sich Neill übrigens in den 1920er Jahren an der Neuen deutschen Schule, nahe Dresden, verdient.
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108. |
Vielleicht müssen wir so bescheiden sein, nicht menschliche Vorbilder zu suchen, sondern vorbildliches Verhalten. Und das zeigen zum Glück auch Menschen, die nicht in allem vorbildlich sind.
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109. |
Bei den allgemeinen gesellschaftlichen Regeln besteht dringender Handlungsbedarf, damit unser demokratisches Gemeinwesen nicht auseinanderbricht. Nicht nur kriminelle und antidemokratische Gruppen zerstören die Autorität unseres demokratischen Gemeinwesens, sondern auch irrationale Meinungen und Überzeugungen von Individuen. Diese werden durch Internet-Gemeinschaften verstärkt. Da entfällt dann die herkömmliche Gruppenkorrektur, sie wird ersetzt durch eine Gruppenbestätigung auch irrationaler Meinungen, weil sich jeder eine Gruppe mit gleichen Meinungen suchen kann. Durch vielfache gegenseitige Bestätigung können sich irrationale Gedanken verfestigen, die dann keine rationale Korrektur mehr erreicht. Auch so kann die Demokratie an ihre Grenze gebracht werden. Rechtes Gedankengut wird immer dominanter; die AfD erreicht in den östlichen Bundesländern über 20%. Sie wollen sich von Europa abwenden und das Grundgesetz zumindest massiv ändern.
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6. Kapitalismus: Korruptionsbekämpfung, Transparenz, Weiterentwicklung
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111. |
Kapitalismus ist im Extremfall die Steuerung des Staates und des ganzen Lebens durch Kapital, also durch Geld. Menschlichkeit lässt sich nicht in Kapital umrechnen, also gibt es sie nicht im reinen Kapitalismus. Derartig ausschließliche Steuerung durch Geld gibt es zum Glück nirgends, auch nicht in der Politik. Da spielt zum Beispiel die Bevorzugung von Parteifreunden, Freunden und Verwandten eine wichtige Rolle, was für die Nicht-Privilegierten allerdings auch nicht besser ist. Auf jeden Fall machen sich inhumane Kapitalsteuerung und Interessenklüngel immer die Korruption zu nutze. Durch Bezahlung will man Entscheider beeinflussen, gegen Sachargumente und gegen die Vernunft zu handeln. Korruption kann nur durch Transparenz wirksam bekämpft werden.
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112. |
Das Organisationsprinzip des Kölschen Klüngels lautet: Man kennt sich, man sieht sich, man hilft sich. Aber dieses Prinzip gilt nicht nur in dieser Stadt, sondern ist international. Das Sprichwort „eine Hand wäscht die andere“ meint etwas Ähnliches. Literarisch dokumentierten Klüngel der antiken Römer gab es auch schon, ohne dass der in Köln übernommen werden musste. Ein wichtiges Argument für die Bevorzugung der Nachbarn und „Amigos“ fehlt in der obigen Aufzählung noch. Im positiven Fall kennt man die Zuverlässigkeit des anderen und weiß die gute Qualität seiner Arbeit zu schätzen. Dann ist gegen eine Empfehlung nichts einzuwenden. Im negativen Fall aber akzeptiert man großzügig und stillschweigend das Gegenteil, also schlechte Qualität und Nichteinhaltung von Terminen. Dann hat man die Klüngelswirtschaft, besonders, wenn andere –zum Beispiel die Steuerzahler- die negativen Folgen bezahlen müssen.
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113. |
Kritisch zu sehen ist auch folgender Fall von Bevorzugung Regionaler Firmen. Im Juni 2014 haben im siebten Jahr drei in der Region ansässige Unternehmen einen Preis des Kölner Wirtschaftsclubs bekommen ([19]). Die Preisverleihung ging mit Beteiligung der Industrie- und Handelskammer vor sich, den ersten Preis hat der Kölner Oberbürgermeister persönlich verliehen. Honoriert wurden: Innovationswille, nachhaltiges Wirtschaften und Bekenntnis zum Standort. Die ersten beiden Ziele sind uneingeschränkt positiv zu bewerten, aber das Bekenntnis zum Standort kann kritisch sein. Zum Beispiel prozessierte die Stadt Köln lange gegen einen lokalen Unternehmer, weil sie dessen Messehallen-Miete für zu hoch gehalten hat. Der Bau der Messehallen ist nicht international ausgeschrieben worden sind, was der EU-Behörde aufgefallen ist (die leistet auch Positives!). Vermutlich waren die Forderungen des Unternehmers so hoch, weil er keine Konkurrenz hatte. Mit der Förderung regionaler Unternehmen soll erreicht werden, dass Arbeitsplätze in der Region erhalten bleiben. Das ist vielleicht gut für die Region, muss aber keine kostengünstige und gute Gesamtlösung sein.
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114. |
Ähnliche Fälle passieren sogar im täglichen Leben außerhalb der Politik. Freunde von mir litten im Nachhinein darunter, dass sie für eine Wohnungssanierung nicht einen empfohlenen guten Handwerker, sondern einen guten Bekannten genommen hatten. Das würde man gar nicht Klüngel nennen, aber auch dabei bekommt ein Vertrauter einen Auftrag, obwohl es professionellere und bessere Anbieter gibt. Das Ergebnis war schlechte, zu teure Auftragserledigung, ohne Termintreue. Bei privater Betroffenheit wird dann eine „Amigo“-Verbindung mit Ärger beendet. Im öffentlichen Bereich zahlt der Bürger dann die Mehrkosten. Bei öffentlichen Aufträgen gibt es keine andere Möglichkeit als hohe Transparenz. Wenn die gute Qualität und die seriösen Preise eines regionalen Unternehmens bekannt sind, spricht nichts gegen seine Bevorzugung mit offener Begründung. Wenn aber die Hauptleistung eines Geschäftspartners in der Mitgliedschaft im selben Karnevals- oder einem anderen Verein besteht, kann die Skepsis oder sogar Wut der Außenstehenden mit nichts wegdiskutiert werden. Deshalb wird dann versucht, das Ganze zu vertuschen.
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115. |
Die Frage, wie drückend wir den Kapitalismus erleben, hängt davon ab, wie unser Staat vom Kapital bzw. vom Geld gesteuert wird. Dass auch ein sparsamer Verwalter der Familienkasse vom Geld gesteuert wird, empfindet dieser und seine Familie nicht als Kapitalismus. Wenn Kapital aber zum Machtmissbrauch und zur Schädigung der Interessen anderer eingesetzt wird, dann empfindet der Bürger diese Geldsteuerung als bösen Kapitalismus. Deshalb sind die Bekämpfung von Korruption, Vorteilsnahme, Bestechung und die scharfe Kontrolle von Lobbyismus und Interessenüberschneidungen überaus wichtig und bedürfen strenger Regeln und Strafen.
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116. |
Wenn ein Mensch rein geldgesteuert handelt, ist das sehr unangenehm für seine Mitmenschen. Man freut sich nicht, ihn zu treffen, wenn es ihm „nichts bringt“. Beim mittelalterlichen Minnesänger Walther von der Vogelweide (ca. 1170-1230) könnte man zumindest an „Frühkapitalismus“ denken. Ihm werden die Sätze zugeschrieben: „Wess Brot ich ess, dess Lied ich sing.“ Wenn ein Liedermacher für seinen Liedvortrag bezahlt wird und der Zahler dabei Liederwünsche anmeldet, ist dagegen nichts einzuwenden. Wenn das Geld aber für dubiose Leistungen fließt, dann wird die Sache gefährlich. Man muss da nicht gleich an Auftragsmord denken.
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117. |
Im Laufe der Erstellung des Buches ist mir zunehmend klarer geworden, dass große Parteispenden von Firmen unvereinbar mit guter Demokratie sind. Der Düsseldorfer Parteienrechtler Martin Morlok formulierte es so: „Unternehmen spenden nicht, sie investieren.“([20]) Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl hat diese These durch sein Verhalten bestätigt. Er wollte große Spender auf keinen Fall nennen, um deren politischen Einfluss nicht sichtbar werden zu lassen. Das steht im Gegensatz zum Parteiengesetz und gab ein sehr schlechtes Beispiel. Es hat Kohl, den glänzenden Kanzler der deutschen Einheit, schwer beschädigt. Ob die Parteispenden diese Rufschädigung wirklich wert waren? Die reduzierte Mehrwertsteuer für Hoteliers und die anschließenden Parteispenden von Mövenpick und anderen sind vielleicht noch in Erinnerung. Sie haben vermutlich mit zum Wahldebakel der FDP bei der Bundestagswahl im Herbst 2013 beigetragen, obwohl auch die CSU die reduzierte Mehrwertsteuer gefordert hatte.
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118. |
Besonders ärgerlich bei den Bestechungen ist, dass die Betrüger sich nicht mit guten Renditen begnügen, sondern gleich einen zigfachen Gewinn anstreben. Ich habe mich vor über zwanzig Jahren gefragt, was Flick wohl „investiert“ haben musste, damit eine Steuernachzahlung von über 100 Millionen DM verjähren konnte, welche Folgen das für die Verantwortlichen hatte, welche Konsequenzen das für künftiges Verhalten hat und welche Gesetze verschärft worden sind. Google hilft mir sonst immer bei meinen Recherchen, aber hier hat es nicht weitergeholfen, Zufall? Ich wäre dankbar für Hinweise auf die Quellen.
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119. |
Eine Empfindlichkeit gegen Bestechung und Ähnliches habe ich schon früh entwickelt. So arbeitete ich ein paar Jahre in der EDV-Organisation eines Maschinenbauunternehmens. Dort wurde mir gleich zu Beginn eröffnet, dass mein Lochkartenstapel (damals Programme) schneller abgearbeitet würde und sich meine Arbeit somit schneller erledigen ließe, wenn ich im Rechenzentrum von Zeit zu Zeit ein Pülleken Schnaps abgeben würde. Seit dieser Zeit verwende ich den Begriff „Pülleken-Priorität“ für derartige, mir verhasste Bestechlichkeit. Und diese Spenden nur, damit Leute ihre nicht schlecht bezahlte Arbeit tun, und andere, die bei dem Klüngel nicht mitmachen, benachteiligt werden.
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120. |
Der Vorgesetzte der „Pülleken“-Truppe war übrigens ein umgänglicher Mensch, der Problemen allerdings gerne aus dem Weg gegangen ist und der im Zweifel „nichts gesehen“ hatte. Immerhin wurden die Pülleken am Arbeitsplatz getrunken, was verboten war. Das für mich Traurige und deshalb besonders Einprägsame war, dass ich mich anfangs tapfer weigerte mitzumachen. Dann kam ich mit meiner Arbeit zeitlich in Bedrängnis und dann kippte mein edler Widerstand. Das hat mich nachträglich einerseits beschämt, andererseits aber meine Empfindlichkeit gegen Bestechung erhöht.
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121. |
Bei aller berechtigten Kapitalismuskritik darf nicht vergessen werden, dass es Menschen sind, die sich unmenschlich verhalten und kein System. Menschen betrügen andere um ihr Kapital. Menschen sind zu hartherzig, Bedürftigen etwas von ihrem Kapital abzugeben. Menschen wollen im Alter Kapital zur Sicherheit haben. Menschen und nicht Systeme! Bei einer verharmlosenden Betrachtung könnte man Kapitalismus auch als Kapitalsteuerung und diese wiederum als sparsamen Umgang mit Geld bezeichnen, was sich dann schon fast vernünftig anhört.
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122. |
Kapitalismus wird fühlbar in Situationen, wo mit Geld öffentlich geprasst wird. Mit Geld zu protzen, imponiert vielleicht schwachen Charakteren und jenen, denen Geld sehr wichtig ist, aber es tut den Armen weh. Karl Marx, dessen Stärke vielleicht mehr im Bereich des Sozialen und der Philosophie als im Bereich der Ökonomie lag, sagte dazu treffend: Ein Haus wird neben einem Palast zur Hütte. Jeder Hinweis an den Protz: „Muss das wirklich sein?“, ist ein Beitrag zu einer solidarischen Gesellschaft, in der alle für alle Verantwortung tragen.
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123. |
Es gibt noch andere Beispiele für problematischen Einfluss von Kapital. Es darf nicht sein, dass die Mehrheit der Bürger aus Sicherheitsgründen aus der Kernenergie aussteigen will und dann Firmen dafür Entschädigung verlangen und bekommen. Kernenergie ist durch Fukushima nicht gefährlicher geworden, sondern die Gefahren sind von den Kernenergie-Befürwortern falsch eingeschätzt und –auch bewusst – zu klein dargestellt worden. Jeder Unternehmer trägt selbst das Risiko, dass sich seine Investitionen rechnen. Die Selbstverständlichkeit, mit der Energieunternehmen in diesem Punkt eine Klage gegen den Staat anstrengen, ist für mich ein Hinweis auf die Dreistigkeit des Kapitals. Die Unternehmen haben dann vermutlich in ähnlichen Situationen schon Prozesse gewonnen.
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124. |
Eine Milliarden-Klage des schwedischen Energieversorgers Vattenfall gegen Deutschland war noch Anfang 2017 in den USA anhängig, vor einem nichtstaatlichen Gericht! Man muss sich doch fragen, was haben amerikanische Rechtsanwälte mit dem deutschen Ausstieg aus der Kernenergie zu tun. Das könnte ein kleiner Vorgeschmack auf ein geplantes Transatlantisches Handels- und Investitionsschutz-Abkommen wie TTIP sein. TTIP liegt zum Glück auf Eis. Ob vorhandene Kernkraftwerke im Falle einer Energiekrise länger laufen sollen, sollte getrennt von einer Grundsatzentscheidung überlegt werden.
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Als sich in den 1990er Jahren Asbest-Produkte als gesundheitsgefährlich erwiesen, konnte die Allgemeinheit nicht das Risiko dafür tragen, dass die Produktion durch Gesetz beendet wurde und Unternehmen dadurch Geld verloren haben. In historischer Zeit hatten Unternehmen, die eine Eisenbahn-Anbindung bekamen, plötzlich große Vorteile beim Transport ihrer Einsatzstoffe und Fertigwaren. Andere Unternehmen mit schlechter Bahnanbindung sind damals vom Markt verschwunden, ohne vom Staat einen Ausgleich zu bekommen.
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125. |
Manchmal tragen auch kleine wahre Geschichten zur Klärung bei. Die Holzverarbeitungsfirma Zschocke-Werke in Kaiserslautern stellte nach dem Krieg unter anderem Leiterwagen her. Damit verdiente sie nicht schlecht, der Absatz schien unbegrenzt, denn die Menschen brauchten diese Handwagen zum „Fuggern“. Das heißt, die Menschen aus der Stadt fuhren mit irgendwelchen Waren zu den Bauern aufs Land und hofften, ihre Habseligkeiten gegen Essbares tauschen zu können.
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126. |
Als dann die Währungsreform am 20. Juli 1948 kam und die D-Mark neues Zahlungsmittel wurde, brauchte plötzlich niemand mehr Leiterwagen, die Zeit des Tauschens und Fuggerns war vorbei. Bei Zschocke stand damals eine ganze Halle voller Leiterwagen unverkäuflich herum. Das Unternehmen blieb auf dem Verlust sitzen, ohne staatlichen Ausgleich zu erhalten. Ein echtes Wunder war allerdings, dass es über Nacht für die neue DM fast alles zu kaufen gab.
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127. |
Die Verwendung von PVC (Polyvinylchlorid) sollte verboten werden. Der sinnvollste, zumindest aber leichteste Weg, verschmutzte Kunststoffe zu entsorgen, wird oft die Verbrennung bleiben. Wenn aber PVC enthalten ist, entsteht beim Verbrennen giftiges Chlorgas. Außerdem dampfen PVC-Verpackungen in kleinen Mengen Chlorgas aus, das in den Packungsinhalt eindringen kann.
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128. |
Wir erkennen permanent neue gefährliche Stoffe. So galt vor 20 Jahren Formaldehyd bei der Holzplattenherstellung noch als ungefährlich. Heute stufen wir den Stoff als kanzerogen ein und müssen Ersatzstoffe suchen. Auch die Gefährlichkeit vieler Insektizide und Herbizide wird heute anders als früher eingeschätzt; dementsprechend brauchen wir Ersatzstoffe.
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129. |
Hier zeigt sich böser Kapitalismus dann, wenn über Lobbyeinflüsse versucht wird, an der Produktion möglicherweise gefährlicher Stoffe festzuhalten, wenn also der Gewinn aus den schädlichen Produkten Vorrang vor der Gesundheit der Menschen hat.
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130. |
Grundsätzlich sind wir in der Situation, dass wir noch viele unerkannte Gifte und Problemstoffe in unserer Umwelt und den Produkten, mit denen wir leben, haben. Sehr problematisch ist auch, wie viele Medikamente es gibt und wie wenig wir über das Zusammenwirken von deren Wirkstoffen wissen. Alte Menschen nehmen täglich bis zu 10 verschiedene Medikamente. Dazu gibt es eine unvorstellbar große Anzahl möglicher Kombinationen. Da kann ein Beipackzettel nur eine winzige Auswahl von kritischen Wirkzusammenhängen aufführen, kein Arzt oder Apotheker kann alle kennen und die weitaus meisten Kombinationen sind noch nie untersucht worden.
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131. |
Die Anzahl der Insektizide, Herbizide, Aromen und Haltbarkeitszusätze nehmen weiter zu. Sie sollten prinzipiell auf menschliche Verträglichkeit getestet sein. Aber sind deren Hersteller auch an sehr umfangreichen, langwierigen Tests von Stoffkombinationen interessiert oder werden dabei wissenschaftliche Bedenkenträger von rentabilitätsorientierten Kaufleuten beiseite geschoben? Beim Feinstaub ebenso wie bei der Radioaktivität erleben wir, dass die Gefährdungsgrenzen von Zeit zu Zeit strenger gezogen werden müssen.
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132. |
Da muss die Politik eine Strategie der Vorsicht und Sicherheit verfolgen. Selbst wenn der Politik eine zu kurzfristige Handlungsweise vorzuwerfen ist, gilt das für gewissenlose Profiteure in noch viel stärkerem Maße, da viele dann, wenn Probleme auftreten, unerreichbar sind. Sie sind über die Probleme bei ihren kritischen Produkten eher und besser informiert als die Politiker. Der Staat darf die globalen Geldgeber nicht zu rücksichtsvoll behandeln, da diese sich ihrerseits kaum von kriminell beschafftem Kapital abgrenzen.
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133. |
Eine unseriöse Strategie internationaler Finanz-Gesellschaften ist, niedrig verschuldete Firmen aufzukaufen, dann die eigenen Investitionen als Schulden aufzunehmen und danach die hochverschuldeten Firmen wieder zu verkaufen. Die Firmen laufen danach eine wesentlich größere Gefahr, in Konkurs zu geraten. Dann sind die Finanz-Gesellschaften, die das verursacht haben, längst außer Reichweite der Gerichte. Ein Land wie Deutschland, das auch attraktiv für solide Finanziers ist, muss und kann da gegensteuern. Zum Beispiel so: Finanzfirmen, deren Seriosität noch keine zehn Jahre im Land bekannt ist, müssten sich hier versichern, wenn sie deutsche Firmen aufkaufen wollen. Diese Versicherungen würden nicht niedrig sein, denn sie müsste in kritischen Fällen auch noch Jahre nach dem Verschwinden des Investors bezahlen.
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134. |
Solche oder ähnliche Regeln hätten einen fantastischen Nebeneffekt. Die Unsitte, Unternehmen in kurzer Zeit mit neuem Namen zu präsentieren, würde zurückgehen. Kapital, das die Menschen nur als Kosten ansieht, und sie möglichst rausschmeißen will, muss mit festen staatlichen Zügeln geführt werden. Die Verfechter des reinen Marktliberalismus und seiner Verantwortungslosigkeit werden die gut kontrollierten Länder meiden. Dann lässt sich dort unbesorgter leben und eine humane Gesellschaft aufbauen.
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135. |
Wie auch immer man Kapitalismus definiert, gibt es sogar eine Entwicklung dieses viel gescholtenen Systems hin zu den Grundwerten der Gesellschaft. Im Juli 2016 wurde von einer Allianz US-amerikanischer Unternehmen und Investoren berichtet, die die in den USA üblichen Quartalsberichte in Frage stellen ([21]). Sie glauben, dass eine so kurzfristige Erfolgskontrolle zu kurzfristigen Entscheidungen führt, da wo langfristiges Denken den Unternehmenserfolg verbessern würde. Das haben Wirtschaftswissenschaftler schon seit Jahrzehnten gesagt. Aber bis die Vernunft Mehrheiten findet, dauert es manchmal lange. Gegen die Vernunft zu stehen, fällt auf Dauer allerdings auch schwer.
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136. |
Der amerikanische Wirtschafts-Nobelpreisträger von 2013 Robert Shiller macht uns allerdings wenig Hoffnung auf einen baldigen humanen Kapitalismus; siehe Zeit online vom 9.September 2016 ([22]). „Wer im Kapitalismus zu moralisch ist, wird weggefegt“. Wie klein ist da der Schritt zu Kriminellen in großem Stil, die dann zynisch sagen: „Zu moralisch sind wir nicht, wir wollen ja nicht weggefegt werden“. Dass Shiller dennoch sagt: es gibt kein besseres Wirtschaftssystem, scheint mir für US-Amerika typisch. Er sagt nicht wie sein Landsmann Chomsky, dass es sich zum Schlechten hin verändert hat und dass unbedingt etwas verbessert werden muss. Bei Medikamenten ist Shiller allerdings für eine Regulierungsstelle, die prüft, ob die Medizin hält, was sie verspricht. Und was ist mit Lebensmitteln, Wasser und Luft. Sollen das Produzenten herstellen dürfen, die nicht zu moralisch sind? Ich bin entsetzt, dass ein Professor der Yale Universität seinen Studenten die Realität so darstellt. In meiner Studienzeit hat kein Professor der Wirtschaftswissenschaften in Köln etwas so Verantwortungsloses behauptet. Als Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt wurde, wurde ich das Gefühl nicht los, dass er von Shiller gelernt hat oder umgekehrt.
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137. |
Shillers These darf keinen Vorbild-Charakter bekommen. Mir fällt dazu noch ein Schokoladen-Vertreter ein, in dessen Haus ich als Schüler gewohnt habe. Als er einmal aus dem Sommerurlaub zurückkam, war die Kühlanlage in seinem Garagenlager ausgefallen und alle Schokoladen-Produkte waren warm geworden. Ich bekam eine Tafel Schokolade geschenkt, die bei hoher Temperatur eine weißliche Oberfläche bekommen hatte. Ich war dennoch sehr zufrieden, weil sie nach wie vor gut schmeckte. Mein Vater fragte, was denn nun mit den Waren geschehen würde. Die Antwort „Kunde pass auf!“ schockierte meine Familie und wurde ein geflügeltes Wort für alle Unregelmäßigkeiten im Geschäftsleben. Eine Gesellschaft, in der jeder jederzeit aufpassen muss, dass er nicht übers Ohr gehauen wird, ist nicht human und kann nicht als normal akzeptiert werden.
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138. |
Für die Kapitalismusanalyse brachte der Brexit eine interessante Erkenntnis. Das englische und internationale Kapital war nicht am Brexit interessiert, sondern am Gegenteil. Besonders am Erhalt der Finanzmetropole London. Es wurde aufwendige, übertreibende Werbung für die eigene Position gemacht. Dass die Briten dennoch für den Brexit gestimmt haben, zeigt, wie schwach das internationale Kapital ist. Unzufriedene Menschen lassen sich nicht so leicht kaufen. Die These eines allgewaltigen Popanzes Kapitalismus, gegen den politische Argumente keine Chance haben, ist blanker Unsinn!
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139. |
Ein –nicht kapitalistischer- dirigistischer Eingriff kann Sinn machen, um eine Stadt und ihre Bürger zu retten. Wahrscheinlich würde sich eine liberale Partei dabei zu sehr verbiegen und könnte ihren Wählern so einen Eingriff nicht vermitteln, aber andere können. Als musterhaftes Beispiel soll hier die Stadt Blankenburg im Harz dienen. Die Daten beziehen sich auf das
Jahr 2015, meine Idee und mein kleines Szenario bleiben aber weiter gültig.
Damals standen im innerstädtischen Einkaufsbereich 50% der Ladenlokale
leer, die übrigen waren in einem beklagenswerten Zustand. Das Ganze
wirkte sehr trostlos und schreckte bestimmt Kunden ab. Etwas abseits gab es
eine neue, große, attraktive Aldi-Filiale. Und nun kommt die Idee: warum muss
Aldi dort Fahrräder verkaufen, wenn es dort gar kein Zubehör gibt, wenn Räder
dort nicht repariert werden können und es auch kein Personal für fachgerechte
Beratung gibt? Aldi hat nur billige Räder, deren Verkaufserlöse dem Fachhandel
vielleicht zum Überleben fehlen.
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140. |
Der Hauptgrund für den dortigen Leerstand ist die zurückgehende Bevölkerungszahl. Die jungen Leute gehen dahin, wo sie Arbeit finden. Neue attraktive Arbeitsplätze sind nicht so leicht zu schaffen! Aber Aldi ohne Fahrräder, ohne Blumen und ohne frisches Brot und Fleisch bliebe immer noch ein rentables Unternehmen. Die Politik muss sich nur trauen! Allein dadurch würde Blankenburg noch nicht zu neuer Blüte kommen, aber es könnte ein hoffnungsvoller Anfang sein. Der nächste Schritt könnte sein, zu überlegen, wie der Internethandel dort in vernünftige Bahnen gelenkt werden kann. Psychologisch wäre sehr wichtig, dass besonders die Menschen in Ostdeutschland nicht das Gefühl bekämen, man könne im Kapitalismus keine vernünftigen politischen Maßnahmen durchsetzen, um eine Stadt zu retten. Das gilt genauso für junge kritische Menschen, die den Kapitalismus für eine skrupellose internationale menschenfeindliche Macht halten. Eine wichtige Voraussetzung dafür wäre die Dezentralisierung von Entscheidungen. Wenn wir interessante ökonomische Experimente zum Wohle der Menschen wollen, müssen nicht überall die gleichen gesetzlichen Bestimmungen gelten.
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141. |
Damit das Ganze ein Stück Weiterentwicklung der Demokratie würde, sollte man auch eine Bürgerbefragung zu dem Thema durchführen. Entsprechende Ratsbeschlüsse sollten vielleicht mit dem neuen Begriff einer „stabilen Mehrheit“ –mit beispielsweise mindestens 60% der Stimmberechtigten- durchgeführt werden. Berlin und Brüssel sind nicht brennend daran interessiert, dass Blankenburg wieder auf die Beine kommt, oder kennen die schwierige Lage dort gar nicht; deshalb sollten sie sich bei solchen Entscheidungen zurückhalten. Sie haben auch gar keine Kapazität, das gründlich zu durchdenken. Leider geht das mit der derzeitigen Rechtslage nicht so ohne weiteres. Aber wenn eine „stabile Mehrheit“ der Menschen so etwas braucht, wird es in einer lebendigen Demokratie morgen auch gemacht. Das könnte ein wichtiger, evolutionärer Schritt zu einem humanen Kapitalismus werden oder anders gesagt zu einer wirklich „Sozialen Marktwirtschaft“. Auch für den Zusammenschluss mehrerer Geschäfte zu einer Genossenschaft sollte es Beratungshilfe geben und die Experimente sollten finanziell unterstützt werden können!
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142. |
Die obige Idee ist nicht an Blankenburg gebunden. Vielleicht finden sich in einem anderen Ort entschlossenere, mutigere Entscheider für eine solche oder eine ähnliche Idee. Aber die Menschen müssen sich einsetzen und sich trauen! Unser Verfassungsgericht würde Aldi bestimmt nicht das Recht zugestehen, zu verkaufen, was es will, selbst wenn dadurch ein kleiner Ort vor die Hunde geht. Vielleicht würde Aldi nach einem eindeutigen Bürgervotum sogar anbieten, auf den Verkauf bestimmter Produkte in einer Filiale freiwillig zu verzichten, ganz ohne Gericht. Die Verantwortlichen und die Angestellten der Aldi-Filialen wollten nicht von ihren Nachbarn beschimpft werden. Auch solche Aktionen und ihre Realisierung machen den Staat komplizierter. Die Weiterentwicklung der Demokratie wird es mit sich bringen, dass regional unterschiedliche politische Lösungen entstehen.
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143. |
7. Deutschland als Musterland
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144. |
Ein historischer Rückblick soll jede nationale Überheblichkeit verhindern. Diesen Rückblick gibt uns David Landes in seinem – für ökonomisch Interessierte empfehlenswerten – Buch „Wohlstand und Armut der Nationen“ ([23]): „Manches (Wirtschaftliche) geschieht nie, wenn man (gemeint ist der Staat) nicht nachhilft.“ „Hätten die Deutschen (ca. 1840) auf John Bowring gehört. [...] Dieser reisende britische Ökonom regte sich maßlos darüber auf, dass die törichten Deutschen Eisen und Stahl herstellen wollten, statt bei Weizen und Roggen zu bleiben und die Industriegüter in Großbritannien zu kaufen. Wären sie seinem Ratschlag gefolgt, so wären sie als Musterbeispiel einer rationalen Volkswirtschaft in die Fußstapfen Portugals (mit seinem Wein, Kork und Olivenöl) getreten. Und sie wären erheblich ärmer geblieben.“ John Bowring lebte von 1792 bis 1872. 1836 wurde er sogar Ehrenmitglied der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, er war also kein Scharlatan.
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145. |
Die historische Rückblende deutet auch darauf hin, dass Deutschland 1840 noch agrarisch geprägt war. Die industrielle Entwicklung begann erst langsam nach 1800, ausgelöst durch die Kontinentalsperre Napoleons. Der wollte keine englischen Waren mehr auf den Kontinent lassen, weil er Englands Flotte nicht besiegen konnte. Allerdings begann die Industrialisierung hier nicht bei Null. Es wurden vorher bereits Waffen, Pferdewagen, Segelschiffe, Mühlen, Druckereien, Uhren, optische Geräte und anderes produziert, aber eben nicht mit industriellen Verfahren. Die damaligen Manufakturen könnte man als Vorläufer einer industriellen Produktion ansehen. Dort wurde zum Beispiel in einer Kutschenmanufaktur arbeitsteilig am Produkt Kutsche gearbeitet, ähnlich wie später in einer Automobilfabrik am Produkt Auto. Der Produktionsbereich, der zum Beispiel Kutschenräder herstellte, stellte die Räder nicht mehr für eine ganz bestimmte Kutsche her, wie bei der Einzelfertigung. Dafür mussten die Räder eine Mindest-Gleichmäßigkeit, also Mindest-Qualität, haben, genauso wie die Achsen, auf die sie passen sollten. Bei individuell gefertigten Produkten werden Räder auf eine ganz bestimmte Achse gesetzt und nötigenfalls angepasst. Ein großer Vorteil der Manufakturenware zeigt sich auch später. Dann kann ein defektes Kutschenrad ausgetauscht werden, da ja alle Räder gleich gefertigt werden.
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146. |
Deutschland zum Musterland zu machen, soll im europäischen Rahmen heißen, dass Deutschland ein Vorbild sein soll, von dem alles Passende übernommen werden kann. Die EU-Bürokratie soll nicht sagen: So musst du, ökonomisch schwaches EU-Mitglied, deine Probleme lösen! Sondern ein „Europäisches Dach“ soll sagen: Da und dort -und nicht nur in Deutschland- kannst du dir ein Beispiel für die Lösung deiner Probleme ansehen und das in diesem Punkt vorbildliche EU-Land ist angehalten, dir bei der Problemlösung zu helfen.
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147. |
In diesem Buch sollen keine Abschottungsideen entwickelt werden. Das Buch will reale Möglichkeiten der Veränderung aufzeigen. Wenn wir aber groß tönend fordern, die ganze Welt soll sich ändern, dann werden wir nichts mehr davon erleben.
Je stärker regionalisiert die Probleme sind, desto stärker sind die Menschen interessiert und engagiert und desto eher finden die Menschen Lösungen für sich und ihre Region. Und desto präziser können sie untätige Politiker auffordern, etwas zu tun.
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148. |
Deutschland soll als Musterland entwickelt werden mit folgenden Strategien: |
149. |
1. Förderung innovativer Produkte und der Unternehmen, die sie erzeugen. |
150. |
2. Gute Produktqualität (Quality of Germany) mit Robustheit der Produkte und der Produktion |
151. |
3. Weitgehende Normung mit dem Ziel: „alles soll zusammenpassen“ |
152. |
4. Konsequentes Produktrecycling mit dem Ziel: sparsamer Umgang mit Rohstoffen |
153. |
5. Qualitätskontrollen mit gut verfügbarer Information über die Qualität und die Förderung von Qualitätsvergleichen. Nicht qualitätsbezogenes Marketing soll erschwert werden. |
154. |
6. Bemühungen, die Technologieskepsis zu überwinden, mit einer Politik der „verantwortungsvollen Neuerung“ und hohen Sicherheitsstandards |
155. |
7. Großen Wert legen auf vorbildliches Projektmanagement bei Großprojekten
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156. |
Die oben nur aufgezählten Strategien bzw. Ziele werden im Folgenden detaillierter ausgeführt:
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157. |
zu 1. Förderung innovativer Produkte: Dabei könnten auch neue Unternehmensformen helfen. Zum Beispiel: innovative Jungunternehmen mit persönlich haftendem Eigentümer, bei denen der Staat (einmalig?) eine Bürgschaft übernimmt. Natürlich müssen Mindestanforderungen beim Ausbildungsstand und eine unternehmerische Idee vorhanden sein.
Jungunternehmer, die mit obigem Modell erfolgreich waren, ihre Bürgschaft zurückgegeben haben und langfristige Arbeitsplätze geschaffen haben, könnten eine erweiterte staatliche Unterstützung erhalten, mit eigenem Unternehmensmodell, das eine erweiterte Kontrolle der Förderer vorsieht. Weitere Ideen zu Innovationen sind im folgenden Kapitel 8. zu finden.
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158. |
zu 2. Auf der Weltausstellung 1876 in Philadelphia galt das Urteil: Deutsche Waren sind billig und schlecht. Die in England beschlossene Kennzeichnungspflicht „Made in Germany“ sollte warnen, ähnlich wie hier noch vor einigen Jahrzehnten „Made in China“. Mittlerweile ist aus „Made in Germany“ eine Bezeichnung für gute Qualität geworden. Gute Produktqualität kann nur produziert werden, wenn qualitätsbewusste Mitarbeiter mit hochqualitativen Maschinen und Komponenten arbeiten. Um Mitarbeiter qualitätsbewusst zu machen, ist folgendes wichtig: die Förderung betrieblichen Verbesserungswesens, Qualitätszirkel, Weiterbildung usw. Alle Stufen der Produktion müssen qualitativ begleitet werden. Das fängt mit der Kontrolle der betrieblichen Zulieferungen an, geht weiter über betriebliche In-Prozess-Kontrolle und endet mit betrieblicher Endkontrolle. Die Konsumenten oder Abnehmer der Produkte müssen Qualität zu schätzen wissen, denn Qualität ist aufwendiger zu produzieren als billige Massenware. Deshalb muss das Qualitätsbewusstsein der Verbraucher gefördert werden.
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159. |
Einen starken Anreiz zur Qualitätsverbesserung von Produkten brächte die Verlängerung der gesetzlichen Gewährleistung bzw. der Garantie. Heute kann man eine Garantieverlängerung oft extra bezahlen. Man behält dabei aber dasselbe Teil. Man schließt quasi eine Gewährleistungs-Versicherung ab, die so funktioniert: die Käufer der zufällig besseren Teile teilen sich die Reklamationskosten mit den Käufern der zufällig schlechteren. Eine Verlängerung der gesetzlichen Gewährleistung dagegen würde vermutlich zu kleinen Preissteigerungen führen, aber die Produzenten hätten einen Anreiz, qualitativ besser zu produzieren, weil sie länger für die Mängel haften müssten. Die heutige Garantieverlängerung hat nichts mit den Produzenten zu tun, hat also kaum Auswirkungen auf die Qualität des Produktionsprozesses.
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160. |
Im Januar 2014 hörte ich im WDR-Radio in einem Werbeblock zufällig folgenden Satz: „Entscheiden Sie sich für Renault-Qualität!“ Ohne nachzudenken, fiel mir mein einziges französisches Auto (kein Renault) von vor 40 Jahren ein, das bei feuchtem Wetter immer Probleme mit dem Anspringen machte und so manches ärgerliche Zu-spät-Kommen verursacht hatte. Ich hatte bisher nichts Neues, Positives von Renault in Bezug auf eine Pannenstatistik gehört. Obwohl Renault mittlerweile ein sehr gut funktionierendes Qualitätsmanagement haben kann, bin ich doch skeptisch und diese Skepsis hält lange an. Es reicht also nicht, nur gute Qualität zu produzieren, die Qualität einer Firma muss auch in den Erfahrungsschatz der Konsumenten eingedrungen sein. Außerdem gibt es noch ein Image „Qualität französischer Autos“, das sich als Ganzes bessern muss, das ist nicht allein eine Frage von Renault.
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161. |
Im Umkehrschluss heißt das, Deutschland muss verhindern, durch Billigst-Produkte das Image der guten deutschen Qualität zu zerstören! Unternehmen, die schlechte Qualität in deutschem Namen produzieren, beeinträchtigen nicht nur sich selbst. Das sollte ihnen klargemacht werden und vor allem: dafür sollten sie bezahlen!
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162. |
Die Robustheit der Produkte und der Produktion ist ein besonderer Aspekt der Qualität. Wenn jeder Konsument pfleglich und sorgfältig mit Produkten umgehen würde, wäre Robustheit nicht so wichtig. Generell werden die Industrieprodukte aber immer komplizierter, damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit der unbeabsichtigten Falschbehandlung und Fehlbedienung, die die Produkte beschädigen oder sogar zerstören kann. Deshalb ist zunehmende Produktrobustheit nötig, sie ist ein Teilaspekt der Produktqualität. Fehlertoleranz gehört auch zur Robustheit der Produkte.
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163. |
Am 17. Februar 2014 führten heftige Schneestürme in Japan zum einem solchen Verkehrschaos, dass die Produktionsbänder in mehreren Autofabriken stillstanden. Die Schneestürme sind deshalb erwähnenswert, weil sie dort in dieser Heftigkeit vorher noch nie aufgetreten sind. Das sehr produktive japanische Kanban-System plant Zulieferteile, die sich auf dem Weg zum Automobilwerk befinden, bereits in die Produktion ein. Wenn dann der Transport gestört wird, steht bald auch die Produktion still. Wenn die Produktion steht, müssen Arbeiter und Maschinen auf die Teile von unterwegs warten. Dann ist Kanban sehr ineffektiv. Wenn ein Zulieferbetrieb bestreikt wird oder Probleme hat, gilt dasselbe.
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164. |
So standen bei Ford in Köln und in anderen Autofabriken die Bänder 1998 still, als es Probleme bei der Türschlösser-Produktion der Fa. Kiekert gab. Bei Autos bekommt der Endverbraucher sein Fahrzeug dann ein wenig später, das ist in der Regel durch Leihwagen überbrückbar. Bei anderen Produkten kann das kritischer sein. Auch diese Fälle gehören zur Robustheit der Produktion. Im Regelfall werden die Produkte dabei nur später fertig, aber bei Transportschäden kann auch die Qualität der Endprodukte leiden. Die Staus und Baustellen auf deutschen Straßen sind da ebenso störend wie es die Schneekatastrophe in Japan war.
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165. |
Bei der Filmproduktion bei Agfa gab es immer den Wunsch, die Produktqualität zu verbessern. Es ist anzunehmen, dass bei fast jeder industriellen Produktion ein vergleichbarer Anspruch besteht. Ein Verfahren der Qualitätsverbesserung war, schlechte Qualität auszusortieren. Dazu waren am Ende des Produktionsprozesses der Filmbahnen Scanner installiert mit dem Ziel, qualitativ schlechtere Filmflächen zu erkennen, zu markieren und beim nachfolgenden Aufteilen der Filmbahnen herauszuschneiden. Man war leider weit davon entfernt, so präzise zu produzieren, dass erst gar keine schlechte Qualität entstanden ist. Bei Stückgütern würden Teile aussortiert, die die Mindestqualität nicht erreicht haben.
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166. |
Jetzt kommt der gedankliche Schritt für Qualitätsverbesserungen in komplizierten Fällen. Dort wo ein Produkt entsteht und es Qualitätsprobleme gibt, müsste eine Hochgeschwindigkeits-Kamera (oder mehrere) installiert werden, die winzige Details aufnehmen kann, die dann mit der produzierten Ware über sehr genaue Zeiterfassung zusammengebracht werden kann. So ließen sich an physikalisch kritischen Stellen Probleme festhalten, deren Ursachen nachträglich sehr aufwendig aber erfolgreich geklärt werden können.
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167. |
Hier sei mir ein kleiner gedanklicher Bogen zum Kölner Stadtarchiv gestattet, das im März 2009 versunken ist. An kritischen Stellen hätte es auch dort sehr detaillierte Videoaufnahmen geben müssen, mit denen Fehler nachträglich erklärt werden könnten. Keine Frage, dass die Auswertungen danach mühsam sind. Aber ohne Mühe lässt sich Qualität nicht verbessern. Besser als nachträgliche Fehlerklärung wären Arbeitsunterbrechungen, bis eine Fehlerursache beseitigt ist.
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168. |
Die Hauptidee dieses Absatzes ist es, darauf hinzuweisen, dass es in Deutschland Spezialisten geben muss, die technische Details auch in hoher Geschwindigkeit festhalten können und anschließend an der physikalischen Erklärung von Problemen mitarbeiten können. Und dass es auch Forderungen von Politik, Unternehmen und Versicherungen geben muss, solche teuren Spezialisten und Spezialgeräte einzusetzen. Bei solchen Vorschlägen kann man denken: Ja, schön, wenn man sie hat und wenn nicht, ist auch gut. Aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass ein Land ohne die Entwicklung solcher Abläufe, mit seiner Qualität international nicht führend bleiben kann.
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169. |
Andrerseits bin ich skeptisch gegenüber Behauptungen, dass geplante Qualitätsmängel einen riesigen volkswirtschaftlichen Schaden verursachen, wohlgemerkt: geplante. Man nennt das Phänomen auch „geplante Obsoleszenz“. Ein Beispiel wird dazu häufiger genannt, nämlich fest verlötete, nicht austauschbare Akkus. Wenn nicht auswechselbare Akkus dazu führen, dass ein Produkt vorzeitig weggeworfen werden muss, ist das nicht akzeptabel. Aber wenn man stattdessen austauschbare Akkus hätte, deren Kapazität selten vorkommen und für die man kein Ladegerät hätte, wäre das auch nicht besser. Im Folgekapitel habe ich einiges zu dem Thema unter Normung ausgeführt.
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170. |
Mittlerweile gibt es eine Untersuchung von Forschern des Freiburger Öko-Instituts, die im Spiegel online vom 13.2.2016 veröffentlicht war ([24]). Diese Forscher haben keine geplante Obsoleszenz gefunden! Sie haben aber festgestellt, dass die geplante Lebensdauer von den Herstellern berücksichtigt wird. Es ist nachvollziehbar, dass ein Smartphone, das die Verbraucher höchstens 5 Jahre benutzen, keine 10 Jahre halten muss. Im Gegenteil, es so zu konstruieren wäre eine Verschwendung von Ressourcen. Ähnliches gilt auch, wenn neuere Produkte eine höhere Sicherheit bieten oder viel sparsamer sind, dann sollten die alten Produkte sogar vorzeitig aus dem Verkehr gezogen werden.
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171. |
Die Glühbirne, die in einer amerikanischen Feuerwehrstation seit ca. 1900 (!) brennt, also weit über 100 Jahre, ist ein gutes Beispiel für Langlebigkeit, aber nicht für Qualität. Glühbirnen, die nicht so heiß werden und nicht so hell brennen, geben prozentual viel mehr Wärme als Licht ab, sind also von der Lichtausbeute her ineffizient und somit teuer.
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172. |
Als ich vor 30 Jahren in einem Baumarkt meinen ersten Akkuschrauber kaufen wollte, riet mir der Fachberater von einer Maschine für unter 50 DM ab: „Wir müssen solche Geräte führen, aber zu dem Preis kann das nur Schrott sein.“ Schrott, der dann nicht lange hält, wenn auch ungeplant, also keine geplante Obsoleszenz. Mit billigstem Material, billigsten Löhnen, nichtoptimalem Know-how und minimaler Qualitätskontrolle lässt sich keine gute Qualität produzieren. Gute, solide Qualität hält immer länger als schlechte.
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173. |
Und die Vorstellung, dass man Geräte konstruieren kann, dass deren Einzelteile alle genau bis zum Tage der gesetzlichen Gewährleistung halten und am Folgetag dann alle kaputt sind, ist ein Verdacht, der mit industrieller Produktion nicht viel zu tun hat. Es ist vernünftig, wenn ein Produzent sich bemüht, dass einzelne Komponenten oder Teile nicht vorzeitig ausfallen. Niemand wundert sich, wenn ein Marmeladen-Hersteller bemüht ist, dass seine Marmelade in allen Gläsern die Mindesthaltbarkeit erreicht. Meine Argumentation im gesamten Buch legt großes Gewicht auf solide Produkte und solide Produktion und ich hoffe bei guter Qualität auf eine Vorreiterrolle Deutschlands. Aber von großem Aufwand zum Nachweis von geplanten Qualitätsmängeln rate ich ab. Dagegen kommen ungeplante, unbeabsichtigte Qualitätsmängel leider viel zu häufig vor.
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174. |
zu 3. und 4. Normung und Produktrecycling: Anzustreben ist eine Vereinheitlichung (Normung) von Akkus (EU-weit, natürlich nicht nur eine Größe). Dazu müssten Überlegungen kommen zu einem Pfand für diese Akkus und zu Zerlege-Automaten zum Recyceln der Wertstoffe. Der Akkuproduzent muss ein Zerlege-Programm für einen genormten Zerlege-Automaten für die Produktzulassung bereitstellen. Ziele sind die Wiedergewinnung wertvoller Rohstoffe und das Aussortieren von gefährlichen Stoffen.
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175. |
Elektrische Geräte (Kameras usw.) mit von der Norm abweichenden Akkus müssen dann mit deutlich höherem Pfand belegt werden. Eventuell sind ein Verkaufs-, oder Import-Verbot oder Sonderrecycling-Vorschriften nötig. Nicht austauschbare Akkus würden keiner Norm entsprechen und sollten verboten werden. Für Schnittstellen wie elektrische Stecker und Energiespeicher darf es nur im Ausnahmefall Patente geben, ansonsten nur noch Normen. Eine Abweichung von den Normen muss genehmigt werden und sollte immer mit Kosten verbunden sein. Geniale Produktideen sollen allerdings nicht verhindert werden, auch wenn sie nicht zu bestehenden Normen passen und höhere Recyclingkosten verursachen.
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176. |
zu 5. Qualitätskontrollen: Ohne Kontrolle ist gute Qualität nicht realisierbar. Innerbetriebliche Kontrollen sind unter 2.Produktqualität aufgeführt und sind hier nicht gemeint. Wichtig ist die staatliche Förderung von Qualitätsvergleichen und Publikationen mit Qualitätstests und Institutionen, die sie machen. Bei größeren staatlichen Aufträgen soll die Berücksichtigung von Tests bzw. Vergleichen verpflichtend werden. Preisvergleiche sollen nur erlaubt sein, wenn sie die Qualität berücksichtigen. Nicht qualitätsbezogenes Marketing soll erschwert werden.
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177. |
Folgende Ziele sind anzustreben: Die Erziehung zum mündigen, qualitätsbewussten Bürger, weg vom willfährigen, leichten Marketingopfer. Wenn reines Verbal-Marketing weniger Erfolg hat und die Produktion von guter Qualität höher bewertet wird, lohnt es sich für die Produzenten, weniger Geld ins Marketing zu investieren und mehr ins Qualitätsmanagement und in die Verbesserung der Produkte. Generell gilt: Wenn der Verbraucher Qualität verlangt, wird Qualität produziert. Wenn hauptsächlich niedrige Preise verlangt werden, wird billig und in schlechterer Qualität produziert. Bei Billigprodukten sind Marketingleute versucht zu behaupten, dass alle Produkte ihre Fehler haben (was auch richtig ist), nur einige (besonders ihre) seien billiger. Bei dieser Argumentation fällt der Qualitätsvergleich dann unter den Tisch.
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178. |
zu 6. Technologieskepsis ist ein altes Phänomen. Sie wurde beispielsweise von Johann Wolfgang von Goethe im Gedicht des Zauberlehrlings vorgeführt. Dort will ein Lehrling auch mal Meister spielen und bekommt eine entstehende Überschwemmung nicht mehr in den Griff. Aber auch Ereignisse wie der Untergang der Titanic zeigen den Hochmut der Menschen, die das Schiff unsinkbar nannten. Bei solchen Katastrophen bekommen viele Menschen das Gefühl, dass sich die Technologiegläubigen gegen Gott oder die Götter versündigen. Hier muss die Politik dafür sorgen, dass nicht alles gemacht wird, was machbar ist. Die Genetik ist auch so ein Bereich, wo Menschen sich vor einem Homunkulus oder Klon-Menschen fürchten. Die Genetik ist deshalb so gefährlich, weil sie den Eltern morgen versprechen wird, dass ihre Kinder durch genetische Eingriffe gesünder, schöner und klüger geboren werden können. Im Kapitel „23. Medizin, Gesundheit, Alter“ ist ein sehr problematisches Beispiel einer genetischen Manipulation aufgeführt.
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179. |
Wenn wir eine Nation sein wollen, die technologisch führend ist und mit innovativen Produkten auf dem Weltmarkt konkurrieren kann, dann müssen wir hohe Sicherheitsstandards haben und Rücksicht auf die Ängste der Menschen nehmen. Rücksicht auf die Ängste sowohl da, wo produziert wird, als auch da, wo konsumiert oder angewendet wird. Deutsche Produkte sollten international den Marketing-Vorteil haben, dass sie sicher sind und den Menschen nicht schaden. Unsere Bürger müssen das Gefühl haben, dass die gewählten Volksvertreter bei Missbrauchsfällen rechtzeitig zur Umkehr drängen können und es muss auch Beispiele dafür geben, dass eine Umkehr wirklich passiert ist. Wichtig ist da natürlich, dass die Politiker nicht bestechlich sind und dass es umfangreiche Kontrollen gibt.
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180. |
Beispielsweise durfte der Pariser Eiffelturm erst weitergebaut werden, nachdem Gustave Eiffel in einem Gerichtsverfahren zugesichert hatte, dass er alle Sachbeschädigungen durch herunterfallende Turmteile bezahlen werde. Solche Sachbeschädigungen sind dann gar nicht aufgetreten, aber die Angst davor ist berücksichtigt worden. Der Bau des Eiffelturms ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie anfängliche große Technologieskepsis in Begeisterung umschlagen kann. Und er ist ein gutes Beispiel für Termintreue von Großprojekten, denn er war – wie geplant – nach nur zweijähriger Bauzeit rechtzeitig zur Eröffnung der Weltausstellung am 15. Mai 1889, dem 100. Jahrestag der französischen Revolution, fertig. Na ja, der Aufzug war noch nicht fertig; aber wer will bei einer so grandiosen Leistung schon kleinlich sein.
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181. |
zu 7. Zum vorbildlichen Projektmanagement bei Großprojekten sollte gehören: - Einhalten der Termine - Einhalten des Kostenrahmens - eindeutig vereinbarte Kontrollschritte bzw. Meilensteine - klare Verantwortlichkeiten - klar definiertes Endziel mit: Umfang, Kosten, Termin bzw. Termine, Endabnahme - möglichst keine Überlagerung von Planung und Realisierung, sondern vor der Realisierung abgeschlossene Planung
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182. |
Als Beispiel für schlechtes Projektmanagement soll hier die Hamburger Elbphilharmonie dienen. In einem Spiegel-Bericht von Anfang 2014 werden Ursachen und Schuldige des Elbphilharmonie-Desasters ([25]) klar benannt. Der Flughafen Berlin-Brandenburg ist ein noch traurigerer Fall, der Bahnhof Stuttgart 21 ebenso und leider gibt es noch viele andere. Die Elbphilharmonie sollte ursprünglich im Jahr 2010 fertig werden, daraus ist Februar 2017 geworden. Die Bausumme war bei Vertragsabschluss mit 114 Mio. Euro veranschlagt, 2016 ging man bereits von 800 Mio. Euro aus. Bei den Kosten lautet die Hauptkritik, dass der einzige Anbieter vermutlich zu niedrige Kosten genannt hat, damit das Projekt überhaupt in Angriff genommen wurde. Die Städtische Realisierungsgesellschaft war mit der Prüfungsfunktion völlig überfordert. Die Planung war nicht abgeschlossen, als die Realisierung bereits in Auftrag gegeben wurde. Der Erste Bürgermeister als oberster Dienstherr der Hansestadt hat sich zu wenig gekümmert. Beim Flughafen in Berlin war man nach einem Neuanfang noch nicht einmal sicher, ob aus allen Fehlern wirklich gelernt wurde oder ob die neuen Leute erst einmal in die alten Schlaglöcher stolpern.
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183. |
Weiter zu Hamburg: Der städtische Projektkoordinator Hartmut Wegener stellte sich am 11. April 2014 in einem Interview in „Die Zeit“ dem Vorwurf der Hauptschuldige zu sein ([26]). Er sieht sich als idealen Sündenbock, aber nicht als Hauptschuldigen und sieht bei sich gar keine gravierenden Fehler!!! Auch dieses Projekt wird wieder ein Beispiel dafür sein, dass es kaum möglich ist, bei einem katastrophalen Ergebnis die Hauptverantwortlichen einvernehmlich zu benennen. Dann ist es schwer, daraus zu lernen und es beim nächsten Mal besser zu machen.
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184. |
In Hamburg wurde immerhin eine erfreuliche Konsequenz aus dem Elbphilharmonie-Debakel gezogen: das Hamburgische Transparenzgesetz. Es wurde im Juli 2012 beschlossen und bereits im Oktober verabschiedet ([27]). Den Anstoß gab eine Bürgerinitiative mit guten Erfolgsaussichten. Die Hamburger SPD wollte das Thema aus der Bundestagswahl 2013 heraushalten. Nun gibt es eine Veröffentlichungspflicht öffentlicher Maßnahmen und Gesetze. Begleitend dazu gab es interne Schulungen und Diskussionen. Die dortige Handelskammer hat prophezeit, dass das Ganze in einem Datenfriedhof enden wird. Die offizielle Entgegnung lautet: „Das Informationsregister soll für jeden einfach zu bedienen sein, die Dokumente sollen leicht zu finden sein.“ Das sollte aufmerksam verfolgt werden, weil wir ja überall Ähnliches, vielleicht noch Besseres, brauchen. Und überall werden Leute vor Datenfriedhöfen warnen und manchmal werden die Warner recht behalten.
Die Elbphilharmonie ist Anfang 2017 eingeweiht worden. Sie ist ein imposantes Bauwerk, auf das Hamburg sehr stolz ist, liebevoll wird sie Elphi genannt. Die Akustik ist mit kleinen Ausnahmen auch sehr gut. Wenn alle Mängel aber so schnell vergessen und verziehen sind, lernt man daraus höchstens, dass Kosten- und Zeit-Überschreitungen gar nicht so problematisch sind.
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185. |
Als Kölner weise ich gerne auf ein anderes Projekt hin, das Erzbischöfliche Museum Kolumba mit einem Bauvolumen von über 40 Mio. Euro, das sowohl zeitlich als auch kostenmäßig nur geringfügig überschritten wurde. Dabei handelte es sich um ein sehr anspruchsvolles Bauvorhaben des Schweizer Architekten Peter Zumthor, dessen Architektur prämiert worden ist.
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186. |
Bei Großprojekten drängt sich auf, ein unabhängiges Institut mit der Qualitätsprüfung zu beauftragen. Dieses muss von Beginn an fortlaufend den Stand, die Probleme, die Verantwortlichen, die Maßnahmen zur Behebung der Probleme und die Einhaltung der Termine festhalten. Zumindest müssten große Projekte in Deutschland nach der Fertigstellung bewertet und in eine tabellarische Übersicht gebracht werden. Dazu würde auch gehören, die größten Fehler bzw. Probleme aufzulisten und zwar so, dass ein Lerneffekt für künftige Projekte möglich wird. Und diese Daten müssten allen Bürgern im Internet offenstehen. Es wäre natürlich auch ein Bloßstellen von fehlerhaften Arbeiten, Firmen und Personen. Es sollte aber auch um Verständnis dafür geworben werden, dass völlig fehlerfreie Zusammenarbeit in Großprojekten zwar erstrebenswert, aber kaum zu erreichen ist. Auf keinen Fall darf Datenschutz dazu führen, dass die für den Schlamassel Verantwortlichen nicht genannt werden dürfen!
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187. |
Der Volksmund sagt: „aus Schaden wird man klug“ und „nur aus Fehlern lernt man“. Aber wer sich über die Erkenntnis und das Eingestehen von Fehlern hinweg-mogelt, der lernt nur geschickter zu mogeln und der Verantwortung aus dem Weg zu gehen, der lernt aber nicht, Fehler zu vermeiden. Und wir werden in Deutschland bei Großprojekten nicht besser und nicht international vorbildlich, wenn wir das Vertuschen prämieren. Bei Autos mit Dieselmotoren haben wir erlebt, wie verbreitet das Über-Fehler-Hinwegmogeln bereits ist.
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188. |
Städte, Gemeinden und andere staatliche Stellen, die riesige Fehlinvestitionen verursacht haben, müssten bei der nächsten Großinvestition ihre Pläne einer übergeordneten Stelle oder einem Bundes- oder Landesrechnungshof vorlegen. Es ist davon auszugehen, dass an verantwortlicher Stelle Leute sitzen mit begrenzter Kompetenz oder solche, die Tricksereien nicht abwehren können oder solche, die für Schmeicheleien und Geschenke anfällig sind. Wir müssen auch mit professioneller Beseitigung alter Mängel punkten und Großprojekte mit alten Mängeln gibt es genug, nicht nur unsere Straßenbrücken.
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189. |
Bei Großprojekten gibt es einen sehr wichtigen Punkt. Wenn eine Erweiterung zumindest möglich werden kann, sollen Anbau- bzw. Erweiterungs-Möglichkeiten von Anfang an vorgesehen werden. Andererseits sollen Nachträge möglichst vermieden werden, da die Kosten dadurch unbegrenzt steigen können. Es sollte nie zu kurzfristig geplant werden, da heute Bürgerinitiativen bei Großprojekten eine große Rolle spielen und auf jeden Fall gehört werden müssen. Es ist praktische Demokratie, dass Bedenken auftreten, an die vorher niemand gedacht hat und das wird eher noch zunehmen. Ein wichtiger Grund für die Zeit- und Kostenüberschreitung des Berliner Großflughafens war die nachträgliche Forderung, den Flughafen auch für den größeren Airbus A380 einzurichten. Auch der Neubeginn der Planung machte eine neue europaweite Ausschreibung erforderlich, das kostete mindestens ein zusätzliches Jahr. Nach vielen kleinen Verzögerungen galt plötzlich eine neue Brandschutzordnung, die riesige Auswirkungen hatte. Der Berliner Flughafen ist vermutlich das Großprojekt in Deutschland, das international am präsentesten ist. Da können böswillige internationale Konkurrenten leicht sagen, dass die Deutschen Großprojekte gar nicht mehr vernünftig hinkriegen.
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190. |
Ein Blick über den nationalen Tellerrand ist interessant. In Großbritannien gehört die Großprojektkontrolle MPA (Major Projekts Authority) zum Regierungsapparat. Die Umsetzung von Großprojekten im Auftrag der Öffentlichen Hand wird nach deren Effizienz und Kostenentwicklung beurteilt. Der Premierminister(!) ist weisungsbefugt. Es wird ein Jahresbericht erstellt. So ein Instrument braucht jedes qualitätsbewusste Land, auf jeden Fall braucht Deutschland etwas Vergleichbares! Aber Vorsicht, so eine
Projektkontrolle funktioniert nicht sofort im Moment seiner Einberufung. Erfahrene
Projektsteurer sind nicht schnell am Markt verfügbar und so ein Gremium muss
Erfahrungen mit der Kontroll-Durchführung sammeln.
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191. |
8. Innovationen: Entstehung und Förderung
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192. |
„Nur wenige Erfindungen kommen fix und fertig auf die Welt. Es bedarf vieler kleiner und großer Verbesserungen, damit aus einer Idee eine Technik wird“ ([28]). „Alles in allem dauerte die Erfindung der Dampfmaschine 200 Jahre“ sagt David S. Landes ([29]). Gemeint ist dabei die Entwicklung der Dampfmaschine beginnend mit den dampfbetriebenen Pumpen zur Entwässerung von englischen Bergwerken bis hin zu transportablen Hochdruck-Dampfmaschinen, die Lokomotiven antreiben und zu Dampfturbinen als Schiffsantrieb. James Watt (1736-1819), der „Erfinder der Dampfmaschine“ genannt wird, hatte daran insgesamt nur einen kleinen Anteil.
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193. |
Die meisten einfachen Erfindungen sind bereits gemacht oder ergeben sich erst durch neue Situationen nach größeren Erfindungen. Komplexe Produktinnovationen können heute nur optimal entwickelt werden durch Zusammenwirken von Hochschulen, Instituten, innovativen Firmen und staatlicher Förderung.
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194. |
Ein sehr wichtiges Feld für Innovationen sind Gegenmaßnahmen gegen eine weltweite Klimakatastrophe. Hier könnte mit der Algenforschung ein Beispiel zur Reduzierung der CO2-Belastung unserer Luft gefunden werden. Dabei wäre der Problemkreis zu erforschen, wie man Algen nutzen kann. Grundsätzlich gilt, dass in den Algen und Wasserpflanzen der Weltmeere wesentlich mehr Chlorophyll enthalten ist als in allen Landpflanzen zusammengenommen. Chlorophyll wandelt klimaschädliches CO2 in Sauerstoff und gebundenen Kohlenstoff um.
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195. |
Was kann man mit Algen machen? Zum Beispiel: Verbrennen, dann entsteht allerdings wieder CO2. Alternativ könnte man sie zur Herstellung von Dämmmaterial verwenden oder als Abdeckschutz gegen Korrosion, zur Dünen- oder Wüsten-Befestigung, als Futtermittel oder als Lebensmittel. Vermutlich kann man auch Methangas und Biodiesel daraus herstellen, dabei wird im Verbrennungsmotor allerdings wieder CO2 freigesetzt. |
196. |
Wenn man gute Nutzungsmöglichkeiten gefunden hat, stellen sich die nächsten Fragen: Wo sollen die Algen wachsen und wie kann man sie ernten? Das Problemfeld beinhaltet auch die Frage, ob man Algen oder alternative schwebende Wasserpflanzen züchten kann, die sich gut als Fischnahrung eignen, ohne die Kiemen der Fische zu verkleben. Und wie könnte man dann die alten klebenden Algen entfernen?
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197. |
Wenn zum Beispiel Kraftwerke optimale Möglichkeiten der Algenverwertung bieten würden, müssen sie verpflichtet werden oder finanzielle Anreize bekommen, in ihrer Nachbarschaft riesige Kühl-Teiche oder Seen anzulegen, in denen Algen gezüchtet werden. Vielleicht würden sich dazu Braunkohle-Rekultivierungsseen eignen.
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198. |
Eine Gesellschaft, die die Kosten des Alterns der Gesellschaft ohne Wohlstandsverlust ausgleichen will, kann nicht zu zimperlich sein bei Vorschriften gegenüber Eigentümern, die ja wissen müssen, dass Eigentum verpflichtet, wie es in unserem Grundgesetz steht.
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199. |
Ein Trocknen der Algen wäre nahe Kraftwerken mit eigener Abwärme sicher preiswerter als anderswo. Wenn sich eine gute Nutzung der Meeresalgen fände, müssten unter anderem auch Ernteroboter entwickelt werden. Dann müsste auch überlegt werden, wie man die nutzbaren Wasserflächen sauber hält. Es gibt ja schon Bereiche in den Weltmeeren, wo Plastikmüll riesige Inseln bildet und an Stränden stapeln sich Berge von Müll. Es gibt auch sehr klein zerbröselte Kunststoffteilchen bis hin zu Nanoteilchen, die sich sogar auf dem Grund absetzen können oder von Meerestieren gefressen werden.
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200. |
Bei großen Projekten wie Algenverwertung wären auch zugehörige Internet-Informationen wichtig. Das Wissenschaftsministerium sollte sie bereitstellen oder für ihre Bereitstellung sorgen. Die Bürger könnten dann im Netz fragen: Welchen Stand hat eigentlich „das Algen-Projekt X“, in das auch meine Steuermittel fließen? Ist das Projekt noch zeitlich und kostenmäßig im Plan und wann ist die Veröffentlichung von Ergebnissen geplant und wer ist verantwortlich? Die Bereitstellung solcher Informationen macht den Staat leider komplizierter. Dann wird es auch noch Bürgerinitiativen geben, die sich über Projekte oder Projektfortschritte beschweren, die mit ihren Steuermitteln finanziert werden. Aber all das gehört zu einer hochentwickelten Demokratie dazu!
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201. |
Es mag andere innovative Produkte geben, deren Entwicklung noch besser zu Deutschland passt als die Algenverwertung, vielleicht das Folgende: Die Entwicklung von Robotern bzw. maschinellen Hilfen, die Senioren und Kranke befähigen, eigenständig zu leben, wird immer wichtiger. Deutschland hat viele Senioren, die ein gutes Einkommen und ein gutes Technikverständnis haben. Aber hier muss ein Institut mit Bundesförderung Taktgeber für innovative Unternehmen sein, da Produkte aus vielen Ländern geprüft und verglichen werden müssen, um die Marktchancen eigener Entwicklungen zu verbessern. Schon allein patentrechtlich ist die Entwicklung für ein einzelnes Unternehmen zu komplex.
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202. |
Um preiswert herstellen zu können, sind große Serien wichtig, die wiederum nur bei internationalem Vertrieb möglich sind. Um auf so einem Gebiet führend zu werden, ist es nötig, dass unsere Gesellschaft technologische Experimente interessiert begleitet und dass andererseits viel Rücksicht auf das gesteigerte Sicherheitsbedürfnis der älteren Generation genommen wird. Senioren sind durch ihre Lebenserfahrung oft misstrauisch geworden. Sie fürchten, etwas aufgeschwatzt zu bekommen. Sie akzeptieren Dinge leichter, deren Funktionieren und Vorteile sie bei vertrauten Menschen selbst erlebt haben.
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203. |
Die obigen Beispiele der Algenforschung und der maschinellen Altenhilfe sollen auch auf die Komplexität von Produktinnovationen hinweisen. Sie sollen zeigen, dass in solchen Fällen die Kraft einzelner innovativer Unternehmen oder Unternehmer nicht ausreicht. Hochschulen, Institute (Max Planck, Fraunhofer und viele andere) und Unternehmen müssen durch politische Vorgaben und materielle Anreize zusammengeführt werden.
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204. |
Es muss mindestens ein deutsches
Institut geben, über das internationale Ausschreibungen übers Internet
zu volkswirtschaftlich wichtigen Problemstellungen abgewickelt werden können.
Ein Beispiel für die Aufgabenstellung einer solchen Ausschreibung könnte
folgendes sein: wie kann Gülle so aufbereitet werden, dass sie ohne
Gefährdung auf Felder verteilt oder anderweitig verwendet werden kann? |
205. |
Die Kommunikationssprache kann dabei nur Englisch sein, damit weltweit sowohl Institute als auch einzelne Chemiker, Biologen oder Tüftler mitmachen könnten. Auch die Möglichkeit, dass vorher einander fremde Personen gemeinsam an einer Lösung arbeiten, müsste unterstützt werden. Alle Möglichkeiten, die eine weltweite Vernetzung bietet, sollten genutzt und vielfältige Anreize gesetzt werden! Die Frage der Gülle-Entsorgung wird auch im Kapitel 13. „Politik der begrenzten Risiken“ angesprochen. Gülle bzw. Jauche einfach auf die Felder kippen, bis das Grundwasser verseucht ist, geht gar nicht.
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206. |
Ein anschauliches Beispiel für die Möglichkeiten und die Wichtigkeit solcher Kooperationen in der Zukunft berichten Brynjolfsson und McAfee in ihrem Buch „The Second Machine Age“ (das Buch ist auch in Deutsch erschienen, der Titel ist Englisch geblieben) ([30]). Die NASA wollte 2010 die Prognose der Sonneneruptionen verbessern, da die Eruptionen ihre Weltraumaktivitäten störten. 35 Jahre suchte sie nach einer Lösung, dann wurde die Problemstellung auf „Innocentive online“, einer Online-Clearingstelle für wissenschaftliche Problemstellungen, beschrieben, um weltweit nach einer Lösung zu suchen. Bruce Cragin, ein amerikanischer Hochfrequenztechniker im Ruhestand, der in einer Kleinstadt in New Hampshire lebte, fand eine Lösung. Er hatte sich bis dahin noch gar nicht mit Solarphysik beschäftigt. Seine Lösung erreichte eine 85% sichere Prognose, er bekam dafür 30.000 Dollar von der NASA (erstaunlich und beschämend wenig!).
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207. |
Komplexe Produktinnovationen haben einen Vorteil. Sie können nur sehr begrenzt ausspioniert und nachgemacht werden. Sie basieren ja nicht auf einer einzigen kopierbaren Idee, sondern setzen ein innovatives Zusammenwirken ganzer Netzwerke voraus. So etwas ist weder kopierbar noch droht die Auslagerung in Niedriglohnländer.
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208. |
Einer der wichtigsten Bereiche für Produktinnovationen in Deutschland könnte die Entwicklung von Produktionsrobotern werden. Also nicht die bereits erwähnten Pflege-Roboter und Algenernte-Roboter, diese könnten von der Entwicklung der Produktionsroboter profitieren.
Produktionsroboter könnte man auch automatisierte Produktionswerkzeuge oder Produktionsautomaten nennen. Von ihnen könnte eine neue Industrielle Revolution ausgehen, wenn sie unkontrolliert und abseits des öffentlichen Interesses entwickelt werden.
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209. |
So wie bei den Webern in Schlesien, als es plötzlich eine einzige englische Maschine gab, die 100 Handweber ersetzte. Obendrein arbeitete die Maschine wesentlich gleichmäßiger, wurde selten krank bzw. ging selten kaputt und streikte sehr selten. Diese Maschine kostete viel Geld in der Anschaffung und Unterhaltung. Sie musste aufgebaut, repariert und eingerichtet werden. Aber auch wenn all das berücksichtigt wurde, war sie viel produktiver und preiswerter als die Handweber.
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210. |
Bei den Produktionsrobotern könnte etwas Ähnliches passieren. Mit Schweißrobotern für Autokarosserien kann ein Handschweißer schon lange nicht mehr konkurrieren. Einmal wegen der für den Schweißer unerreichbaren Präzision, also Qualität, aber auch wegen der unerreichbaren Geschwindigkeit.
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211. |
Andererseits hat der Mensch gegenüber der Maschine den Vorteil der hohen Anpassungsfähigkeit an neue Produkte und neue Funktionen. Die Produktzyklen werden tendenziell kürzer, Produkte veralten schneller oder kommen aus der Mode. Und Schweißroboter können eben nur Schweißen und müssen bei jeder neuen Schweißaufgabe aufwendig umgestellt werden.
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212. |
Hoffentlich verspielen wir Menschen unseren Vorteil gegenüber Robotern nicht dadurch, dass wir nicht mehr konzentriert arbeiten können. Ursula Kals berichtete im November 2016 in der FAZ online aus der Hirnforschung: der Mensch kann kein Multitasking mit guter Leistung. Die neuen Medien -besonders das Smartphone- unterbrechen laufend die Konzentration. Manche Menschen können sich nur noch acht Sekunden auf eine bestimmte Sache konzentrieren. Ein Goldfisch schafft immerhin neun Sekunden! ([31]).
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213. |
Zum besseren Verständnis ein konstruiertes Beispiel: Ein Werk zur Montage von (beispielsweise Nokia-) Handys könnte fast vollständig automatisiert werden. Eine Teilautomatisierung im 2008 geschlossenen Werk Bochum wäre vermutlich preiswerter gewesen als der völlige Neubau in Rumänien. Dazu kamen dann die dortigen Anlaufschwierigkeiten mit Qualitätsproblemen. Nokia wollte aber die hohen EU-Subventionen am neuen Standort einstreichen, natürlich auch niedrige Löhne nutzen. Diese würden aber nach einer Teilautomatisierung der Produktion kaum noch ins Gewicht fallen. Mittlerweile ist die Nokia-Fabrik in Rumänien schon wieder geschlossen und es wird in China produziert. China bietet den großen Vorteil, dass die zugelieferten Komponenten dort auch gefertigt und verbrauchsnah geliefert werden können. Mit guter Qualität hat man dort keine Probleme.
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214. |
Ein hoher Automatisierungsgrad einer Fabrik kettet diese allerdings an einen Ort. Die Investitionen sind hoch, erfordern eine sehr präzise Montage und ein aufwendiges Einfahren der jeweiligen Produktion. Man braucht gut ausgebildetes Personal, das relativ firmentreu ist, sowohl zur Wartung als auch zum Einfahren. |
215. |
Wichtig ist auch eine gute Anbindung an den Roboter-Hersteller und die Programmersteller. Gute Anbindung bedeutet hier, dass kurzfristig Hilfspersonal abgerufen werden kann. Das gerufene Personal muss sich mit den Bedienmannschaften gut verständigen können, diese müssen die Arbeit der Maschinen kritisch beobachten können, um Fehlerhinweise geben zu können.
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216. |
Ein anderer Aspekt der Auswahl eines Roboter-Herstellers ist seine Zuverlässigkeit gegen Industriespionage. So hatte Mercedes begonnen, den Roboterhersteller Kuka nach dessen Übernahme durch einen chinesischen Eigentümer im Jahr 2016 durch MBB, einen Schweizer Konzern, zu ersetzen. Da haben allerdings auch noch andere Auswahlkriterien eine Rolle gespielt. Dieser Bereich erscheint mir für die Zukunft so wichtig und so kritisch zu sein, dass man über neu zu schaffende „Sicherheitsprodukte der EU“ nachdenken muss. Hiermit ist sowohl Hardware als auch Software gemeint. Unter dem Aspekt der Normung müssen aber auch Daten international zugänglich sein.
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217. |
Für Roboterhersteller sind große Serien sehr wichtig, sie reduzieren die Stückkosten mehr als alles andere. Große Serien heißt in einem hochindustrialisierten Land, viele Betriebe mit unterschiedlichen Anforderungen beliefern zu können. Und das wiederum bedeutet, dass die Roboter sehr vielseitig sein müssen. Und da ist ein einzelnes Unternehmen überfordert. An Instituten und Universitäten muss koordinierte Automatenforschung betrieben werden, deren Ergebnisse dann die Grundlage für die Konstruktion von neuen Maschinen bildet. (Selbstverständlich gibt es derzeit in Deutschland bereits Automaten-Forschung und -Entwicklung an Unis, Instituten und in Betrieben.) Die Verbindung von Forschung, Produktion und Nutzung der Produkte ist wichtig und muss gefördert werden. Aber nicht nur die Vielseitigkeit der Maschinen ist wichtig, im Besonderen ist es die Qualität. Roboter sollen Arbeitsgänge automatisch ausführen, ohne dass jemand beobachten muss, ob alles klappt. Sie müssen also sehr ausfallsicher sein, sonst übersteigt menschlicher Kontroll- und Reparaturaufwand die Produktivitätssteigerung der Maschinen.
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218. |
Das Entleeren des Atommüll-Zwischenlagers Asse von radioaktiven Fässern könnte man sich gut als Anwendungsprojekt für Roboter vorstellen. Zum Teil sind dort nur noch Fassreste erhalten, da sich viele Fässer im Zustand des Zerfalls befinden und überall Salzwasser eingedrungen ist. Einige Gutachter haben die dortige Entleerung von radioaktivem Müll als undurchführbar bezeichnet. Auch die Entsorgung des 2011 kollabierten Atomkraftwerks von Fukushima wäre sicher ein Parade-Anwendungsbeispiel für Roboter. Aber keine leichte Aufgabe, da die steuernden Funksignale durch Radioaktivität stark gestört werden.
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219. |
Es gibt Bereiche des täglichen Lebens, wo sich kleine Roboter nützlich machen. Beispielsweise als automatische Rasenmäher oder Staubsauger. Am Beispiel der Kaffeeautomaten sehen wir eine permanente Entwicklung, bestimmte Funktionen mit Maschinenhilfe immer komfortabler zu machen, auch wenn man da gar nicht von Robotern spricht.
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220. |
Das ist der Bereich der mechanischen Automatisierung. Ein Gegenstück dazu ist die automatische Informationsgewinnung. Sie funktioniert grundsätzlich über das Internet mit Suchfunktionen oder Suchmaschinen. Heute wird man oft von Künstlicher Intelligenz (KI oder engl. AI) sprechen.
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221. |
Betrachten wir einmal Reisebüros. Ihre Anzahl wird zurückgehen, weil besonders junge Leute ihre Informationen, Sonderangebote und Buchungen im Netz selbst erledigen können und dabei sparen können. Andererseits werden sich Reisebüros mit günstigen Rabatten, mit zuverlässigen Ortsbeschreibungen, mit schneller und guter Auftragserledigung und mit Versicherungen gegen Veranstalter-Pleiten noch lange halten. Ich hatte beispielsweise eine Veranstaltung in Italien selbst gebucht. Vor Ort stellte sich dann heraus, dass ich einen Anhang mit Barcode nicht mit ausgedruckt hatte. Ich musste noch einmal bezahlen, das wäre mit Hilfe eines erfahrenen Reisebüros nicht passiert. Nicht nur die Existenz von Reisebüros wird durch das Internet beeinflusst, aber der Wandel kommt nicht über Nacht.
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222. |
Schon 1983 !!! also vor über 40 Jahren!!! wurde von VW in Wolfsburg in „Halle 54“ der Versuch gestartet, die Endmontage des Golf II mit Robotern zu automatisieren. Dieser Versuch ist krachend gescheitert,
weil die Komplexität und die Kosten unterschätzt worden sind und die
Menschen nicht ausreichend vorbereitet waren. Aber auch weil die Betroffenen
nicht von der Notwendigkeit überzeugt waren. Sowohl die Ausfallsicherheit der
Automaten als auch die notwendigerweise geringeren Toleranzen der Vorprodukte,
also eine höhere Qualität, waren nicht stabil genug.
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223. |
Es muss ein Gremium geben, das über die Folgen der Automatisierung nachdenkt und publiziert. Aber auch über Normen bei der Automatisierung, damit nicht jeder Roboterhersteller eigene Programme erstellt, die nur seine Roboter verstehen. Dann dürfen keine Roboter mehr importiert werden, die keine kompatible Steuerung haben. Das Gremium muss sich auch um die Änderung von Ausbildungsrichtlinien für mechanische Berufe kümmern. Maschinensteuerung und Überwachung ist heute bereits eine Arbeit an mehreren Bildschirmen, hier ist ergonomischer Fortschritt zu kontrollieren. Vielfach kommen Rückmeldungen zu Arbeitsplätzen von den Gewerkschaften, deren Mitglieder darauf achten, dass die Arbeit menschenwürdig und nicht gesundheitsgefährdend ist. Bei der Robotersteuerung handelt es sich auf den ersten Blick um vorbildliche Arbeitsplätze, die aber wissenschaftlich daraufhin untersucht werden müssen, ob sie vielleicht erst nach Jahren oder Jahrzehnten Gesundheitsprobleme verursachen. Eine weitere Aufgabe des Gremiums könnte sein, Landesregierungen, Schulen und Industrie- und Handelskammern Hinweise zu geben, wann und wo weniger mechanische Facharbeiter benötigt werden, weil die Automaten in bestimmten Bereichen unschlagbar geworden sind.
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224. |
Ein Land, das die Roboterentwicklung kontrollierend begleitet, wird von ihren Ergebnissen nicht überrascht und überrollt. So kann eine neuerliche industrielle Revolution verhindert werden. Im Dezember 2013 hatte Google sieben Unternehmen gekauft, die sich auf die Roboterentwicklung spezialisiert hatten, es waren nur US-amerikanische und japanische Firmen. Der Entwickler des erfolgreichen Handy-Betriebssystems Android, Andy Rubin, wurde Projektleiter. Mit der Marketing- und Finanzkraft von Google in der Hinterhand hätte das eine erfolgversprechende Konstellation zur Roboterentwicklung, zu ihrem Bau und Vertrieb ergeben können. Als Anwendung hätte sich vielleicht die automatische Montage von Smartphones und anderen Hightech-Produkten angeboten. Dann würde man chinesische oder koreanische Produkte nur noch als Komponenten benötigen und könnte sehr schnell auf Kundenwünsche reagieren. Vieleicht nach dem Motto: Heute online bestellt, nachts automatisch montiert und morgen bereits an die Kunden ausgeliefert. Im November 2014, also nach einem knappen Jahr, hatte Andy Rubin Google allerdings schon wieder verlassen. Es ist bestimmt keine leichte Aufgabe, sieben hochkreative Unternehmen auf gemeinsame Ziele einzuschwören, das lässt den Konkurrenten eine Verschnaufpause.
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225. |
Die Weber in Schlesien wurden damals vermutlich deshalb überrascht, weil die Entwicklung von immer besseren Webmaschinen hauptsächlich in England stattgefunden hat. Dort gab es keinen vergleichbaren Weberaufstand. Nach Schlesien kamen dann bereits effizient entwickelte Maschinen, die nicht mehr reparaturanfällig waren, sodass die Konkurrenz mit Handarbeit – zumindest bei Massenware – völlig chancenlos war. Mit ironischem Abstand könnte man den literarischen Berichterstatter der damals aufständischen Weber, Gerhart Hauptmann, als damaliges „Gremium Folgen der Automatisierung“ ansehen. Heute, in Zeiten der Sozialen Marktwirtschaft, kann man der Gefahr einer möglichen Industriellen Revolution anders begegnen.
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226. |
Damit wir in Deutschland nicht von der Roboterentwicklung überrascht und überrollt werden, sollte man Roboter auch spielerisch einsetzen und erleben. Schachcomputer, also Schachroboter, sind dazu ungeeignet. Wenn sie mit Hilfe von Schachgroßmeistern programmiert sind, genügend große Rechenkapazität haben und an neueste Spielstrategien angepasst werden, dann werden sie meistens besser als Menschen spielen. Wenn ein Schachweltmeister vor einer regungslosen Maschine sitzt und dann auch noch verliert, kann das Zuschauer nur begrenzt begeistern.
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227. |
Aber es gibt ja erfreulicherweise bereits den Roboterfußball, zum Beispiel beim RoboCup. Dort spielen im Regelfall wissenschaftliche Teams mit kleiner Roboterzahl, langsam und mit kleinen Bällen auf kleinen Spielfeldern. Das ist für die Entwicklung und die notfalls zu Hilfe eilenden Entwickler praktisch, aber es ist noch weit von echter Fußballrealität entfernt. Was bei den RoboCup-Spielen im Jahr 2016 zu sehen war, wäre in groß propagiertem Rahmen noch äußerst peinlich. Auf spannenden Roboter-Fußball müssen wir noch warten!
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228. |
Bis 2050 will man den dann amtierenden Fußball-Weltmeister besiegen! Da schmunzele ich ein bisschen, werde aber leider die Überprüfung dieser großartigen Prophezeiung nicht mehr erleben. Es gilt vermutlich das Motto: Wenn die Probleme groß sind, halten Optimisten länger durch und Optimisten sind hier diejenigen, die an den Fußballsieg der Roboter glauben. Ich habe noch hochtrabende Pläne von KI-Forschern (KI = Künstliche Intelligenz) in Erinnerung, die nicht annähernd erreicht worden sind. Hoffentlich geht es beim Roboter-Fußball, in den auch Elemente künstlicher Intelligenz einfließen, nicht ähnlich.
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229. |
Erst wenn Roboter in echter Mannschaftsstärke Hallenfußball mit originalen Bällen spielen würden, dann würden diese Automaten richtig gefordert. Dabei müssten die Roboter gar nicht wie menschliche Spieler aussehen, vielleicht würden rollende Halbkugeln mit Fähnchen und einer Schussvorrichtung ausreichen. Aber noch lange würde man sehen und darüber lachen, wie ungeschickt sie im Vergleich zum Menschen wären. Erst wenn man nicht mehr lachen könnte, dann würden Roboter ernstzunehmende Konkurrenten um Arbeitsplätze geworden sein und ihre Leistung und Robustheit hätte sich bewährt.
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230. |
Mittlerweile gibt es auch andere Roboter-Experimente. In Guangzhou/China hat ein Restaurant die Roboter-Kellner wieder aussortiert, weil sie Flüssigkeiten verschütten und ständig ausfallen, hat Zeit.online im April 2016 berichtet ([33]), beruhigend zu lesen!
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231. |
Der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete im April 2014 von der Kernthese der britischen Forscher C.B. Frey und M. Osborne aus Oxford. Sie haben 700 Berufe in Nordamerika untersucht und prognostizieren, dass in den nächsten beiden Jahrzehnten fast 50% aller Arbeitsplätze durch Automatisierung verloren gehen; auch viele Jobs in anspruchsvollen Berufen ([34]). Ihre Schlussfolgerung sollte man kritisch überprüfen, zumal bereits Zweifel an der Seriosität dieser Untersuchung aufgetaucht sind.
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232. |
Wenn man in eine Bank zu einer Beratung geht und dort nur das empfohlen bekommt, was der dortige „Bank-Schalterbeamte“ von seiner Bank schriftlich vorgegeben bekommt, ja, dann werden die Menschen der jüngeren Generation ihre Aufträge eher online buchen. Dabei können sie sparen und wenn sie eine bankneutrale Suchabfrage benutzen, vielleicht sogar besser beraten werden. Man könnte allerdings auf die Idee kommen, solche „Bank-Schalterbeamten“ gehören gar nicht zu den anspruchsvollen Berufen, auch wenn ihre Vertreter Anzüge und Schlipse tragen und eine gute Schul- und Ausbildung haben. Sie sind eher geistige Papageien, die diese Eigenschaft mit all ihrer Intelligenz, Bildung, ihrem Charme und ihrer Freundlichkeit verbergen müssen. Manche sind schlicht nur Bankberater, Kunden wollen aber von Kundenberatern beraten werden.
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233. |
Wenn man ein hochkompliziertes Programm mit riesigem Datenvolumen dahinter nutzt, um eine automatisierte Krankheitsdiagnose zu bekommen, dann wird man Dinge gefragt, die man erst noch genauer beobachten muss oder man ist im Ausland und kann die Diagnosefragen in der dortigen Sprache hören, dann wird man am Ende dennoch zum Arzt gehen, trotz automatisierter Hilfe. Trotz wunderbarer Diagnosehilfen –die aber erst noch wunderbar werden müssen- werden dadurch in absehbarer Zeit kaum Ärzte eingespart.
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234. |
Wenn die Herren Frey und Osborne ihre Erkenntnisse über verlorengehende Arbeitsplätze bescheidener und realistischer formuliert hätten, wären sie vermutlich gar nicht publiziert worden. Das ist der Fluch der Mediengesellschaft: Sie stürzt sich auf die, die den Mund voll nehmen und griffige, interessante Behauptungen aufstellen. Dabei ist der Realitätsgehalt
der Behauptungen erst einmal nachrangig gegenüber dem Sensationsgehalt.
Korrekturen und Widerrufe werden später an bescheidener Stelle in
bescheidenem Umfang veröffentlicht. |
235. |
Ein grässliches Beispiel dazu ging im Oktober 2016 durch die Medien: ein italienischer Chirurg wollte einen menschlichen Kopf verpflanzen. Das könnte nur noch getoppt werden durch eine schaurige Meldung wie folgende: der terroristische IS, der Menschen öffentlich enthauptet hat, will dazu das „Material“ bereitstellen.
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236. |
Unabhängig von Übertreibungen bin ich überzeugt, dass Ärzte morgen bei der Diagnostik verstärkt mit Computerhilfe arbeiten werden. Selbst wenn es dabei folgendes Problem gibt. Wenn man dem Computer komplexe Fragen stellt, dauert die Eingabe lange und die Antwort ist länger und umfangreicher als die geplante und bezahlte Zeit pro Behandlung. Ein Krankenhaus kann eine Diagnostik-Unterstützung leichter einplanen. Ein Heilpraktiker hat die Zeitbeschränkung nicht in demselben Maße wie ein niedergelassener Arzt, er könnte sich also intensiver mit Computerdiagnostik beschäftigen, wenn er denn überhaupt zu den Daten zugelassen wird.
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237. |
Ein gutes Beispiel für sinnvollen Robotereinsatz in der Medizin kann das Bohren von Löchern für Knie- und Hüftgelenksprothesen sein. Da gab es schon wiederholt Probleme durch nicht 100%ig genau gesetzte Bohrungen. Ein Roboter könnte genau auf einen Anfangspunkt gesteuert werden und würde dann millimetergenau den Winkel und die Tiefe der Bohrung durchführen, ohne Abrutschen oder andere Fehler. So würde aber kein Arzt eingespart, da der Arzt ja dabei sein müsste, wenn dieser kleine, kurze, aber wichtige mechanische Schritt mit höchster Präzision ausgeführt wird. Das entspräche in etwa dem Punktschweißen bei den Autokarosserien, nur dass hier nicht im Minutentakt dieselbe Operation durchgeführt werden könnte. Auch würden die Patienten dem Roboter wohl nicht von Fließbändern zugeführt. Also keine Sorge, dass Mediziner bald durch Roboter ersetzt werden!
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238. |
Ein anderes Beispiel dafür, wie kompliziert Innovationen sein können, sind Hörgeräte. Als älterer Mensch trifft man auf viele Menschen mit Hörgeräten und fast alle haben Probleme damit oder mit ihren Ohren, je nach Betrachtung. Das vielleicht häufigste und wichtigste Problem ist leicht zu benennen: Störgeräusche werden nicht ausreichend herausgefiltert, sondern noch mit verstärkt.
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239. |
Eine mögliche Lösung lässt sich leicht formulieren, aber nicht leicht realisieren. Störgeräusche müssen aufwendig herausgefiltert, zumindest abgeschwächt werden. Andererseits sollen wichtige Nutzgeräusche verstärkt werden können.
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240. |
Ein innovatives Hörgerät bräuchte eine Verbindung zu einem Computer bzw. einem Smartphone, das ja auch ein Computer ist. Dort könnten aus umfangreichen vorgegebenen Listen Geräusche aussortiert oder abschwächt werden. Ein Stadtmensch müsste vermutlich andere Dinge herausfiltern als ein Landmensch. In der Stadt sind z.B. Straßenbahnen, Müllabfuhr und Laubblasgeräte sehr laut, die einen Landmenschen gar nicht quälen. Den Landmenschen quälen vielleicht die morgendlichen Kikerikis, die dem Stadtmenschen gar nicht begegnen. Jedem Geräusch der Liste entspräche ein typisches Frequenzspektrum, das der Gerätehersteller ermittelt haben muss. Die ausgewählte Selektion wird dann vom Computer überprüft, bearbeitet und danach auf das Hörgerät übertragen, das die Störfrequenzen abschwächt. Eine Auswahl von Störgeräusche am Bildschirm wird sicher viele Hörgeräte-Benutzer überfordern, sie werden Hilfe von Profis, aber auch von anderen Helfern brauchen.
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241. |
Auch muss man individuelle Störgeräusche aufnehmen können. Man denke an ganz spezifisches Instrumente-Spielen, Kindergeschrei, Türschlagen usw. in der Nachbarschaft. Wichtige Geräusche wie individuelle Klingel- und Telefongeräusche sollten verstärkt werden können. Ein Hersteller würde zum Erstellen einer Geräusche-Liste und ihrer akustischen Umsetzung die Hilfe eines Fachinstituts brauchen. Es können ja nicht einfach alle Einzelfrequenzen von Störgeräuschen aussortiert werden, da viele Einzelfrequenzen dieser Geräusche auch in notwendigen Geräuschen oder Tönen enthalten sind.
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242. |
Mit den Hörgeräte-Beispielen wollte ich keinen kompletten Lösungsvorschlag machen, sondern hauptsächlich auf die Komplexität der Innovation hinweisen. Gute Geräte sind heute schon teuer, mit solchen Innovationen werden sie nicht billiger. Aber die Kunden werden zufriedener sein und exportieren könnte man so komfortable Geräte nach einer Bewährungsphase vermutlich auch. Die Verbesserung der Hörfähigkeit ist eine Verbesserung der Lebensqualität und das gilt nicht nur in Deutschland. Es wird in Zukunft aber auch noch ganz andere Hörverbesserungen geben, die beispielsweise biomedizinisch funktionieren.
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243. |
Der „Zeit“-Journalist Gero von Randow erläuterte im April 2014 seine These, dass innovative Technik aus Handlungen besteht, am Beispiel der Reaktorkatastrophe von Fukushima ([35]). Dort hatte man die Notstromgeneratoren auf Erdgeschossebene angebracht, in einem Gebiet, in dem mit Tsunamis zu rechnen ist. Und die Technik bestand dort auch aus Fehlhandlungen und niemandem ist es aufgefallen. Hier könnte sogar ein Vorteil für westliche Technologieentwicklung bestehen. In Ländern wie Japan traut sich ein kleiner Arbeiter weniger, die Mächtigen in Firmen und Staat zu kritisieren und ein Hinweis auf Fehler ist letztlich auch Kritik. Von Randow sagt, dass jede Technik Fehler hat und er verwendet dabei das einprägsame Bild des Bananenprinzips: es reift beim Kunden. (Er hat dieses Bild aber nicht erfunden!).
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244. |
Um potentiellen Erfindern bessere Entwicklungsmöglichkeiten zu geben, sollte der Staat einen organisatorischen Rahmen schaffen. Zum Beispiel mit einem „Erfinderhaus“, evtl. in Berlin. Dort sollten kreative Ausländer zwischen 20 und 40 Jahren ein Jahres-Stipendium bekommen können. Sie könnten Deutsch und Englisch lernen und für ihre Ideen und deren Anwendung nützliches Wissen erwerben zum Beispiel in: Physik, Chemie, Werkstoffkunde, Patentrecht, Kommunikation mit Forschungsinstituten. In angeschlossenen Werkstätten sollten sie sich praktisch ausbilden lassen können. Wichtig wäre auch der Kontakt der kreativen Leute untereinander, zum Beispiel beim gemeinsamen Essen. Auch Kontakte zu ihren Heimatländern wären erwünscht. Es sollte nicht darum gehen, aus diesen Ländern kreative Leute abzuwerben. Nach dem kreativen Jahr sollten sie ihre kreativen Ideen dort umsetzen, wo die Chancen am günstigsten sind. Einige würden dann bestimmt auch Innovationen in Deutschland anstoßen. Es sollte auch eine Auflistung von Problemen geben, deren Lösung mit einem Preisgeld oder einem Stipendium honoriert würde. An der Erstellung einer solchen Liste sollten sich auch andere Staaten beteiligen dürfen. So ein Erfinderhaus sollte beliebig erweitert werden können, beispielsweise mit Mentoren von benachbarten Universitäten und deren Labors.
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245. |
Das Kapitel Innovation endet mit einem Beispiel, wo eine Produktinnovation gründlich in die Hose gegangen ist, woraus man lernen könnte und sollte. 1996 hatten sich die großen internationalen Filmhersteller auf ein neues Film-Format mit besseren Automatisierungs-Möglichkeiten geeinigt. Es hieß APS (Advanced Photo System). Der Projektleiter bei Agfa -ein Ingenieur, kein reiner Marketingmann- schwärmte uneingeschränkt von den neuen Möglichkeiten und dem neuen Produkt. Vielleicht dürfen Projektleiter nicht zu viele oder überhaupt keine Bedenken haben. Ein kluger Agfa-Physiker sagte von Anfang an: „Ein APS-Filmbild hat nur ein Viertel der Fläche vom Kleinbildformat, also eine deutliche Qualitätsverschlechterung, das kann sich nicht durchsetzen“. Er sagte das allerdings nur ganz im Vertrauen, um seinen Arbeitsplatz nicht zu gefährden. Parallel dazu kam die digitale Fotografie auf. Anfangs allerdings noch mit deutlich schlechterer Qualität und höheren Kosten. Das Kleinbildformat war an hundert Millionen Kleinbildkameras gebunden, auch an teures Zubehör. Im Jahr 2011, also nach 15 Jahren, wurde das großspurig begonnene APS-Projekt beerdigt, da war die digitale Fotografie im Amateurbereich unschlagbar geworden. Die chemische Fotoindustrie hatte also noch kurz vor ihrem Niedergang viel Kapital verbrannt, was vorhersehbar war.
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246. |
Leider ist nicht jede neue Idee besser als das Bestehende. Vielleicht ist doch etwas mehr Skepsis und Kritik angebracht. Als das Fotosystem APS scheiterte, waren einige Firmen und nicht sehr viele Konsumenten betroffen. Wenn aber beispielsweise Fracking scheitern würde, hätten wir viel Gift im Boden und könnten es nie wieder herausholen. Auch beim Fracking gibt es die Projektleiter, die keine Bedenkenträger sein wollen, sondern Begeisterung verbreiten wollen. Deshalb brauchen wir unbedingt eine Politik der begrenzten Risiken, die im Zweifel bremst und die Bedenkenträger unterstützt.
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247. |
9. Verkehr auf Straße, Schiene, Wasser und in der Luft
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248. |
Unsere Straßen und Autobahnen sind stark befahren, oft überlastet, es gibt viele Staus. Da verlieren die Menschen viel Zeit und werden gestresst. Die generelle Infrastruktur, also die Verbindung von Ort A nach Ort B, ist in Deutschland recht gut. Man kann also nur noch wenige Straßen bauen, die solche Verbindungen deutlich verbessern.
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249. |
Meinhard Miegel weist in seinem Buch „Hybris“ darauf hin, dass es 2011 auf deutschen Autobahnen 189.000 Staus gegeben hat, mit einer Gesamtlänge von 450.000 km, das ist gut 11-mal um die Erde ([36]). Da kann man schon fragen: Können wir uns das überhaupt leisten? |
250. |
Es macht wenig Sinn, neben jede Straße noch eine Parallelstrecke zu bauen. Hier muss eher überlegt werden, ob durch Anreize für öffentliche Verkehrsmittel (Eisenbahn, Straßenbahn, U-Bahn) Straßenkapazität freigemacht werden kann.
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251. |
Beim Bahnverkehr sollen hier Personen- und Güterverkehr getrennt betrachtet werden. Zum Personenverkehr: im Berufsverkehr gilt meistens, dass am Arbeitsort in der Stadt die Parkplätze knapp und teuer sind. Wer andererseits von einem dünn besiedelten Wohnort zu einem dünn besiedelten Arbeitsort fahren muss, der ist nur im Ausnahmefall mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut bedient. Für die meisten anderen ist eine gute Erreichbarkeit von Haltepunkten wichtig. Haltepunkte außerhalb der Stadt sollten mit kostengünstigen sicheren Pendler-Parkplätzen ausgestattet sein. Innerstädtisch muss es gute Bus-, Straßenbahn- und U-Bahn-Verbindungen geben. Ein Leihfahrrad-System könnte begrenzt helfen. Auch ein Leihautosystem mit Elektroantrieben ist denkbar. Dabei würden in Bahnhofsnähe mit kurzer Anbindung zu einer Zentralgarage kleine Elektroautos in Ladepositionen bereitstehen.
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252. |
Beim Personenverkehr der Bahnen sind überall Anzeigen wichtig mit der Information, wann die nächsten Züge kommen und wieviel Verspätung sie haben. Diese Information müsste auch relativ einfach auf jedes Handy übertragen werden können. In Bahnhofsnähe sollte eine kostenlose Netzverbindung (free WLAN bzw. wifi) bestehen. Man könnte dort dann beispielsweise in Ruhe lesen, arbeiten oder Kaffee trinken und sähe auf seinem Handy, wann ein verspäteter Zug endlich käme, mit laufend aktuellem Stand. Für Nicht-Berufspendler sollte es preiswerte Fahrten außerhalb des Berufsverkehrs geben.
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253. |
Beim Güterverkehr in Konkurrenz mit der Straße soll es hier hauptsächlich um den Transport von Containern gehen. Von Spezialtransporten für Autos, Kohle, Flüssigkeiten usw. soll einmal abgesehen werden. |
254. |
Die wichtigsten Vorteile der Bahn sollten Sicherheit und Zuverlässigkeit sein: Ein wichtiger Konkurrenzvorteil wäre die – theoretisch erreichbare – hohe Pünktlichkeit, die bei LKWs wegen der Staus nicht mehr gewährleistet werden kann. Die Staus und der dichte Verkehr und die Baustellen führen zu mehr Unfällen auf der Straße. Es ist geplant -mit welchem System auch immer-, die Autobahnnutzungsgebühren zu erhöhen und auf Nicht-Autobahnen auszudehnen. All das erhöht die LKW-Transportkosten und verschafft der Bahn einen gewollten Wettbewerbsvorteil.
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255. |
Reduzierung von Unfällen bei der Bahn: Die Bahn AG muss erhöhte Aufmerksamkeit auf die Robustheit und Zuverlässigkeit ihrer Fahrzeuge und Systeme legen. Es darf nicht sein, dass verwirbelter Schnee in die Luftansaugung einer Lok gerät und dann ganze Züge lahmlegt oder dass eine überlastete Klimaanlage bei unseren gemäßigten Sommertemperaturen ganze Züge ausfallen lässt. Selbst an Blitzvereisungen der Oberleitung müssen Loks mit einem Hilfsmotor langsam vorbeifahren können. Bäume an der Fahrstrecke müssen so gekürzt werden, dass sie bei einem Sturm nicht auf Oberleitungen fallen. Die Bäume sollten nicht gefällt werden, um die natürliche Befestigung der Böschungen nicht zu gefährden. Eine partielle Lösung kann auch ein breiterer Naturstreifen neben den Gleisen sein.
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256. |
Noch wichtiger ist die Vermeidung von Schwerstunfällen bei Zügen. 11 Menschen starben am 9. Februar 2016 in Bad Aibling beim Frontalzusammenstoß von zwei Zügen auf eingleisiger Strecke ([37]). Ursache war menschliches Versagen des Fahrdienstleiters. Am 12. Juli 2016 starben mindestens 20 Menschen wieder bei einem Frontalzusammenstoß auf eingleisiger Strecke, diesmal bei Bari in Italien ([38]). Beide Unfälle hätten mit nachfolgender Idee vielleicht vermieden werden können, zumindest wären sie nicht so katastrophal verlaufen:
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257. |
Es sollten kleine Schienen-Roboterfahrzeuge
entwickelt werden, die beispielsweise 1000 m vor der Lokomotive herfahren
und bei gefährlichen Hindernissen eine Zugbremsung auslösen. Diese Fahrzeuge
sollen hier „Vorlaufroboter“ genannt werden. Sie dürften nicht von
einem zentralen Leitstand, sondern müssten vom Lokführer gesteuert werden.
Auf den Vorlaufrobotern müssten zumindest Kameras installiert sein, damit der
Lokführer den Auslöser der –evtl. automatischen- Bremsung sieht und
eingreifen kann. Die Ausgestaltung solcher Fahrzeuge und ihrer Steuerung würde
viel Raum für Kreativität bieten. Es wäre sicher gut, ein deutsches Grundfahrzeug
zu haben, für das alle Europäer eigene Sensoren mit individuellen
Auswertungsprogrammen entwickeln könnten. Das Vorlauffahrzeug sollte, um
unabhängig zu sein, im Akkubetrieb fahren. In jedem Bahnhof sollte es dicht
vor der Lokomotive fahren und von dieser aufgeladen werden können.
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258. |
Anfang Juli 2016 hat das erste selbstfahrende Tesla-Auto einen tödlichen Unfall in Florida verursacht ([40]), weil die Sensoren+Software einen abbiegenden hellen Lastwagen nicht erkannt haben und der Tesla dann darunter gefahren ist. Daran kann man erkennen, wie viel Know-how noch in automatische Verkehrssysteme gesteckt werden muss. Bei dem oben skizzierten Vorlaufroboter für Schienenfahrzeuge handelt es sich um ein unbemanntes Fahrzeug, das relativ leicht sein sollte, damit es selbst keinen großen Schaden anrichten kann. Auch für U-Bahnen wäre so etwas denk- und wünschbar, hier vermutlich mit kürzerer Vorlaufstrecke. In letzter Zeit sind wiederholt Unfälle passiert, bei denen Menschen auf die Schienen geschubst worden sind oder auf die Schienen gefallen sind. Darauf kann ein Zugführer nicht schnell genug reagieren, ein Vorlaufroboter könnte aber. Auch fahrerlose Fahrzeuge könnten mit so einem Hilfsmittel sicherer werden. Der Roboter sollte auch am 1.Fahrzeug angekuppelt bleiben können, wenn kein Einsatzbedarf besteht.
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259. |
Bei den selbststeuernden Fahrzeugen ist noch viel Erfahrung nötig und eine hohe Präzision der Automatik. Im Sommer 2017 ist ein Tiger-Hubschrauber der Bundeswehr in Mali verunglückt; dabei sind zwei erfahrene Piloten umgekommen. Der Spiegel berichtete im Februar 2018 über die Ursache ([41]). Der Autopilot war falsch eingestellt und zwar so falsch, dass die erfahrenen Piloten das Unglück nicht abwenden konnten. Man weiß nicht, wer den Autopiloten falsch eingestellt hat. Es wurde Werks- und Service-Personal genannt, aber auch Sabotage konnte nicht ausgeschlossen werden. Da sind also erfahrene Piloten in ein Flugzeug mit Softwarefehlern eingestiegen, bekamen keine Warnhinweise und konnten gar nicht erkennen, dass diese Fehler für sie tödlich sein könnten.
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260. |
Die gesamtgesellschaftlich geförderte Bahn muss bürgerfreundlicher werden. Das heißt unter anderem, sie muss leiser werden. Dazu müssen permanent Untersuchungen und Forschungen an Schiene-Zug-Systemen betrieben werden. Deshalb sollten Schienen und Fahrzeuge in der Verantwortung eines Unternehmens bleiben. Rein wirtschaftlich würde es vielleicht Sinn machen, durch die Trennung mehr Wettbewerb zuzulassen und so vielleicht die Preise zu reduzieren. Aber der Lärm, wenn lange Güterzüge durch das enge Rheintal und durch enge Ortschaften donnern, ist völlig unzumutbar. Da muss in kürzest möglicher Zeit Abhilfe geschaffen werden und laufend weiter verbessert werden, dagegen spielt eine mögliche Preisreduzierung durch mehr Wettbewerb gar keine Rolle. Vielleicht würden die Preise nach einer organisatorischen Trennung gar nicht gesenkt und die erhöhten Gewinne würden nicht in Verbesserungen investiert. Wenn der Anreiz für die Schiene Subventionen erfordern würde, würde eine organisatorische Trennung diese Subventionierung nur verkomplizieren.
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261. |
Die Trennung der Organisation könnte zu deutlicher Qualitätsverschlechterung führen. In Großbritannien hat es nach der Trennung von Schiene und Fahrzeugen mehr Unfälle gegeben. Im Mai 2021 berichtete Zeit online, dass sogar die konservative Regierung Johnson die Privatisierung zumindest teilweise rückgängig machen will. England hat heute keinen so guten Ruf mehr, was technische Qualität anbelangt. Vor 150 Jahren war englische Qualität in Kontinentaleuropa noch unerreichbar. Das bedeutet für mich: Potential für Spitzenqualität ist da. GBs strengt euch an und werdet wieder besser, wir brauchen eure Ideen für eine bessere Welt von morgen, unabhängig vom Brexit!
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262. |
Zur Bahn gehören noch die Bahnhöfe, da würde eine Verwaltung in nicht-bahneigener Hand kein großes Qualitätsproblem nach sich ziehen, da kann man wirtschaftlich argumentieren. Da können Restaurants und Ladenketten mehr zum Erhalt kleiner Bahnhöfe beitragen als die Bahn selbst.
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263. |
Wenn die Bahn eine gesamtgesellschaftlich stärkere Bedeutung bekommen soll, muss der Gesetzgeber überlegen, wie kleine Gewerkschaften ohne Verständnis für gesamtgesellschaftliche Belange daran gehindert werden können, alles für ihre Forderungen lahm zu legen. Man denke an die vielen Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) im Jahr 2015 und auch noch danach.
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264. |
Vielleicht kann auch die Polizei etwas zur Verbesserung der Sicherheit der Bahn tun. Im Juni 2014 ging in NRW durch die Medien, dass Kabeldiebe die S-Bahn-Linie S6 zwei Tage lahmgelegt haben ([42]). Auch andere Züge mussten umgeleitet werden. Das ist eine neue Dimension bei Diebstählen. Relativ geringe gestohlene Euro-Werte verursachen riesige Schäden, bei denen ganze Verkehrssysteme tagelang lahmgelegt werden. Entsprechende Fälle sind wiederholt aufgetreten. Neben neuen Initiativen der Polizei ist auch wichtig, dass die Bahn überlegt und forscht, ob es Möglichkeiten gibt, durch andere Materialien und andere Schutzmöglichkeiten den Diebstahl unmöglich oder uninteressant zu machen. Oft werden solche Taten von osteuropäischen Banden ausgeführt. Ein Altmaterialhändler, der gebrauchte Kupferkabel ohne klare Herkunft annimmt, müsste damit seine Betriebsgenehmigung riskieren. Auch muss politisch überlegt werden, ob Grenzkontrollen erst reduziert werden können, wenn das Wohlstandsniveau der östlichen Nachbarn stärker angeglichen ist und die dortige Polizei effektiver ist. Es ist für die Bürger unakzeptabel, wenn es heißt: Weil wir das Schengen-Abkommen mit offenen Grenzen haben, können wir da nichts machen und können im öffentlichen Raum leider keine Spitzentechnologie einsetzen.
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265. |
Wenn die Bahn bewusst einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Straße haben soll, macht es überhaupt keinen Sinn, über Überlängen-LKWs mit Übergewichten nachzudenken, auch wenn die Transport-Lobby und LKW-Hersteller das fordern. Es gibt bereits über zehn Varianten von Überlängen-LKWs, die auch Gigaliner, EuroCombi usw. genannt werden. Diese Varianten haben unterschiedliche Längen, unterschiedliche Achslasten und unterschiedliche Lenkmöglichkeiten. Es gibt schon eine Menge negativer Erfahrungen, so auch in England. Auch der ADAC ist in seinem Resümee zu mehr Nachteilen gekommen. Dennoch gibt die LKW-Lobby nicht auf.
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266. |
Zum Glück haben die EU-Verkehrsminister im Juni 2014 den Vorschlag des damaligen estnischen EU-Verkehrskommissars Siim Kallas abgelehnt, die Gigaliner überall in der EU zuzulassen ([43]). Kallas ist Volkswirt und ein genereller Liberalisierungsbefürworter. Da war und ist er ein interessanter Ansprechpartner für die LKW-Lobby. Und da ist es besonders wichtig, dass deren Aktivitäten transparent werden. In Deutschland kennt kaum jemand Herrn Kallas und er vielleicht Deutschland auch nicht. Da hat er die oft kritischen deutschen Straßen nicht vor Augen und denkt nicht an die heißen Tage, an denen die Gigaliner um Kurven fahren würden und dann den Straßenbelag wegschieben und an einem einzigen heißen Tag Millionenschäden hinterlassen können. Und vor wem müsste sich Herr Kallas oder die EU für die Schäden verantworten?
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267. |
Weitere Argumente gegen die Riesenlastzüge sind: Erhöhte Unfallgefahren entstehen durch: unkalkulierbar eng geschnittene Kurven, der Fahrer sieht und hört das Ende seines Zuges schlechter, schwere Auffahrunfälle können schlimmer werden, da andere Hänger-Faltungen als bisher möglich sind und eine größere Gesamtlast nach vorne drückt. Überlängen verstoßen auch gegen die Normidee, die umfangreiche bauliche Änderungen erfordern würden bei: Rast- und Parkplatz-Größen, Fähren-Stellplatzgröße, Werkstattplätzen, maximaler Brückenkapazität, maximalem Kurvenradius, Fahrzeug-Waagen bei Firmen und Zoll. Alles passt nicht mehr und müsste kostspielig nachgerüstet werden. Die Transportunternehmen und LKW-Hersteller müssten gefragt werden, ob sie bereit sind, diese Kosten zu tragen.
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268. |
Auch auf die Fahrer kämen neue Schwierigkeiten zu. Mit einiger Berufserfahrung kennen die Fahrer das Verhalten ihrer Fahrzeuge gut. Längere und schwerere Fahrzeuge sind nicht Teil dieser Erfahrung. Und die Straßenqualität wird durch die Monsterlaster weiter verschlechtert, obwohl die Straßen heute schon an vielen Stellen in schlechtem Zustand sind.
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269. |
Laut Kölner Stadt-Anzeiger vom Juli 2014 fehlen in Deutschland 20.000 LKW-Stellplätze ([44]). Gigaliner brauchen oft gleich zwei Plätze pro Fahrzeug. Sind die Fuhrunternehmer bereit, mehr Auto-Steuern für Parkplätze zu bezahlen? |
270. |
Es gibt sicher sinnvolle Ausnahmen für Super-LKWs wie Zubringer-Fahrzeuge für Häfen, Autowerke, Bahnhof-Fabrik-Verbindungen usw., die individuell mit den zuständigen Kommunen vereinbart werden können.
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271. |
Zur Erhöhung des Fahrzeugdurchsatzes und zur Verhinderung von Staus könnte z.B. eine „100 km/h-Autobahn“ dienen. Die Grundidee ist einfach: alle Verkehrsteilnehmer fahren 100 km/h. Überholen entfällt, außer in Notfällen. Für langsamere Fahrzeuge wird die Straße gesperrt. Es müssten neue LKWs entwickelt werden, die 100 fahren dürften, ob nur bis 3,5 Tonnen oder mehr Gewicht. Es dürften nur für 100 km/h zugelassene Anhänger fahren. Lange Ein- und Ausfahrtspuren wären nötig, damit die 100 km/h dort nicht beeinträchtigt werden. An Steigungen müsste es generell Sonderspuren für schwer beladene LKWs geben. Wenn schwerste Fahrzeuge ausgeschlossen wären, würde das zu einer Verringerung von Straßen-Reparaturarbeiten, also zu weniger Baustellen führen. Alle Fahrzeuge müssten einen GPS-gesteuerten genauen Tempomat haben, der auf 100 gestellt werden könnte, dazu eine Abstandsmessung zum Vorderfahrzeug und die LKWs eine automatische Notbremse bei zu dichtem Auffahren. Das würde die Unfallgefahren reduzieren. Zusätzlich müssten Kontrollmöglichkeiten für übermüdete Fahrer getestet werden. Es müsste permanent überlegt werden, welche Maßnahmen die Unfallwahrscheinlichkeit weiter reduzieren. Vielleicht sollte man auf diesen Straßen keine Gefahrgüter transportieren, die Spuren könnten etwas breiter sein und die Mittenabtrennungen stabiler usw.
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272. |
Da für diese Idee eigene Straßen benötigt würden, wäre das schon eine mutige und langfristige Innovation, die europaweit abgestimmt werden müsste. Aber für Superschnellzüge hat man auch eigene Gleise gebaut. Wenn solche Straßen eine geringe Unfall- und Stau-Wahrscheinlichkeit aufweisen würden, bekämen sie einen großen Zusatznutzen für industrielle Just-in-time-Lieferungen. Wenn die Idee erfolgreich würde, könnte man auch herkömmliche Autobahnen umrüsten. Das Hauptanliegen dieses Abschnitts ist die Überlegung: Wie können wir den Verkehr auf der Straße sowohl schneller als auch sicherer machen? Da müssen wir kreativ sein. Dabei soll die „100-km/h-Autobahn“ vor allem einen Kreativitäts-Impuls geben.
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273. |
Zur Straßenbelastung bzw. Brückenbelastung der Leverkusener Autobahnbrücke A1 durch schwere LKWs, die oben schon unrühmlich erwähnt wurde, gibt es einen Vergleich im Kölner Stadt-Anzeiger vom 18. Juli 2014: „Ein 40-Tonner verursacht die gleichen Schwingungen und Schäden wie 160.000 (einhundertundsechzigtausend!) PKW“ ([45]). Die Brücke ist ab 2013 für LKWs über 3,5 Tonnen gesperrt worden, dennoch fuhren noch im Juli 2014 täglich bis zu 1.500 schwerere LKWs darüber! Die Verbotsstrafen waren für Unternehmer gut kalkulierbar.
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274. |
Auch durch Reduzierung des Fluss-Schiff-Verkehrs würde die Bahn besser ausgelastet. Die Fluss-Schifffahrt hat ein generelles Zuverlässigkeitsproblem, weil sie sowohl bei Niedrigwasser als auch bei Hochwasser steht und kaum sagen kann, wann sie wieder normal transportieren kann. Bei Dunkelheit und Nebel kann nur begrenzt gefahren werden. Dass die Verschmutzung der Gewässer und die Anzahl der Schiffsunfälle durch weniger Verkehr reduziert würden, wäre ein erfreulicher Nebeneffekt.
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275. |
Auch auf anderen Verkehrswegen gibt es eine schädliche Gigantomanie. Zum Beispiel bei Kreuzfahrtschiffen: Das bis zum Oktober 2010 größte Schiff, die „Allure of the Seas“, bietet laut „cruisferry.de“ 5.400 Passagieren (ohne Besatzung) Platz, laut Wikipedia sogar 6.300 Passagieren. Bei so riesigen Schiffen sind viele Komplikationen vorstellbar: Unfallfolgen und begrenzte Rettungsmöglichkeiten, Krankheiten und Seuchen an Bord, gleichzeitige Landgänge von Tausenden von Leuten, Durchfahrtsschäden, z.B. in Venedig, Probleme mit Hafenbreiten und -tiefen. Die heutige Verwendung von zwei Ölsorten zum Antrieb deutet nicht auf besonderes Verantwortungsbewusstsein der Betreiber hin. In Hafennähe müssen heute Mindeststandards eingehalten werden, auf hoher See darf beliebig verschmutzt werden. Der vielleicht einfachste Weg einer Kapazitätsbegrenzung wäre, wenn es eine Grenze für die Passagieranzahl gäbe, bis zu der Versicherungen haften müssten. Das Corona-Virus hat neue Gefahren gezeigt.
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276. |
Bei großen Kreuzfahrtschiffen gibt es besondere Gefahren. So hat man viele Tote beim Unglück der Costa Concordia am 13. Januar 2012 vor Giglio/Toskana in den Aufzügen gefunden. Weil bei dem Unglück alle Generatorräume aufgerissen wurden und schnell voll Wasser liefen, fiel in kurzer Zeit die gesamte Stromversorgung aus. Das Notstromaggregat lief nur kurz an, um dann wegen erhöhter Temperatur wieder abzuschalten. Bei starker Schräglage funktionieren Aufzüge nicht mehr. Große Schiffe haben mehr Aufzüge als kleine, da sie mehr Decks und mehr Nutzer haben.
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277. |
Auch bei Riesenflugzeugen muss man die Frage stellen, ob man alles machen muss, was machbar ist. Beim Airbus A380 hat sich herausgestellt, dass es nicht immer so weitergeht, nur alles ein Stück größer zu machen. Da musste die Verkabelung ganz neu konzipiert werden, das führte zu jahrelanger Verzögerung der Zulassung und verdarb die Gewinnkalkulation. Außerdem ist die Absatzmöglichkeit des Flugzeugtyps völlig falsch eingeschätzt worden. Das unerklärliche Verschwinden eines Flugzeugs wie bei der Malaysian Airline am 8. März 2014 mit 239 Menschen an Bord ließe sich auch mit einem größeren Flugzeug wie dem A380 mit über 500 Sitzen nicht verhindern, aber es wäre dann noch tragischer. Mit Corona ist der Flugverkehr geradezu zusammengebrochen, da hat man den Bau der A380 eingestellt.
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278. |
Beim Überschallflugzeug Concorde hat sich die Frage, ob man alles machen muss, was technisch geht, durch den Brand der Maschine beim Start in Paris im Juli 2000 mit über 100 Toten selbst beantwortet. Überschallflüge sind nie wirtschaftlich gewesen und wurden bald nach diesem tragischen Unglück eingestellt.
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279. |
10. Jugendarbeitslosigkeit, Ausbildungsabgabe, Begabtenförderung
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280. |
Besonders in den südlichen Ländern der EU gibt es derzeit eine Jugend-Arbeitslosigkeit von bis zu 50%. Dort werden Jugendliche zum Beginn ihrer beruflichen Karriere in die Hoffnungslosigkeit, in Kriminalität oder in religiösen Fanatismus gedrängt. Das kann und sollte sich eine humane Gesellschaft nicht leisten. Zur Abhilfe muss unter anderem eine Ausbildungsabgabe eingeführt werden. Dabei müssen Firmen, die nicht genug ausbilden, an solche Firmen, die viel ausbilden, einen Ausgleich leisten. Wichtig erscheint mir, dass das Geld aus der Ausbildungsabgabe nicht für andere Haushaltsposten verwendet wird. Es könnten auch reine Ausbildungsbetriebe finanziert werden, vielleicht sogar mit älteren, bisher arbeitslosen Ausbildern.
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281. |
Jeder Jugendliche soll einen Beruf erlernen können. Begleitend dazu sind mehr Hilfen nötig bei: Schulabschluss, Beherrschung der deutschen Sprache, genereller Ausbildungstüchtigkeit. Die Handwerks-, Industrie- und Handelskammern sollten dabei eingebunden werden.
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282. |
Einige Politiker reden davon, dass ein Technologieland unbedingt eine Studienförderung Hochbegabter bräuchte. Es kommt aber nicht selten vor, dass begabte junge Wissenschaftler spätestens nach ihrer Ausbildung gerne ins Ausland gehen, dorthin, wo sie die besten Chancen zum weiteren Arbeiten und zur persönlichen Entwicklung sehen. Besser wäre es, das Geld der Hochbegabtenförderung in die Finanzierung von Forschungsinstituten in Deutschland zu investieren. Dann könnten damit im Lande attraktive Arbeitsplätze entstehen, an denen Hochbegabte nach dem Studium gerne arbeiten würden. Und es könnten dort schwierige Probleme unserer Gesellschaft bewältigt werden.
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283. |
Eigentlich sollte ein Hochbegabter die für ihn prinzipiell leichten Prüfungen einer Hochschule so schnell wie möglich ablegen können. Dafür sollte es Verkürzungsmöglichkeiten geben. Alles Weitere würden die Hochbegabten an Forschungsinstituten in Projekten mit Nutzen für die Allgemeinheit lernen. Dort könnten sie dann ihre Begabung entfalten. Dort ist es prinzipiell leichter als an einer Hochschule, individuelle Wünsche zu berücksichtigen, wie Kinderkrippen, Teilzeitarbeit, Besuch von Kongressen, Anschaffung von Fachliteratur, günstige Parkplätze und sonstigen Komfort. Kurz: eine Studienförderung Hochbegabter könnte leicht zu einer Verschwendung von Steuermitteln werden.
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284. |
Die Studienförderung Hochbegabter würde kaum eine Gruppe von Personen berücksichtigen, die für ein innovatives Land wie Deutschland extrem wichtig sind: nämlich begabte introvertierte Personen. Ich kann mich an meine Schulzeit noch an einen kleinen schmächtigen schüchternen Klassenkameraden erinnern, der sich nie gemeldet hat, der aber immer richtige oder gute Antworten wusste. Vergleichbare introvertierte Personen würden theoretische Ausbildungen mit besten Noten in kürzester Zeit absolvieren, ohne Begabtenförderung. Wenn sie dann in einem wissenschaftlichen Institut arbeiten könnten, würden sie vielleicht nie Institutsleiter werden, aber sie würden wichtige Arbeiten mehr als alle Extrovertierten voranbringen. Institutsleiter würden Extrovertierte werden, die die öffentliche Darstellung lieben. Aber die schwierigsten Arbeiten würden Introvertierte mit dem größten Durchhaltevermögen leisten, solche die sich nicht melden und die sich nicht von Öffentlichkeitsarbeiten ablenken lassen. Wir als Gesellschaft haben viele sehr schwierige Probleme zu lösen, für deren Lösung Marketingleute, Marktschreier und auf schnelle Publicity bedachte Politiker völlig ungeeignet sind. Zeit online stellte im November 2019 die Vorteile von Introvertierten und Extrovertierten gegenüber ([46]). Dort wird auch Gruppenarbeit relativiert unter der Überschrift: Die Lauten setzen sich durch, die Stillen bleiben auf der Strecke.
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285. |
Wie teuer es für die Gesellschaft werden kann, wenn Extrovertierte dominieren, zeigt gut das EU-Projekt Human Brain Project, das ein „Apollo-Projekt des Geistes“ werden sollte ([47]). Mit einer Milliarde Euro sollte ein visionäres Ziel erreicht werden: ein Künstliches Gehirn, das in allen Details in einem Supercomputer simuliert werden sollte. Damit sollten Tierversuche überflüssig werden. Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson sollten besser untersuchbar werden. Im Jahr 2019, nach der Hälfte der zehnjährigen Laufzeit des Projekts, ist Ernüchterung eingetreten. Vom Nachbau eines Gehirns redet niemand mehr. Der erste öffentlichkeitsrührige Projektleiter und Hirnforscher Henry Markram ist nur noch Teilprojektleiter, die Ziele werden viel bescheidener formuliert. Nun kommt noch die Diskussion auf, ob die hier verbratenen finanziellen Mittel anderen seriösen Projekten fehlen. Hierbei grenzte die Extrovertiertheit an Hochstapelei und Betrug. Da muss eine „Politik der begrenzten Risiken“ wachsam sein. Leider sind nicht alle Wissenschaftler seriös.
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286. |
11. Ziele des nationalen Finanzsystems, Kontrolle der Finanzmärkte
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287. |
Die wichtigste Erkenntnis aus der Bankenkrise 2007 ist folgende: Wenn das internationale Finanzsystem kriselt, sind die Banken nicht mehr bereit und in der Lage, ihre normalen Aufgaben zu erfüllen. Sie verleihen kein Geld mehr, weil sie nicht sicher sind, wieviel sie morgen selbst brauchen und plötzlich steigen alle gestern noch gut einschätzbaren Marktrisiken ins Unermessliche.
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288. |
Dann müssen die Staaten bzw. ihre Notenbanken für neue Liquidität sorgen und Sorgenkinder aufkaufen oder Bad Banks (Bankenschrottsammelstellen) zulassen und finanzieren. Nicht das Geld der Banken steuert dann die Realwirtschaft, sondern die politischen Garantien der Staaten bzw. der Bürger selbst. Der Staat muss dann quasi Banken ersetzen oder sie funktionsfähig halten.
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289. |
Bei den Banken, die in der Krise so sehr von der Unterstützung durch die Gemeinschaft abhängen, müsste stärker die Frage gestellt werden: Machen sie sich für diese Gemeinschaft, die sie gerettet hat, nützlich oder in erster Linie für sich selbst? Ein Unternehmen, das greifbare Produkte herstellt, muss sich am Markt gegen andere behaupten. Es gibt Testzeitschriften und Verbraucherschutz und die Verbraucher können Unterschiede im Regelfall besser erkennen. Es gibt auch Beratung durch Fachverkäufer. Dadurch hat ein gutes Produkt in aller Regel auch einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen.
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290. |
Bei Banken ist das anders. Die allgemeine Kontrolle ist deutlich schwächer und die „Produkte“ sind schlecht vergleichbar. Nicht umsonst reden die Banken so viel von Vertrauen, das sie aber gar nicht verdienen. Selbst ihr Angebot, ganz auf den einzelnen Kunden zugeschnittene Angebote zu machen, hat für die Banken den Vorteil, dass ihre Produkte nicht mehr vergleichbar und kontrollierbar sind. Deshalb können sie Bankpaläste bauen ohne die Kundenbetreuung zu verbessern und können riesige Vorstandsgehälter und Boni zahlen, die keiner Leistung für die Kunden entsprechen.
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291. |
Banken sollten Unternehmen und Häuslebauer gut beraten, haben aber oft nichts Eiligeres zu tun, als die Hypotheken und Schuldscheine weiterzuverkaufen an den nächsten, der das Risiko gar nicht mehr abschätzen kann. Dadurch ist es für sie nicht wichtig, gute Berater zu haben, die Garanten für ein kalkulierbares Risiko ihres verliehenen Geldes sind. Vorteilhafter ist es, viele schnelle Abschlüsse zu tätigen und schnell ist nur ohne gute Beratung möglich und sie dann wieder schnell im Sammelpack mit allem möglichen, dessen Risiko die Banken erst recht nicht kennen, als Derivat weiterzuverkaufen und ihre Kunden zum Kauf zu überreden.
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292. |
Ich habe bewusst ein bisschen überzeichnet. Die Hauptidee ist aber: Wir müssen ein Umdenken bewirken, damit Unternehmen und insbesondere Banken nicht nur Betriebsinteressen und bei Boni persönliche Eigeninteressen verfolgen, sondern auch volkswirtschaftliche Perspektiven mitberücksichtigen.
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293. |
Ein falsch gekauftes Produkt erzeugt Ärger, aber es geht nicht um so elementare Dinge wie die Alters- oder Existenzsicherung eines Menschen, die dann plötzlich bei einer Lehman-Bank oder bei irgendeinem Overseas-Fonds verschollen ist. Vielleicht müssen im Aktienrecht oder im BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) Verweise auf unser Grundgesetz aufgenommen werden. Die dortige Mahnung, dass Eigentum verpflichtet, soll die Bürger dann auffordern, diese Verpflichtung zu konkretisieren. Zu dem Thema muss eine breite Diskussion angestoßen werden. Man könnte auch sagen: „Die Soziale Marktwirtschaft muss sozialer werden!“ oder kritischer formuliert: Soziale Marktwirtschaft muss das Prädikat „sozial“ immer aufs Neue beweisen.
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294. |
Das Finanzsystem muss Diener der Realwirtschaft werden! Andernfalls wird es immer eine Tendenz zum Spielkasino haben. Wenn Deutschland bzw. Europa für internationale Finanzspekulanten weniger interessant wird, dürfte uns das nicht die geringsten Sorgen machen. Und wenn das Finanzrisiko hier geringer ist als sonst wo auf der Welt, werden internationale Pensionsfonds, die ihr Geld sicher anlegen müssen, ihr Kapital hier umso lieber anbieten.
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295. |
Welche volkswirtschaftlich besonders wichtigen, zukunftsorientierten Aufgaben sollte ein Finanzsystem gut erledigen? Ich möchte zwei anschauliche Beispiele geben, bei denen allerdings nicht nur Banken mitmachen müssen.
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296. |
1. Beispiel: Jede junge berufstätige, sparsame Familie mit Kindern sollte sich ein Häuschen im Grünen oder eine vergleichbare Eigentumswohnung leisten können, jedes Elternteil soll mit einem Elektro-Roller oder Elektro-Fahrrad zur Arbeit oder zur nächsten Bahnstation fahren können. Die Kinder sollten in einem Anhänger befördert werden können (heute sind Fahrradanhänger erlaubt, aber nicht vergleichbare für Elektroroller). Mindestens ab drei Kindern sollte die Mutter höchstens halbtags tätig sein müssen. Nicht jedes Kind muss ein eigenes Zimmer haben, aber es sollte Platz für eine/n Betreuer/in (Angestellte, Nachbarin, Mutter, Bekannte usw.) vorhanden sein, um den Eltern auch mal eine Auszeit zu ermöglichen. Daraus leiten sich folgende Forderungen ab:
1. niedrige Hypothekenzinsen
2. Hilfe im Falle von Arbeitslosigkeit und Krankheit
3. Beratung mit Versicherungen, vielleicht auch eine Berufsunfähigkeits-Versicherung.
4. Hilfe beim Haus- oder Wohnungserwerb. Es müssen preisgünstige Fertighäuser – ohne allzu viele individuelle Wünsche – entwickelt werden und es muss Hilfe beim Erwerb und später beim Veräußern geben.
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297. |
Wichtig sind immer günstige Hypotheken bzw. Realkreditzinsen. Zur Familiengründung muss ja mehr als ein nacktes Haus angeschafft werden. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind und es eine gute Logistik zur preiswerten Kinderbetreuung gibt, dann müssen wir vermutlich viel weniger über das Problem des Geburtenrückgangs nachdenken. Dass die Banken nicht für alle Teile des Beispiels Verantwortung übernehmen können, versteht sich. Aber für den Teil, in dem sie kompetent sind. Vor allem müssen sie wissen und berücksichtigen, zu welchen volkswirtschaftlichen Zielen sie einen Beitrag zu leisten haben.
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298. |
2. Beispiel: Junge Unternehmer/innen sollen von der Gesellschaft stark gefördert werden. Die Grundidee ist die, dass der Staat bzw. die Gesellschaft für jeden jungen Menschen, der bestimmte Anforderungen erfüllt, eine einmalige(?) Bürgschaft gibt, eine gute Idee an den Markt zu bringen. Anforderungen könnten sein: Ein naturwissenschaftliches Studium oder ein Meisterbrief und eine Spezialausbildung mit Buchführung, Patentrecht und Kooperation mit Instituten und Unis. Die wichtigste Voraussetzung ist natürlich eine unternehmerische Idee, die Marktchancen hat. Diese muss technisch und finanziell geprüft werden, aber auch die Persönlichkeit muss auf grundsätzliche Eignung überprüft werden. |
299. |
Auch hier ist ein niedriger stabiler Zinssatz wichtig für eine Startinvestition. Sicher braucht es auch ein geeignetes Umfeld, vielleicht mit einer Kantine, einem zentralen Sekretariat, einer Werkstatt, einer fachlichen Beratungsmöglichkeit und ähnlichem.
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300. |
Ergänzt werden sollte noch eine Idee, bei der die Banken höchstens beraten können. Manche unternehmerische Idee braucht zur Realisierung Zeit, bis an eine Amortisation zu denken ist. Dann sollte es eine finanzielle Unterstützung für eine Teilzeitbeschäftigung des Jungunternehmers geben. Es sollte also nicht allein den Arbeitgebern überlassen bleiben, ob ein potentieller Jungunternehmer in eine Teilzeit-Beschäftigung gehen kann. Hier soll noch nichts ausformuliert werden, aber dazu braucht es einen Status wie etwa „Jungunternehmer in Förderung“. Dafür müssten alle staatlichen, finanztechnischen und sonstigen Eignungs-Prüfungen für eine Person positiv abgeschlossen sein. Der bisherige Arbeitgeber würde dann aufgefordert, einer beantragten Teilzeitbeschäftigung zuzustimmen, eine Ablehnung müsste gut begründet werden und sollte mit Kosten verbunden sein.
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301. |
Ich erwähne solche Details, weil sie in der Summe alle dazu beitragen, einen Staat zukunftsfähig zu machen. Und jedes Detail soll auch eine Aufforderung an die Bürger des Staates sein, sich weitere Maßnahmen zur Verbesserung ihres Gemeinwesens zu überlegen.
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302. |
Im Rückblick auf die letzten Jahre muss man leider feststellen, dass die viele Zeit, die die Politiker und die mit herangezogenen Fachleute zur Lösung der Finanzkrise und ihrer Folgeprobleme gebraucht haben, wenig für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes beigetragen hat. Da ging es mit riesigem personellem und zeitlichem Aufwand hauptsächlich darum, finanzielle Katastrophen auszubügeln oder ähnliche zu vermeiden, was natürlich auch sehr wichtig war.
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303. |
Oben habe ich zwei für die Zukunft einer Gesellschaft wichtige Lebenssituationen herausgegriffen und dafür Förderungsmöglichkeiten vorgeschlagen. Jeder neue Bankenpalast verteuert die Zinsen, jede hohe Vorstandsbezahlung verteuert die Zinsen, jeder Betrugsversuch verteuert die Zinsen, die Zinsen einer Branche, die preiswerte Dienstleistungen für die Volkswirtschaft erbringen sollte, die aber allzu leicht in Zocker-Mentalität verfällt und Zocker-Mentalität fördert.
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304. |
Bei der Realisierung der aufgeführten Beispiele werden dem Staat auch zusätzliche Kosten entstehen, da es Menschen geben wird, die die finanzielle Last einer eigenen Wohnung nicht auf Dauer tragen können und Jungunternehmer, deren Idee der Markt nicht positiv aufgenommen hat. Aber allen Bürgern soll deutlich werden: Die Gemeinschaft braucht junge Menschen, die etwas wagen, und will ihnen bei der Gründung helfen. Vielleicht kann sogar eine allgemeine Gründerbegeisterung entfacht werden.
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305. |
Als der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank (zwischen 2002 und 2006), Josef Ackermann, von seinen Leuten 25% Rendite erwartete, war das schon fast eine Aufforderung zum Betrug. Nicht umsonst war seine Bank in viele Manipulationen und Unkorrektheiten verwickelt und musste vor allem in den USA riesige Strafen bezahlen. Bei solchen Renditeansprüchen lassen sich Investitionen in der Realwirtschaft schwer realisieren, mit solchen Belastungen lassen sich weder Fabriken noch preiswerte Immobilien bauen. |
306. |
Das Fatale daran ist, dass die Renditeerwartung einer bekannten Persönlichkeit wie Ackermann, in geachteter Position, gerade den weniger seriösen Beratern als Steilvorlage dient. Sie können ihre Kunden dann fragen: „Wollen Sie sich etwa mit weniger zufrieden geben?“ Auch wenn ihre Renditeversprechen unseriös sind.
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307. |
Nach der Finanzkrise 2007 hat sich in der internationalen Finanzwelt folgendes verändert. Zuerst begann Amerika damit, Geld zu drucken, um mehr Liquidität bereitzustellen. Im ersten Schritt bekamen die Banken mehr Liquidität, gaben diese aber nur begrenzt an Investoren weiter. Dann fluteten die Zentralbanken zuerst in den USA, dann auch in Europa und Asien die Märkte mit Liquidität, was dazu führte, dass die Zinsen gegen null Prozent gingen.
Wenn in der Vergangenheit zum Beispiel Argentinien viel neues Geld drucken ließ, führte das dazu, dass in dem Land eine hohe Inflation entstand mit katastrophaler Wirkung für seine Gesamtwirtschaft. Wenn aber alle wichtigen Länder die Geldmenge gleichmäßig erhöhen, dann haben wir den Zustand von heute. Dann wird deutlich, dass nicht Geld (bzw. Kapital) die Mangelware ist, sondern vernünftige nützliche Ideen bzw. Investitionen in die Realwirtschaft. Im November 2014 bot der französische Finanzminister an, 30 Milliarden Euro bereitzustellen, die die Deutschen investieren sollten, um die Nachfrage in Europas Realwirtschaft zu stärken.
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308. |
Im November 2014 hat China 50 Milliarden Dollar zur Gründung der Asiatischen Infrastruktur-Investment-Bank (AIIB) bereitgestellt ([48]). Mitglieds-Länder wie Australien, Südkorea und Indonesien sind darüber sehr erfreut. Japan und die USA sind es weniger, da es bereits die von ihnen dominierte Asien-Entwicklungsbank (ADB) gibt. China will seine hohen Devisenüberschüsse umschichten, die hauptsächlich in US-amerikanischen Staatspapieren angelegt sind, für die es kaum Zinsen gibt.
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309. |
Bei den niedrigen Zinsen ist es für China besser, selbst sinnvolle Investitionen zu suchen. China baut in Asien und Afrika Bahnen, Straßen, Häfen und Stromleitungen. Dabei können die Renditen später durch Benutzungs-Gebühren hereingeholt werden. Dann ist sehr wichtig, dass die Projektkosten nicht wie beim Berliner Flughafen oder der Hamburger Elbphilharmonie davonlaufen. Die Chinesen müssen sich also ein besseres Projektmanagement zutrauen, zumal sie viele Projekte im Ausland realisieren.
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310. |
Die letzten Abschnitte waren Ausblicke über den nationalen Tellerrand hinaus. Wir haben keinen Kapitalmangel, aber alle Großstädte haben Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Da bieten sich Trabantenstädte mit gutem Bahn- und Straßenanschluss an; aber auch mit lokalen Kulturangeboten. In demokratischen Gesellschaften hat man dabei das Problem, dass Makler und Alteigner die Planung frühzeitig mitbekommen. Schon beim Projektstart kann dann die Idee vom preiswerten Grund und Boden gestorben sein. Da müsste es eine gesetzliche Preisfixierung geben, die in die frühe Planungsphase zurückreicht. Ich behaupte nicht, dass das juristisch einfach wäre. China traut sich an solche Großprojekte heran, sollten Deutschland und europäische Demokratien das nicht schaffen? Auch müssten solche Großprojekte von Beginn an von einem Qualitäts- und Protokollinstitut begleitet werden. Preisüberschreitungen müssten detailliert begründet, aber auch sanktioniert werden.
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311. |
Nationales Ziel muss sein, Großprojekte vorbildlich zu realisieren. Dazu könnten auch Entwicklungshilfe-Projekte, wie im Kapitel 16. beschrieben, gehören.
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312. |
Der weltweite Zusammenbruch der Finanzmärkte im Jahre 2007 hat gezeigt, dass die politische Liberalisierung und Deregulierung zum Kollaps führt, der ganze Volkswirtschaften, ja sogar die ganze Weltwirtschaft ruinieren kann. Spekulationen haben vermutlich immer eine Ähnlichkeit mit dem Zusammenbruch der Tulpenzwiebel-Spekulation im Jahre 1637 in Holland. Besondere Zwiebeln erreichten damals den Wert einer Kutsche, aber irgendwann stand dem Angebot zu steigenden Preisen keine Nachfrage mehr gegenüber und dann hat es geknallt. Dann setzt das Schwarze-Peter-Spiel ein, bei dem jeder seine Verluste schnell anderen zuschieben will. In dieser Phase gibt es unter den Marktteilnehmern keine Moral mehr! Dann muss der Staat bzw. die Staatengemeinschaft eingreifen und seinen Steuerzahlern viel zumuten. Zu solchen Spekulationsblasen gehört nicht nur das Schwarze-Peter-Spiel am Ende, sondern auch der Versuch der Überredungskünstler mitten in der Überhitzung noch Marktteilnehmer zu falschen Hoffnungen und Käufen zu verleiten. Wir dürfen solche Hasardeure nicht als Top-Verkäufer bewundern, sondern müssen sie Betrüger nennen. Diese Selbststeuerung der Märkte jeweils in die nächste Katastrophe hinein kann vermieden werden.
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313. |
2007 waren Häuser in den USA durch gestiegene Zinsen nicht mehr zu den hohen Preisen zu verkaufen. Viele Hausbesitzer konnten ihre Hypotheken nicht mehr bedienen. Die Banken konnten nicht mehr hoffen, die hohen Hypotheken beim Wiederverkauf wieder hereinzubekommen. Dadurch waren die „2007er-Tulpen“ zu teuer geworden. Im 17. Jahrhundert waren die Folgen der Tulpenzwiebel-Spekulation viel begrenzter. Immerhin litt auch ein Maler wie Rembrandt schwer darunter, dass es plötzlich weniger wohlhabende Auftraggeber gab. Aber heute geht der Domino-Effekt weiter. Dann kippen sogar große Banken wie Lehman Brothers (16.9.2008), bis die Notenbanken und die Politik eine Weltwirtschaftskrise befürchten und eingreifen. Wenn sich danach alle zurückhalten mit Käufen und Investitionen, spätestens dann geht auch die Realwirtschaft in die Knie.
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314. |
Ökonomische Katastrophen sind nicht zwingend mit Kapitalismus verbunden (wie Karl Marx dachte). Wenn ein Eingeborenen-Stamm noch mit Kauri-Schnecken oder –Muscheln als Tauschmittel Handel treiben würde und durch irgendeine Natur-Katastrophe würde das Nahrungsangebot völlig wegbrechen, dann würde man dort mit Kaurischnecken keine Fische und keine anderen Lebensmittel mehr kaufen können. Dann könnte ein weiser Häuptling die wenigen vorhandenen Lebensmittel vielleicht so verteilen, dass möglichst viele überleben können. Auch diese vorkapitalistische Ordnung kann so zusammenbrechen, dass ihr bisheriges Zahlungsmittel Kaurischnecken unbrauchbar wird. Dann müssen der Häuptling bzw. der Staat eingreifen, um das Schlimmste zu verhindern. Ich bringe diese etwas ausladende Argumentationskette nur, weil ich vermeiden will, dass gesagt wird: „So ist der Kapitalismus“. Jede Ordnung ist unvollständig und kann immer verbessert werden. Ich bin überzeugt, dass unsere hochkomplexe staatliche Ordnung unbedingt verbessert werden muss. Vor allem muss sie stabiler und krisenfester gemacht werden.
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315. |
Mir ist ein Rätsel, wieso die US-Notenbank keine deutliche Warnung ausgesprochen oder eingegriffen hat, als vor der 2007er-Krise die Anzahl der Hauskäufe auf Basis schwach gesicherter Kredite stark zugenommen hat. Eigentlich musste klar sein, dass das zunehmend durch Leute geschah, die bei der nächsten Zinsverteuerung die Belastung nicht mehr tragen konnten. Da muss es auch interne Konflikte gegeben haben zwischen Fachleuten und Politikern, die vor Wahlen oder Abstimmungen nicht gegensteuern wollten.
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316. |
Da muss der Bürger fordern, dass genau protokolliert wird, wie die Notenbank gegensteuert und wenn nach einer Krise deutlich wird, dass zu wenig getan worden ist, dann müssen die Hauptverantwortlichen ausgewechselt werden. Selbst wenn die treibende Kraft vielleicht die Politik war, die auf Wahlen geschielt hat. Die Notenbank muss sich durchsetzen und wenn sie das nicht schafft, muss sie gesetzliche Nachbesserungen fordern. Das spricht sehr für eine starke nationale Noten- oder Zentralbank, die noch ohne EU-Zentrale steuern kann. Auch das wäre ein Schritt in Richtung Weiterentwicklung der Demokratie.
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317. |
Dass Politiker unpopuläre Maßnahmen auf einen Termin nach einer für sie wichtigen Wahl verschieben wollen, ist verständlich, das kann man Politikern kaum vorwerfen. Das ist gleichzeitig eine Situation, die zeigt, dass es eine Möglichkeit geben muss, Neuwahlen anzusetzen oder eine Volksbefragung durchzuführen mit dem Thema Erweiterung der Macht der Notenbank. Bei Neuwahlen müssten alle Parteien sehr klar zu dem strittigen Thema Stellung nehmen. Meine Forderungen gelten nur für die deutsche bzw. die europäische Notenbank, bei internationalen Abstimmungen kann nur gefragt werden, was die anderen aus der 2007er-Krise gelernt haben und das sollte den Bürgern mitgeteilt werden. Wenn sich herausstellen sollte, dass wir auf die Europäische Zentralbank keinen entsprechenden Einfluss mehr haben, muss man sagen, dass ihre derzeitige Struktur einer Demokratisierung im Wege steht. Die Demokratisierung ist aber das höhere Ziel.
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318. |
Der koreastämmige Wirtschaftswissenschaftler Ha-Joon Chang, der 2012 in Cambridge lehrte, meint: In den Finanzmärkten funktioniert eine staatliche Regelung nicht, wenn man verlangt, der Staat solle alle Möglichkeiten und Tricks kennen. Der Staat muss die Entscheidungsfreiheit und damit die Komplexität der Probleme einschränken und damit die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schiefgeht ([49]). Also konkret, der Staat muss dubiose, schwer kontrollierbare Geschäfte verbieten, wie zum Beispiel Leerverkäufe, auch wenn noch kein Betrug vorgekommen oder nachgewiesen ist. Oder er muss die dubiosen Geschäfte kontrollierbar machen. Wenn Leerverkäufe nicht mehr zugelassen sind, ist das kein Nachteil für eine Volkswirtschaft. Die Betroffenen müssen sich lediglich ein anderes Feld für ihre Wetten und Spekulationen suchen. Wir können nicht vermeiden, dass dann verbotene Leerverkäufe in irgendeinem exotischen Finanzparadies weiter praktiziert werden, dann allerdings mit stark erhöhten Risiken für die Spekulanten, die dort leicht betrogen werden können.
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319. |
Schärfere Kontrollen der Finanzmärkte sind unverzichtbar. Dazu gehören dann mehr Macht für BaFin und entsprechende europäische Gremien. Ebenso muss die Verfolgungsmöglichkeit von Missbrauch mit einer sorgfältigen Dokumentation verbessert werden. Wichtig wäre die Zusammenarbeit mit Spezialgerichten mit dem Ziel sofortiger unangekündigter Durchsuchungsbefehle bei Betrugsverdacht. Systemische Banken, die im Notfall vom Staat gerettet werden wollen, müssten Sicherheitsauflagen und Besoldungsauflagen erfüllen und dürften keine hochriskanten Geschäfte machen. Nur Verträge mit solchen Banken können „mündelsicher“ sein. Andere Banken müssten eine höhere Kapitaldeckung vorweisen und dürften wegen der Konkursrisiken für die Volkswirtschaft eine bestimmte Größe nicht überschreiten. Das würde auch für die deutschen Filialen großer internationaler Banken gelten.
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320. |
Maßnahmen der Politik zur Änderung der Banken-Aufsicht und -Kontrolle müssen im Internet gut, aktuell und allgemeinverständlich dokumentiert werden, so dass Normalbürger das nachvollziehen können. Bei Banken und ähnlichen Dienstleistern müssen Interessenkonflikte mit ihren Kunden reduziert werden. Die Aufteilung von Universalbanken nach US-amerikanischem Muster könnte ein Schritt in diese Richtung sein.
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321. |
Jede weltweite Regelung ist besser als eine europaweite, aber eine europaweite Regelung ist besser als eine nationale und eine nationale ist besser als gar keine. Bei übernationalen Regelungen wird die Kontrollmöglichkeit durch die Bürger schwieriger und eine im Internet gut aufbereitete, fortlaufende Dokumentation wird unbedingt notwendig. Wenn keine massiven Änderungen bei der Kontrolle der Finanzmärkte verabschiedet werden, haben die Politiker ihre Hausaufgaben nicht gemacht!
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322. |
Daniel Muccia von der New Yorker US-Bankenaufsicht FED warf der Deutschen Bank im Juli 2014 falsche Bilanzierung vor und klagte: Seit 2002 habe die US-amerikanische Notenbank auf die Schwächen im Berichtswesen der Deutschen Bank hingewiesen. „Das Beunruhigendste ist, dass – obwohl die Ursachen für diese Fehler nicht angegangen worden waren – das Management frühere Kontrollprobleme als erledigt ansah“ ([50]). Zwölf (!) Jahre lang hat die Deutsche Bank in den USA gravierende Vorwürfe der amerikanischen Notenbank ignoriert, das ist äußerst erstaunlich, ja unfassbar. Das klingt nach gütlicher Einigung auf höherer Ebene und muss als Korruptionsvorwurf der unteren Ebene an höhere Ebenen interpretiert werden. Eher wäre zu erwarten gewesen, dass man der Deutschen Bank angedroht hätte, ihr die Lizenz in den USA zu entziehen, dann hätte der Vorstand getobt und innerhalb von Tagen –aber nicht Jahren!- eine Lösung präsentiert.
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323. |
Die „Süddeutsche“ Zeitung erwähnt in dem oben zitierten Artikel auch, dass sich die US-Regulierer seit der Finanzkrise verstärkt die US-Töchter ausländischer Gesellschaften vornehmen. Darauf sollte man internationale Konzerne in Deutschland hinweisen, die sich über deutsche Kontrollen und schärfere Regeln bei uns beschweren.
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324. |
Die Krisenverursacher sollen an Strategien zur Vermeidung ähnlicher Krisen mitwirken. Krisenverursacher wie Banken wären aufgefordert, im Internet Vorschläge zu präsentieren, wie ähnliche Krisen künftig zu vermeiden sind und wie sie das Geld, mit dem der Staat die Banken gerettet hat, den Bürgern zurückgeben wollen. Die Gesamtkosten der Krise umfassen auch die Kosten der zusätzlichen Arbeitslosigkeit und der Steuerausfälle.
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325. |
Alle Bürger sollen diese Vorschläge (im Internet) sehen und kritisieren können. Die Auswertung und Präsentation müsste bei einer unparteiischen wichtigen Stelle geschehen: bei der BaFin oder beim Bundespräsidenten mit neuen Aufgaben. Es muss zu den wichtigsten neuen Aufgaben der Banken zählen, die Bürger des Landes vor internationalen Finanzhaien, Finanzbetrügern und Finanzkrisen zu schützen und zu warnen.
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326. |
Frau Dorothea Schäfer,
Forschungsdirektorin Finanzmärkte beim Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, kam 2013 zu der Feststellung: In der Branche gibt es noch einen Steigerungsfaktor dadurch, dass das Gefühl entsteht, wenn man das illegale, lohnende Geschäft nicht selbst macht, macht es der Nächste. Schon der Vorsitzende der WestLB Ludwig Poullain sagte 1977 zu seinem Beratervertrag, der heute strafbar wäre, das sei doch branchenüblich. Mit anderen Worten: die Branche ist anfällig für solche problematischen Dinge.
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327. |
Dazu kommt, dass erwischte Betrüger von ihrer Erfahrung berichten, dass ihre Kunden gerade bei völlig absurden Renditeversprechen alle gesunde Skepsis fahren lassen, dass dann die Gier den Verstand völlig ausschaltet. Dann kommen Menschen an ihre geistigen Funktionsgrenzen. Das ist gefährlich für sie und die Gemeinschaft. Das ist nicht der böse abstrakte Kapitalismus, sondern das ist die Schwäche des menschlichen Sozialverhaltens oder Charakters. Da täte uns noch weitere soziale Evolution gut. Selbst wenn wir den Kapitalismus abschaffen könnten, bliebe die peinliche Tatsache, dass einige den Hals nicht vollkriegen können.
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328. |
Bei Hedgefonds und ähnlichen Schattenbanken gibt es noch besondere Gefahren. Erstens wurden zumindest vor der großen Finanzkrise Hedgefonds-Manager für jeden Kursanstieg belohnt, wenn der Kurs wieder fiel, wurde die Belohnung nicht reduziert. Das führte dazu, dass diese Leute interessiert waren, dass die Kurse stark schwankten. Ich weiß nicht, ob diese Art der Belohnung generell abgeschafft worden ist. Aber allein die Tatsache, dass sie praktiziert worden ist, weist auf die kriminelle Energie dieser Branche hin.
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329. |
Dazu kommt noch die Versuchung des Insiderhandels. Es vergeht auch heute kein Monat ohne gravierende Fälle von betrügerischem Insiderhandel. Wenn ein kleiner Mann ein paar Aktien kauft, kann er nur zufällig an interne Infos über die Firma seiner Aktien gelangen. Wenn aber ein Hedgefonds Aktien eines Unternehmens für 100 Millionen kaufen will, kann eine Million Euro, also 1%, für heiße Insidertipps gut angelegt sein, wenn auch illegal. Das heißt, mit viel Geld lassen sich oft wichtige Insider-Informationen vom Management oder von Großkunden beschaffen. Selbst Banken kommen im Regelfall nicht an solche Informationen, weil sie aus Gründen der Risikostreuung selten so viel Kapital in ein einzelnes Unternehmen stecken. Außerdem haben sie vielleicht keine Mitarbeiter, die die betrügerische Beschaffung solcher Information ohne Bedenken ausführen.
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330. |
Im Mai 2014 warnte die BaFin-Chefin Elke König, dass Schattenbanken wie z.B. Hedgefonds stärker überwacht werden müssen, weil sie den Banken Hochrisiko-Papiere abkaufen. „Wir brauchen ein globales Regelwerk und mehr Transparenz“ ([52]).
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331. |
Im Juni 2014 ging das Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA durch die Weltpresse, das dem Hedgefonds-Manager Paul Singer des Fonds Elliott Management über 800 Millionen US-Dollar zugesprochen hat. Argentinien muss ihm diese Summe vor der Bedienung anderer Gläubiger bezahlen. Singer hatte vor ein paar Jahren die Schrottpapiere billig aufgekauft und sich nicht – wie die meisten Gläubiger – mit Argentinien auf einen Schuldenschnitt eingelassen. Jakob Augstein regte sich zu Recht über solche Menschen und die US-Gerichte auf, die solches Verhalten, das ganze Staaten in den Ruin treibt, fördern. Deshalb nennt er seinen Artikel im Spiegel: „Die Perversion des Profits“ ([53]). Wenn die gesamte Finanzbranche schon eine Verführung für charakterlich Schwache bildet, dann die Hedgefonds noch im besonderen Maße.
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332. |
Aber auch hier dürfen wir den Kapitalismus nicht zu anonym sehen. Dass Paul Singer vielleicht ein charakterloser Profiteur ist, dem der Ruin von Staaten egal ist, ist das eine. Aber er wird vermutlich mit seinem Fonds eine höhere Rendite erwirtschaften als andere. Sein Verhalten wird gestützt durch Anleger, denen es egal ist, wie mit ihrem Geld gearbeitet wird, denen nur die höchste Rendite wichtig ist. Wenn eine Bank nur „hoch performante“ Kapitalanlagen in ihrem Bankfonds zusammenfasst, sollte man fragen, ob Herrn Singers Papiere dazu gehören.
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333. |
Und die US-amerikanischen Bürger müssen sich fragen, ob sie einen Staat wollen, in dem ihr höchstes Gericht in solche Vorgänge verstrickt sein darf. Soll das oberste US-amerikanische Gericht wirklich entscheiden, ob ein Staat wie Argentinien pleitegeht und dass irgendein uneinsichtiger Profiteur Anspruch auf Millionen oder Milliarden Dollar hat, das ist doch nicht akzeptabel und müsste schon beim Erstellen von Verträgen vermieden werden. Abwägend muss man auch sehen, dass sich argentinische Regierungen nicht durch solide Finanzierung ausgezeichnet haben. Und wenn keine Absicherung vor dem höchsten US-amerikanischen Gericht mehr bestünde, müssten Gläubiger wie Argentinien vermutlich höhere Zinsen bezahlen oder würden gar kein Geld mehr geliehen bekommen.
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334. |
Finanzmanipulationen erfolgen auf vielen Ebenen. Der Ex-Börsenguru Markus Frick hat vor Gericht zugegeben, für die TV-Empfehlung einer einzigen Aktie 1,9 Millionen Euro in bar erhalten zu haben. Im Kölner Stadtanzeiger vom 6.11.2013 wird zitiert, dass ihm schon häufig hohe Beträge angeboten worden seien ([54]). Er ist vor zwei Jahren schon einmal wegen Kursmanipulation vorbestraft worden. Das bestätigt die oben zitierte Behauptung, dass der Finanzbereich betrugsanfällig ist. Wenn einem „Guru“ so hohe Summen angeboten worden sind, deutet das auf große Fonds hin, die zig Millionen investieren wollen und dabei keine Mittel und Wege scheuen.
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335. |
Kleine Investoren und selbst Banken könnten solche Bestechungssummen gar nicht aufbringen. Und bei sehr hohen Summen werden sehr viele Menschen schwach. Deshalb müssen wir die Kontrollen verstärken und harte Regeln aufstellen. Wie zum Beispiel solche: Beim Erwerb von Aktienanteilen über zehn Millionen Euro muss die BaFin (oder eine andere Finanzaufsicht) sorgfältig prüfen, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist, auch ohne anfänglichen Tatverdacht. Die Kosten dafür müsste der Aktienerwerber tragen, auch wenn sich der Verdacht nicht bestätigt, da im Interesse aller Bürger Betrugsmöglichkeiten minimiert werden müssen. Mögliche Strafen müssen so hoch sein, dass sie die Kosten/Nutzen-Analyse der Hedgefonds-Geier zum Kippen bringen.
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336. |
Die Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft Ernst & Young hat festgestellt, dass internationale Beteiligungsgesellschaften im ersten Halbjahr 2014 für 5,6 Milliarden Euro Beteiligungen in Deutschland erworben haben, der höchste Wert seit sechs Jahren ([55]). Wenn sich diese Gesellschaften aufgrund verschärfter Regeln zurückhalten würden, müsste das niemand beunruhigen.
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337. |
12. gerechte Steuern |
338. |
Leider versuchen nicht nur Finanzunternehmen, der Gemeinschaft zu schaden. Gerade gut verdienende Hightech-Unternehmen, aber auch Firmen wie Ikea und die Benzin-Multis verschieben ihre Gewinne gerne in Länder, in denen sie weniger Steuern bezahlen müssen. Da kann es nur ganz klare Regeln geben und die Aufforderung, sich vom deutschen Markt zurückzuziehen, wenn diese nicht akzeptiert werden. Diese Regeln dürfen keine Sonderregeln für Deutschland sein. Sie sollten genauso für deutsche Unternehmen in anderen Ländern gelten.
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339. |
Ein griffiger Vorschlag, der bestimmt zu verbessern ist, würde lauten: Maximal 33% vom Umsatz sind erlaubt als Transferkosten wie Lizenzen, Förderkosten, Patente, Rechte usw. Ich möchte an BP (British Petroleum) in den 1980er Jahren erinnern. In Deutschland fielen damals Hunderte Millionen DM Verlust an, gleichzeitig in Großbritannien einige Milliarden Britische Pfund Gewinn. Ich habe deswegen damals einige Jahre nicht bei BP getankt. Wenn man Schürfkosten und Patentgebühren beliebig hoch ansetzen darf, ist so eine Buchung kein Kunststück. Da kann man nur sagen: Ja, wenn der Staat und die Bürger sich das gefallen lassen!
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340. |
Dazu müssten noch verschärfte Veröffentlichungspflichten kommen. Alle Firmen mit Transferkosten, die z.B. größer als der halbe Gewinn sind, müssten detailliert veröffentlichen und begründen und die Vergleichszahlen der Vorjahre mitliefern. Sie müssten häufigeren Finanzkontrollen mit öffentlichen Protokollen unterliegen. Bei so einer Vorgehensweise könnte es sein, dass sich einige Firmen vom Markt zurückziehen. Bei der Ersteinführung solcher Gesetze wäre also eine gewisse Vorsicht geraten. Es müsste gut begründete, gut dokumentierte und veröffentlichte Ausnahmen geben. Aber besondere Vorsicht vor Parteispenden!
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341. |
In je größerem Rahmen solch ein Gesetz für mehr Steuergerechtigkeit eingeführt würde, umso leichter wäre es. Die Waren und Dienstleistungen würden da, wo mehr Steuern bezahlt werden müssen, vermutlich teurer. Das könnte zum Versuch von illegaler Einfuhr führen.
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342. |
Im April 2014 veröffentlichte die Kaffeehauskette Starbucks, dass sie mehr Steuern zahlen will ([56]). Und zwar will sie die Europa-Zentrale nach England, ihren wichtigsten europäischen Markt, verlagern. Dort hat Starbucks bereits im 15. Jahr viel verdient und gar keine (!) Steuern bezahlt, da jeweils ein Fehlbetrag bilanziert wurde. Das hing mit den Abschreibungsmöglichkeiten in der Europazentrale in den Niederlanden zusammen. Weltweit gesehen, werde die steuerliche Belastung „relativ neutral“ bleiben, sagte der Starbucks-Sprecher zur Times. Vorsicht, das weist schon wieder auf neue Steuertricks hin! Wenn eine Niedrigsteuerstelle nicht mehr genutzt wird, dann müssen in Summe mehr Steuern bezahlt werden! Und die steuerliche Belastung kann nicht relativ neutral bleiben! Das ist simple Mathematik.
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343. |
Die Süddeutsche vom 27. Januar 2014 weist auf eine wichtige Initiative der Deutschen Bundesbank hin. Die Bundesbank will künftig die Reichen eines Landes zur Kasse bitten, bevor die Nachbarländer helfen. Jede Staatenrettungsaktion rettet immer auch Privatvermögen vor der Vernichtung – deren Eigentümern ist also ein Kostenbeitrag zuzumuten. Ein Staat ist kein abstraktes Gebilde, sondern die Summe seiner Bürger. Also müssen die Bürger auch einstehen, wenn dieser Staat ins Wanken gerät; allen voran die Vermögenden ([57]), deren Vermögen gerettet worden ist und wird. Das Vorhaben der Bundesbank hört sich sehr verantwortungsvoll an. Wie sie das machen bzw. veranlassen will, hat sie aber noch nicht gesagt. Das wäre aber sehr wichtig zu wissen! Genauso wichtig ist, dass diese Initiative zu mehr Gerechtigkeit nicht nur Wortgetöse bleibt und dann in Brüsseler Maßnahmenbündeln untergeht. Dieses Untergehen kann dann bedeuten, dass nur kleine Beiträge entrichtet werden, um sagen zu können: „Da ist alles berücksichtigt worden.“ Bürger passt auf!
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344. |
Der Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel kritisiert das Auseinanderklaffen von armen und reichen Teilen der Bevölkerung. Er sieht nicht, dass die Reichen sich klar darüber sind, dass auch sie dem Gemeinwohl dienen müssen. Deshalb glaubt er, dass wir eine wirksame Erbschaftssteuer brauchen ([58]). Derzeit sind Familienunternehmen, die im Erbfall mindestens sieben Jahre im Familienbesitz bleiben, von dieser Steuer ausgenommen. Die meisten Menschen bewundern Unternehmer, die durch seriöse Leistung zu Wohlstand gekommen sind und gönnen diesen Menschen ihren Wohlstand. |
345. |
Aber wenn irgendein Erbe nichts für die Arbeitsplätze seiner ererbten Unternehmen tun kann, weil er davon nichts versteht, fällt es schwer zu verstehen, dass er keine Erbschaftssteuer bezahlen soll. Man kann sich gut vorstellen, dass es für eine Gemeinschaft besser ist, wenn fähigere Leute sein ererbtes Unternehmen schneller übernehmen können. Aus reichen Erben werden durch die Erbschaftsteuer noch keine armen Leute. Bei den Erben handelt es sich oft um Erbengemeinschaften und deren Streitereien gehen ja zur Genüge durch die Medien. Dann wäre ein schneller Verkauf auch für die betroffenen Unternehmen von Vorteil, denn Geld kann man besser, schneller und gerechter aufteilen als ganze Unternehmen.
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346. |
Gunter Sachs (1932-2011) war vermutlich so ein Fall, der zu wenig von den ererbten Betrieben verstand und sich auch nicht dafür interessierte. Aber seine steuersparenden Transaktionen mit Overseas-Gesellschaften sind dann doch aufgefallen. Da geraten diese „armen Erben“ in die Hände von raffinierten Steuertricksern, die auch „etwas“ vom Kuchen abbekommen möchten. Ein Unternehmer mit Leib und Seele hätte dafür gar keine Zeit. Niemand nahm Herrn Sachs übel, dass ihn Fotografieren, Filme machen, Brigitte Bardot und Sport mehr faszinierte als seine geerbten Betriebe, aber Erbschaftssteuer sollte er dann doch bezahlen! Und nicht nur er.
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347. |
Wenn ein Betrieb durch die Erbschaftssteuer wirklich einmal in Existenznöte geraten sollte, sollte die Steuer gestundet werden können. Aber dazu müsste er dem Staat einen detaillierten Einblick in seine Finanzen geben. Und dieser Einblick müsste veröffentlicht werden, vielleicht zeitversetzt, um die Neubeschaffung von Kapital nicht zu behindern. Es könnte sicherlich noch weitere temporäre Hilfen geben, um Liquiditätsengpässe auszugleichen und um Unternehmen mit guter langfristiger Perspektive zu erhalten.
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348. |
13. Politik der begrenzten Risiken und der Sicherheit – Atomtechnologie
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349. |
Weil wir ja Innovationen fördern müssen und Technologiefeindlichkeit reduzieren wollen, muss die Politik den Bürgern das Gefühl geben, dass sie nicht allem zustimmt, wo irgendjemand eine Möglichkeit sieht, Geld zu verdienen.
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350. |
Bei gefährlichen Technologien ist eine Politik der begrenzten Risiken unverzichtbar, besonders bei Gentechnik, Atomtechnik, Fracking und Rüstung. Bund, Länder und Gemeinden sollen aktuelle Bürgerinfos zu den kritischen Themen (Störfälle, Skandale) übers Internet verbreiten. Die laufende Information über den Stand der Dinge muss eine Bringschuld der Politik bzw. der Verwaltung werden. Auch das Gesamtrisiko mehrerer Gebiete soll kalkuliert und begrenzt werden. Interessenten und Lobbyisten müssen wissen, dass die Zulassung neuer Risiken in Deutschland absichtlich begrenzt sein soll und ausführlich dokumentiert werden muss und dass diese Dokumentation allen Bürgern zugänglich gemacht werden muss.
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351. |
Hier ist die europäische Rechtsauffassung eine andere als in den USA. Dort muss ein von Pflanzenschutzmitteln oder von Lebensmittelzusätzen Geschädigter nachweisen, dass sein Schaden von einem bestimmten Stoff herrührt, was für Einzelpersonen oft unmöglich ist. Bei uns muss ein Produzent von Chemikalien deren Unbedenklichkeit nachweisen, das erfordert solide Prüfungen und Untersuchungen. Und zur Politik der begrenzten Risiken gehört, dass wir die europäische Rechtsauffassung nicht einem geheim verhandelten transatlantischen Freihandelsabkommen opfern. Und erst unsere Rechtsauffassung zu kippen, brächte für amerikanische Farmer und Verwerter einen Billionen-Dollar-Vorteil, für den sie alles Mögliche unternehmen. Englische Billionen entsprechen übrigens deutschen Milliarden. Wobei ich nur warnen kann: Prüft die geheimen EU-Verhandlungsführer sorgfältig auf materielle Interessen und andere mögliche Verstrickungen.
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352. |
Edda Müller war 2010 – 2019 Vorsitzende von Transparency International Deutschland. In Zeit.de vom 26.Juni 2014 schrieb sie: „Aus den Verhandlungspapieren (des geplanten transatlantischen TTIP-Abkommens) geht hervor, dass Testverfahren und Zertifikate für Produkte überprüft und gestrichen werden sollen. Man überlässt damit die Kontrolle gefährlicher Produkte dem einzelnen Bürger“ ([59]). Es wird also keine Politik der begrenzten Risiken und der Sicherheit angestrebt, sondern die einzelnen Bürger sollen sich mehr in Acht nehmen, ohne dass sie das können. Ist das nicht eine riesige Zumutung?
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353. |
Eines dieser Risiken stellt zum Beispiel Genmais der Firmen Monsanto (gehört mittlerweile zu Bayer), Pioneer (Dupont), Mycogen Seeds (Dow) usw. dar. Erstens lassen sich genmanipulierte Pflanzen nicht völlig von anderen trennen. Man kann Felder nicht so weit auseinanderlegen, dass keine kreuzweise Bestäubung durch Insekten oder den Wind stattfindet. Zweitens kann beim Transport der Ernte weder in LKWs noch in Eisenbahnwaggons eine Vermischung völlig verhindert werden.
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354. |
Besonders kritisch beim Anbau von Gengetreide sind folgende Verträge: Die Bauern verpflichtet sich, kein Saatgut selbst zu erzeugen und nichts von der Ernte wieder auszusäen. Sie müssen das Saatgut für das nächste Jahr wieder komplett beim Saatgut-Lieferanten kaufen. Das mag in wohlhabenden Ländern auch bei Nicht-Gentech-Saatgut üblich sein, in Entwicklungsländern hat es schon zu Selbstmorden geführt. Wenn ein Bauer dort eine schlechte Ernte hat, geht es ihm schlecht, aber er kann dennoch etwas Saatgut übrig behalten und hat somit auch im nächsten Jahr etwas zu essen und zu verkaufen. Wenn er aber nach einer schlechten Ernte kein neues Gentechnik-Saatgut kaufen kann, hat er nichts mehr zum Aussäen und weiß nicht, wovon er leben soll. Dieses Geschäftsmodell ist unmenschlich und nicht akzeptabel!
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355. |
In der EU kaufen die Bauern ihr Saatgut oft und stellen es nicht selbst aus ihrer vergangenen Ernte her. Aber sie sind nicht an bestimmte Lieferanten gebunden und würden in Notfällen von der EU finanziell unterstützt. Die deutschen Bauern, die das Saatgut aus eigener Ernte herstellen, werden derzeit von der Saatgut-Treuhandverwaltung aufgefordert, für den sogenannten „Nachbau“ zu bezahlen. Die Landwirte sind darüber in Aufruhr, schrieb die Süddeutsche am 7.April 2016 ([60]). Sie wollen also verständlicherweise weiter einen Teil ihrer eigenen Ernte als Saatgut verwenden dürfen.
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356. |
Darüber hinaus ist noch bekannt geworden, dass Monsanto Nachbarn und Späher bezahlt hat, die prüfen, ob sich die Gengetreide-Bauern an die Regel halten, kein eigenes Saatgut herzustellen. Nun bietet sich ein gedanklicher Bogen zum US-amerikanischen Geheimdienstsystem NSA an. Etwas bedenklich wird auch den Gentech-Saatgut-Produzenten so ein Spitzelsystem vorkommen. Wenn die Firma die Informationen über die NSA bekäme, wäre das viel lautloser und effektiver. Da haben wir mächtige Interessenten an NSA-Daten. Und selbst wenn es keine offizielle „Datenübergabe“ gibt, sind diese Informationen für die Firmen ja Millionen wert und dann finden sich auch undichte Stellen in den Datensystemen. Man denke an das chinesische Sprichwort, dass ein goldbeladener Esel jede Mauer überschreitet.
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357. |
Eine Politik der Sicherheit bedeutet bei so kritischen Produkten wie Gentechnik, dass es permanent eine Überprüfung auf Ungefährlichkeit geben muss. Und die Kosten müssen die tragen, die ein ökonomisches Interesse am Neuen haben. Zum generellen Verbraucherschutz muss in kritischen Fällen ein gezielter hinzukommen, wenn kritische neue Produkte oder Verfahren auf den Markt kommen, die einer laufenden Kontrolle unterworfen werden müssen. Wir müssen uns als Gesellschaft im Klaren darüber sein, dass es unproblematisch ist, wenn gefährliche Produkte erst später und nach längerer Prüfung eingeführt werden. Auch wenn ökonomische Gründe einzelner Firmen dagegen sprechen und deren Lobbyisten die Werbetrommel rühren und sich nicht scheuen, alternative Wahrheiten, also Lügen, zu verbreiten.
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358. |
Bei Gentechnik-Pflanzen könnte man mehrere Gefährdungsstufen unterscheiden, die unterschiedlich streng überwacht werden müssten: 1. Gentech nur bei Futterpflanzen, also keine Nahrungsmittel für Menschen 2. Gentech bei Nahrungsmitteln, die eine Aufwertung oder Verbesserung des Nahrungsmittels bringen. Zum Beispiel Goldenen oder Roten Reis, in den Karotin genetisch eingelagert ist. Karotin ist Vitamin A und kann einen Vitaminmangel bei der Ernährung ausgleichen. 3. Gentech-Nahrungsmittel, bei denen Insektizide oder Herbizide, also Gifte, in die Pflanzengene eingeschleust werden. Im Prüfungszeitraum bis zur Zulassung findet man vielleicht selbst bei sorgfältiger Untersuchung keine Nachteile für die Menschen. Aber später stellt man fest, dass z.B. Bienen oder Vögel bedroht werden. Allergien werden ausgelöst oder verstärkt. Oder die zu vernichtenden Schädlinge werden immun gegen die Gifte. Dann sind Gifte, die keinen Nutzen mehr bringen oder sogar Schäden verursachen, in den Pflanzen und evtl. in der Natur. Dann müsste der Gentech-Produzent das Gentech-Material ganz aus der Welt schaffen. Und was, wenn er dann zahlungsunfähig ist? Dann bekommt die Gesellschaft, die sich vor Risiken nicht in Acht nimmt, ihre Quittung. Das könnte man gemeinen Kapitalismus nennen, aber auch eine Riesen-Dummheit der Politik. Statt nach Riesen-Dummheit müsste man auch nach Bestechungsquellen suchen.
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359. |
Hierzu gab es ja seit Mai 2014 eine gute Nachricht aus Brüssel von der EU. Es soll ein nationales Verbotsrecht geben, die sogenannte Opt-out-Klausel ([61]). Sie ist aber noch nicht verabschiedet. Ich hoffe noch, dass auf diesem Wege der in der EU bereits zugelassene „Genmais 1507“ (hergestellt von den US-Firmen Pioneer, Dupont und Mycogen Seeds) in Deutschland verboten werden kann.
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360. |
US-Präsident Obama wollte das seit 2013 massenhafte Bienensterben stoppen ([62]). Die Regierung hatte eine Taskforce eingerichtet, um die Ursachen zu erforschen. Milliardenumsätze der Landwirtschaft stehen auf dem Spiel. Jedes vierte Bienenvolk in den USA soll bereits vernichtet sein. Die Bienen eines Verwandten in Vancouver/Kanada sind vor 2017 alle gestorben, ohne dass er wußte wieso.
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361. |
Zum Bienensterben tragen bestimmt auch die Verroa-Milbe und Bienen-Krankheiten bei, diese Bienenfeinde sind nicht neu. Aber es stellt sich die Frage, wieso das Abwehrsystem der Bienen beides heute nicht mehr abwehren kann. Es gibt bereits Studien der EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit), die auf eine Gefährdung durch Insektizide hindeuten. Aber bis eine solche Kausalkette 100% sicher ist, kann es lange dauern. Vielleicht wird man nie 100%ig sicher sein. Man denke nur an die Schwierigkeiten, die Ursachen für das Waldsterben zu finden.
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362. |
Der britische Biologe Dave Goulson schreibt im Juli 2014 in „Nature“ zu den Insektiziden: „Wir haben das große Ganze vergessen“ ([63]), denn es sterben auch die Singvögel, weil deren Nahrung plötzlich fehlt. Insektizide, besonders die Neonikotinoide, stören auch das Nervensystem der Bienen. Die EU hatte Ende 2013 beschlossen, die Anwendung einiger Wirkstoffe vorübergehend einzuschränken. Aber es wird schwer und langwierig sein, eine eindeutige Kausalkette nachzuweisen.
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363. |
Eine Politik der Sicherheit berücksichtigt folgendes: wenn Insektizide, Pestizide und Genprodukte eingesetzt werden und dann eine Gefährdungslage entsteht, dann muss der Staat die Gifte und Genprodukte verbieten, zumindest teilweise oder zeitweise. In einer unklaren Situation können nicht die Giftproduzenten das Recht haben, den Staat und damit die gefährdeten Bürger zu verklagen. Dass die betroffenen Firmen vom Staat verlangen können, alles zu tun, um den Schaden zu begrenzen, versteht sich. Hier ist das US-amerikanische Recht problematisch, da ja den Firmen erst nachgewiesen werden muss, dass sie Verursacher sind.
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364. |
Bei der EHEC-Epidemie im Mai 2011 hat es lange gedauert, bis die Hauptverursacher, Sprossen des ägyptischen Bockshornklees, eher zufällig gefunden wurden ([64]). Vorher wurden irrtümlicherweise spanische Gurken und Tomaten verdächtigt, Überträger der Krankheit zu sein. Aber mit dem einzigen geschlossenen Produzenten der Kleesprossen, ausgerechnet einem Biohof, konnten nur die wenigsten der fast 4.000 schweren Darmerkrankungen erklärt werden. 53 Menschen sind insgesamt daran gestorben. Die Politik war danach froh, das Ganze als abgeschlossen erklären zu können. Aber viele Fragen dazu sind bis heute offen geblieben. Wenn Betriebe und Händler irrtümlich zum Krankheitsverursacher erklärt werden, haben sie selbstverständlich Anspruch auf Schadensersatz. Andererseits können die Gesundheitsbehörden mit ihren Warnungen und Verboten nicht warten, bis jede Unklarheit beseitigt ist.
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365. |
Bei Nahrungsmitteln und Futtermitteln sind wir vielfältigen Gefahren ausgesetzt und mit dem internationalen Handel nehmen sie zu. Wir brauchen lange, bis wir gesundheitliche Problemketten finden oder erkennen. Ich erinnere noch an BSE bei Rindern, wo das Krankheitszentrum in Großbritannien lag. Diese Krankheit ist als Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auf den Menschen übergegangen. Ich wäre nicht erstaunt, wenn es wieder zu einer stärkeren Regionalisierung der Märkte mit nachvollziehbaren Verantwortlichkeiten kommt. Viele Leute kaufen Lebensmittel gerne auf dem Markt, weil sie dort die Anbieter kennen, die entweder selbst Erzeuger sind oder aber diese kennen.
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366. |
Es liegt schon einige Zeit zurück, dass in einer belgischen Bio-Geflügelfarm Hühner mit PCB verseucht wurden. Es wurde vermutet, dass verunreinigtes Trafoöl ins Futter gelangte. Ich könnte mir vorstellen, dass es relativ unschädlich wäre, geringe Mengen sauberes Öl ohne Zusätze dem Futter beizumischen. Das wäre vermutlich wesentlich weniger schädlich als Wachstumshormone. Trafoöl enthält aber Gifte, um das Entstehen von Mikroorganismen in Trafos zu verhindern. Wenn Menschen nun statt Trafoöl zu entsorgen, damit Tiere füttern, dann sollte eine mündige Bürgerschaft einen Protestmarsch auf so einen Hof machen und dem Produzenten mächtig zusetzen. Die Bürger wollen solche Übeltäter im Gefängnis sehen und nicht durch Bestechungen oder Beziehungen ohne Strafe davonkommen lassen. Wenn derselbe Produzent nun ein Land irgendwo in der Welt beliefern würde, entfielen solche Kontrollen und das Gift könnte dann angeblich unterwegs in die Lebensmittel gekommen sein. Im umgekehrten Fall sind wir die weit entfernt Belieferten. In der Nähe von Fukushima werden wieder Pflanzen angebaut, die vor Ort nicht verkauft werden dürfen. Der weite, teure Transportweg wird uns hoffentlich vor diesen strahlungsbelasteten Pflanzen bewahren.
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367. |
Mitte November 2014 sind Fälle der gefährlichen Vogelgrippe in drei Höfen in Deutschland, den Niederlanden und in England aufgetreten. Man vermutet einen Zusammenhang mit Zugvögeln. Neben der Tötung von Zigtausenden von Tieren gab es auch ein Transportverbot für Geflügel. Wenn die kritischen Fälle zunehmen, nehmen auch die Transportverbote zu, das steuert auch auf eine Regionalisierung zu. Wenn die Vogelgrippe von kranken Zugvögeln kommt, stellt sich die Frage: Haben die Vögel nur die drei genannten Geflügelfarmen überflogen und ihren Kot oder ansteckende Hinterlassenschaften (Federn?) nur dort fallen gelassen?
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368. |
Eine Politik der Sicherheit muss aber auch bei neuen Technologien wie Drohnen rechtzeitig auf Gefahren hinweisen. Wenn man damit statt Pakete an schwer zugängliche Orte zu bringen auch Bomben-Pakete auf Fußballstadien oder auf sensible Industriebetriebe abwerfen kann, muss die Politik Missbrauchs-Möglichkeiten verhindern. Wenn das nicht zu erreichen ist, muss die Technologie in Privathand verboten werden. Wenn heute Paketzustellfirmen von den tollen Möglichkeiten von morgen schwärmen, muss kritischer Journalismus diese Leute auf den Boden der Tatsachen holen. Wiederholt schon haben Drohnen Flugzeuge nahe Flughäfen behindert, auch da muss der Staat aktiv werden, nicht jeder einzelne Flughafen.
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369. |
Ein ganz anderer Vorschlag für eine Politik der Sicherheit, besonders zum Schutz älterer Menschen, ist folgender: Mindestens die Hälfte der Bargeld-Automaten sollten erhöhte Sicherheitsstandards erfüllen. Diese Sicherheit könnte man „seniorensicher“ nennen. Wenn man den Begriff „Senior“ aus der Sicherheitsbezeichnung heraushalten will, könnte man alternativ sagen, ein Automat erreicht eine neu festzulegende „Sicherheitsstufe X“.
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370. |
„Seniorensicher“ könnte für Geldautomaten folgendes bedeuten: Sie müssen geschützt stehen, ohne Möglichkeit der Einsicht von außen, die Entnahme geschieht kameraüberwacht. Die Geldausgabe erfolgt erst nach einer erkennbaren Aufnahme durch eine Überwachungskamera. Die Bank soll mithaften, wenn kein brauchbares Bild aufgenommen wird. „Geldinstitute setzen nach Erkenntnissen der Polizei veraltete Technik ein mit dem Resultat, dass die Fotos kaum brauchbar seien.“(Januar 2014 N.[65]) Bei der Anzeige am Bildschirm der Automaten soll keine Werbung eingeblendet werden. Darüber hinaus sollte es verschiedene Vereinbarungen mit der Bank geben, die in der Bank-Karte gespeichert sind. Auf Wunsch soll es eine Karte mit Bild geben, gekoppelt mit automatischem Bildabgleich am Automaten. Man kann sich sogar vorstellen, eine bestimmte Position vor einer Kamera einnehmen zu müssen und eine Aufnahme selbst auszulösen, wenn man die richtige Position erreicht hat. Nach einer erfolgreichen Geldentnahme sollten die letzten Meldungen des Automaten dem Sinne nach folgende sein: 1. Sie haben Ihre Karte entnommen. 2. Sie haben Ihr Geld entnommen. 3. Sie haben Ihre Quittung entnommen. 4. Ihr Vorgang ist abgeschlossen. 5. Verstauen Sie Geld und Karte
innerhalb der Sicherheitszone!
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371. |
Jeder, also nicht nur Senioren, sollte die Sicherheitshöchststufe für seine Geldkarte beantragen können. In der „Geldschleuse“ könnte dann auf Wunsch nur eine Person zugelassen sein. Topsicherheit könnte bedeuten: automatische Quittung, keine zusätzliche Abfrage durch den Automaten. Geld-, Karten, und Belegentnahme müssen dicht zusammen liegen, sichtbar auf einen Blick; sie sollen beleuchtet sein und mit einer Notruftaste ausgestattet werden. Auch die Speicherung von Stückelungsregeln sollte möglich sein: z.B. generell keine 100-Euroscheine und keine Fünf-Euroscheine auszugeben.
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372. |
Man kann sich vorstellen, dass Kranke oder Alte ihre finanzielle Eigenständigkeit länger behalten können, wenn sie an bestimmten Geldautomaten z.B. jeweils nur genau 200 Euro in 20er-Scheinen bekommen, ohne irgendeine Wahlmöglichkeit und Abfrage. Man könnte die Sicherheit dadurch erhöhen, dass die Geldausgabe weiter begrenzt würde: nur einmal in der Woche und nur, wenn das Konto gedeckt ist, also ohne teure Überziehungszinsen. Für abweichende Wünsche müssten diese Kunden dann an einen Bankschalter gehen. |
373. |
Denkbar wäre auch eine sichtbare Auszeichnung an den Automaten „seniorensicher 2018“, versehen mit einer Jahreszahl für die jeweils neusten sicherheitstechnischen Errungenschaften.
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374. |
Die Grundidee ist die stärkere Betonung der Sicherheit in einer älter werdenden Gesellschaft. Nützlich wäre die erhöhte Sicherheit aber auch für unerfahrene Jugendliche, Migranten und Menschen mit Sprach- und Gesundheitsproblemen. Sicherheits-Ziele sind dabei nicht nur die sichere Geldentnahme und die Vermeidung der Geldentnahme durch Betrüger, sondern auch Sicherheitsüberlegungen danach, z.B. unbeobachtetes Verstauen des Geldes nach der Entnahme.
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375. |
Ein anderes Beispiel: Größere Sicherheit kann auch für Personen wichtig sein, die schnelle Hilfe brauchen oder solche, die sich nicht gut orientieren können. Es müsste ein Handy (bzw. Smartphone) entwickelt werden mit einem großen Notrufknopf, ich nenne es hier einfach Notruf-Handy. Der Notrufknopf sollte für unterschiedliche Hilfesituationen programmierbar bzw. einstellbar sein und bräuchte nur gedrückt zu werden, vielleicht mehrfach zur Sicherheit gegen unbeabsichtigtes Auslösen. Eine damit automatisch ausgelöste Funktionskette könnte zum Beispiel sein: Jemand ist in Not und will Hilfe rufen, dann werden eine oder mehrere festgelegte Telefonnummern angerufen und ein Standardtext oder eine SMS abgeschickt. Dabei sollten die Orts-Koordinaten des Anrufers mit gesendet werden. Es sollte auch noch ein im Moment gemachtes Foto oder ein gerade gesprochener Text mitgeschickt werden können.
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376. |
Wenn ein verwirrter Mensch seinen Weg zurück in seine Wohnung nicht findet, könnte er nach dem Drücken des Notknopfes durch eine Navigationshilfe zu dieser Wohnung Ort geleitet werden. Wenn ein Kind in eine Notlage gerät, könnten seine Eltern oder sonstige Hilfe gerufen werden. Bei einem Notruf-Handy sollten besondere Anforderungen an die Robustheit gestellt werden, da es nach einem Sturz oder Unfall weiter funktionieren soll. Es muss auch eine sehr stabile Befestigungsmöglichkeit haben, z.B. für eine Halskette. Gegen Diebstahl sollte auf der Platine eine Identifikations-Nummer festgelötet sein, der ein Besitzer zugeordnet werden kann. Die Hilfefunktion sollte auch bei ausgeschaltetem Handy durch eine Art Not-Standby ohne Anzeige gewährleistet sein. Wenn die Koordinaten des Hilfesuchenden gesendet werden, müsste es bei den Empfänger-Handys eine Funktion geben, diese Orts-Koordinaten in einer Karte anzeigen zu lassen. Handys der Gerufenen sollten ebenfalls mit einer Navi-Funktion ausgerüstet werden können, um schnell an den Ort des Hilferufs zu kommen.
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377. |
Die Anwendung eines solchen Handys müsste nicht einmal auf Notfälle begrenzt sein. Wenn jemand häufig aktuelle Wetter- oder Verkehrsdaten braucht, könnte der Hilfeknopf zur Anzeige oder Ansage dieser Daten verwendet werden. Es gäbe sicher noch viele mögliche Anwendungsfälle. Auf Nicht-Notfall-Funktionen wird hier nur deshalb hingewiesen, weil ein solches Notruf-Handy hohe Entwicklungskosten verursachen könnte und die würden bei zu wenigen Anwendungen zu hohen Verkaufspreisen führen.
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378. |
Ein anderes Gerät, dessen Sicherheit wichtig für Senioren ist, das aber auch der Sicherheit ihrer häuslichen Nachbarn dienen würde, ist ein seniorensicherer Herd. Er sollte Brände ausschließen, aber zumindest unwahrscheinlich machen und müsste bedienungsfreundlich sein. Gasherde sind für Senioren, die ihren geistigen Höhepunkt deutlich überschritten haben, generell zu gefährlich und müssten für sie verboten werden. Deshalb spreche ich hier nur von Elektroherden. Drehknöpfe entsprechen vielleicht alter Gewohnheit, sind aber ungeeignet, weil sie schwer automatisch verstellt werden können. Die wichtigste Funktion wäre das automatische Ausschalten nach x Stunden Betriebsdauer. Das müsste für Heizplatten und Herd trennbar sein. Hierzu müssten in einem Einstellungsmenü Stundenwerte gewählt werden, vielleicht gar nicht von den Senioren selbst. Eine andere wichtige Bedingung wäre eine gut lesbare Anzeige, also nicht Lämpchen mit Symbolen. Wenn eine Heizplatte dann beispielsweise nach zwei Stunden automatisch ausgehen würde, könnte angezeigt werden: „Platte2 automat.Aus 2h“. Wenn dann ein hilfloser Senior nicht wüsste, was er machen soll, könnte er Kinder, Bekannte, den Herdlieferanten oder einen Installateur anrufen und alle sollten nachsehen und sagen können, was los ist. Er würde bei obigem Beispiel aber auch selbst sehen, dass die Heizeinstellung der benutzten Platte auf null gegangen ist und nicht mehr leuchtet.
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379. |
Dahinter steht die Idee Normung eines Gütekennzeichens „seniorensicher“. Nicht jeder Hersteller soll sich andere Lämpchen und Symbole ausdenken dürfen, die ein alter Mensch gar nicht erfragen kann, weil er sie entweder nicht erkennt oder sie nicht richtig beschreiben kann. Eine Zahlen-Buchstaben-Kombination wie „Platte2 automat.Aus 2h“ kann er lesen und erfragen, wenn er selbst nicht drauf kommt und er sich nicht traut, auszuprobieren. Wenn ein Kochgericht nach der automatischen Ausschaltung von zwei Stunden nicht fertig ist, soll man die Platte wieder einschalten können und weitere zwei Stunden benutzen können. Wenn aber vergessen würde, die Platte auszuschalten, dann würde sich wirklich zeigen, wie nützlich die Funktion „seniorensicher“ ist. Ein weiteres Kriterium für das Gütekennzeichen „seniorensicher“ könnte sein, dass die Einstellmöglichkeiten im einstelligen Ziffernbereich bleiben, also nur Zahlen von 0 bis 9, damit die Ziffern möglichst groß dargestellt werden können und die Sicherheit beim Ablesen zunimmt. Dass es eine Anzeige der Platten geben soll, die –obwohl ausgeschaltet- noch heiß sind, ist heute schon verbreitet und würde auch zum Prädikat „seniorensicher“ gehören. Alle Platten müssten thermostatgesteuert sein, könnten also nicht beliebig heiß werden. Eine exakte Definition des Gütekennzeichens könnte der deutsche DIN-Normenausschuss festlegen, bei internationalen ISO-Normen gäbe es das Problem der Texte in verschiedenen Sprachen. Ein Ziel könnte dann sein, nur noch Herde zu haben, die seniorensicher sind, weil Herde generell potentielle Brandverursacher sind. Kleine farbige Symbole, die es in großer Zahl auch in Autos gibt, sind zwar sprachübergreifend, aber wir bräuchten zu viele davon. Schon heute ist kaum zu erkennen, was sie darstellen sollen; das ist eine Innovations-Sackgasse. Im Fehlerfall kann man manche Symbole einer Werkstatt oder einem Handwerker gar nicht per Telefon beschreiben. Zahlen und Buchstaben dagegen kann man gut ablesen und beschreiben.
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380. |
Atomtechnologie. Zum Glück zieht sich Deutschland aus der Atomtechnologie zurück, die große Belastungen für die nächsten Generationen hinterlässt; wahrscheinlich für Tausende (!) von Generationen. Aber auch die Endlagerung des vorhandenen Atommülls ist gefährlich und noch völlig ungeklärt. Im atomaren Zwischenlager Asse liegen rostzerfressene Fässer, in die bereits Salzwasser läuft. Da haben wir einen kleinen Einblick, was sich die Atomindustrie leistet. Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis Radioaktivität ins Grundwasser gelangt. Von völliger Verantwortungslosigkeit zu sprechen, ist da noch freundlich ausgedrückt. |
381. |
„Radioaktiver Müll in Fässern, die unaufhaltsam vor sich hin rosten im stillgelegten AKW Brunsbüttel.“ Atomexperte Michael Sailer meint im Januar 2014, dass dieser Zustand weit verbreitet ist ([66]): „Und wenn nichts getan wird, werden die radioaktiven Stoffe über kurz oder lang in die Umwelt gelangen.“
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382. |
Laut Atomgesetz müssen alle Kosten, die durch die Endlagerung von Atommüll entstehen, anteilig von den jeweiligen Produzenten dieses Mülls getragen werden. Dennoch haben die vier großen Stromkonzerne RWE, Vattenfall, EnBW und EON, Widerspruch gegen ihre Kostenbeteiligung in Gorleben und bei Schacht Konrad eingelegt ([67]). Die Gewinne sind längst ausgeschüttet und bei den Entsorgungskosten versucht man sich zu drücken. Das könnte man verantwortungslosen Kapitalismus nennen, obwohl es verantwortungslose Menschen sind, die dahinter stehen und vielleicht übertölpelte oder bestochene Politiker.
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383. |
Wir brauchen eine öffentliche
Debatte über atomare Endlager. Vermutlich müssen es Lager sein mit
Zugriff auf einzelne Behälter zur Überprüfung und –vor allem- mit Offenheit
für eine spätere bessere Lösung.
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384. |
Es kann sein, dass man hochradioaktives Material tief in der Erde mit hohen Kosten verbergen muss, aber bei weniger radioaktivem Material bietet sich eine preiswertere Lösung an. Ein solches Endlager ist vermutlich ein erdbebensicheres Hochregallager mit automatischen Lagerfahrzeugen und guter Abschirmung und Wärmeisolation. Wärmeisolation und Kühlung sind nötig, damit es im Sommer nicht zu heiß werden kann. Einige Behälterinhalte entwickeln ja selbst Wärme. Es muss eine Kontrollzone geben, in die einzelne Behälter so gestellt werden können, dass Kameras und physikalische Messgeräte an jede Stelle eines Behälters positioniert werden können. Behälter müssen sich ferngesteuert öffnen lassen. Alles muss gut mit Kameras beobachtbar sein. Vielleicht müsste die Lagerfläche etwas tiefer als die Umgebung gelegt werden, aber Grundwasser sollte nicht zu nahe sein. Ein begrünbarer Schutzwall könnte dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen, die in der Nachbarschaft wohnen, entgegenkommen. Sicherheitshalber sollte eine Labor- und Prüfstelle in der Nähe des Lagers liegen. Wenn es ein laufendes Temperaturprotokoll von jedem Behälter oder jeder Behältergruppe gibt, kündigen sich unerwartete Reaktionen frühzeitig durch Zunahme der Temperatur an. Auch an eine vorübergehende Unterbringungsmöglichkeit von Polizei oder Militär in der Nachbarschaft sollte gedacht werden. Das Dach sollte sehr stabil sein, um das Aufbringen von Wasserbehältern und Sand als Brandschutz und Schutz gegen Meteoriten-Einschlag zu ermöglichen. Auch sollte die Konstruktion eine Dachbegrünung zulassen.
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385. |
Daneben muss genug Platz sein, um nach wichtigen neuen Erkenntnissen ein besser geeignetes neues Gebäude zu errichten. Der Inhalt jedes Behälters muss exakt beschrieben und in einem möglichst sicheren System gespeichert sein. Es gibt zum Beispiel kein EDV-System, das nach ein paar hundert Jahren noch funktioniert, hier geht es aber um Zigtausende von Jahren.
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386. |
Wer Geologen damit beauftragt, sichere Gesteinslagen für eine Endlagerung zu finden, der beauftragt nur Leute für ein teures Tieflager. Die Geologen werden vielleicht nicht einmal darauf hinweisen, dass auch andere preiswertere Lagermöglichkeiten denkbar sind. In unterirdischen Endlagerstätten mit Wassereintrittsmöglichkeiten –wie heute praktiziert- werden Atommüllcontainer eher beschädigt als im oben skizzierten oberirdischen Lager. In einem unterirdischen Lager ist es viel schwieriger, hohe Luftfeuchtigkeit und damit Korrosion von Behältern und Lagergeräten zu vermeiden. Im Zwischenlager in Karlsruhe fand man 1.700 beschädigte Fässer, im AKW Brunsbüttel war jedes Dritte von 335 geprüften Fässern beschädigt. Die geschätzte gesamte zu entsorgende Abfallmenge hat sich auf 600.000 Kubikmeter mehr als verdoppelt ([68]). Erdbebensicherheit hat unterirdisch seine Tücken. Man denke an das katastrophale Erdbeben 2011 im neuseeländischen Christchurch. Dort hat sich die zerstörerische Wirkung durch Reflektion von unterirdischen Stoßwellen wesentlich verstärkt. Alle wurden überrascht von dieser Gefahr, die dort zu großen Zerstörungen und Überschwemmungen geführt hat.
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387. |
Endlagerung wird heute im Regelfall bedeuten: eine sehr langfristige Zwischenlagerung mit einer offen gelassenen Möglichkeit, dass man innerhalb von Jahrtausenden bessere Lager-, Entsorgungs- oder vielleicht sogar neue Verwendungs-Möglichkeiten findet. Wenn die Strahlung eines Behälters in den Weltraum geht, sind die bekannten Halbwertzeiten verlässlich. Wenn die Strahlung eines Behälters aber in den benachbarten geht, der mit anderen radioaktiven Substanzen gefüllt ist, kann es eine gegenseitige Beeinflussung mit unbekanntem Ergebnis geben. Soliderweise sollte man bereits heute Intervalle für eine gründliche Überprüfung festschreiben, an denen dann jeweils hohe Kosten anfallen. Diese sollte man detailliert überlegen, damit die zu erwartenden Gesamtkosten nicht zu vage bleiben.
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388. |
Das Thema Endlagerung könnte sogar ein Sonderfall für unsere Demokratie werden. Bei einer so wichtigen und langfristig bindenden Entscheidung für alle Bürger eines Landes sollte im Parlament eine „deutliche Mehrheit“ von z.B. mindestens 60% aller Parlamentarier angestrebt werden.
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389. |
Störungen entstehen manchmal durch Ursachen, die niemand vorher erwartet hat. So ist im Juni 2014 in den USA ein atomarer Störfall durch Katzenstreu aufgetreten ([69]). Katzenstreu saugt Flüssigkeiten gut auf. In einem Endlager in New Mexico ist man von einem Tonprodukt auf ein biologisches umgestiegen und hat durch eine chemische Reaktion damit prompt einen Brand ausgelöst, der die Dichtungen von ein paar hundert atomaren Containern beschädigt hat.
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390. |
Hier hat sich in einem nicht so dramatischen Fall die generelle Problematik bei Innovationen gezeigt. Nicht immer ist eine neue Lösung besser als die alte und nicht immer bewährt sich die neue langfristig. Vielleicht ist der Übergang auf biologisches Katzenstreu als erfreuliche Innovation gefeiert worden. Es ist unmöglich, alle Nachteile sofort zu erkennen. Manche Einsicht muss leider erlitten werden. Aus Schaden wird man klug, weiß der Volksmund. Das ist ein wichtiger Grund, weshalb wir mit den Innovationen keine Zeit verlieren sollten, wir können sie nicht beliebig beschleunigen. Oft gehören lange Bewährungszeiten dazu. Das Prinzip ist dem der Evolution recht ähnlich: Nicht jede Mutation, nicht jede Innovation wird ein entwicklungsgeschichtlicher Erfolg!
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391. |
Es gibt viele Menschen, die glauben, dass wir nicht von einem permanenten Wachstum ausgehen dürfen. Ihnen macht die heutige Grenzenlosigkeit Angst. Diese Sorge ähnelt der des „Club of Rome“ mit seiner Schrift „Grenzen des Wachstums“ von 1972. Wenn man als Wachstum ansieht, dass wir unsere Erde zum Schweizer Käse machen, aus dem wir alle Rohstoffe herausholen und mit Fracking noch Gifte in die Erde pumpen, um noch mehr Öl und Gas fördern zu können; wenn wir mit zunehmender Industrialisierung die Gewässer und die Luft stärker verschmutzen und unsere Nahrungsmittel zunehmend mit Kunstprodukten erzeugen und anreichern; ja, dann führt so ein ungebremstes Wachstum ungebremst in eine globale Katastrophe!
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392. |
Wenn mit dem Wachstum aber die Verpflichtung gekoppelt ist, diese Welt „unseren Kindern“ sauberer und mit besseren Problemlösungen zu übergeben, also besser als wir sie vorgefunden haben, dann lässt sich ohne schlechtes Gewissen mit kontrolliertem Wachstum leben. Das schließt auch ein, kritische Kinder zu erziehen, die beurteilen können, ob das Weitergegebene wirklich gut ist. Daraus könnte dann ein neuer Generationenvertrag entstehen mit Wachstum und einem „Reinhaltungsgebot der Erde“. Aus christlicher Sicht könnte man das auch „Verpflichtung zur Erhaltung der Schöpfung“ nennen. Die Idee von der Erhaltung der Erde gibt es auch in nichtchristlichen Religionen!
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393. |
Dass diese Ideen auch verantwortungsvollen Unternehmern sinnvoll erscheinen, zeigt ein Interview in der Zeit im Juli 2016 mit Maurice Brenninkmeijer, dem damaligen Chairman der Familienholding von C&A. Er kann sich vorstellen, dass wir zu einer hundertprozentigen Kreislaufwirtschaft ohne Abfall zurückkehren. Sein folgendes Statement hat besonderen Charme und sollte uns nachdenklich stimmen: „Das Industriezeitalter hat uns für Jahrzehnte erlaubt, zu ignorieren, was wir in der Natur anrichten, weil die Natur uns keine Rechnung geschickt hat.“([70])
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394. |
Beim Fracking werden Wasser und Chemikalien in den Boden gepumpt, um das dort befindliche unregelmäßig verteilte Gas und Öl leichter fördern zu können. 700 Unternehmen der Wasserwirtschaft und Getränkeindustrie in Deutschland fordern ein Fracking-Verbot, bis wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen und die Risiken bewertet sind. 2013 wurde die „Gelsenkirchener Erklärung“ abgegeben ([71]). In den USA gibt es kein Mineralwasser, das natürlich aus dem Boden geholt wird wie bei uns, es gibt nur aufbereitetes Wasser.
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395. |
Chemikalien werden in den Boden gepumpt, in der Hoffnung, dass nichts davon ins Grundwasser oder in Gewässer und Seen kommt. Das geschieht aber doch. Der Spiegel berichtet 2013 von einem Massensterben seltener Fische in Kentucky und von Warnungen der US-Behörde ([72]). Auch im Kölner Stadt-Anzeiger wurde im September 2012 vor möglichen Risiken gewarnt ([73]). In den USA gibt es viel größere unbewohnte Gebiete als in Europa. Dort werden die Risiken für die Menschen geringer sein. Aber wenn das Gift erst einmal tief in der Erde verteilt ist, lässt es sich auch mit neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen kaum mehr zurückholen. Eine Politik der begrenzten Risiken darf so etwas nicht zulassen.
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396. |
Maria Krautzberger, hat 2014 als Präsidentin des Umweltbundesamtes (UBA), eine 600-seitige Studie zum Thema Fracking vorgelegt und darin geschrieben, dass Fracking auf absehbare Zeit nicht verantwortbar ist ([74]). Bei Probebohrungen drängt sie auf umfangreiche Risikobewertung. Johannes Remmel von den Grünen hat 2016 als NRW-Umweltminister sogar Probebohrungen abgelehnt. Man muss den Nutzen von Probebohrungen kritisch sehen. Im sorgfältig vorbereiteten und sorgfältig durchgeführten Einzelfall wird vielleicht nichts Gefährliches passieren. Aber danach, wenn es eilt, wenn die Sorgfalt abnimmt, wenn Personal und Kontrollen eingespart werden, wenn auch in problematischerem Untergrund gearbeitet wird, dann passieren die Umweltkatastrophen und das konnte dann niemand ahnen.
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397. |
Im Juli 2014 stellten Forscher im Südwesten der USA einen beängstigenden Rückgang des Grundwassers fest. Seit 14 Jahren hat die Region unter extremer Trockenheit gelitten, das macht sich dann auch in Stauseen und im Grundwasser bemerkbar ([75]). In den Regionen der USA, in denen das Grundwasser auf ein bedrohliches Minimum gesunken ist, wäre Fracking der blanke Wahnsinn. Das Grundwasser ist ein wichtiges Reservoir zur Bewässerung der Felder. Hier wird es spannend zu beobachten, wie sich die starken Farmer- und Öl-Lobbys begegnen, die dabei ganz unterschiedliche Interessen haben. Mittlerweile hat Dauerregen die problematische Wassersituation der Region allerdings entspannt.
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398. |
2012 sind beim Shell-Konzern in Wesseling bei Köln ungefähr eine Million Liter Kerosin unbemerkt in den Boden gelaufen ([76]). Shell will und muss vor allem versuchen, diese Flüssigkeit abzupumpen, hat aber bis März 2014 noch nicht viel erreicht. 2012 wurde vom Unternehmen behauptet, da laufe nichts ins Grundwasser. Man kann das Grundwasser aber nicht als homogenen See betrachten, auf dem das Kerosin friedlich schwimmt und auf seine Absaugung wartet. Das Grundwasser steht im Zusammenhang mit dem Rheinspiegel. Zumindest wenn der hoch ist, drückt er Grundwasser in die Höhe. In kleinsten Erdrissen gibt es da langsame Auf- und Ab-Bewegungen des Grundwassers, das sich dann mit den darüber liegenden Flüssigkeiten mischen kann. Shell fühlte sich bei seinen Untersuchungen von der Landesregierung gedrängt und gegängelt.
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399. |
Die Informationspolitik des Unternehmens war katastrophal. Als kritischer Bürger muss man befürchten, dass der „Dreck“ nur sehr unvollständig aus dem Boden entfernt werden kann. In der Raffinerie Wesseling gibt es auch noch weitere marode Leitungen. Und dass so viel Kerosin auslaufen konnte, bis etwas bemerkt wurde, zeigt, dass Kontrollmöglichkeiten fehlten oder missachtet wurden.
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400. |
Nun soll zumindest eine Trasse oberirdisch verlegt werden. „Die oberirdische Variante sei besser, wenn eine intensive, direkte Kontrolle angestrebt werde“ ([77]). Wenn da noch viele marode Leitungen liegen und sich jederzeit neue Störfälle ereignen können, dann muss eine Landesregierung im Sicherheitsinteresse der Bürger diese „intensive, direkte Kontrolle anstreben“, die Shell nicht mag.
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401. |
Mittlerweile hat die nächste Katastrophenmeldung den oben kritisierten unbegründeten Optimismus von Shell widerlegt. Am 7.3.2016 schreibt der Kölner Stadtanzeiger zu dem Thema ([78]): Shell pumpt kaum noch Kerosin ab. Ca. 300.000 Liter wurden bisher abgepumpt, 2/3 der ursprünglichen Kerosinmenge bleiben im Boden, die weiteren Abpumpmengen liegen im Bereich von Badewannen-Füllungen. Man versucht nun Sauerstoff einzupumpen, um Bakterien, die Öl abbauen können, anzuregen. Kurz formuliert: der Dreck bleibt im Boden und wird im Laufe von Jahrzenten ein wenig reduziert. Dafür müsste Shell eine so hohe Strafe bezahlen, dass das Unternehmen alle alten Leitungen so schnell wie möglich prüft und nötigenfalls erneuert.
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402. |
Im Münsterland war im Mai 2014 plötzlich Öl auf einem Weideland ([79]). Darunter liegt ein großer Ölspeicher, der zur nationalen Energiereserve der Bundesrepublik gehört. An diesem war offensichtlich ein Leck aufgetreten. Ca. 15.000 Liter Öl sind ausgelaufen, man rechnet mit einem Schaden im zweistelligen Millionenbereich. Die Energiereserven sind nach der ersten Ölkrise im Jahr 1973 angelegt worden, das Lager ist also erst 40 Jahre alt und schon defekt. |
403. |
Oberirdisch ist offensichtlich kein Warnhinweis auf die Ölreserve angebracht. Es fehlt die Information, an wen man sich wenden muss, wenn etwas Auffälliges beobachtet wird. Wir sind zwar ein Land mit hochtechnologischem Anspruch, aber nach so kurzer Zeit gehen die für sehr lange Dauer geplanten Anlagen kaputt und kein Mensch ahnt, was da los ist. Was soll da erst mit den Atomendlagern passieren, die Zigtausende von Jahren halten sollen. Müssen jetzt alle anderen Öllager überprüft werden oder nur die, die dieselbe Firma gebaut hat? Oder ist die Politik froh, wenn das Thema aus dem Medien-Fokus verschwunden ist, und lässt dann alles auf sich beruhen. Es wäre schon wichtig, die Ursache zu ermitteln. Es könnte sich auch um bergtechnische Schäden handeln und die Firma, die das Lager vorbereitet und gefüllt hat, hätte keinen Fehler gemacht. Aber dann müssten weitere bergtechnische Untersuchungen durchgeführt werden.
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404. |
Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom April 2014 ([80]) nimmt die Nitrat-Belastung unserer Trinkwasser-Reservoire zu. Zum Beispiel liegt der Nitratwert an 16 Messstellen des Wasserwerks Großkneten in Niedersachsen bei fast dem Doppelten des zugelassenen Grenzwerts von 50 Milligramm pro Liter Wasser. Auch aus Oldenburg kommen Warnungen. Überall da, wo Massentierhaltung stattfindet, wird zu viel Gülle auf die Felder verteilt. Und die Schadstoffe sinken im Laufe von 5 bis 30 Jahren in die Erdschichten, aus denen das Grundwasser abgezogen wird.
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405. |
Die Biogasgewinnung verschärft das Problem noch, da Gärreste unbegrenzt auf die Felder gekippt werden dürfen. Sie enthalten aber auch zu viel Nitrat. Und morgen haben wir das Problem im Trinkwasser und müssen eine teure Wasseraufbereitung betreiben. Leichter und preiswerter wäre es, die Schadstoffe erst gar nicht auf die Böden auszutragen. Der Bauernverband stemmt sich gegen eine Einschränkung der auf die Felder ausgebrachten Mengen. Es sollte eine innovative Nitratabscheidung entwickelt werden, sodass kein oder nur noch wenig Nitrat in den Boden gelangen kann. Dazu müsste die Gülle vermutlich in Spezialbetriebe transportiert und dort bearbeitet werden.
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406. |
Vielleicht bräuchten die Bauern kluge Verbandsfunktionäre, die nicht nur bei der Einschränkung der Güllemengen protestieren, sondern auch Fortschritte bei der Gülle- und Gärreste-Aufbereitung fordern und fördern. Wenn die Nitrate entfernt sind, könnten die Bioabfälle vielleicht unbedenklich ausgetragen werden. Hoffentlich wird nicht als nächstes eine Beseitigung der Hormon- und Antibiotika-Rückstände notwendig. Bei der Tierhaltung werden zu viele Hormone und Antibiotika eingesetzt, die sich in der Gülle wiederfinden.
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407. |
Da wird eine Politik der begrenzten Risiken gebraucht. Diese Politik soll nicht nur verbieten und vorschreiben, sie muss den Bauern auch klarmachen, dass sauberes Wasser im Interesse aller Bürger liegt, auch im Interesse ihrer Familien. Und da Nitrate neben sonstigen bekannten Schäden auch im Verdacht stehen, Krebs zumindest mit zu verursachen, ist auch Forschung in diesem Bereich wichtig, um die Bauern zu überzeugen. Vor allem müssen kluge Bäuerinnen, die um das Wohl ihrer Kinder und Enkel besorgt sind, überzeugt werden.
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408. |
Neben vorhersehbaren Gefahren gibt es auch noch unvorhersehbare. So musste der Gouverneur des US-Bundesstaates Ohio im August 2014 den Notstand ausrufen, weil Gift von Algen aus dem Eriesee in das Trinkwasser gelangt war ([81]). Hunderttausende waren betroffen, das Gift kann Leber und Niere schädigen. Man fragt sich, wieso dieses Gift bei der Wasseraufbereitung nicht herausgefiltert wurde. Vielleicht müssen erst neue Filter entwickelt werden.
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409. |
Unabhängig von der Ursachenermittlung musste die Nationalgarde in Ohio mithelfen, die Bevölkerung mit Wasserflaschen zu versorgen, weil im Handel eine Wasserknappheit entstanden war. Noch lässt sich nicht beurteilen, ob es ein großes Problem sein wird, das Gift aus dem Leitungswasser zu entfernen. Aber es sollte uns sensibel dafür machen, dass wir mit unserem Leitungs- und Grundwasser sorgsam umgehen müssen.
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410. |
Die Firma Bayer will eine unterirdische 67 km lange Leitung von Dormagen nach Krefeld-Uerdingen betreiben, zum Transport von giftigem Gas Kohlenmonoxid (CO). Die Rohrleitung geht durch Duisburg, Ratingen, Düsseldorf usw. und ist schon fertig! 2016 fehlte noch die Zulassung und es gibt noch offene Fragen, die mit dem NRW-Umweltministerium geklärt werden müssen. Die kritischste Frage ist aber folgende: Kann die CO-Produktion am Zielort nicht so erhöht werden, dass man die Leitung gar nicht braucht? Die Landes-CDU forderte, die Regierung solle sich aus unternehmerischen Entscheidungen von Bayer heraushalten. Wenn aber durch eine unternehmerische Entscheidung eine Gefährdung der Öffentlichkeit entsteht, dann darf sich keine Regierung raushalten!
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411. |
Jetzt kommt ein kleiner gedanklicher Sprung. Sollte man den Bayer-Spezialisten nicht die Möglichkeit geben, die Kerosin-Leckage bei Shell in Wesseling zu untersuchen und sie anschließend argumentieren lassen, wieso ein vergleichbarer Störfall bei der neuen CO-Leitung nicht auftreten kann. Und wenn das nur in den ersten 50 Jahren ausgeschlossen werden könnte, dann müsste Bayer die Leitung nach 50 Jahren stilllegen und wieder ausgraben. Diese Kosten und Rückbau-Komplikationen gehören dann aber mit zur Kosten/Nutzen-Rechnung der Pipeline.
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412. |
Produktsicherheit für die Menschen kann man etwas vereinfachend am Beispiel der PET-Kunststoffflaschen erklären. Coca-Cola ist seit Jahren ein starker Promoter der PET-Flaschen; das macht den Nutzen für die Allgemeinheit aber eher undurchsichtig. Das geringere Gewicht und die geringere Zerbrechlichkeit sind große Vorteile für ältere Menschen, genauso auch für den Transport. Erwiesen ist, dass Flüssigkeiten in PET-Flaschen (= Polyethylenterephthalat) einen unangenehmen Geschmack annehmen können, dies meistens aber nicht tun. Bei der PET-Herstellung wird Antimon(III)-Oxid als Katalysator verwendet. Dieser Stoff steht im Verdacht, kanzerogen zu sein. Er wird in Kleinstmengen in den Flaschen gefunden. Außerdem gibt es ein Schneckenexperiment, das einen Einfluss von Wasser aus PET-Flaschen auf die Fertilität von Schnecken zeigt, das deutet auf eine hormonartige Wirkung hin. Es wird nicht durch den Kunststoff PET selbst kommen, aber woher kommen die Zusätze und welche sind es? Es reicht natürlich nicht, wenn Getränke-Unternehmen sagen, das kommt alles nur in unbedenklichen Mengen vor. Bei der Überprüfung müssen Gesundheitsämter federführend sein, nicht industrielle Nutznießer.
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413. |
Wenn man aber so radikal wäre und alle Stoffe vom Markt fernhielte, die nur in geringen Mengen giftig sind oder im Verdacht stehen, es zu sein, dann würde man zumindest Innovationen verhindern, vielleicht sogar den Ablauf unseres täglichen Lebens stören. Aber wenn kritische Punkte auftauchen, die nicht kurzfristig geklärt werden können, müssen Staat und industrielle Produktnutzer die Forschung intensivieren, um wieder Sicherheit herzustellen. Ein Abwarten, bis es irgendwo knallt, macht die Bürger unzufrieden mit der Politik und den Konzernen. Resümee: Es kostet Geld, sich um die Sicherheit der Bürger bei Produktinnovationen zu kümmern, unsere Zukunft wird auch deshalb teurer und komplizierter.
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414. |
Die Probleme mit Produkten wie PET-Flaschen sind geradezu geringfügig gegenüber denen bei Gentech-Getreide. Wenn wir die Probleme mit den PET-Produkten nicht in den Griff bekommen, würde es wie mit PCB- oder Asbest-Produkten geschehen: sie werden verboten. Dann ist es natürlich wichtig, dass Firmen wie Coca-Cola nicht mithilfe eines geplanten Abkommens (TTIP?) Milliardenforderungen an Deutschland stellen können. Bei einem Verbot von Gentech-Produkten könnten diese aber gar nicht mehr vollständig aus einem Land entfernt werden, sie wären längst biologisch in Nachbarfelder eingedrungen. Wenn man ihre Spuren dann überhaupt noch entfernen könnte, wäre es sehr teuer.
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415. |
Teer und Pech sind in Westdeutschland seit den 1970er Jahren zur Verwendung im Straßenbelag verboten, da sie Hautkrebs erzeugen können. Nach Schätzungen des Bundesrechnungshofs gibt es in deutschen Straßen noch 1000 Millionen (tausend Millionen!) Tonnen teer- und pechhaltigen Asphalt! Wenn davon betroffene Straßen erneuert oder ausgebessert werden, entsteht Sondermüll, der nicht wieder mitverwendet werden darf. Aber genau diese Weiterverwendung passiert im Regelfall. Die Prüfer des Bundesrechnungshofs warnten 2014 vor hohen Folgekosten für den Bund ([82]). Hier soll nur darauf hingewiesen werden, welche Gesundheitsgefahren noch so vor sich hinschlummern. Jedem ist klar, dass wir die betroffenen Straßen nicht kurzfristig erneuern können. Hier verbergen sich weitere hohe Kosten und Risiken für unsere Welt von morgen.
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416. |
Ein wichtiger Aspekt der Sicherheit ist die Sicherheit der Bürger vor Terrorismus und Kriminalität. Aber auch sehr wichtig ist die Sicherheit der Bürger vor unkontrollierter und illegaler Überwachung durch Staat, Geheimdienste, private kriminelle Späher und IT-Technologie. Für die Industrie ist der Schutz vor Industriespionage wichtig. Ich glaube, dass hier eine ganz breite Diskussion ausgelöst werden muss. Ich bezweifle, dass US-Amerika dabei viel Positives beisteuern wird, da dieses Land durch die Ereignisse vom 11. September 2001 verständlicherweise traumatisiert ist. Deshalb akzeptieren die US-Bürger bereitwillig eine umfangreiche staatliche Überwachung.
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417. |
Ich erinnere mich noch an eine gesamtfamiliäre Empörung, als ein pazifistisches Mitglied der Familie in Fußballfanbekleidung am Betreten eines Nachbarlandes gehindert wurde. Niemand konnte sich vorstellen, dass da alles mit rechten Dingen zugegangen war. Alle waren empört. |
418. |
Welchen korrekten Ablauf könnte man sich in so einem Fall vorstellen? Die Polizei oder andere Sicherheitskräfte, die jemanden zurückschicken oder am Zugang hindern, müssten dem Betroffenen eine schriftliche Bestätigung des Vorfalls mit Identifikation der betroffenen Ordnungshüter geben. Mit dieser Unterlage sollte der Zurückgeschickte zu Hause bei der Polizei Auskunft zu den von ihm gespeicherten Daten verlangen können. Bei akuter Fahndung müsste es vermutlich eine Auskunftsverweigerung geben. Im Regelfall würde dem Betroffenen dann mitgeteilt, wieso man ihn zurückgeschickt hat. |
419. |
Es könnte ja auch sein, dass er einmal alkoholisiert zu einem Fußballspiel gefahren ist, dort Krawalle aufgetreten sind und er sich nicht mehr so genau erinnert. Wenn ihm das mitgeteilt würde, könnte er den Staat und seine Ordnungskräfte nicht mehr beschimpfen. Wenn er sich nach dem warum seiner unakzeptablen Behandlung gar nicht erkundigen würde, würde jeder vermuten, dass er schon weiß warum.
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420. |
Solche Möglichkeiten würden den Staat komplizierter und teurer machen, aber: 1. Die Bürger würden merken, dass sie es nicht mit einem anonymen Moloch Staat zu tun haben. 2. Die Ordnungshüter würden sehen, dass die Bürger in solchen Fällen ein Recht auf Information haben. 3. Es gäbe dann die Möglichkeit, Irrtümer festzustellen und daraus zu lernen.
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421. |
Wie unzuverlässig und unsolide die Geheimdienste manchmal arbeiten, haben wir beim NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und die rechtsradikalen Morde von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erfahren. Die geheimen „Schlapphüte“ sind ja nicht gewohnt wie Naturwissenschaftler ihre Experimente mit großer Exaktheit zu beobachten und zu dokumentieren. Sie erkundigen sich bei seriösen und unseriösen Leuten nach Erinnerungen und Gerüchten und konstruieren daraus ein Geschehen. Im Krimi kommen sie dabei erfreulicherweise immer auf die richtige Spur, im realen Leben liegen sie aber oft daneben. Als kritischer Bürger muss man immer wieder nach dem Nutzen solcher Ermittlungen fragen, weil die Geheimdienstler die normale Arbeit der Polizei – durch Auskunftsverweigerung und V-Leute – sogar behindern.
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422. |
Der Historiker Prof. Jost Dülffer hat in seinem Buch „Geheimdienst in der Krise …“, aus dem der Kölner Stadtanzeiger im August 2018 zitiert ([83]), die Rolle der „Organisation Gehlen“ als Schaumschläger und Wichtigtuer abqualifiziert. Sie müssen die Ergebnisse ihrer Arbeit nicht vor einer kritischen Öffentlichkeit präsentieren.
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423. |
Die Bürger billigen ihrem Staat und seinen Sicherheitskräften in einer unsicheren Welt massive Befugnisse zu. Aber in Zweifelsfällen sollte der Bürger ein über das heutige Maß hinausgehendes Recht auf Begründung und Information haben. Das wäre dann ein erfreuliches Stück Weiterentwicklung der Demokratie.
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424. |
14. Politik der guten Nachbarschaft
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425. |
Seit ich kritisch zu denken begann, habe ich mich gefragt, wie in den 1930er Jahren in Deutschland ein Regime legal an die Macht kommen konnte, das später Millionen europäische Menschen ermorden ließ. Das ist auch eine Frage, die unsere europäischen Nachbarn noch heute stark interessiert und berührt. Wir Deutschen sollten nie vergessen, dass diese Frage bisher nicht befriedigend beantwortet ist und vermutlich nie ausreichend beantwortet wird. Da ist rücksichtsvolle Politik unverzichtbar. „Deutschland first“, vergleichbar mit dem Motto des amerikanischen Präsidenten Donald Trump „America first“, würde die Idee Europa zerstören!
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426. |
Unter Politik der guten Nachbarschaft verstehe ich das Bemühen um ein friedliches kreatives Zusammenleben mit den Nachbarstaaten. Schwerpunkte und Ziele der Nachbarn, die von denen des eigenen Landes abweichen, sollten als kreative Alternativen angesehen werden, die Probleme der Welt zu lösen. Bei Nachbarn, die EU-Mitglieder sind, sollte auch eine langfristige Trennung von EU-Mitgliedschaft und Zugehörigkeit zum Euroraum akzeptiert werden. Eine belehrende Politik sollte vermieden werden.
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427. |
Als negatives Beispiel dazu kann folgendes dienen: Wenn der Eindruck entsteht, die wohlhabenden Deutschen wollen den armen Griechen vorschreiben, wie sie zu wirtschaften und zu leben haben, führt das zu emotionaler Entfremdung europäischer Nationen. Das sind eventuelle ökonomische Vorteile der Kooperation nicht wert! Außerdem sollte man die schwierige und lange Wegstrecke zu gut funktionierenden Rechts- und Wirtschafts-Institutionen nicht unterschätzen. Acemoglu & Robinson sehen den Zustand dieser Institutionen in ihrem Buch „Warum Nationen scheitern“ als Hauptkriterium des wirtschaftlichen Erfolgs an. Demnach bräuchten die Griechen nicht ein paar Milliarden Euros und dann wäre ihr Problem gelöst. Nein, diese Milliarden kämen ohne Änderung der Korruptionsanfälligkeit und Effizienz der Institutionen in die falschen Hände und weder der griechische Staat noch die griechische Wirtschaft wären saniert.
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428. |
Die Aufnahme Griechenlands in die EG, die damals noch nicht EU war, hatte offensichtlich wenig mit den damals zur Bewerbung abgelieferten falschen Zahlen zu tun. Der Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte in einem „Zeit“-Interview (zusammen mit Joschka Fischer) vom 28. November 2013, dass der Satz „Nichts ohne Frankreich“ für ihn Leitidee und Grundsatz war und dann weiter: „Ich war nicht der Meinung, dass Griechenland reif war, in den gemeinsamen Markt aufgenommen zu werden, aber Giscard war überzeugt, er sagte: „Jetzt haben die aus eigener Kraft die Militärdiktatur abgeschafft. […] jetzt müssen wir ihnen dadurch beistehen, dass sie uns beitreten“. „Diese Position macht heute auch noch Sinn für mich.“ ([84]) Giscard d’Estaing war 1974-1981 französischer Präsident und ein persönlicher Freund des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt.
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429. |
Griechenland zu helfen, war aus europäischer Sicht notwendig. Ob aber die EG-Aufnahme die beste Form der Hilfe war, das kann man anders einschätzen. Seit 2010 gab es viele, die Griechenland wieder aus dem Euroraum hinauskomplimentieren wollten. Ich kann mir sogar vorstellen, dass das keine schlechte Lösung gewesen wäre, aber keine billige Lösung für Europa! Ein Schuldenerlass wäre nötig geworden, der würde die Verluste in den Geberländern kurzfristig sichtbar werden lassen und genau das fürchten die Politiker. Die Europäische Zentralbank hätte längerfristig verhindern müssen, dass Griechenlands neue Währung zum Spielball der Spekulanten würde. Das wäre auf jeden Fall kompliziert und teuer geworden.
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430. |
Für die langfristige Entwicklung des griechischen Staates zum Wohlstand hätte die finanzielle Eigenständigkeit sogar besser sein können als immer nur mitgeschleppt zu werden und die Möglichkeit zu haben, die Schuld für die eigene Misere Europa anzulasten. Als 2013 Puppen mit dem Gesicht der damaligen Bundeskanzlerin Merkel in Athen verbrannt wurden, deutete das auf den leichten Weg hin, andere für eigene Fehler und eigene Korruption verantwortlich zu machen.
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431. |
Ein Blick auf Italien zeigt ein anderes Problem. Die Zentralregierung in Rom hat in der Vergangenheit viele Investitionen und Förderprogramme im Süden getätigt. Viel genützt hat es nicht. Anhänger der Lega Nord würden sogar eine Trennung des Staates riskieren, weil sie keine Möglichkeit sehen, den Süden auf den Pfad der ökonomischen Tugend zu bringen. Europa hat aber – zumindest indirekt – den Anspruch, unterschiedliche Lebensformen zu integrieren. Daraus folgt etwas überspitzt formuliert: Was das einzelne EU-Land Italien nicht geschafft hat, will die EU ohne Ahnung vom Detail schaffen? Das hört sich sehr weltfremd an. Dann könnte Italien die Hände in den Schoß legen und auf das unfähige Europa schimpfen. Auch das spricht gegen ein zentralistisches Europa. Wenn Süditalien aber erleben würde, dass der benachbarte Adria-Anrainer Kroatien unter einem „europäischen Dach“ wohlhabender würde, dann würden die Leute sagen: „Wie kann das gehen, das wollen wir auch.“ Weder Rom noch Brüssel sind hierbei geeignete Vergleichsmaßstäbe und Vorbilder.
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432. |
In Frankreichs Süden gibt es auch eine starke emotionale Barriere gegen die Zentrale in Paris. Die ungeliebte Zentrale Paris gegen die nicht beliebtere Zentrale Brüssel zu tauschen, macht keinen Sinn. Als ich in Südfrankreich bei einem umfangreichen Einkauf einer Einheimischen mit Erzählungen und längerem Aussuchen zwischendurch mal schnell ein Baguette rechtzeitig zum Frühstück kaufen wollte, wurde mir klargemacht, dass ich auch noch drankommen werde und dass wir im Süden (von Frankreich) seien. Und dort ticken die Uhren anders als im Norden, nämlich persönlicher und langsamer.
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433. |
Die Wichtigkeit der guten Nachbarschaft bedeutet für mich im Umkehrschluss, dass wir uns beim militärischen Engagement von entfernten Nichtnachbarn – z.B. Afghanistan oder Afrika – zurückhalten sollten. Im Fall von Afghanistan hat die Bundeswehr –zusammen mit den Amerikanern- am 31. August 2021 ihr militärisches Eingreifen beendet. Den deutschen Steuerzahler hat dieses Eingreifen einschließlich der zivilen Hilfen über 17 Milliarden Euro gekostet. Die Übergabe des Landes an die Taliban dauerte nur ein paar Tage, ohne irgendeine Verteidigung durch die afghanischen Streitkräfte, die die Bundeswehr jahrzehntelang ausgebildet hat. Die meisten Bürger, auch die Politiker, verstehen die kulturellen Eigenarten und Probleme der fernen Regionen nicht, können die Bestechlichkeit nicht beurteilen und können nicht nachvollziehen, was mit ihrem Geld dort geschieht. Wessen Sicherheit dort zum Beispiel von der Bundeswehr gewährleistet wurde und was passiert, wenn die Bundeswehr abzieht. Das sehen sogar Soldaten, die vor Ort gedient haben, sehr kritisch. Unsere Freiheit wurde nie am Hindukusch verteidigt und unsere Freiheit soll dort auf gar keinen Fall verteidigt werden!
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434. |
Der Kölner Stadt-Anzeiger hat im Februar 2012 aus Afghanistan berichtet. Dort hatte die Bundeswehr Brunnen in der Nähe von Orten gebaut. Einheimische Frauen haben diese mit Fäkalien unbrauchbar gemacht, weil sie lieber zu den weiter gelegenen Brunnen gehen wollten. Sie wollten dort ihren Spaß haben und in dieser Zeit ihren „heimischen Diktatoren“ entgehen. So eine Meldung kann ein schockierender Einzelfall sein. Aber er zeigt, dass man viel über die Mentalität der Menschen wissen muss, denen man Wohltaten bringen will; und er zeigt, dass die Bundeswehr dieses Wissen nicht hat. Man muss mit den Männern und Frauen vor Ort sprechen können und nicht nur mit den örtlichen Führern, das sind dort nur Männer. Ein aktueller Bericht kam von der Soldatin Dunja Neukam, von Beruf Krankenschwester, die 4mal in Afghanistan war. Ihr Resümee beim Bundeswehr-Abzug 2021: was waren wir blauäugig!([85]) Sie sieht nur sehr kleine Erfolge, denen aber immense Kosten, tote Soldaten und solche mit traumatischen Folgeproblemen gegenüberstehen. 59 deutsche Soldaten sind dort bei Einsätzen oder Anschlägen gestorben.
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435. |
Es gibt islamische Länder, in denen Frauen studieren können, z.B. im Iran. In Afghanistan sollen aber bereits Mädchen aus religiösen Gründen nicht mehr in die Schule gehen. Da liegen auch in muslimischen Ländern Jahrhunderte der Entwicklung zwischen den einzelnen Richtungen, da wollen wir doch nicht Lehrmeister oder Vermittler spielen. Und das, obwohl klar ist, dass ohne gut ausgebildete Mütter kein moderner, wohlhabender Staat entstehen kann. Aber das müssen die Menschen in den fernen Ländern schon selber erkennen, selbst wenn es noch Jahrhunderte dauern sollte.
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436. |
Die UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC) ist bereits 2003 von Deutschland unterzeichnet worden. Ein entsprechendes Gesetz ist aber erst im Februar 2014, also mehr als 10 Jahre später, im Bundestag verabschiedet worden. Die UN-Konvention ist natürlich nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. Deutschland ist zum Glück nicht auf jedes Außenhandelsgeschäft angewiesen, wie es vielleicht ärmere Länder sind. Denen fällt dann ein Verzicht auf Korruptionsgeschäfte viel schwerer ([86]). Der Widerstand gegen die UN-Konvention gegen Korruption dauerte in unserem Parlament über zehn Jahre. Das kann nur so interpretiert werden, dass Korruptionsgeschäfte für deutsche Parlamentarier lange Zeit wichtiger waren als die Bekämpfung der Korruption.
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437. |
Entwicklungen in Europa. In Europa gibt es starke dezentrale Kräfte der Regionalisierung. Diese können sogar zum Auseinanderbrechen der alten Staaten führen, was mit der Tschechoslowakei bereits passiert ist. Das könnte sich in Belgien wiederholen, wenn dort kein kluger Ausgleich zwischen Flamen und Wallonen gelingt. Aber auch in Spanien gehen die Interessen zwischen Katalanen und dem Rest Spaniens auseinander. Die Eigenständigkeitsbestrebung der Basken kommt dort noch hinzu. In Italien schwelt der Nord-Süd-Konflikt schon lange und hat zu einer eigenen starken Nordpartei geführt. In Großbritannien hat Schottland eine Volksbefragung zur Selbständigkeit von London durchgeführt. In Deutschland zeigen sich regionale Interessenunterschiede in der Diskussion um den Länderausgleich, der auf den Prüfstand des Verfassungsgerichts gestellt wurde.
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438. |
Andererseits bilden sich auch neue Interessengemeinschaften, wie in der Rhein-Maas-Region, bei den Mittelmeer-Anrainern und bei den Nordischen Staaten. Sowohl für regionale Besonderheiten als auch für neue Kooperationen könnte EU-Europa eine gute Klammer oder ein nützliches Dach sein.
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439. |
Die schon länger zurückliegende Auseinandersetzung um Südtirol hatte neben historischen Wurzeln eine Ursache darin, dass Italien im Ersten Weltkrieg zu den Entente-Staaten wechselte, die Italien für den Fall des Sieges Südtirol zugesprochen haben. Österreich sollte Kontrollmacht bei der Umsetzung eines Integrationsplans sein. 2013, also fast 100 Jahre später, erklärte Österreich, dass alle Punkte erfüllt sind und das Projekt somit erfolgreich abgeschlossen ist. Es war ein langer Weg dorthin, einschließlich einer Hitler-Mussolini-Vereinbarung und einschließlich jahrelanger terroristischer Aktivitäten nach dem Zweiten Weltkrieg in Südtirol. Vielleicht kann man eine historische Entwicklung bei beiderseitigem gutem Willen abkürzen, aber man braucht viel Geduld. Hoffentlich lässt sich das Ukraine-Problem im Vergleich dazu abkürzen. Vielleicht könnten Italien und Österreich gute Vermittler sein.
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440. |
Ich bin sehr skeptisch gegenüber einem Begriff wie Vereinigte Staaten von Europa. Da sollte man den grausamen amerikanischen Bürgerkrieg (= Sezessionskrieg 1861-65) vor Augen haben, der über eine halbe Million Tote gefordert hat. Er wurde zum Erhalt der Union geführt und nicht etwa zur Abschaffung der Sklaverei, das war nur ein Nebeneffekt! Der Satz „Lincoln set the negroes free“ hat erst im Nachhinein eine historische Dimension bekommen. Lincoln hätte damals gerne auf die Freiheit der Schwarzen verzichtet, wenn er die staatliche Einheit ohne Krieg erreicht hätte.
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441. |
Die Sowjetunion ist ein Beispiel von vielen dafür, dass eine Staatenvereinigung nicht geklappt hat. Die ganze europäische Geschichte ist eine Geschichte von Zusammenschlüssen, die wieder aufgelöst wurden. Es begann mit dem Römischen Reich. Willkürlich herausgegriffene weitere Beispiele waren das Fränkische Reich und die Österreichisch-Ungarische Doppelmonarchie, das Spanische Habsburgerreich und viele andere. All diese Zusammenschlüsse beruhten auf machtpolitischen Entscheidungen, die weder in den Köpfen noch in den Herzen der betroffenen Menschen verankert waren. Eine solche Verankerung zu erreichen, dauert auf jeden Fall lange. Wir erleben ein solches Zusammenwachsen im Kleinen in Nordrhein-Westfalen. Die Zusammenlegung des Rheinlands mit Westfalen hat die Besatzungsmacht England nach dem Krieg vollzogen, ohne Volksbefragung. Obwohl die Menschen die unterschiedlichen Mentalitäten beider Volksgruppen betonen, wird das Bundesland NRW nicht mehr in Frage gestellt. Allerdings haben beide Partner dieselbe Sprache, da fällt ein Kompromiss leichter.
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442. |
Der Soziologe Wolfgang Streeck sagt: „Gesellschaftliche Demokratie ist ohne staatliche Souveränität in dieser Welt nicht zu haben.“([87]) Das heißt konkret: Vorsicht damit, staatliche Souveränität an eine europäische Zentrale abzugeben und dann erstaunt sein, dass die Demokratie in den Einzelstaaten nicht mehr richtig funktioniert!
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443. |
Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja, die 1977 in Moldawien geboren wurde, das damals zur UdSSR gehörte, hat in Wien gelebt und studiert. Nun lebt sie in Bern und arbeitet international; sie fühlt sich als Europäerin. Aber dennoch sagt sie: „Mein Heimatgefühl ist mein Heiligtum, ich hüte es wie eine Kerze in einem Kristallglas. Es ist das Zerbrechlichste und Stärkste, was es gibt“.([88]) Tief in ihrem Herzen ist nicht Europa verankert und wird es auch nicht sein, sondern Moldawien, die alte Heimat ihrer Kindheit. Und vergleichbar wird es bei vielen sein.
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444. |
Der „Die Zeit“-Autor Reiner Luyken lebte 2014 seit 35 Jahren in einem kleinen Ort in Schottland. Er spürt in letzter Zeit einen Klimawandel gegenüber Fremden und Fremdem: „Der aufklärerische Impetus ist einem Sehnen nach Zugehörigkeit, nach Abgrenzung und Ausgrenzung gewichen – einer Nostalgie, die in Abstufungen das gesamte Königreich ergriffen hat, von links bis rechts, von ökologisch gesinnten Anhängern gemeindlicher Selbstbesinnung bis zu liberalen Apologeten eines „progressiven“ Patriotismus.“ ([89]) Luyken zitiert noch den Labour-Politiker Jon Cruddas: „Loyalität und Treue sind lokal, alltäglich und bestimmt, nicht universal, abstrakt und allgemein.“ So ist auch die schottische Bewegung „weg von Großbritannien, weg von London“ zu verstehen.
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445. |
Die Globalisierung der Welt erzeugt Angst, die Angst von gewissenlosen Finanzhaien und von ihnen bestochenen oder hilflosen Politikern in globale Katastrophen wie 2008 gesteuert zu werden. Dagegen hilft vor allem regionales Gegensteuern mit Leuten, die man kennt und denen man vertraut, die man gewählt hat, die man notfalls beschimpfen und abwählen kann. Und deren Finanzgebaren eher dem „Ideal des ehrbaren Kaufmanns“ entspricht als einer Zocker- und Spielkasino-Mentalität ohne Verantwortungsgefühl. Da muss die Europäische Union aufpassen, nicht zum Symbol einer gewissenlosen Globalisierung zu werden. Der amerikanische Ex-Außenminister Henry Kissinger hat eine andere, nicht weniger beängstigende Beschreibung von Globalisierung: „Globalisierung ist nur ein anderes Wort für US-Herrschaft“ ([90]). Kissinger war außenpolitischer Berater vieler US-Regierungen, da dürfte seine Beschreibung bedrohlich nahe an die Realität herankommen.
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446. |
Der Hamburger Ökonom Thomas Straubhaar meint zur Globalisierung: „Der klassische Güterhandel ist ein Auslaufmodell“. Straubhaar war bis 2014 Präsident des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und hat danach in einer Auszeit die Welt bereist. Sein kritischster Satz lautet: „Das Versprechen, dass die Globalisierung zum Vorteil aller ist, haben die Industrieländer nicht einlösen können“ ([91]). „Es kann ökonomisch nicht nachhaltig sein, Standardgüter zentral herzustellen und sie um die halbe Welt zu transportieren. Künftig wird wieder mehr vor Ort produziert, näher am Kunden.“ Wenn der europäische Verbraucher kritischer gegenüber Gentech-Lebensmittel ist als der amerikanische, kann keine Globalisierung diesen Unterschied beschönigen und auch kein TTIP-Vertrag die Menschen umstimmen. Der kritische Verbraucher will den Produzenten auch deshalb in der Nähe haben, um Missbrauch und Verstoß gegen die Gesetze vor eigenen Gerichten bestrafen zu können. Wenn Lebensmittel um die halbe Welt transportiert werden, bieten sich betrügerische Ausreden geradezu an: wer will dann schon wissen und nachweisen, wo Gifte und ähnliches in die Versorgungskette gelangt sind. Wen will man dann dafür verantwortlich machen? Und selbst wenn man die Übeltäter irgendwo in der Welt ausfindig machen könnte, was könnte man ihnen tun? Denselben Schutz vor unverantwortlichen Lieferanten brauchen selbstverständlich auch die Entwicklungsländer, die beispielsweise von uns hier unverkäufliche Geflügelteile in einem bisweilen schlechten Zustand aber billig importieren und damit einheimische Produzenten ruinieren und die Gesundheit ihrer Mitmenschen gefährden.
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447. |
Selbst in ganz anderen Bereichen gibt es mittlerweile eine Bevorzugung des lokalen, regionalen. Das Stadtparlament von Florenz hat 2016 beschlossen, dass Restaurants in der historischen Altstadt mindestens 70% Waren verwenden müssen, die aus der Umgebung von Florenz kommen ([92]). Die italienische Zauberformel dabei heißt „Chilometro Zero“; übertragen heißt das „Null Kilometer Transportweg“. Das Ziel ist, frischere Waren zu haben und weniger Belastung mit Giftstoffen. Bisher wird die Frische und gesundheitliche Unbedenklichkeit allerdings nur gefordert, nicht überprüft. Nach einem gravierenden Missbrauch könnten aber schnell Kontrollen eingeführt werden. Auch verbunden mit der Drohung, dass Hersteller, die betrügen, ihre Betriebsgenehmigung verlieren. So etwas könnte außerhalb der Region niemals durchgesetzt werden. Etwas ketzerisch angefügt: das würden Anwaltsbüros in Rom oder sogar New York bestimmt verhindern, denen es nur ums Geld geht, die zu Florenz keinen Bezug und kein Verantwortungsgefühl für die Menschen dort haben.
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448. |
Auch müsste stark eingeschränkt und gut kontrolliert werden, wenn Müll in Nachbarstaaten entsorgt wird. Es gibt sicher Fälle, wo das ökonomisch und ökologisch sinnvoll ist. Es gibt aber auch den Fall, wo sich Deutsche beklagen, dass hier niederländische Gülle auf unseren Feldern ausgebracht wird und dann hier die Nitratwerte im Grundwasser zu hoch werden und das Nitrat bei der Wasserentnahme aufwendig herausgefiltert werden muss. Wenn unser Atommüll im englischen Sellafield aufbereitet und reduziert werden kann, ist das zu begrüßen. Aber den Restmüll, der Jahrtausende lang eingelagert werden muss, den müssen wir fairerweise zurücknehmen und in Deutschland einlagern. Und dann muss überlegt werden, ob die Sellafield Gastaufenthalte mit aufwendigen gefährlichen Transporten überhaupt sinnvoll sind.
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449. |
Innerhalb des Themas „Politik der guten Nachbarschaft“ ist der Umgang mit China einer der heikelsten Punkte. Der Idee einer „Neuen Seidenstraße“ könnte beiderseitige Vorteile bringen. Aber der von Parteichef Xi Jinping gerne verwendete Begriff der Einheitsfront ist wesentlich aggressiver und bedrohlicher. Im Bericht vom 3.7.2021 in ntv.de beschreibt Marcel Grzanna([93]) China als sehr aggressiv, egozentrisch und undemokratisch. Davor müssen wir große Sorgen haben und sollten wachsam sein. Die Tatsache, dass sich der Konflikt zwischen China und den USA verschärft, muss unsere Sorgen noch steigern.
Das Thema Europa des folgenden Kapitels gehört natürlich auch zur Politik der guten Nachbarschaft. Es ist aber wegen des Umfangs und seiner Bedeutung in diesem Buch ein eigenes Kapitel geworden.
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450. |
15. Europa
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451. |
Eine positive Entwicklungsmöglichkeit von Europa soll einmal kurz vorgestellt werden. Dieses Buch basiert auf der Idee: mehr Demokratie wagen. Mehr Demokratie heißt mehr Bürgerorientierung und Bürgerbeteiligung und damit mehr Dezentralisierung der Entscheidungen. In der EU gilt offiziell das Subsidiaritätsprinzip. Das bedeutet, dass alles so dezentral wie möglich gemacht werden soll. Die EU erzeugt aber laufend mehr Zentralisierung. Man hört nie davon, dass Entscheidungen rückverlagert werden. Da ist ein Zielkonflikt erkennbar. Deshalb ist meine Forderung und Hoffnung, dass sich die Zentrale künftig viel bewusster dort heraushält, wo etwas dezentral besser oder auch nur annähernd gleichgut erledigt werden kann.
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452. |
Europa sollte eine kontinentale Gemeinschaft sein, die Macht nur dort an sich zieht, wo es dezentral nicht klappt und die die Macht so bald wie möglich wieder abgibt, wenn dezentrale Regelungen ausreichen. Zentrale Macht ist da akzeptabel, wo sich durch die Zentralisierung für möglichst viele Menschen Vorteile ergeben. So eine organisatorische Idee könnte man aber schlecht „Vereinigte Staaten von Europa“ nennen, eher schon „Europa der Vaterländer und der Regionen“ oder schlicht und einfach: „Unser Dach Europa“. Seine Organisationsform entspräche dem Führungsprinzip „Management by exception“, was so viel bedeutet wie „Eingreifen nur in den Ausnahmefällen“, in denen es ohne Eingreifen nicht richtig klappt. Dieses Prinzip hat sich in vielen Organisationen bewährt und wird oft praktiziert. |
453. |
Dagegen zeichnen sich Diktaturen immer durch zu viele Eingriffe aus. Eine Diktatur ist System gewordenes Misstrauen, das meint, überall eingreifen zu müssen und alles wissen zu wollen. Hoffentlich erkennen die US-Amerikaner, dass ihr Geheimdienst NSA eine Versuchung zu einer solchen Diktatur beinhaltet. Wie wollen die USA den Diktatoren dieser Welt, ihre skrupellosen Geheimdienste und deren Untaten vorwerfen? Zum NSA-Abhören kommen ja noch Verurteilungen ohne Prozess in Guantanamo hinzu und Ferntötungen mit Drohnen, die mehr Unschuldige als „Schuldige“ treffen und viele Kollateralschäden der US-amerikanischen „militärischen Friedenseinsätze“.
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454. |
Ich glaube, dass Verträge wie die geplante transatlantische Handelspartnerschaft der europäischen Idee schaden. Für diesen Vertrag wird sowohl der Begriff Freihandelsabkommen mit den USA verwendet als auch „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ mit der Abkürzung TTIP. Die Zölle liegen jetzt schon bei historisch niedrigen drei Prozent, es geht dabei also nicht um zollfreien Handel, sondern um ethikfreien Handel. Die Verhandlungen sind geheim. Der EU-Handelskommissar Karel De Gucht, der EU-Verhandlungsführer bis 2014, sagte: Der große Kampf im Welthandel der Zukunft wird sich um Normen, Standards, Staatshilfen und Regulierungen drehen, nicht mehr um Zölle ([94]).
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455. |
Die europäischen Behörden hätten mit den amerikanischen Rechtsvorstellungen plötzlich transatlantische Gegenspieler ohne klare Abgrenzung. Da ist ineffizientes, konfliktreiches, langwieriges Arbeiten vorprogrammiert, was die Bürger dann unzufrieden macht und was sie der EU anlasten werden. Und leider gibt es in den USA Kreise, die auch das begrüßen würden. Auch der bereits verwendete Begriff Wirtschafts-Nato hat für viele Europäer einen aggressiven Klang. Und wenn der US-Präsident Donald Trump immer wieder gefordert hat „America first“, dann muss Europa noch mehr aufpassen, um nicht übervorteilt zu werden.
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456. |
Zum Glück hat auch die von Edward Snowden aufgedeckte NSA-Datenspionage das TTIP-Projekt gebremst. Der juristische Aspekt des transatlantischen Projekts wird zunehmend betont. Da muss man befürchten, dass US-Amerika durchlässige Stellen in Europas Grenzen sucht, um Genprodukte, mit Hormonen behandelte Tiere, bisher nicht zugelassene Waffen wie Drohnen und Technologien wie Fracking, die bisher in Europa abgelehnt werden, einzuschleusen. Ich hoffe nur, dass unsere Brüsseler Beamten wachsam bleiben. Da würde es sich für die US-Lobby lohnen „zu investieren“. Über die NSA dürften sie bereits erfahren haben, welche EU-Beamten womit erpressbar oder wie bestechlich sind. Die chinesischen Interessen werden derzeit nicht minder aggressiv vertreten.
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457. |
Wir können aus dem Nafta-Abkommen zwischen USA, Kanada und Mexiko von 1989 lernen. US-Präsident Clinton wollte damit in fünf Jahren eine Million Arbeitsplätze schaffen, nichts ist daraus geworden ([95]). Aber Hunderttausende mexikanische Kleinbauern haben durch die billigen Maisimporte aus den USA ihre Existenzgrundlage verloren. Das mexikanische Wachstum hat bei weitem nicht die erwartete Steigerung erreicht. Es ist zu befürchten, dass Lobbyisten bei der Planung von Riesen-Projekten wie Nafta bewusst falsche Zahlen lancieren. Ich glaube nicht, dass Clinton Mexiko bewusst betrogen hat.
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458. |
Nach der Abstimmung der Briten am 23. Juni 2016 für den Brexit, den Austritt aus der EU, sollten alle EU-Europäer Ideen sammeln, wie ein attraktives Europa neu belebt werden kann. So wie Großbritannien einen neuen Kapitän/in für die neue Situation brauchte, so brauchte auch die EU neue Kapitäne oder besser nur einen. Juncker und Schulz waren alte Aushängeschilder, die einen Neuanfang erschwert hätten. Beide sind mittlerweile nicht mehr im Amt. Vielleicht bringt der im Mai 2017 gewählte französische Präsident Emmanuel Macron neuen Schwung in die Entwicklung Europas, obwohl er bei der Europawahl 2019 weniger Stimmen als die rechtsnationale Europakritikerin Marie Le Pen bekam. Bei aller Kritik am amerikanischen Präsidenten Donald Trump trägt seine America-First-Forderung dazu bei, dass Europa erkennt, wie wichtig Zusammenhalt und Zusammenarbeit ist, um die eigenen Interessen zu wahren.
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459. |
Die europäische Idee war nach dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Hoffnung für die Menschen im daniederliegenden Deutschland, aber auch für die Menschen im übrigen kriegszerstörten Europa. Die Zerrbilder vom Erbfeind Frankreich, das in der NS-Zeit vom Feindbild Kommunismus/Sowjetunion abgelöst wurde, haben den europäischen Völkern viel Unglück gebracht. Eine wichtige Person zu Beginn der neuen Freundschaft zwischen den Nachbarn war Robert Schuman, geboren als Luxemburger, bis zum Ende des Ersten Weltkriegs Deutscher, dann Franzose und Widerstandskämpfer, der später wichtige Regierungsämter in verschiedenen französischen Regierungen innehatte.
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460. |
Der französische Präsident Charles de Gaulle, ein Lothringer, verstand sich gut mit dem Rheinländer Konrad Adenauer, der unzweifelhaft kein Nazi war und der als Preußen- und Russen-Skeptiker sogar ein Wiedervereinigungsangebot der Sowjetunion unter der Bedingung deutscher Neutralität ausgeschlagen hat. Persönliche Sympathie und politische Zweckmäßigkeit mündeten 1963 in den Elysée-Vertrag, der bis heute zu regelmäßigen Treffen der Spitzenpolitiker beider Staaten führt. Gut harmonierende deutsch-französische Spitzenpolitiker-Pärchen waren neben de Gaulle und Adenauer, Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt, sowie Helmut Kohl und Francois Mitterand. Sie haben wichtige Beiträge zur Versöhnung mit Frankreich geleistet. Die Menschen erlebten eine Periode ohne europäischen Krieg, mit wachsendem Wohlstand für die meisten. Auch das Spitzenpolitiker-Pärchen Emmanuel Macron und Angela Merkel hat sich gut verstanden und die deutsch-französische Freundschaft gestärkt, obwohl viele Interessenunterschiede bestanden haben.
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461. |
Allerdings meinten nicht alle dasselbe, die von einem geeinten Europa sprachen. De Gaulle wollte ein Europa der Vaterländer, eine Idee, die heute wieder an Attraktivität gewinnt. Diese Idee berücksichtigt, dass es auch Vorteile haben kann, wenn Länder der EU bewusst unterschiedliche Wege gehen. Viele Deutsche bewundern ihre niederländischen Nachbarn dafür, dass sie bessere Hygienestandards in ihren Kliniken erreichen. In Holland hat jedes Krankenhaus einen Arzt für Qualitätssicherung. Wenn die EU das Problem der Krankenhauskeime einheitlich regeln wollte, käme nichts Fortschrittliches dabei heraus und die Niederländer würden die Regelungen der EU-Gremien für verrückt halten. Auch bei der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen ist eine europäische Regelung außer Reichweite. Bis sich sichere, fortschrittliche, kluge Regeln durchsetzen und harmonisieren lassen, kann Jahrzehnte dauern. Da muss die Politik bei ihren Bürgern für Geduld und Toleranz werben. Wir in Deutschland merken, dass auch die Vorstellungen von West- und Ostdeutschen noch zusammenwachsen müssen.
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462. |
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden Deutschland einschneidende Reparationen aufgebürdet, die eine wirtschaftliche und emotionale Erholung verhinderten. Nach dem Zweiten Weltkrieg trug der amerikanische Marshallplan (offiziell: ERP = European Recovery Program) zur schnellen wirtschaftlichen Erholung der westeuropäischen Länder bei. Europa und besonders Deutschland hatten das Glück, dass die US-Regierungen Angst vor dem Kommunismus mit seinen Weltrevolutionsplänen hatten. Sie wollten deshalb ein starkes Bollwerk dagegen aufbauen. Zu dieser Funktion als Bollwerk gehörte auch die Förderung der deutschen Industrie und eine Begrenzung der Industrie-Demontagen und sonstiger Reparationen.
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463. |
Der Bau der Berliner Mauer im August 1961 mit allgemein gefühlter Kriegsgefahr war gerade vorüber, da kam im Oktober 1962 in der Kubakrise noch einmal Kriegsangst in Europa auf. Zum Glück beorderte der sowjetische Generalsekretär Nikita Chruschtschow die russischen Atomraketen aus Kuba zurück. Die Menschen wurden einerseits an die Brüchigkeit und andererseits an die Wichtigkeit von Frieden erinnert. Die vorwiegend von Studenten getragene Friedensbewegung trug mit zum Ende des Vietnamkriegs bei. Die Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Pakts mit der Wiedervereinigung unseres Landes sollte den Frieden in Europa langfristig stabiler machen. Das war ja leider ein Irrtum!
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464. |
Durch diese Erfahrungen ist die Idee von einem friedlichen Kontinent Europa wesentlich wichtiger für die Menschen als ein Wirtschaftsverbund EU mit dem vagen Ziel einer politischen Einheit. Mit dem Krimkonflikt und den Kämpfen in der Ostukraine ab März 2014 zwischen der Ukraine und Russland ist noch einmal deutlich geworden, dass Frieden in Europa noch lange nicht selbstverständlich ist. Seit 2021 spitzt sich der Konflikt zwischen China und den USA zu, das könnte eine weltweite Bedrohung des Friedens werden, aus der sich auch Europa nicht ganz heraushalten kann.
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465. |
Ein wie zartes Pflänzchen die Idee von Europa noch ist, zeigte auch die Einstellung eines früheren Arbeitskollegen. Er war in Kroatien geboren, schon als Kind mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen und sprach perfekt Deutsch. Er hatte einen soliden Beruf und hier eine Familie gegründet. Der Kroate Josip Tito mit seiner serbischen Frau Jovanka, die zusammen im Widerstand gegen Nazi-Deutschland gekämpft hatten, haben Jugoslawien zusammengehalten. Nach ihrem Tod platzte es wie eine Granate auseinander.
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466. |
Damals sagte der erwähnte Kollege: Als Deutscher bin ich Europäer, aber als Kroate bin ich Nationalist. Man könnte an Goethes Beschreibung eines vergleichbaren Zustands denken: Zwei Seelen wohnen, ach, in seiner Brust. Damals gingen Kroaten und Serben (und andere Nachbarn) so brutal aufeinander los, dass man Titos Kommunismus im Rückblick fast für Humanismus halten konnte. Man mußte befürchten, dass Europa mit diesem Hass und diesen Morden niemals zusammenfindet.
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467. |
Aber das Gefühl des Deutschen mit kroatischen Wurzeln hat auch einen positiven Aspekt. Als deutscher Europäer waren seine historischen Probleme mit den jugoslawischen Nachbarn ausgeblendet. Vielleicht gab es in seiner Familiengeschichte schwer Überbrückbares. Das positive Gefühl für Europa ist noch jung und lose, der emotional stärkere Nationalismus kann wieder aufbrechen. Vielleicht kann europäische Binnenwanderung die Europaidee stärken und die nationalen Empfindlichkeiten allmählich verschwinden lassen.
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468. |
Russen und Ukrainer haben im Zweiten Weltkrieg gemeinsam gegen deutsche Unterdrückung gekämpft, beide Volksgruppen waren laut Nazi-Ideologie „Untermenschen“. (nur zur Vollständigkeit: es gab auch Ukrainer, die mit den Nazis zusammengearbeitet haben.) Der Friede in Europa sollte wichtiger sein, als die Frage, ob die Ukraine stärker an die EU oder an Russland angelehnt sein sollte. Die EU kann die arme Ukraine nicht in einer Generation wohlhabend machen, da gibt es falsche Hoffnungen, die sich morgen gegen die EU wenden. Hoffentlich nehmen kriegerische Auseinandersetzungen in Europa der europäischen Friedensidee nicht ihre Faszination und Glaubwürdigkeit.
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Die Passauer Juraprofessorin Ulrike Müßig sagt: „Die Krise (von Europa) macht uns deutlich, dass man die Herzen der Menschen nicht mit dem Euro kaufen kann.“ ([96]) Sie hat einen Preis von zwei Millionen Euro bekommen, um damit an der Universität Passau mit fünf Postdoktoranden aus fünf Ländern an neuen europäischen Zielen zu arbeiten. Ihre Arbeit soll Bestandteil einer neuen europäischen Verfassung werden. Im Umkehrschluss kann man aus ihrer These schließen, dass der Euro als Schritt in Richtung harmonisiertes Europa überschätzt worden ist. Mit Geld allein löst man nur die wenigsten Probleme.
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470. |
Man kann dabei an die falsche These denken: Bringt der DDR die DM, der Rest regelt sich dann von selbst. Geld macht die Menschen egoistisch. Einigung dagegen erwächst eher aus Altruismus und einem Gefühl von Solidarität, sowie aus gegenseitigem Verantwortungsgefühl und Achtung voreinander.
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471. |
Die europäische Bürgerin französischer Nationalität und bulgarischer Herkunft, Julia Kristeva, die in Paris an der Sorbonne lehrte, hatte eine europäische Idee. Sie wollte eine Académie de la Culture Européenne gründen, die die europäische Vielfalt anerkennen und schätzen lehrt. Der europäische Humanismus ist für sie ein permanenter Neugründungsprozess. Sie beklagt im Januar 2014 ([97]), dass das politische und ökonomische Europa dieser Kultur in seinen Verträgen keine Aufmerksamkeit schenkt. Und wo und wie könnte man ihre Ideen und Vorschläge gut präsentieren? Dafür gibt der folgende Abschnitt eine Anregung.
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472. |
Hier soll der Bau von Europahäusern angeregt werden, die in allen europäischen Hauptstädten errichtet werden sollten. Angelehnt an die Idee der Amerikahäuser, die nach 1945 in vielen deutschen Großstädten entstanden und demokratische Kultur und Tradition aus US-Amerika zeigten und verbreiteten. In diesen „Europahäusern“ sollten Sprachkurse stattfinden, möglicherweise als Teil der Volkshochschulen, Filme mit nationalen oder regionalen Bezügen gezeigt werden, Folkloreabende organisiert werden. Es sollte auch eine Restauration geben, so dass kulinarische Wochen verschiedener europäischer Länder ausgerichtet werden könnten. Es sollte Kulturausstellungen geben mit dem Motto „ein europäischer Nachbar stellt sich vor“. Die Leitungen sollten rotierend in Häusern mehrerer Staaten arbeiten, damit Kontakte zu anderen Europahäusern erleichtert werden.
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473. |
Wahrscheinlich müsste zusätzlich als Träger eine „Europahaus-Gesellschaft“ gegründet werden. Für die besten Ideen sollte es jährliche Preise geben. Es sollen auch mit Schülern und Erwachsenen Wettbewerbe zu Ideen für Europa ausgetragen werden, die dann in den Europahäusern präsentiert und prämiert werden könnten. Man sollte Filme und Berichte über die bisherigen Kulturhauptstädte Europas ansehen können. Vielleicht sollte ein eigenes Literatur-Genre gefördert werden: „Europäische Begegnungen“, sowohl Romane als auch Sachberichte und Filme. Die Europahäuser sollten jeweils an einem „Europaplatz“ stehen, damit man sie in allen Stadtplänen Europas leicht findet.
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Wenn die finanziellen Mittel reichen, sollten auch in Nichthauptstädten Europahäuser errichtet werden. Man könnte dabei an Bewerbungen um europäische Mittel für gute Entwürfe denken. Gut wäre noch, eine große Videowand an den Häusern zu haben, auf der Veranstaltungen angekündigt werden können und sportliche Europa-Veranstaltungen gezeigt werden, aber auch europäische Musik-Veranstaltungen. Zu Europawahlen könnten dort Wahlpartys stattfinden, Besuche von europäischen Politikern würden gut dazu passen. Und genügend Parkplätze müsste es auch in der Nähe geben.
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475. |
Der Versuch eine Europäische Verfassung in allen Mitgliedsstaaten per Volksabstimmung von den europäischen Bürgern absegnen zu lassen, ist nach der Unterzeichnung der Regierungschefs im Jahr 2004 bereits im Jahr 2006 nach Referenden gescheitert. Vielleicht ist das auch gut so, da vielen eine Europäische Idee und Organisation attraktiver erscheint, die die Nationalstaaten weitgehend belässt und eher feuerwehrartig gemeinsame Probleme löst. Verfahren, Gesetze, Verordnungen sollten da harmonisiert werden, wo Erfolge zu erwarten oder keine großen Widerstände zu erwarten sind. Danach kann auch die Verantwortung von gelösten Problembereichen wieder an die Nationalstaaten zurückgegeben werden. So könnte der Eindruck vermieden werden, Brüssel bzw. die europäische Verwaltungszentrale will Zuständigkeiten an sich ziehen. Dabei sollte man sich bemühen, die Ausgaben zu deckeln. Deckeln soll heißen, dass die Zentrale nur dann irgendwo mehr Geld ausgeben darf, wenn sie in anderen Bereichen spart.
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476. |
Langfristig sind vielleicht auch Vereinigte Staaten von Europa möglich. Aber nur mit gut harmonisierten Einzelstaaten, deren Bürger gut informiert sind und die mit großer Mehrheit für eine Vereinigung gestimmt haben. Europa muss erst die Herzen und Seelen seiner Bürger gewinnen! Auch wenn beides vermutlich im Gehirn und seinen Vernetzungen liegt, meine ich eben nicht nur den Hippocampus oder den Hypothalamus. „Herzen und Seelen“, bedeutet für mich mehr als das biologische Gehirn. Es umfasst beispielsweise auch die Hoffnungen, Wünsche, Träume und Visionen der Menschen in ihrer Literatur, ihren Liedern und Bildern zu dem Thema. Auch die Begegnungen und Erfahrungen der Menschen gehören dazu.
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477. |
Henryk M. Broder schreibt in seinem im Dezember 2013 erschienenen düsteren Buch „Die letzten Tage Europas“: „Man muss Europa vor der EU retten, vor diesem Apparat des Größenwahns.“ Da tritt eine große Skepsis offen zu Tage. Vermutlich hätte Broder diese Kritik vor zwanzig Jahren noch nicht so scharf formuliert.
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478. |
Auch Europäische Probleme müssen in der Diskussion bleiben, damit in Erinnerung bleibt, was unbedingt verbessert werden muss. Als Beispiel soll hier die Schweinegrippe-Pandemie und -Hysterie aus den Jahren 2009–2010 dienen. Aus den Entscheidungen der EU resultierte eine zu hohe Produktion von Impfstoffen. Zum Schluss wurden Medikamente in zigfachem Millionenwert vernichtet. Wer war eigentlich dafür verantwortlich? Wer wurde dafür zur Rechenschaft gezogen? Wieso wurden vorher keine Produktionsmengen vereinbart, die an die Nachfrage gekoppelt waren, das riecht geradezu nach Bestechung, nach persönlichen materiellen Interessen und nach verschwenderischem Umgang mit den Steuern der Bürger. Wenn die schwächsten Glieder die Gesamtkorruption der EU bestimmen, könnte auch das die europäische Idee kaputt machen.
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479. |
Selbst wenn in so einem Fall wie den Impfstoffen ein außereuropäischer Hersteller sich nicht auf einen Vertrag einlassen wollte, der nahe am Verbrauch bzw. Bedarf orientiert wäre, müsste die EU-Behörde eine Medienkampagne starten und müsste veranlassen können, dass dieser Hersteller bei seinen nächsten Medikamenten-Zulassungen Verträge unterschreibt, die ein ähnliches Verhalten künftig ausschließen. Alle europäischen Bürger wären dann über die Dreistigkeit dieses Herstellers informiert und indirekt aufgefordert, diese Firma und ihre Produkte zu boykottieren. Solche Aktionen müsste man nicht einmal fürchten, sie wären ein –wenn auch nicht ganz unproblematisches – Solidarisierungsinstrument für Europa.
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480. |
Es gibt Scheingeschäfte mit CO2-Abgas-Zertifikaten, die auch Verschmutzungsrechte genannt werden. Laut Süddeutscher Zeitung vom Februar 2014 bestehlen kriminelle Banden die Staaten der EU jährlich um 100 Milliarden Euro. Die EU wird als „Goldgrube für Betrüger“ bezeichnet. „Die Politik könnte den Betrug leicht abstellen – tut es aber nicht.“ ([98]) Ob es wirklich so leicht wäre, den Betrug abzustellen, widerspricht menschlicher Erfahrung. Aber wenn die EU nicht alles daransetzt, solche Sabotagestellen im System so schnell wie möglich zu beseitigen, macht das die Menschen wütend auf die EU und ihre Politiker.
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481. |
Genau so gefährlich wie Korruption sind diametral unterschiedliche Interessen. Ich vermute, dass eine europäische Transaktionssteuer (oder etwas Ähnliches) notwendig ist, um die Finanzmärkte krisensicherer und weniger hektisch zu machen. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass sich einzelne Mitglieder nicht darauf einlassen. Das kann dann sogar bedeuten, dass man sich nicht nur eine geänderte Eurozone vorstellen muss, sondern auch eine andere Zusammensetzung der EU. Die Idee Europa lässt sich auch ohne den einen oder anderen EU-Partner voranbringen. Und wenn Europa einmal attraktiv genug geworden ist, sollen und werden die verlorenen Söhne bzw. Länder wiederkommen. Unterschiedliche Meinungen mit London zur finanzpolitischen Liberalisierung der EU sind mit dem Brexit erst einmal entschärft. Andererseits bedeutet der Ausfall eines starken Nettozahlers, dass die EU sparsamer werden muss. Wie das klappen wird, muss sich erst noch zeigen.
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482. |
Der Londoner Bürgermeister Boris Johnson hatte eine Studie in Auftrag gegeben, die 2014 zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es für Großbritannien besser ist, aus der EU auszutreten, wenn diese sich nicht nach den britischen Wünschen ändert. Johnson war angeblich für den Verbleib in der EU, wollte nur eine mögliche Alternative geprüft wissen ([99]). Ab Anfang 2016 ist er dann ganz offen für ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU, den so genannten Brexit, eingetreten. Am 23. Juni 2016 hat Großbritannien darüber abgestimmt und sich mit ca. 52:48 für den Austritt entschieden. Der damalige Premierminister David Cameron hatte für ein Verbleiben geworben. Er wollte nach der Abstimmung nicht mehr Kapitän in die eigenständige Zukunft Großbritanniens sein. Ob die Bürger des Landes die Tragweite ihrer Entscheidung absehen konnten, erscheint ungewiss. Die Weiterentwicklung der Demokratie braucht Volksabstimmungen. Ob dieses Beispiel ein gutes war, bleibt abzuwarten. Der Tag ist ein für Europas Zukunft bedeutsames Datum. Wenn daraus Neubesinnung und Neubeginn entstehen, könnte es für Europa langfristig ein gutes Datum werden.
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483. |
Das Bedauerlichste an der Johnson-Studie war, es ging nur um Geld. Das Zusammenwachsen von Völkern, um friedlich und kulturell anregend miteinander zu leben, war nichts wert, das war für mich sehr enttäuschend. Eine EU, in der jedes Mitglied jederzeit
deutlich sichtbare ökonomische Vorteile hat, kann es nicht geben! Wer das
also fordert, will gar kein harmonisiertes Europa, sondern einen Utopia-Traum.
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484. |
Hier zucke ich zusammen, nachdem Russlands Armee am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschiert ist mit merkwürdigen historischen falschen Begründungen des russischen Präsidenten Putin. Wir haben viele zerstörte Häuser und Orte gesehen. Viele Menschen fliehen in Nachbar-Staaten. Unsägliches Leid entsteht für eine wahnhafte Idee. Russen und Ukrainer waren „Bruderstaaten“, da könnte eine Kain&Abel-Beziehung draus werden.
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485. |
Viele Menschen in Deutschland sind stolz auf einen Titel wie Exportweltmeister. Dabei besteht aber die Gefahr, dass ein Exportweltmeister seine Handelspartner zu Schuldenweltmeistern macht. Wenn es keine variablen Währungsrelationen gibt, um unterschiedliche Wertschöpfungen auszugleichen, muss das durch Regeln geschehen. Beispielsweise durch folgende: Ein Exportüberschussland legt zusammen mit einem entsprechenden Importüberschussland Regeln zur Exportbegrenzung und Importförderung fest oder die EU tut es stellvertretend.
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486. |
Italien und Deutschland könnten den Export von Autos aus Deutschland nach Italien erschweren, solange ein starker „Außenhandelsüberschuss“ von Deutschland besteht. Das wäre ein Hilfsmittel, um die Verschuldung von EU-Nachbarstaaten zu reduzieren und um Italien weiterhin zu erleichtern, schwer durch einheimische Produkte ersetzbare Hightech-Produkte wie Maschinen zu importieren. Ein Sonderzoll von beispielsweise 1000 Euros auf jedes deutsche Auto würde den Import von Kleinwagen sicherlich stark beeinflussen. Der Import von teuren Wagen wäre weniger betroffen. Die Grundidee dabei ist, dass die Italiener mit Autos aus heimischer Produktion gut leben können. Bei Spezialmaschinen ist ein Ersatz im eigenen Land schwerer zu finden.
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487. |
Eine Alternative wären permanente Transferzahlungen, in die wir gerade hineinzuschlittern drohen. Dabei wäre dann abzusehen, dass der europäische Gedanke torpediert würde. Weder sind die Steuerzahler der Geberländer beliebig beanspruchbar, noch wäre eine Gerechtigkeitsdiskussion unter den Nehmerländern vermeidbar. Eine solche Diskussion wird schon um den deutschen Länder-Solidaritätsausgleich geführt und dabei handelt es sich um wesentlich kleinere Summen und die Art zu leben und zu arbeiten ist in den deutschen Bundesländern annähernd gleich.
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488. |
Sowohl Transferzahlungen als auch Maßnahmen zur Regulierung des Handels bedeuten immer Aufwand und Streit bei der Abstimmung und beinhalten die Gefahr von Vorteilsnahmen. Sie sind nur solange nötig, wie die EU-Volkswirtschaften unterschiedlich produktiv sind und diese Unterschiede nicht durch flexible Währungskurse ausgeglichen werden können. Und das ginge nur ohne den Euro in bisheriger Form.
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489. |
Der Soziologe Wolfgang Streeck schreibt dazu: „Die weniger wettbewerbsfähigen Länder der Eurozone können heute nicht mehr ihre Währung, sondern müssen stattdessen ihre Lebensverhältnisse abwerten.“ Er meint damit, dass die Länder ihren Bürgern eine Verringerung an Lebensqualität zumuten und schließt an: „Wie man auf die Idee kommen konnte, dass so etwas zur europäischen Einigung beiträgt, ist mir schleierhaft.“ ([100])
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490. |
Der amerikanische Präsident Trump hat die Überschüsse der Exportweltmeister Deutschland und China 2018 auf heftigste kritisiert und mit Sonderzöllen belegt. Das Problem ist auch in den Folgejahren noch nicht gelöst. An dieser heftigen Reaktion ist aber deutlich geworden, dass unsere Exportüberschüsse für die Importländer problematisch sind. Fairerweise müssten die Exportüberschussländer den Importüberschussländern helfen, das Ungleichgewicht zu beseitigen. So etwas erscheint vielen Exporteuren heute noch völlig abwegig, obwohl es ein wichtiger Beitrag zu einer friedlicheren Welt wäre.
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491. |
Besser als erzwingen ist es, mit mehr Zeit das zu harmonisieren, was keine neuen Probleme schafft. Europäische Ideen und Preise wie der Aachener Karlspreis sollten eine europäische Harmonisierung mit vorantreiben; aber ein solcher Preis sollte nicht nur in Aachen vergeben werden. Wichtig ist auch der europäische Jugendaustausch, damit die junge Generation überall in Europa Freunde findet und Sprachbarrieren leichter überwindet. Jugendaustausch wird allerdings nur gut funktionieren, wenn die Jugendarbeitslosigkeit nicht so hoch bleibt und dann existentielle Sorgen bei den jungen Menschen im Vordergrund stehen.
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492. |
Der US-amerikanische Finanzinvestor und gebürtige Ungar George Soros fühlte sich Europa immer sehr verbunden. Er hielt den Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg für das erfolgreichste Entwicklungshilfeprojekt der Weltgeschichte. Den Zustand des heutigen Europas sah er kritisch: „Ich fürchte das Zerbrechen der EU, des größten Friedensprojekts aller Zeiten. Nur die Deutschen als stärkste Nation können dies verhindern, ich will sie aufrütteln.“ ([101]) Er meinte, dass die aktuelle Lage in der EU mehr an ein Schuldnergefängnis als an eine gleichberechtigte Gemeinschaft erinnert.
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493. |
Die europäischen Bürger müssen die EU-Bürokraten bremsen. So beim maximalen Krümmungswinkel von Salatgurken, wo die EU ihre Vorschläge glücklicherweise wieder zurückgenommen hat. Es ist nachvollziehbar, dass das Verpacken von Gurken einfacher ist, wenn eine bestimmte Gurkenform eingehalten wird. Es ist auch nichts gegen eine Übereinkunft von Gurkenproduzenten und Verpackungsindustrie einzuwenden. Aber bitte nicht von Seiten der EU! Die zentrale Administration könnte sonst nämlich auf den Gedanken kommen, sie sei für alles zuständig. Wenn ich richtig informiert bin, war die Gurkenklausel auf Veranlassung Deutschlands eingeführt worden, das machte sie aber nicht weniger unsinnig.
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494. |
Unter den vielen kritischen ökonomischen Überlegungen zu Europa gibt es auch folgende: Man trenne Europa – zumindest ökonomisch – in zwei Teile: den finanziell solideren Norden und den Süden, dem eine höhere Inflationsrate vielleicht lieber ist als zu starke wirtschaftliche Einschränkungen. Bei einem solchen Modell könnte aber gerade Deutschland besonders unter Beschuss geraten. Die Deutschen haben in der NS-Zeit keinen guten Eindruck in Südeuropa hinterlassen (im Norden leider auch nicht) und Entschädigungen sind nur in Ausnahmefällen gezahlt worden, es war ja Kriegsgeschehen. Wenn sie sich nun einer gesamteuropäischen Solidarität entziehen, nur um des geschäftlichen Vorteils willen, ist ihnen der Hass der Menschen sicher, die hohe Einschränkungen auf sich nehmen müssen. Dann wird es heißen, die Deutschen, die ihre hohe Exportrate ja dem niedrig bewerteten Euro verdanken, zeigen sich dafür grob undankbar. Europa sollte aber vor allem eine Friedens- und Kulturidee sein und kein Feld für den Kampf um Profite! Wir müssen den folgenden griffigen aber bösen Spruch durch Taten widerlegen! „Der Name zeigt schon, was in Europa an erster Stelle steht: der Euro, also das Geld!“
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495. |
Neu in Europa war das Referendum am 18. September 2014 in Schottland. Die Schotten haben sich mit ca. 55:45 % der Stimmen für den Verbleib in Großbritannien entschieden. Der britische Premierminister David Cameron hatte die Abstimmung initiiert und war zum damaligen Zeitpunkt sehr davon überzeugt, dass der Ausgang eindeutig für die Union ausgehen würde. Aber je näher die Abstimmung kam, umso mehr holten die separatistischen Nationalisten auf. Zum Schluss gab es sogar eine Umfrage, die einen Sieg der Nationalisten vorhersagte. Da wurde es vielen britischen Politikern ganz mulmig und Schottland wurde für den Fall des Verbleibs neue Eigenständigkeiten versprochen. Die Abstimmung hat gezeigt, dass den Menschen regionale Mitbestimmung sehr wichtig ist. Nach dem Brexit wird es eine erneute Diskussion des Themas geben, da die Mehrheit der Schotten gegen den Brexit gestimmt haben.
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496. |
Wir haben in Europa noch andere Regionen, die mehr Mitbestimmung wollen. Ob das spanische Parlament weiterhin bestimmen kann, dass nur ganz Spanien über den Grad der Eigenständigkeit von Katalonien entscheiden kann, erscheint ungewiss. Hier sollte man von einem kreativen Europa Hilfe und Schlichtungsbemühungen erwarten. Solche Hilfen könnten die Wallonen und Flamen in Belgien vielleicht auch brauchen.
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497. |
Es wäre fantastisch, wenn Europa eine Idee und Hilfe wäre, Länder zusammenzuhalten, ihnen aber bei der regionalen Selbständigkeit positive Beispiele geben könnte, „unter einem gemeinsamen Dach Europa zu leben“. Auch neue regionale Interessenverbindungen sollten möglich sein. Die Flamen würden vermutlich in einer festen Staatengemeinschaft mit den Niederlanden einiges von ihrer „katholischen“ Identität einbüßen. In einem europäischen Regionalverbund könnte man unterschiedliche Traditionen bestimmt leichter bewahren.
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498. |
Die Sprach- und Mentalitäts-Probleme der Grenzregionen sind oft viel geringer als die zwischen den benachbarten Staaten. Die Deutschen in der niederländischen Grenzregion können ihre benachbarten Niederländer im Regelfall gut verstehen. Ihr Dialekt enthält bereits viele Worte aus der Nachbarsprache. Die Mentalitätsprobleme sind auch geringer, da viele Menschen der Grenzregionen nicht auf derselben Seite wohnen und arbeiten. Es gibt Partnerschaften, Freundschaften, Bekanntschaften und Verwandtschaften über die Grenze hinweg, die alle die Verständigung erleichtern.
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499. |
Bei einer historischen Betrachtung Europas müssen besonders die Deutschen daran denken, wie viel Leid der Zweite Weltkrieg in unseren Nachbarländern angerichtet hat. Da gibt es kaum eine europäische Region ohne tiefe Wunden. Ein europäischer Verbund erleichtert das Vergeben besonders dann, wenn die Geschädigten, ihre Nachkommen und ihre „Empfindungs-Erben“ das Gefühl haben: „Heute sind die Deutschen anders! Sie setzen sich für ein gemeinsames, friedliches Europa ein. Ihnen geht es nicht in erster Linie ums Geld.“ Den jungen Menschen bei uns kann man nur raten, sensibel auf Empfindlichkeiten unserer Nachbarn zu achten. Wenn jemand meint, eine Rivalität liege an irgend einem Fußballspiel, kann man nur entgegnen, dass so ein Spiel vielleicht Emotionen aufwühlt. Aber die Wurzeln dieser Emotionen liegen weiter zurück und sind viel existentiellerer Natur als ein verlorenes Spiel. Die Lebensweisheit „Die Zeit heilt Wunden“ trifft sicher auch hier zu. Sie gilt aber nur, wenn die Wunden in Ruhe heilen können und nicht wieder aufgerissen werden.
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500. |
In der Süddeutschen Zeitung vom
3.1.2016 (und nicht nur dort) konnte man die Überschrift lesen: „EU-Kommissar
Oettinger will Polen unter Aufsicht stellen.“ Viele Menschen in
Europa sind besorgt, wenn die polnische Regierung erst den Einfluss ihres
Verfassungsgerichts beschneidet und dann den Einfluss der Regierung auf
Rundfunk und Fernsehen ausweitet. Wenn aber ausgerechnet der Deutsche Günther
Oettinger, der 2016 gerade zuständiger EU-Kommissar war, einer sehr
nationalistischen Regierung Vorschriften machen will, kann das für viele
Polen und auch für deren Nachbarn völlig inakzeptabel sein. Unglückliche Formulierungen
wie „unter Aufsicht stellen“ können der Europäischen Idee schwer
schaden. Je loser der Verbund der europäischen Staaten ist, desto weniger entsteht
das Gefühl, eingreifen und jemand unter Aufsicht stellen zu müssen.
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501. |
Europa muss nach dem Brexit deutlich sparen, da Großbritannien ja Nettozahler war. Vielleicht könnte man überlegen, auf das europäische Parlament zu verzichten oder es zumindest zu verkleinern. Es wird niemals so souverän wie die Länderparlamente sein und steht in Konkurrenz zur Europäischen Kommission. Helmut Schmidt war nach Angaben des Historikers Heinrich August Winkler die treibende Kraft, die zu seiner Einführung führte. Aber dieses Parlament hat die europäische Entwicklung kaum vorangebracht. Bei wichtigen Entscheidungen entscheiden nach wie vor die Regierungen oder die Regierungschefs der einzelnen Mitgliedsstaaten.
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502. |
Die EU darf den Nutzen dieser Institution für die Einzelstaaten nie aus den Augen verlieren. Der Soziologe Wolfgang Streeck ist im November 2021 zu folgender Überzeugung gekommen: „Nur der demokratisch verfasste Nationalstaat kann seine Bürger noch wirkungsvoll vor den Anpassungszwängen und –zumutungen eines globalisierten Kapitalismus schützen.“([102])
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503. |
Europa könnte bei der Entwicklungshilfe gemeinsame Projekte anstreben. Die werden im folgenden Kapitel angesprochen.
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504. |
16. Entwicklungspolitik – Entwicklungshilfe – Immigration
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505. |
Mein Buch-Konzept ist eher national und europäisch ausgerichtet. Ich glaube nicht, dass in Massen nach Europa strömende Migranten Teil einer friedlichen, vernünftigen Entwicklung der Menschheit sind. Ich glaube, dass wir Entwicklungshilfe leisten sollten mit dem Hauptziel, dass Menschen in ihren Heimatländern in Frieden und Wohlstand leben können und dort bleiben wollen. Und wir sollten politisch und wirtschaftlich alles tun, um Kriege zu vermeiden oder zu beenden. Denn Kriege vertreiben die Menschen aus ihrer Heimat. Und wir sollten alles tun, damit die armen Länder Bevölkerungsplanung durchführen. Am Beispiel Chinas können diese Länder gut erkennen, dass nur so Wohlstand zu erreichen ist. Überbevölkerung bedeutet für die nicht privilegierten Menschen eines Landes, dass sie nichts wert sind und schlechte Lebensbedingungen haben.
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506. |
Wir sollten die Länder, die Entwicklungshilfe benötigen, einbeziehen in unsere Überlegung, ob wir viele Emigranten und Flüchtlinge aufnehmen sollten oder ob wir mit demselben Geld lieber Entwicklungshilfe leisten sollten und dabei viel mehr Menschen helfen können. Dafür müssten wir die alternativen Kosten sorgfältig ermitteln. Wenn Entwicklungshilfe überall der individuellen Hilfe deutlich vorgezogen wird, müssen wir Europa stärker abschotten. Wir sollten auch vergleichen, wie viele bzw. wie wenige Migranten und Flüchtlinge nehmen eigentlich China, Russland und Japan auf? Wieso soll Europa –und Amerika- da die Hauptlast tragen?
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507. |
Wir müssen die amerikanische Politik in der Vergangenheit kritisch betrachten. Wir sollten deutlich darauf hinweisen, was in den Ländern wie Irak, Afghanistan, Libyen und Syrien, wo die USA militärisch eingegriffen haben, passiert ist. Dort haben wir Zustände, die schlechter sind als vor dem Eingreifen. Ob das Eingreifen nun humanitäre Gründe hatte oder durch Interessen der Waffenlobby oder andere Interessen zu erklären ist, spielt dabei keine Rolle. Wir können nicht einmal sagen: “Wenigstens ist der böse Diktator Sadam im Irak weg“. Seine Nachfolger sind vielleicht nicht so brutal, aber dafür unfähiger, uneiniger und nicht in der Lage, Chaos und Bürgerkrieg zu vermeiden. Und die dort umherstreifenden IS-Terrorbanden waren für die Bevölkerung viel schlimmer als es die ungerechten, aber relativ geordneten Zustände unter Saddam waren. Mit einem geschichtlichen Gesamturteil über die Amerikaner sollten wir allerdings sehr vorsichtig sein. Wir dürfen nicht vergessen, dass es besonders US-Amerika zu verdanken ist, dass die NS-Diktatur in Deutschland und die NS-Verbrechen in Europa beendet wurden. Unsere europäischen Nachbarn haben das sehr präsent im Hinterkopf. Zum Ausgleich dafür hat beispielsweise Griechenland im April 2019 300 Milliarden Euro Wiedergutmachung von Deutschland gefordert; raffinierterweise erst nachdem sich Deutschland erfolgreich für einen –teuren- Verbleib Griechenlands in der EU eingesetzt hatte.
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508. |
Wir müssen auch fragen, ob die Menschen, die ihre Heimat verlassen, dort fachliche und organisatorische Lücken hinterlassen. Wird durch ihren Weggang die positive Entwicklung ihres Landes erschwert? Dann haben die Nächsten in diesem Land keine Perspektive mehr und wollen oder müssen auch noch gehen. Ich erinnere an die Klage eines Bürgermeisters einer kleinen sowjetischen Gemeinde, aus der massenweise Russlanddeutsche abgewandert sind. Zum Schluss war die Gemeinde nicht mehr funktionsfähig, da mussten die letzten Bürger auch noch wegziehen, obwohl sie das ursprünglich gar nicht wollten. Ist es vernünftig, wenn ein syrischer Englischlehrer hier Flüchtlingen bei der Integration hilft, wenn in Syrien Englischlehrer fehlen und er hier nicht als Englischlehrer eingesetzt werden kann.
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509. |
Entwicklungshilfe sollte eine wichtige Ausrichtung haben: Förderung der Staaten, deren System oder herrschender Schicht es gelingt, mit wenig Korruption auszukommen und die sich intensiv und erfolgreich um Wirtschaftsentwicklung und Bevölkerungskontrolle bemühen. Kein Land kann sich aus Armut befreien, wenn unfähige Familien- Stammes- oder Parteiangehörige in wichtige Funktionen gehievt werden. Kritik an den Regierenden muss – zumindest in Grenzen – möglich sein. Um die Vorteile und Möglichkeiten eines Landes zu nutzen, braucht es eine flexible vorausschauende Wirtschaftsbürokratie und intelligente kreative Unternehmer, die mit langfristiger Rechtssicherheit wirtschaften können. Wenn eine Regierung die ökonomischen Erfolge ihrer tüchtigsten Bürger beliebig enteignen kann, werden die klugen Unternehmer, die dringend gebraucht würden, woanders hingehen und ihrem Land nicht auf die Beine helfen. Beim Aufbau eines Landes ist es wichtig, dass kein Geld in falsche Kanäle fließt und dass die Fähigsten mit der Regierung betraut werden.
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510. |
Wir müssen unseren Begriff von Demokratie als brauchbares Beurteilungskriterium für Entwicklungshilfe in Frage stellen. Was Korruption angeht, sind einige westliche Demokratien gar nicht so vorbildlich. Außerdem kann es ja sein, dass in einem sehr heterogenen Land mit sehr unterschiedlichen Volksgruppen und schwer verträglichen Religionen nur ein Staatenlenker/in mit diktatorischen Vollmachten für Ordnung sorgen kann. Ein guter Demokrat würde vielleicht weder als Autorität akzeptiert noch könnte er Chaos vermeiden oder er würde zum Spielball von Militär und einflussreichen korrupten Eliten. Für große Infrastrukturprojekte braucht man aber eine stabile Staatsmacht. Sonst scheitern Eisenbahnen, Straßen, Talsperren und Häfen am Widerstand von Separatisten oder wegen seltener Tier- oder Pflanzen-Arten oder weil asoziale Eigentümer den Preis ihrer Immobilien in die Höhe treiben wollen.
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511. |
Im Juni 2017 schreibt Frau Aschoff-Ghyczy ([103]) im Kölner Stadtanzeiger, die lange Gutachterin für deutsche Afrika-Geberorganisationen war: die beiden Hauptgründe für die Erfolglosigkeit der Entwicklungshilfe sind: 1. Die exorbitante Korruption der afrikanischen Eliten und 2. die Tatsache, dass niemand Familienplanung fordert und kein Land sie praktiziert.
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512. |
Deutschland und Europa müssen Kriterien aufstellen, mit denen sich ein Land um Entwicklungshilfe bewerben kann und wir müssen das oder die geeignetsten Länder sorgfältig auswählen. Vielleicht sollten Unternehmen, die für die Realisierung von Projekten in Frage kommen, mit in die Auswahl eingebunden werden, aber äußerst transparent, um finanzielle Verwicklungen zu vermeiden.
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513. |
Die ärmsten Entwicklungsländer auszuwählen, führt nur dazu, dass die korruptesten Staaten ausgewählt werden. Dann bezahlt man den gewissenlosen Ausplünderern ihrer armen Staaten auch noch Prämien. Die Bürger der ärmsten Länder müssten im Anblick des Prosperierens der geförderten Länder eher versuchen, ihre korrupten Regierungen loszuwerden, statt als Flüchtlinge nach Europa zu ziehen.
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514. |
Die Staaten, die gefördert werden wollen, müssen einen friedlichen Ausgleich mit ihren Nachbarn suchen, sollten Staat und Religion trennen und Geburtenkontrolle praktizieren, zumindest vorbereiten. Sie sollten die Regierungszeit der Regierenden begrenzen und ein funktionierendes Schulsystem haben oder es zumindest aufbauen. Je nach Projekt ist auch eine zügige Bereitstellung von Grund und Boden für Infrastruktur-Maßnahmen wichtig, am besten als langfristige Pacht.
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515. |
Parallel dazu muss man sich die Förderungskriterien
von China gut ansehen.
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516. |
Wenn ein Land von uns zur Förderung ausgewählt wird, soll seinen Bewohnern vielfältige Hilfestellung gegeben werden, bei uns so viel wie möglich zu lernen und abzugucken. Es sollen Praktikumstellen, aber auch Kurzausbildungen im Handwerk, an Fachschulen und Hochschulen eingerichtet werden. Diese „Lerner“ sollen aber kein Asyl beantragen können und keine sonstige Bleibemöglichkeit über ihre Lernzeit hinaus bekommen. Dann wird ihre Akzeptanz hier eine viel bessere sein als die von Armutsflüchtlingen, die sich ins Land drängen, weil sie hoffen, dass es ihnen hier besser geht und denen es egal ist, ob das Gastland Probleme mit ihnen hat und deren Integrationsbereitschaft oft begrenzt ist. Für ihr Heimatland erreichen sie mit ihrer Flucht auch keine Verbesserung, höchstens für einige Angehörige oder Freunde, denen sie Geld überweisen.
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517. |
Wir erleben eine deutliche Zunahme von Migranten bzw. Zuwanderern ([104]). Eine begrenzte Anzahl von Kriegsflüchtlingen soll hier außen vor bleiben. Ihnen sollte eine vorübergehende Bleibe ermöglicht werden. Sie sollen aber wissen, dass sie im Regelfall nach Ende des Krieges in ihre Heimat zurück müssen. Ein nicht planbarer Rückkehrzeitpunkt erschwert leider die Integration. Kaum ein Arbeitgeber wird ausbilden oder anlernen wollen, wenn der gut verwendbare Auszubildende plötzlich in seine Heimat zurück muss, da dort der Kriegszustand beendet ist.
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518. |
Es muss Ausnahmen für ein Bleiberecht von gut Integrierten geben. Das ist auch für Einheimische, die sich um die Integration einzelner bemühen, sehr wichtig. Wichtig, damit der Staat ihr soziales Engagement nicht stört und damit ihre emotionale Bindung an unser Gemeinwesen schädigt. Gute Integration kann nur mit Hilfe von helfenden Kontaktpersonen (Mentoren) in Deutschland gelingen. Die Flüchtlingskrise hat gezeigt, dass es erfreulich viele potentielle Mentoren bei uns gibt. Bei vielen Flüchtlingen ist es aber nur ein glücklicher Zufall, solch günstige Bedingungen zu finden. Und ohne starkes Bemühen der Flüchtlinge selbst wird auch so ein Zufall nicht eintreten. Solche Regelungen könnten eine Weiterentwicklung von Demokratie werden, sie müssten aber gegen Missbrauch gesichert werden. Und der Mentor müsste auch ein Garant gegen Betrugsversuche sein.
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519. |
Ausnahmen für den Aufenthalt sollte es auch bei besonders guten Schul-Noten geben. Wenn jemand deutsch und ein anderes Fach schnell und gut lernt, ist von besonderer Motivation plus Begabung auszugehen. Da sollte Deutschland im Eigeninteresse ein Bleiberecht prüfen.
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520. |
Bei Migranten können nicht die Bedürfnisse der Migranten im Vordergrund stehen, sondern die Möglichkeiten ihrer Integrierbarkeit und Verwendbarkeit. Dazu gehört, dass sie lesen und schreiben können und Voraussetzungen und den Willen mitbringen, die deutsche Sprache zu lernen. Da müssen laufend Fortschritte überprüft werden. Auch sollen die Migranten so gesund sein, dass sie arbeiten können. Wenn sie einen hier gesuchten Beruf haben, haben sie die besten Integrationschancen. Sie müssen auch die Bereitschaft haben, sich an andere kulturelle Gewohnheiten anzupassen.
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521. |
Erfolgversprechend kann auch sein, wenn ein hiesiger Unternehmer mit ausländischen Wurzeln integrationswilligen Landsleuten in seiner Firma Arbeits- und damit Integrationschancen gibt. So ein Unternehmer kann leichter prüfen, ob er Leute gut brauchen kann und kann Arbeitsanweisungen und Hilfen an diese ohne Verständnisprobleme formulieren. Dann kann Immigration auch bei anfangs schlechter Sprachbeherrschung funktionieren.
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522. |
Ich glaube nicht, dass wir eine neue Willkommenskultur für Zuwanderer brauchen, wie der Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, meint. Er sagte im Dezember 2013 im Kölner Stadtanzeiger-Interview weiter: „Wir wissen doch, dass diejenigen, die nach Lampedusa kommen, weder da noch in Sizilien und noch nicht einmal in Italien bleiben wollen.“([105]) Ja, dann kann er ihnen gut ein warmes Essen und eine Fahrkarte spendieren und anderen Ländern das Problem überlassen, mit den Flüchtlingen fertig zu werden. Diese sind oft mit Geldern und Hoffnungen von Verwandten und Freunden gestartet und können nach eigenem Bekunden nicht mit leeren Händen zurückkommen. Da stehen sie in ihrem Gastland sehr unter Druck, an Geld zu kommen, oft ohne gefragte Fähigkeiten zu haben. Dann entsteht eine große Versuchung in Richtung Kriminalität. Zumal die Menschen auf dem beschwerlichen Weg zu uns häufig große Rücksichtslosigkeit erlebt haben.
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523. |
Man kann vermuten, dass diejenigen, die leicht lernen und gut mit Sprachen zurechtkommen und sich am Computer gefragte Fähigkeiten erworben haben, die Strapazen einer lebensgefährlichen Flucht gar nicht auf sich nehmen, vielleicht, weil sie körperlich dazu nicht in der Lage wären. Die ankommenden Flüchtlinge stellen eher eine Auswahl der Robusten (und Glücklichen und Rücksichtslosen?) dar. Das Gastland bräuchte aber eher eine Auswahl der Lernfähigen und Sprachtrainierten. Die Robusten würden in ihren Heimatländern gebraucht, um ihre korrupten Regierungen zu verjagen. Dass die korrupten Regierungen ihre robusten Gegner gerne ziehen lassen, lässt sich nachvollziehen. Bei der heutigen Auswahl kommen oft die falschen Leute an die falschen Ziele.
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524. |
Besser als sich hier Gedanken um Armutsflüchtlinge zu machen wäre es, alle ohne Sprachnachweise zurückzuweisen und mehr Geld in die Entwicklung der armen Länder zu stecken, damit die Menschen in ihrer Heimat bessere Chancen haben und nicht in der Fremde diskriminiert werden und ihre beruflichen Fähigkeiten aus Sprachgründen gar nicht entfalten können. Wenn wir allen eine Chance geben wollten, die sich in Europa ein besseres Leben erhoffen oder erträumen, könnten das viele Millionen Menschen werden und die kann Europa nicht verkraften. Wenn nicht so viele Menschen unbedingt versuchen würden, nach Europa zu kommen, würden auch nicht so viele auf dem Weg dahin tragisch umkommen, verletzt oder traumatisiert werden. Australien und andere Einwanderungsländer zeigen Alternativen in der Flüchtlingspolitik auf, die zwar nicht besonders liebevoll, aber besonders wirkungsvoll sind.
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525. |
Es gibt auch noch andere Argumentationen gegen die bisherigen Flüchtlingsströme. Die Lehrerin Nua aus dem pazifischen Inselstatt Tuvalu wird im Kölner Stadtanzeiger vom 10.August 2018 ([106]) zitiert: „Ihr nehmt Syrer auf, obwohl ihr nicht Schuld am dortigen Krieg seid. Aber für den Klimawandel seid ihr als Industrieland mitschuldig. Darum solltet ihr auch Menschen aufnehmen, die vor dem steigenden Meeresspiegel fliehen“. Es lässt sich ergänzen: und vor anderen Klimaproblemen. Da meldet sich der nächste weltweite Flüchtlingsstrom an. Hoffentlich sagen unsere Politiker nicht wieder: „Wir schaffen das!“
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526. |
Auch für hier lebende Emigranten hat der ungebremste Zustrom von Flüchtlingen etwas Bedrohliches. Sie müssen mit Neuankömmlingen um begrenzte Schulungen, Jobs und sonstige Hilfen konkurrieren. Eine geregelte Erfassung bekommt man durch zusätzliche Stellen und eine verbesserte Organisation vielleicht noch in den Griff, aber nicht alle weiteren notwendigen humanitären Hilfen. Und gut integrierte, solide Nordafrikaner werden durch Neuankömmlinge aus dieser Region -mit vielen Kriminellen darunter- selbst gefährdet und diskriminiert.
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527. |
Auch ausländische Fachkräfte, die unsere Gesellschaft dringend braucht, werden durch eine Überflutung von Migranten und Asylanten abgehalten. Die große Menge erzeugt in der Bevölkerung Ablehnung und Unfreundlichkeit den Neuankömmlingen gegenüber. Davon sind dann leider auch die erwünschten fremden Fachkräfte betroffen und werden abgeschreckt.
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528. |
Bei der Integration gibt es auch schwer überbrückbare kulturelle und religiöse Barrieren. In muslimischen Ländern werden männliche Kinder oft deutlich anders als weibliche erzogen. Aus den Jungen werden kleine Machos, die auf Frauen als minderwertige Geschöpfe herabblicken und beispielsweise Erzieherinnen keine Hand geben wollen. Das ist zwar grundsätzlich keine Frage der Religion, aber gerade in diesem Punkt ist die kulturelle Entwicklung sehr mit einer bestimmten Religion verknüpft. Islamische Staaten kennen keine Trennung von Staat und Religion. In diesen Staaten gab es kaum oder gar keine politische Aufklärung. Humanismus hat dort keine Tradition. Menschenrechte rangieren hinter dem mittelalterlichen Rechtssystem der Scharia. Auch gewaltsames Verteidigen der Familienehre erinnern an unsere mittelalterlichen Unsitten des Duellierens und der Fehde, die bei uns zum Glück seit Jahrhunderten verboten sind.
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529. |
Bei Menschen ohne kritische Distanz zu ihrer eigenen Erziehung kann Integration fast unmöglich werden. Da spielt die Beherrschung der Sprache des Gastlandes nur eine untergeordnete Rolle. Das kann man in den französischen slumähnlichen Vorstädten, den Banlieues, beobachten. Die Menschen dort sprechen im Regelfall französisch und haben französische Schulen besucht, wenn auch nicht mit besten Abschlüssen. Der Kölner Stadtanzeiger brachte am 11.11. 2016 die erschreckende Botschaft: „Die Hälfte der in Frankreich lebenden muslimischen Jugendlichen lehnt die Werte der Republik ab und nutzt den Islam, um sich am Rande der Gesellschaft zu behaupten“ ([107])… Das ist eine gesellschaftliche Katastrophe! Dass in so einer Umwelt Terrorismus entsteht, ist nachvollziehbar. Dass der französische Präsident Nicolas Sarkozy (2007-2012) die Banlieues mit dem Kärcher, einem Hochdruckreiniger(!), säubern wollte, zeigt, wie schwierig das Problem auch zu damaliger Zeit war und die Lage hat sich nicht gebessert. Leider spielt die Religion dabei eine wichtige Rolle. Denn ein Grundmuster des Verhaltens dieser Jugendlichen ist: Ihr (Franzosen) achtet unseren Gott und unseren Propheten nicht, da achten wir euren Staat und seine Institutionen auch nicht. Und das, obwohl sie im Regelfall bereits Franzosen geworden sind.
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530. |
Der französische Terrorexperte David Thomson berichtet am 6.2.2017 im Spiegel von seinen fünfjährigen Erfahrungen mit französischen Rückkehrern vom Terroreinsatz im Irak und in Syrien ([108]). Nur 4 von 30 haben sich vom Terror distanziert. Lediglich einer hat sich glaubwürdig losgesagt und hat sich auch vom Islam distanziert, was ihm Probleme mit Eltern, Verwandten und Freunden gebracht hat. Der Islamist, der 2016 einen französischen Pfarrer in seiner Kirche enthauptet hat, war IS-Rückkehrer, der sich angeblich losgesagt hatte und eine Fußfessel trug. Das fast unlösbare Problem der französischen Jugendlichen, die zum IS gehen, ist folgendes: ihr Leben in Frankreich ist uninteressant und perspektivlos. Dagegen verspricht ihnen der IS Anerkennung, persönliche Größe und als Märtyrer das Paradies. Ihnen, die noch keine Gelegenheit hatten, genügend Selbstvertrauen zu entwickeln, stellt sich folgende Alternative: „Willst du ein armes Würstchen bleiben oder willst du ein großer, strahlender Held werden?“
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531. |
Es ist zu befürchten, dass es auch in Deutschland vergleichbare religiöse Einstellungen gibt. Wenn man da Erfolge haben wollte, müsste man große Summen in die Erziehung sowohl der Mütter als auch der Kinder investieren, intensiv kontrollieren und alles laufend wissenschaftlich untersuchen und auf jeden Fall eine Möglichkeit des Zurückschickens von Lernunfähigen und Lernunwilligen haben.
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532. |
Nach dem Urteil des französischen Professors einer Pariser Hochschule Gilles Kepel kommt auf uns eine neue Welle der Islamisten der 4.Generation zu ([109]). Sie gehören nicht mehr unbedingt Organisationen wie dem IS an, sondern sind durch das Internet radikalisierte Einzeltäter. Eine wichtige Bestätigung für seine These war die Enthauptung des Lehrers Samuel Paty am 16. Okt. 2020 in Conflans-Sainte-Honorine bei Paris. Der Täter war ein 18-jähriger Franzose tschetschenischer Herkunft. Er kannte den Lehrer nur durch die Medien und ermordetet ihn, weil dieser im Unterricht religiöse Karikaturen gezeigt hatte.
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533. |
Als Vater von einem Jungen und einem Mädchen weiß ich, wie schwer es ist, Kinder gleich bzw. gerecht zu behandeln, obwohl wir Eltern dieses Ziel bei der Erziehung immer vor Augen hatten. Eine ungebildete muslimische Mutter kennt dieses wichtige Ziel gar nicht, wie soll das gut gehen? Dann erzieht sie kleine Machos, die nicht gelernt haben, sich beim Lernen zu plagen. Ein intelligenter junger Muslim, als Deutscher geboren, sagte mir einmal „Theorie ist nicht so mein Ding“. Dem hätte ich als Vater mit Nachdruck gesagt, dass er sich gefälligst anstrengen soll. Und mit Theorie meinte dieser junge Mann, der gut deutsch sprach, nicht etwa etwas besonders Kompliziertes, sondern nur ganz schlicht und einfach die Schule. Kurz gesagt, er hatte keinen Bock, sich in der Schule anzustrengen. Wer aber keine vorzeigbaren Schulzeugnisse hat, der findet keinen Job, der seinen geistigen Fähigkeiten entspricht. So wird nichts aus Integration!
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534. |
Zurück zu den Entwicklungsländern. Es muss nicht nur Geld für konkrete Projekte investiert werden. Die Völkergemeinschaft muss sich auch überlegen, wie die Ausbeutung armer Länder verhindert oder zumindest begrenzt werden kann.
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535. |
Die UN muss Schutzregeln für Entwicklungsländer definieren. Die folgende ist nur ein Beispiel für so eine Schutzregel, das die Richtung verdeutlichen soll. Circa-Regel: „Die Hälfte der Einnahmen aus Öl, Uran und sonstigen Bodenschätzen und Großanbauflächen ausländischer Unternehmen muss dem Schürfland bzw. Erzeugerland zugutekommen“. Auch sind Umweltschäden zu begrenzen und wiedergutzumachen. Die UN bzw. ihre Unterorganisationen müssen das überprüfen.
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536. |
Der Uranabbau im Niger ist ein schlimmes Beispiel, das Marvin Kumetat im spiegel-online vom 28.12.2013 angeprangert hat. Der französische Großkonzern Areva hinterlässt angeblich nur Umweltverschmutzung, Armut, Not und Konflikte ([110]). Frankreich trägt angeblich nichts zur Verbesserung der kritischen Lage bei, sondern ist durch den großen Bedarf an Kernbrennstoff in den eigenen Atomkraftwerken eng mit den dortigen Machthabern verbunden. Über 50% der französischen Uranimporte kommen aus dieser Region. Leider ist das ein Beispiel dafür, dass sich europäische Entwicklungspolitik nur begrenzt koordinieren lässt und zu europäischen Konflikten führen kann. Deutschland kann keinen direkten Einfluss auf die französische Energie- und Atom-Politik nehmen und will das auch nicht. Mittlerweile will Frankreich seinen Atomanteil an der Elektrizität verringern, weil die Kühlung der Atomkraftwerke bei großer Trockenheit nicht mehr gewährleistet ist. Europäische Institutionen könnten bei Konzepten für alternative Energien helfen.
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537. |
Jedes Entwicklungsland muss das Recht haben, eine eigene Lebensmittelproduktion – in definierten Grenzen – gegen Importe zu schützen. Beim Wegfall von Erlösen, mit denen Lebensmittelimporte bezahlt werden, muss eine Notversorgung der Bevölkerung möglich sein. Ein entsprechender Passus konnte bei der Welthandelskonferenz im Jahr 2013 nicht! verabschiedet werden. Das wäre aber nötig, da es besser ist, Hunger durch Eigenproduktion zu vermeiden als Nahrungsmittel für Hungernde zu erbetteln.
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538. |
Der US-amerikanische Expräsident Bill Clinton hat sich öffentlich für die Rolle entschuldigt, die seine Regierung (1993-2001) bei der Zerstörung eines großen Teils der Landwirtschaft in Haiti gespielt hat. Die Existenz Tausender Reisbauern ist durch den Import von subventioniertem Reis aus den USA vernichtet worden und hat das Land von Lebensmittelimporten abhängig gemacht ([111]).
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539. |
Es könnte sein, dass wir eines Tages nachwachsende Rohstoffe zur Herstellung von Treibstoff und Öl brauchen. Dann brauchen wir aber auch Liefer-Beschränkungen, damit arme Länder ihre Lebensmittel nicht in Biokraftstoff umformen oder umformen lassen, während die eigene Bevölkerung nicht genug zu essen hat.
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540. |
So dürfte beispielsweise die Regierung eines afrikanischen Landes die Rechte an seiner Küste zu fischen, nicht an internationale Konzerne verkaufen und die einheimischen Fischer schädigen. Da hatten korrupte Politiker Geld eingestrichen und sich nicht um die eigene Bevölkerung gekümmert. Die Politiker machen sich, sobald so ein Drama publik wird, aus dem Staub und internationale Konzerne pochen auf erworbenen Rechte. Wenn der Erwerb solcher Rechte nach internationalem Recht illegal und solche Verträge deshalb nichtig sind, würden die Konzerne vorsichtiger.
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541. |
Die Vereinten Nationen werden in Zukunft die wichtige Aufgabe bekommen, die Bürger unterentwickelter Länder vor den eigenen korrupten Politikern zu schützen. Dazu muss die UN allerdings auch die Korruption in der eigenen Organisation wirksam bekämpfen.
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542. |
Auch einzelne Länder können etwas tun. So sollten deutsche Firmen überprüfen, wie die aus armen Ländern importierten Produkte hergestellt werden. Wenn jeweils die Anbieter mit niedrigsten Preisen ausgewählt werden, kann sich jeder ausmalen, was passiert. Dann bekommt der Produzent die Aufträge, der die größte Anzahl produzierender Menschen auf gleichem Raum unterbringt, der keine Klimaanlagen hat, der bei der Arbeitsplatz-Beleuchtung spart und sich Entgiftungsanlagen und Brandschutz spart und möglichst noch die niedrigsten Löhne bezahlt. Das ist dann importierte Ausbeutung und Unmenschlichkeit. Wenn die Käufer wüssten, dass eine solche Tragik der Preis für die billigen Produkte ist, würde die Mehrheit vielleicht kritische Kontrollen begrüßen. Erst wenn aus solchen individuellen Ländermaßnahmen UN-Regeln werden, wird sich grundsätzlich etwas ändern. Wenn aber alle Länder damit auf die UN warten, werden wir nichts mehr davon erleben.
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543. |
Palmöl ist ein sehr interessantes und wichtiges Produkt. Davon wurde nach einem Bericht in Bild der Wissenschaften vom Januar 2016 seinerzeit mehr ökologisch nachhaltig angebaut als nachgefragt ([112]). Beim Palmöl existiert ein besonderer Markt, da nicht die Konsumenten den Hauptanteil der Käufer ausmachen, sondern die Verarbeiter, die in erster Linie auf den Preis achten. Diese haben bisher keinen Vorteil davon, wenn sie auf nachhaltigen Anbau achten. Wenn Wälder gerodet werden, um Ölpalme neben Palme zu pflanzen, wird der Boden ausgelaugt und die Gefahr von Schädlingen erhöht. Wenn Palmen klug mit anderen Bäumen gemischt werden, entsteht gleichzeitig Lebensraum für Vögel und andere Tiere, auch wird der Boden nicht gänzlich ausgelaugt und man kann ohne synthetischen Dünger auskommen. Der Hektarertrag sinkt zwar, aber dafür gibt es viele nachhaltige Vorteile. Monokulturen sind überall und bei allen Pflanzen von Übel, im ungünstigen Fall eine Katastrophe für eine ganze Region.
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544. |
Palmöl ist deshalb ein besonders wichtiges Produkt, weil es derzeit die höchste Ölausbeute je Anbaufläche ermöglicht. Außerdem ist es in vielen Produkten verwendbar. In Lebensmitteln, Kosmetika, Arzneimitteln und Chemikalien ist es enthalten, aber auch für Biodiesel ist es zu gebrauchen. Deshalb wird es auch „Rotes Gold des Regenwalds“ genannt.
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545. |
Friedliche Länder sind wohlhabender. Sipri-Chef Tilman Brück: „Friedliche Länder haben mehr Wachstum, sind im Durchschnitt wohlhabender als nichtfriedliche Länder und deren Nachbarn“ ([113]). Sipri ist das Stockholm International Peace Research Institute, das vom schwedischen Staat finanziert wird. Deshalb sollte die UN gewählte Regierungen unterstützen, wenn regionale Warlords Krieg gegen ihre Zentrale führen. Es muss auch UN-Hilfestellung geben, damit Volksgruppen nicht stark benachteiligt werden.
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546. |
Ein Gleichgewicht der Volksgruppen ist sogar in Deutschland wichtig. Das ist für Außenstehende gar nicht so offensichtlich. Aber wenn ein Minister- oder Staatssekretär-Posten unbedingt mit einem Kandidaten aus einem möglicherweise „benachteiligten“ Bundesland besetzt werden soll, dann fällt es hier auf. Dann kommt es vor, dass die Bürger denken, da ist doch ein fähiger Kandidat, warum wird der nicht genommen? Aber der passt vielleicht nicht wegen des Länder-Proporzes.
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547. |
Wenn ein Land aus Hutus und Tutsis besteht, dann kann es für einen Präsidenten schon nachvollziehbar leichter sein, seine Minister und Beamten nur aus seinem eigenen Stamm auszuwählen. Aber so wird kein friedliches Gleichgewicht erreicht. Im Irak ist ein solches Ungleichgewicht zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden ein wichtiger Grund, weshalb es so schwer ist, dort Frieden zu schaffen.
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548. |
Die These, dass die Armut der Entwicklungsländer generell durch ihre frühere Ausbeutung im Kolonialismus erklärbar ist, muss kritisch hinterfragt werden. Dazu gibt uns David Landes ein anschauliches Beispiel aus der japanischen Historie. Samurai kämpften mit Schwertern gegen Bauern mit Schusswaffen: „Und so kam es, dass die Krieger aus Satsuma im Jahre 1878 in ihren prachtvollen Gewändern und furchteinflößenden Rüstungen einherstolzierten und mit stählernen Schwertern […] vor den regungslos verharrenden und unerschütterlichen Reihen einer Bauernarmee herumfuchtelten, die diszipliniert, uniformiert und mit Musketen ausgerüstet war. Als sich der Pulverrauch verzogen hatte, lag die Blüte japanischer Ritterschaft tot am Boden.“ ([114])
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549. |
Es haben also nicht nur Kolonisatoren gegen Naturvölker gekämpft. Und kein Japaner klagt heute noch über den Fluch der Musketen. Überlegene Waffentechnologie hat sich in der Geschichte immer durchgesetzt, egal ob sie durch feindliche Nachbarn, fremde Eroberer oder durch andere Volksgruppen gekommen ist. Da ist ein Jammern über lange zurückliegende Ausbeutung nur ein Vorwand, um sich nicht anzustrengen zu müssen.
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550. |
Das ist Deutschland ähnlich ergangen, als zum Beispiel Napoleon mit besserer Artillerie und hoch motiviertem, schnell beweglichem Bürgerheer unser Land überrannt hat. Die Kölner Bürger haben ihre Stadt damals kampflos übergeben. Und als Napoleon mit 20 (zwanzig!) Pferdewagen-Ladungen voller Kirchen- und Klosterschätze aus Köln abzog, konnte der Verdacht aufkommen, dass er die Klöster nicht nur zur Befreiung der Menschen aufgelöst hatte. Dennoch versuchte man hier auch das Positive seiner Eroberung und Verwaltungsneuerungen zu würdigen und hat nicht geklagt: Weil Napoleon uns ausgeplündert hat, müssen wir arm bleiben und können die Hände in den Schoß legen und können die Franzosen anklagen.
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551. |
Man denke an Länder wie Liberia und Äthiopien. Wenn nur Kolonialismus die Entwicklung behindern würde, müssten diese schon lange unabhängigen Länder ökonomische Juwelen in Afrika sein. Sie gehören aber zu den ärmeren Ländern des Kontinents. 2011 hat sich der Südsudan vom Sudan abgespalten. Man startete mit großen Hoffnungen in die Selbständigkeit und nun, Jahre später, ist die Hoffnung geschwunden. Die ehemalige UN-Sondergesandte Hilde Johnson kritisierte die Regierungspartei SPLM 2014 deutlich: „Wenn die Menschen und das Land Priorität haben, ist es nicht schwer, Lösungen zu finden […], aber hier geht es nur um reinen Machtkampf“ ([115]). So bleibt die Region arm und die Nachbarn leiden mit darunter.
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552. |
2006 hat der Ökonomieprofessor Muhammad Yunus aus Bangladesch mit seiner Grameen Bank den Friedensnobelpreis bekommen. Und zwar für seine Idee der Mikrokredite als Hilfe zur Selbsthilfe in Entwicklungsländern. Die Idee, dass eine Frau in einer armen Umgebung einen Kredit für eine Nähmaschine bekommt und mit den Erlösen aus ihrer Näharbeit den Kredit zurückzahlt, ist sicherlich gut. Aber ob die zweite Frau in ihrer Umgebung dann mit der zweiten Nähmaschine denselben Erfolg hat, ist schon eine andere Frage und wenn eine arme Umgebung die Näharbeit gar nicht bezahlen kann, klappt der Kreislauf auch nicht.
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553. |
Insgesamt werden die Mikrokredite heute wesentlich kritischer gesehen und Philip Mader kommt zu dem Ergebnis, dass die Kleinstkredite Armut ausnutzen und verfestigen ([116]). 2010 gab es eine Selbstmordwelle unter Mikrokreditnehmerinnen. Auch die statistische Erhebung, dass die Mehrzahl der Kredite zum täglichen Überleben und für die Behandlung von Krankheiten verwendet werden, deutet nicht darauf hin, dass so eine neue Mittelschicht und Wohlstand geschaffen werden kann.
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554. |
Bangladesch gehört leider zu den ärmsten und korruptesten Ländern der Welt, da sind die Chancen für wirtschaftliche Entwicklung durch Kleinprojekte schlecht, trotz Friedensnobelpreisträger. Und vermutlich würde Herr Yunus den Preis heute gar nicht mehr bekommen. Er erhielt den Preis für eine Hoffnung, die sich leider nicht erfüllt hat.
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555. |
In den 1970er Jahren nannte man die großen Länder Südamerikas die „Zweite Welt“ und glaubte, dass sie bald Anschluss an die Erste Welt (Europa und Nordamerika) haben würden. Die wirtschaftliche Entwicklung stand unter dem Einfluss von „Chicago-Boys“, Finanzberatern der Universität Chicago, die den Monetarismus vertraten. Sie wollten mit der Steuerung der Geldmenge wirtschaftlichen Erfolg erreichen. Aber das klappte nur sehr begrenzt.
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556. |
Da hat Südkorea mit seiner staatlichen Förderung erst der Stahlindustrie und dann des Schiffbaus viel mehr Erfolg gehabt. Dem folgte dann auch noch eine eigene Auto- und Elektronik-Industrie. Die kulturelle und Arbeits-Mentalität der Länder ist zwar recht unterschiedlich. Der koreanische Erfolg liegt dem Keynes’schen Ansatz näher als dem Monetarismus der Chicago-Ökonomen. Er versucht erst einmal beschäftigungsintensive Industrien zu fördern, die etwas mit den Ressourcen des Landes zu tun haben, bevor man sich mit der Geldmenge beschäftigt. |
557. |
Andererseits muss man darauf hinweisen, dass es in einigen südamerikanischen Ländern so hohe Inflationsraten gab, dass der Waren- und Geldverkehr nicht mehr funktionierte. Für die Erkenntnis, dass man eine solche Hyperinflation bekämpfen muss, um vernünftig wirtschaften zu können, braucht man aber keine Ökonomie-Professoren aus Chicago.
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558. |
Im Dezember 2013 starb Nelson Mandela und viele Spitzenpolitiker aus aller Welt begleiteten ihn auf seinem letzten Weg. Sie anerkannten eine außergewöhnliche Persönlichkeit, die nach weit über 20 Jahren im Gefängnis in dem ehemaligen Apartheidregime Südafrika Präsident wurde. Statt Rache zu üben sprach er eine Amnestie aus und setzte eine Wahrheitsfindungs- und Versöhnungs-Kommission ein. Das war ein großer Schritt auf dem Weg zu einem friedlichen und wohlhabenden Südafrika. Aber er hatte als Präsident nur noch vier Jahre Kraft und Zeit.
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559. |
Danach ist leider der Eindruck entstanden, dass die Regierung der dominierenden ANC-Partei Korruption und Gewalt nicht genug bekämpft. Damit erschwert sie ausländische Investitionen und weiteren Wirtschaftsaufschwung. Nelson Mandela war es wichtig, dass auch die weiße Minderheit im neuen Südafrika nicht diskriminiert wird. Hoffentlich kann Mandelas erfolgreicher Weg fortgesetzt werden, vergleichbare persönliche Vorbilder sind ihm in seiner Heimat bisher leider nicht gefolgt.
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560. |
Einen kleinen gedanklichen Sprung erfordert der nächste Satz, der von einem türkischstämmigen deutschen Lehrer stammt. „Wenn ihr (Deutschen) eine Million türkische Lehrer nach Deutschland gelassen hättet, hättet ihr kein Integrationsproblem gehabt. Aber ihr habt über eine Million türkische Hilfsarbeiter reingelassen, da habt ihr natürlich ein Integrationsproblem bekommen.“
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561. |
Integration hängt vom Bildungsstand der zu Integrierenden ab. Mit fleißiger Arbeit konnte man damals, ab ca. 1960, deutsche Arbeitgeber zufrieden stellen, aber integriert waren die Arbeiter damit noch lange nicht. Integration war gar kein wichtiges Ziel für die Gastarbeiter, die ja nach ein paar Jahren Gastaufenthalt wieder zurück in ihre Heimat sollten. Nun haben sich mittlerweile viele dieser Gast-Arbeiter-Nachfahren durch Ausbildung und Bildung einen anerkannten Platz in der deutschen Gesellschaft erarbeitet. Um voll akzeptiert zu werden, muss man sich in jedem Land der Erde nützlich machen. Ohne Beherrschung der Landessprache und ohne berufliche Qualifikation geht das nirgends.
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562. |
Zum Thema berufliche Qualifikation ist mir ein kritischer Fall aus den 1970er Jahren gut in Erinnerung. Da hatte ein deutscher Vater ohne Immigrationshintergrund seinem Sohn nach Abschluss der Volksschule gesagt: „Jetzt bring erst mal Geld nach Hause“! Dieser Sohn hat seinem Vater nie verziehen, dass er nach der Schule nichts lernen durfte, was sich die Familie durchaus hätte leisten können. Er hat sich in seiner beruflichen Entwicklung immer benachteiligt gefühlt und diese getrübte Familienstimmung ist sogar auf die nächste Generation übergegangen. Der Wille der Eltern, dass ihre Kinder es einmal besser haben sollen, ist sehr wichtig, um aus einer unbefriedigenden sozialen Situation herauszukommen. Diese Einstellung verbessert das Familienklima und den Familienzusammenhalt mehr als alles andere.
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563. |
Eine wichtige Anregung habe ich für die, die eine Verbindung zu muslimischen Gesellschaften haben oder ihr angehören. Der Koran hat eine starke Bilderfeindlichkeit erzeugt. In der christlichen Geschichte gab es in der frühen Christenheit, in Ostrom und nach der Reformation (bei Zwingli, nicht bei Luther) auch eine große Skepsis bzw. Feindschaft zu Bildern, die aus der Bibel abgeleitet wurde. Es gab sogar christliche Bilderstürmer, die wertvolles Kulturgut zertrümmert haben.
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564. |
Innovationen und Erfindungen benötigen aber unbedingt Bilder wie Skizzen, Abbildungen und Modelle, wichtiger noch als Sprache. Bei den Computern ist eine Entwicklung zu grafischen, also bildlichen Systemen zu beobachten, die für das menschliche Gehirn offensichtlich leichter sind als reine Sprachbefehle und deren Abkürzungen. Auch unsere Träume sind sehr bildorientiert. Ohne eine positive Einstellung gegenüber Bildern werden muslimisch dominierte Länder technologisch und wirtschaftlich nicht zu innovativen Staaten aufschließen können. Und wenn ihr Öl zur Neige geht, werden sie der Welt keinen Sand verkaufen können! (hört sich fast wie eine Indianerweisheit an) Das heißt, Ölstaaten werden mittelfristig verarmen, wenn sie keine neuen Wirtschaftsideen umgesetzt haben. Nur nebenbei: Wüstensand ist zu feinkörnig und rund, um ihn gut als Bausand verwenden zu können; Bausand ist heute knapp und teuer.
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565. |
Eine allgemeinere Überlegung möchte ich noch zum Thema Entwicklungsländer und ihre Entwicklungs-Chancen anfügen. Zum Glück wird Max Webers „protestantische Ethik“, die die Industrialisierung und den ökonomischen Erfolg befördern soll, von der modernen Soziologie kritisch gesehen. Ansonsten hätten viele Entwicklungsländer schlechte Karten. Nun mag es ja protestantische Puritaner geben, die glauben, dass Gott ihnen wohlgesonnen ist, was sich darin zeigen soll, dass er sie reich gemacht hat. Aber auch diese Puritaner werden auf die Bibelstelle treffen, die sinngemäß lautet: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als dass ein Reicher in den Himmel kommt. Da muss ein reicher Puritaner sehr nachdenklich werden und merken, dass seine Wohlstandsthese nicht aus der Bibel ableitbar ist.
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566. |
Max Weber hat die These des ökonomischen Vorteils der protestantischen Ethik aufgestellt, die ihren Wert schon dadurch hatte, dass viele Wissenschaftler die Ursachen von wirtschaftlichem Erfolg der Staaten untersucht haben und geprüft haben, ob Webers These stimmig ist. Vermutlich gilt sie sehr eingeschränkt.
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567. |
Ein sehr wichtiger Beitrag zur Mentalitätsänderung hin zu einer modernen Gesellschaft und Zivilisation war die Zeit des Reformators Martin Luther (1483-1546). Ein wichtiger Anstoß dazu war, dass in protestantischen Familien viel in der Bibel gelesen wurde. Damit das überhaupt möglich war, musste das Volk erst einmal lesen lernen. Beim Lesen begegnete man dann besonders im Alten Testament interessanten Berichten. Aber ohne nachzufragen, konnte man die kaum verstehen. Beispielsweise konnte man nicht verstehen, wenn im Alten Testament der Rechtsgrundsatz steht „Aug um Auge, Zahn um Zahn“ (wie bei der Scharia) und im Neuen Testament dagegen steht „Wenn dir jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die linke hin“, was schon an Masochismus grenzt und kaum praktikabel erscheint. Da konnte man also nicht nur in der Bibel lesen, sondern musste auch nachfragen und sich Dinge erklären lassen. Vor Luther geschah das durch die Klasse der Geistlichkeit als Vermittler. Anderen war oft sogar verboten, die Bibel zu lesen. Seit Luthers Verständnis des Christenmenschen standen die Gläubigen alleine direkt vor Gott und seiner Schrift. Die Geistlichkeit war kein nötiger Vermittler mehr, ihr blieben nur Hilfsdienste. Das Wort der Bibel war wichtiger geworden als Ritus, Tradition und Gesetze der Kirche. |
568. |
Da fing das menschliche Gehirn erst richtig an zu arbeiten! Besonders die lesekundigen Mütter hatten eine wichtige Funktion bei der Anhebung des Bildungsniveaus ihrer Kinder und langfristig der ganzen Gesellschaft. Das Lesen in der Heiligen Schrift war religiöse Erziehung und mindestens so wichtig wie das Arbeiten. Da konnte niemand mehr sagen: „Jetzt sitz mal nicht so faul mit dem Buch (Bibel) herum, sondern arbeite“! Seit Luther wurden in den protestantisch gewordenen Gebieten Klöster aufgelöst, da wurden viele lesekundige Mönche und Nonnen freigesetzt. Sie mussten sich als Kirchendiener, Erzieher, Lehrer, Berater und ähnliches Stellen suchen, wo sie dann als Bildungs-Multiplikatoren wirkten. Luther blieb nicht der einzige Reformator, da hatte viel geistiges Potential geradezu auf seine Entfaltung gewartet. Dieses Potential hatte sich vorher nicht getraut, um nicht auf dem Scheiterhaufen der Inquisition zu landen. Ein Teil dieses geistigen protestantisch-protestlerischen Potentials war früher aus Frankreich und Österreich in deutsche Lande vertrieben worden. Der tschechische Kirchenkritiker Jan Hus landete 100 Jahre vor Luther trotz der Zusicherung freien Geleits noch auf dem Scheiterhaufen.
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569. |
Zum anderen war die Bibel, die Luther in eine verständliche Sprache übersetzt hatte, durch Gutenbergs neues Druckverfahren für viele erschwinglich geworden. Nachdrucke machten die Bibel dann noch preiswerter und förderten ihre Verbreitung weiter. Aber nicht nur erschwinglich wurde sie, sondern durch die Exaktheit der gegossenen Lettern wurde sie auch optisch leichter lesbar als vorher Handgeschriebenes oder seitenweise Gedrucktes, bei dem jeder Buchstabe ein wenig anders ausgefallen ist. Da die Bibel so wichtig geworden war, wurde sie in jedem protestantischen Haushalt angeschafft. Auch viele neue Kirchenlieder mit deutschem Text, spielten eine geistanregende Rolle. Der Liedermacher und Lautenspieler Luther verwendete dabei Melodien von Volksliedern, nicht mehr in den melancholisch-monoton klingenden Kirchentonarten. Der bilderstürmerische Schweizer Reformator Huldrych Zwingli dagegen hatte Angst vor der Lust am Singen (der anderen), die den Textinhalt nebensächlich werden lassen könnte, und verbannte Lieder aus dem Gottesdienst.
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570. |
Martin Luther, seine Mitstreiter, aber auch seine kirchenkritischen Widersacher haben wichtige gesellschaftliche Entwicklungen angestoßen. Luther kann leider kaum als menschliches Vorbild für heute gelten. Seine Äußerungen über Juden, Muslime, Bauern, Behinderte und Hexen sind haarsträubend. Sie zeigen, dass Luther ein Kind seiner Zeit war und dass es noch weit war bis zum Zeitalter der Aufklärung. Seine religiöse Grundaussage, dass es nur auf die Gnade Gottes ankomme und dass der Mensch nichts zur Verbesserung seines Seelenheils tun kann, ist nicht zwingend aus der Bibel abzuleiten. Liefe das nicht streng genommen auf einen willkürlich handelnden, ungerechten Gott hinaus? Die Philosophin Thea Dorn hat diese Problematik im Kölner Stadtanzeiger vom 20.Mai 2017 deutlich zugespitzt ([117]).
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571. |
Auch das Gewaltthema wurde damals neu angegangen. Luther zweifelte die Unfehlbarkeit des Papstes an, das war eine Kriegserklärung an den religiösen Oberbefehlshaber, der sich in weltlichen Machtfragen sogar mit dem Kaiser angelegt hatte. In der Folge sprach der Theologe Thomas Müntzer den Menschen das Recht zum Widerstand gegen Autoritäten zu. Das war gedanklich schon die Vorhut zur Französischen Revolution und zur Aufklärung.
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572. |
Das war die innergesellschaftliche Gewalt. Die weltpolitische Gewalt der alten Ordnung zeigte sich erst etwas später im 30-jährigen Krieg, von 1618-1648. Ohne ein starkes Schweden, das protestantisch geworden war, und seine Verbündeten hätte das kaiserliche katholische Heer die neuen emanzipatorischen Ideen vielleicht wieder gewaltsam beendet.
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573. |
Um sich vom katholischen, fast bildungsfeindlichen Monopol zu befreien, hat es damals die Umbrüche der Reformation gebraucht, damit sich kluge Mütter entwickeln und entfalten konnten. Mit dieser geschichtlich etwas vereinfachten „Erklärung“ sieht es dann schon wesentlich besser aus für nicht-christliche Regionen der Erde. Kluge engagierte Mütter sind äußerst wichtig für eine positive Entwicklung der Gesellschaft, ja der Menschheit. Es müssen ja nicht gleich „asiatische Tigermütter“ sein, die aber deutliche Erfolge bei der Erziehung haben! Natürlich haben auch Kinder ohne Mütter gute Chancen im Leben, wenn sich andere kluge Bezugspersonen verständnis- und liebevoll um sie kümmern. Luther wollte nicht nur Mütter fördern, sondern hat Bildungseinrichtungen für alle Kinder gefordert.
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574. |
Einen Gedankensprung in die Gegenwart ist für mich zwingend. Braucht der Islam heute auch eine Reformation? Er bräuchte sie vielleicht, aber die derzeitige Hauptkritik an dieser Religion, insbesondere an ihren terroristischen Missbrauchsmöglichkeiten kommt von außen. Zu Luthers Zeit stand der riesige Finanzbedarf des Papstes und der Kirche den christlichen Werten entgegen. Die Erfindung des Fegefeuers und seiner Verkürzung durch den Erwerb teurer Ablassbriefe konnte keinen kritischen und rechtschaffenen Christen überzeugen. Da war Luther nur ein mutiger und wirksamer Kritiker der Zustände in! seiner Kirche, mit der er später den –ursprünglich ungewollten- Bruch wagte. Die Reformation kam also von innen und da kann man bei den Hauptrichtungen des Islam wenig erkennen. Der stärkste Veränderungsdruck auf den Islam kommt heute von außen. Ob daraus eine Islam-Reformation entstehen kann, ist fraglich.
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575. |
Die türkischstämmige deutsche Anwältin Seyran Ates hat 2017 in Berlin den Versuch gestartet, eine liberale Moschee vor allem für Frauen zu gründen. Aber sie erhielt Morddrohungen und musste unter Polizeischutz gestellt werden. Sie schreibt fühlbar enttäuscht: „Die ganze Kopftuchdebatte ist mangelnde Demokratiefähigkeit, mangelnde Integrationswilligkeit und mangelnde Akzeptanz der Gleichberechtigung der Geschlechter.“([118]) Sie hat das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen und man wünscht ihr unbedingt Erfolg, ohne dass man schon ganz daran glauben kann. Um eine Reform von innen her anzustoßen, bräuchte sie viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die sind aber nicht in Sicht.
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In der Tradition europäischer Länder liegen Entwicklungsschritte wie Aufklärung, Trennung von Staat und Kirche, Gleichberechtigung der Geschlechter und ein modernes Rechtssystem. Diese Schritte sind muslimischen Gesellschaften ganz oder teilweise fremd. Deshalb wäre es wichtig, eine „Europäische Toleranz-Deklaration“ zu entwickeln. Eine solche Deklaration müsste besonders den muslimischen Immigranten erklärt werden, bis sie sie verstanden haben und sie unterschreiben können. Dazu könnten auch Elemente wie ein Burka-Verbot und ein Beschneidungsverbot von Frauen gehören, die zwar nichts mit dem Koran zu tun haben, aber mit rückständigen Traditionen muslimischer Staaten, die Immigranten von dort für selbstverständlich und gottgegeben halten. Diese Toleranz-Deklaration könnte als Erweiterung oder Interpretation unseres Grundgesetzes betrachtet werden. Die Zielgruppe hierbei wären nicht die eigenen Bürger, sondern die, die es werden wollen.
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Nur ein kleiner gedanklicher Schritt ist es von den bildungsorientierten protestantischen Müttern über die asiatischen Tigermütter zu der Tatsache, dass asiatische Tigerstaaten wie Japan oder China so hohe Hürden für Immigranten haben, dass sie kein Integrations-Problem haben. Allein mit der chinesischen Schrift haben sogar studierte Sinologen ihre Schwierigkeiten. Das führt dazu, dass ihre arbeitende Bevölkerung eine höhere Homogenität behalten hat und die ist wichtig für die Produktion von hoher Qualität. Die dort vorherrschenden Religionen, die eher Lebensphilosophien sind, erzeugen Homogenität und fördern Arbeitsbereitschaft. Auch die Erkenntnis, dass Kinder ein Segen sind, aber zu viele Kinder das Saatgut für die Ernten der nächsten Jahre aufessen und damit die Chancen einer guten wirtschaftlichen Entwicklung verspielen, ist in asiatischen Ländern vorhanden. Hierzu muss kritisch angemerkt werden, dass nicht nur der Islam sondern auch die katholische Kirche hier keinen Beitrag zur Lösung dieses Problems der Menschheit leistet.
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578. |
Ich halte es für sehr wichtig, dass die Auswirkung von Immigration auf die Produktion von Qualität gründlich untersucht wird. In der Produktion bei Agfa Foto waren zwölf Nationen beschäftigt. Die Immigranten und Immigrantenkinder beherrschten die deutsche Sprache gut, aber oft nicht perfekt. Sie haben vielleicht sogar williger und zuverlässiger als Durchschnittsdeutsche gearbeitet. Ebenso war aber davon auszugehen, dass sie beim Erkennen von Qualitäts-Mängeln und Verbesserungsmöglichkeiten zurückhaltender als Durchschnittsdeutsche waren, weil sie generell zurückhaltender waren und weil es für sie im Konfliktfall schwerer war, einen neuen guten Job zu finden.
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579. |
Bei unseren heutigen Armutsimmigranten ist bei der Arbeitsmotivation gar kein Vorteil zu erwarten. Sie kommen ja nicht, um unserem Land zu helfen, sie kommen vor allem, weil sie ein besseres Leben haben wollen; das lässt sich notfalls auch ohne Arbeit realisieren. Die Gastarbeiter kamen damals, weil sie gerufen wurden und es kamen solche, die hier gebraucht wurden. Da muss unbedingt wissenschaftlich untersucht werden, ob sich unser Land in Bezug auf die Arbeitsqualität verschlechtert. Das könnte sich langfristig als katastrophaler! Nachteil im Vergleich zu den asiatischen Tigerstaaten erweisen. Das kann dazu führen, dass wir unseren heutigen Wohlstand nicht mehr finanzieren können! Das muss gründlich und breit diskutiert werden, damit Politiker morgen nicht sagen können: “Eine solche Entwicklung konnte ja keiner ahnen!“
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580. |
Noch ein Argument für mehr Hilfe an unterentwickelte Staaten und dementsprechend weniger Hilfe für Armutsimmigranten. In den 1980er Jahren überlegten noch mehr Deutsche als heute auszuwandern. Damals begegnete ich einer netten, erfahrenen brasilianischen Lehrerin, mit der eine Verwandte nach Brasilien auswandern wollte. Diese Lehrerin, die in ihrem Land nicht gut bezahlt wurde, berichtete, dass Kinder wohlhabender spendabler Eltern, die zu den Festen des Jahres den Lehrern immer etwas Besonderes mitbrachten, kaum sitzen bleiben konnten. Die Lehrer wollten ihre „Bezugsquellen“ nicht verlieren.
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581. |
Wenn man in armen Ländern –wie Brasilien- also erreichen würde, dass nur Schul- und Universitätsabgänger mit besten Zeugnissen in wichtige Staatsfunktionen kämen, würde das noch lange nicht bedeuten, dass die Besten das Land regieren. Der Kampf gegen Korruption ist untrennbar damit verbunden, dass die Staatsdiener –also auch die Lehrer- von ihrem Gehalt leben können. Der Wunsch, immer noch mehr haben zu wollen, ist dann nicht mehr typisch für die Armut. Die Gier wächst eher mit zunehmendem Reichtum. Diesen Kampf gegen Korruption lohnt sich zu unterstützen, aber womit, wenn wir das verfügbare Geld und die verfügbare Energie in Immigration gesteckt haben.
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582. |
2013 hat Deutschland 0,38% des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe ausgegeben. Der UN-Richtwert beträgt 0,7%; der Durchschnittswert ist 0,4% und die USA geben 0,19%, also sehr wenig, dafür aus. Unsere Hilfe für Länder, die sich stark um die Entwicklung ihres Wohlstands bemühen, sollten wir zuerst auf das von der UNO vorgeschlagene Niveau anheben. Dann sollten wir Überlegungen zur Erschwerung der Immigration anstellen. Dann können wir glaubhaft machen, dass wir gerne helfen wollen, aber den effektivsten Weg für die Hilfe wählen wollen. Und effektivster Weg für die Hilfe bedeutet, dass wir mit demselben Geld wesentlich mehr Menschen und Staaten dabei helfen können, einen Weg zu mehr Wohlstand zu gehen.
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583. |
Es gibt sogar neue Formen internationaler Ausbeutung. Das Olympische Komitee und der Internationale Fußball-Verband (und andere Sportorganisationen) veranlassen Länder, riesige Investitionen zu tätigen, die nach den Wettkämpfen zu Investitionsruinen werden. Im August 2014 gingen Bilder des Geländes und der Gebäude der olympischen Sommerspiele in Athen durch die Medien ([119]). Fast sieben Milliarden Euros hatte Griechenland 2004 in die Olympischen Spiele investiert. Zehn Jahre später ist der Olympia-Park dort nur noch ein Haufen Schrott. Das Land ist fast pleite und kann seit Jahren nichts mehr in die Erhaltung der Anlagen stecken. Was in Griechenland passiert ist, wird in armen Entwicklungsländern ähnlich ablaufen.
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584. |
Zwar ist in Griechenland nicht das ganze Geld fehlinvestiert, die verbesserte Infrastruktur ist zum großen Teil weiter nutzbar. Aber ist es denn verantwortbar, dass die Internationalen Sportgremien nicht danach fragen, ob die Bevölkerung unter Rieseninvestitionen leidet? In Brasilien gab es schon viel Protest, der von heimischer Polizei von den Medien ferngehalten wurde. In Brasilien sind an entlegenen Orten große Fußballstadien gebaut worden, die nach den Spielen leer bleiben werden. Bei olympischen Spielen hat man auch Wettkampfstätten gebaut für Sportarten, die im Land unüblich sind. Im November 2014 hörte man erstmalig Selbstkritik aus den Verbänden an den hohen Kosten der Spiele der Vergangenheit.
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585. |
Ich glaube, dass man bei Sportwettkämpfen radikal umdenken muss. Beispielsweise könnte es einen dauernden Wechsel von bisherigem Olympia in wohlhabender Umgebung zu einem „Olympia light“ mit deutlich weniger Disziplinen in ärmeren Regionen geben. Die Entwürfe für die Anlagen müssten auch Vorschläge für die Nachnutzung umfassen. Oft würden Bänke vor Großleinwänden wesentlich preisgünstiger sein als Stadionerweiterungen oder neue Stadien, besonders, wenn diese nachher überflüssig sind. Die Großleinwände könnten den Internationalen Sportorganisationen gehören und jeweils an die nächsten Veranstalter der Spiele weitergegeben werden.
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586. |
Ob ein armes Land Gelder vergeudet, um für sein Staatsoberhaupt einen goldenen Palast mit goldenen Betten baut oder ob es Wettkampfstätten baut, die nach den Spielen nicht mehr gebraucht werden, ist denen, die das Geld für Bildung und Gesundheit brauchen, ziemlich egal. Vielleicht müsste es Rückerstattungen für Fehlinvestitionen von den Internationalen Verbänden geben, dann wären diese auch materiell daran interessiert, Investitionsruinen zu vermeiden.
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587. |
Eines der großen Probleme der Menschheit soll Wassermangel sein bzw. werden. Grundsätzlich haben wir in den Ozeanen genug Wasser. Zur Nutzung muss es allerdings gereinigt und entsalzt werden. Besonders zum Entsalzen wird viel Energie gebraucht. Der gedanklich einfachste Weg dazu ist folgender: man kann Wasser entsalzen, indem man es kocht. Dann bleibt das Salz im Kessel, der entweichende Wasserdampf ist salzfrei, sogar keimfrei und muss nur noch gekühlt werden. In Afrika herrscht in vielen Gebieten Wassermangel. Dort scheint die Sonne so lange, dass mit Sonnenkollektoren und Photovoltaik viel Strom erzeugt werden könnte. Damit könnte das Wasser dann entsalzt werden. Also ist Wassermangel kein unlösbares Problem. Aber seine Realisierung könnte aufwendig werden.
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588. |
Hier könnte der Einsatz von Gentechnik vielleicht unausweichlich für die Menschheit werden. Man könnte versuchen, Gemüse (oder Kartoffeln usw.) zu züchten, das leicht salzhaltiges Gießwasser verträgt und das Salz in den Pflanzen einlagern kann. Dann könnte man sich später das Salzen der zubereiteten Speisen sparen. Dafür brauchte man das Wasser zum Gießen nicht vollständig entsalzen, was deutlich billiger wäre. Natürlich müsste man ein allmähliches Versalzen der Böden verhindern, was weitere Innovationen notwendig machen würde.
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589. |
Eine Lösung des Entsalzens im Großmaßstab ist sicher komplex und soll deshalb nur angedeutet werden. Deutschland könnte so ein Wasseraufbereitungs-Projekt als Entwicklungshilfe durchführen. Entwicklungsländer müssten sich dafür bei uns bewerben. Dann wäre denkbar, die Filter- und Entsalzungsanlagen bei uns auf einem großen Schiff zu bauen und auszuprobieren. Das funktionierende Schiff müsste an eine geeignete Küste gefahren und stabil verankert werden. Riesige Tanks für Seewasser und entsalztes Wasser wären nötig, da Photovoltaik-Strom nicht ununterbrochen verfügbar ist. Die zu bauenden Photovoltaik-Anlagen und Wasserleitungen müssten bis zum Projektende vielleicht von der Bundeswehr gesichert werden. Eine gute Infrastruktur zum Abtransport des sauberen Wassers und des gewonnenen Salzes wären wichtig. Wenn vom die Menschheit bedrohenden Wassermangel gesprochen wird, ist damit gemeint, dass Projekte wie das skizzierte nicht in ausreichender Zahl durchgeführt werden können.
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590. |
Vielleicht wäre es einfacher, die arabischen Länder zu bedrängen, einen größeren Anteil zu leisten beim Bemühen, den Trinkwassermangel in der Welt zu beheben. Sie haben viel Erfahrung mit der Meerwasserentsalzung. Das Kraftwerk „Dschabal Ali“ in Dubai produzierte 2017 täglich Millionen Liter Frischwasser aus dem Salzwasser des Persischen Golfs ([120]). Dort wird auch versucht, mit Hilfe der Osmose einen besseren Wirkungsgrad als bei der Verdampfung zu erreichen. In Saudi-Arabien stammten Anfang 2018 bereits 70% des Trinkwassers aus der Meerwasserentsalzung.
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591. |
An der chinesischen Universität in Hangzhou haben Forscher im Mai 2018 angeblich ein effektives Trennungsverfahren von Wasser und Salz mit dem Touring-Mechanismus entwickelt. Sie haben aber noch nicht gesagt, ob und wann es großtechnisch einsetzbar sein wird.
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592. |
Man könnte auch Meerwasser in wasserlose Gebiete oder geografische Salzpfannen pumpen, damit das Wasser dort verdunstet und sich dadurch die Regenwahrscheinlichkeit erhöht. Die entstehende Salzkruste könnte man wie in Salinen abbauen. Verdunstetes Wasser enthält kein Salz.
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593. |
Kleine Entwicklungsprojekte, wie zum Beispiel irgendwo ein paar Brunnen zu bohren, können bei einer Gesamtbetrachtung nutzlos sein. Wenn ein neuer Brunnen anderen, alten das Wasser abgräbt oder den Grundwasserspiegel senkt, ist das nicht nur ineffektiv, sondern es erzeugt darüber hinaus auch noch Streit mit Nachbarn. Entwicklungsprojekte müssen so geplant werden, dass sie langfristig funktionieren. Zur Koordination und Bewertung von Kleinprojekten und der Planung von Großprojekten braucht es unabhängiges Know-how.
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594. |
Dazu könnte gut ein Europäisches Bildungszentrum an einem afrikanischen Standort beitragen. Dort sollte es Schulen, eine Hochschule, ein Technologiezentrum und Werkstätten geben. Eine gute medizinische Versorgung müsste dort auch garantiert sein. Es könnten sich dann alle geeigneten EU-Bürger als Verwaltungskräfte, Planer, Dozenten, Handwerker usw. bewerben und vor allem zusammenarbeiten und afrikanische Kooperationshelfer für Entwicklungshilfe-Projekte ausbilden. Vermutlich müsste es sich um ein sehr großes Areal handeln, das von der EU langfristig gepachtet würde, auf dem auch ein Flughafen errichtet werden könnte.
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595. |
Neben projektbezogener Entwicklungshilfe wird es gerade in den Entwicklungsländern immer wieder Katastrophen geben, bei denen die Weltgemeinschaft helfen muss, um die größte Not zu lindern. Hierfür müssen wir auch noch Geld und Spendenbereitschaft einplanen. Meteorologen warnen, dass Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen künftig zunehmen.
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596. |
17. Prinzip der Klarheit, Einfachheit und Eindeutigkeit
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597. |
Die Grundidee zur Klarheit und Einfachheit lautet: Wir können nicht vermeiden, dass die Welt komplizierter wird. Die Anzahl der Menschen, denen die Welt zu kompliziert wird, nimmt zu. Sie verstehen sie nicht und sie können sich nicht mehr angepasst verhalten. Dabei handelt es sich nicht nur um Senioren. Auch Kranken, Migranten, Kindern usw. wird vieles zu kompliziert. Da sind alle denkbaren Vereinfachungen wichtig. Sie sind Hilfen zur Integration in unseren Staat und zum Verständnis unseres Staates und unserer Welt.
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598. |
Wir brauchen im Arbeitsleben zunehmend die Kompetenz der Älteren, auch weil absehbar ist, dass jüngere Fachkräfte fehlen werden. Das Rentenalter nur hoch zu setzen ohne begleitende Maßnahmen, kommt einer Rentenkürzung recht nahe und ist nicht sozial. Die Erfahrungen der Älteren sollten genutzt werden, wobei ihre etwas langsamere Anpassung an Neues und ihre oft eingeschränkte Gesundheit klug berücksichtigt werden müsste.
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599. |
Technologische Neuerungen können wir bei hochwertigen Arbeitsplätzen nicht vermeiden, aber bei den Begriffen gilt das nicht im selben Maß. Vor allem muss es eine Bremse gegen neue Namen aus Marketinggründen geben. Es sollte auch eine begriffsmäßige Festlegung geben, damit keine firmenspezifischen Namen gebildet werden. So hieß beispielsweise mein tragbares Sinus-Telefon für das Festnetz in der Betriebsanleitung Handy. Dieser Begriff wurde aber schon generell für Nichtfestnetz-Geräte verwendet. Bei tragbaren Computern gibt es heute Begriffe wie Laptop, Notebook und noch weitere. Ein Navigationsgerät von mir nannte sich Nürvi, das fand der Hersteller vielleicht originell, in Wirklichkeit stiften solche Namen nur Verwirrung.
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600. |
Da ist es wichtig, dass es ein offizielles Fach-Wörterbuch im Netz gibt, das die Bezeichnungen vereinfacht und erklärt – evtl. noch mit Skizzen und Bildern – das aktuell gehalten wird. Früher gab es einmal ein gutes EDV-Lexikon von IBM, als dieses Unternehmen noch führend in der Branche war. Aber ein gedrucktes Buch kann nicht aktuell bleiben. Vielleicht muss es sogar verschiedene berufsspezifische Wörterbücher geben, alle gratis im Netz verfügbar und mit den zugehörigen englischen Begriffen verknüpft und mit einer offiziellen Legitimierung durch die Kultusminister ausgestattet.
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601. |
Auch bei Gebäude-Namen wären Vereinfachungen wichtig. Der Name Flughafen Köln-Bonn sagt etwas über die geografische Lage des Flughafens aus, aber der derselbe Flughafen mit seinem Zweit-Namen „Konrad-Adenauer-Flughafen“ könnte ebenso gut in Berlin liegen. Was ich meine, wird für Deutsche deutlicher bei den Flughafennamen von Paris. Wie soll man darauf kommen, dass Charles de Gaulle im Norden von Paris liegt, im Süden dagegen Orly, benannt nach einem kleinen Stadtteil, den nur Ortskundige kennen. Da wären zum Beispiel Paris-Nord und Paris-Süd selbst erklärend.
Die Welt ist kompliziert und wird komplizierter. Wir müssen sie vereinfachen, wo immer es geht! Zuerst aber in Deutschland, damit wir den Eindruck vermeiden, unseren Nachbarn reinreden zu wollen!
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602. |
Ein Fußballstadion sollte nicht Rhein-Energie Stadion heißen, wie in Köln, sondern Fußballstadion Rhein-Energie. Dann kann der sachliche Teil „Fußballstadion“ immer gleich bleiben, der Sponsorname „Rhein-Energie“ muss ein änderbares Anhängsel werden. Nach Vertragsablauf bezahlt der Sponsor nicht die Änderung aller Hinweisschilder. Und was ist mit Haltestellen, Stadtplänen, Telefonverzeichnissen usw.?
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603. |
Ein besonderer Gag der Regierung Gerhard Schröder war es ja, das Arbeitsamt in Agentur für Arbeit umzubenennen. Als erstes bekam dann der Amtsleiter, der nun Direktor geworden war, ein neues repräsentatives teures Büro. Ein solcher Etikettenschwindel trug mit dazu bei, dass ich die Regierung Schröder, der auch meine Stimme zur Macht verholfen hatte, so schnell wie möglich abwählen wollte. Wo bleibt denn die Finanzagentur statt Finanzamt und viele andere Ämter. Kann denn jemand besser arbeiten, weil sein Amt Agentur heißt und andere Briefbögen und Türschilder braucht oder beschäftigt er sich jetzt erst einmal mit formalen Dingen, die den Bürgern Geld kosten?
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604. |
Die Partei FDP hatte sich mal geleistet, marketingmäßig aufzurüsten und sich mit Pünktchen zu schreiben, also „F.D.P.“, bis sie dann nach Jahren wieder die Rückkehr zur alten Schreibweise feierte. Das haben klar denkende Menschen öffentlich vertreten. Vielleicht mussten sie es ja und haben sich heimlich dafür geschämt, hoffentlich!
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605. |
Vor 1990 war in den Medien viel von einem Ombudsmann die Rede. So nennt sich eine Beschwerdestelle, die in nordeuropäischen Ländern üblich ist. Dort hat diese Person, die selbstverständlich auch eine Ombudsfrau sein kann, sehr weitreichende Vollmachten. Sie soll Mängel und Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft ermitteln und dazu offen sein für Bürgerbeschwerden. Derzeit ist das bei uns kein Thema, das die Medien aufgreifen. |
606. |
Im deutschen klingt der Begriff „Ombud“ sprachlich aber nicht vertraut. Eine Person, die in der Öffentlichkeit Gewicht hat und bei uns bereits eine längere Tradition hat, ist beispielsweise der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. Von der Funktion her ist er ein Soldaten-Ombudsmann. Aber Ombudsmann klingt ähnlich wie Klabautermann und damit unseriöser und unklarer als etwa ein Beauftragter, Bürgeranwalt usw.
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607. |
Für die Weiterentwicklung der Demokratie ist eine solche Funktion sehr wichtig. Da sollte sie einen Namen tragen, der nach Effizienz und Seriosität klingt. Diese Person bzw. diese Stelle sollte sich auch um die Reduzierung von überflüssiger Bürokratie kümmern. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz hat auch einen Aufgabenbereich, der sich mit dem eines Ombudsmanns überschneidet.
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608. |
Ein wichtiger Grundsatz eines korruptionsarmen Staates muss folgender sein: Wenn die Informationen nicht ausreichen, um Missstände zu erkennen und erfolgreich zu verfolgen, muss künftig mehr Information geliefert, systematisiert und dokumentiert werden! Und zwar so, dass die Öffentlichkeit Zugang hat und es verstehen kann. Es muss verhindert werden, dass öffentlichkeitsscheue Institutionen Geld ausgeben, um gesetzlich vorgeschriebene Informationen so zu geben, dass sie schwer verwertbar sind. Das Ziel muss sein, die Bürger möglichst klar und verständlich zu informieren.
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609. |
Liberale Forderungen nach Abbau der Bürokratie sind in Einzelfällen bestimmt berechtigt. Oft bedeuten sie aber weniger Information, um Missstände aufklären und beseitigen zu können. Damit erleichtern sie vor allem Betrug und Korruption. Deshalb ist eine – nicht konkretisierte – Wahlkampf-Forderung nach Abbau der Bürokratie Unsinn, zumindest Übertreibung.
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610. |
Vielleicht müssten die kritischen Jahresberichte der Bundes- und Landesrechnungshöfe, die im Regelfall auch ein Zuviel an Bürokratie kritisieren, mit mehr politischem Gewicht versehen werden. Dann müssten Regierungen vor dem jeweils nächsten Bericht und vor Wahlen nachweisen, wie sie auf die Anregungen und Vorwürfe der Rechnungshöfe reagiert haben.
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611. |
Laut Kölner Stadt-Anzeiger vom 4. Mai 2013 gab es in Deutschland mehr als 1000 Gütekennzeichen, Prüfzeichen, Umwelt- und Regionalzeichen oder Test-Labels. Das verwirrt mehr als es den Bürgern bei sinnvollen Entscheidungen hilft. Auch Rabatt- und Kundentreuesysteme verkomplizieren die Welt. Sie helfen vielleicht einzelnen Geschäften, schaden aber insgesamt. Bei den verwendeten Begriffen ist die Eindeutigkeit wichtig.
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612. |
Wir brauchen ein staatlich vereinheitlichtes System der Rechtschreiberegeln, das kostenlos im Netz verfügbar ist. Es soll nicht mehr Duden und Wahrig usw. nebeneinander geben, ohne politisch-wissenschaftliche Verabschiedung durch die Kultusminister-Konferenz. Es wird jedem klar sein, dass solche Verlage meine Forderung nicht begrüßen. Meine Forderung sollte aber nicht missverstanden werden. Es soll weiterhin spracherklärende Bücher geben, aber ein wichtiger Teil muss kostenloses Allgemeingut im Netz sein und ohne Werbung bleiben.
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613. |
Ein Rechtschreibsystem im Netz ist das eine, aber man sollte noch weiteren Komfort planen. Das Rechtschreibsystem könnte man in einen Basisteil und einen oder mehrere Expertenteile trennen. Beliebige Texte im Netz sollten dann automatisch so ergänzt werden können, dass alle Nichtbasisbegriffe automatisch mit Erklärungen aus dem Basisteil ergänzt werden könnten. Das wäre eine echte Hilfe für Menschen, die mit der deutschen Sprache nicht so vertraut sind und sich verbessern möchten. Klassische Literatur mit alten Wort- und Satzformen könnte man auf diese Art allerdings nur dann verständlicher machen, wenn vorher -mit viel Fleiß und Aufwand – alle verwendeten, seltenen Wort– und Satzformen erfasst und verknüpft würden. Das wäre nur in Ausnahmen sinnvoll und finanzierbar.
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614. |
Ich glaube nicht, dass die EU bei den Rechtschreibsystemen der einzelnen Sprachen kompetent ist oder viel Kompetenz aufbauen sollte. Da gibt es zum Beispiel die EU-Vorschrift, das Wort Marmelade nur noch für Zitrusfrüchte zu gebrauchen, wie bisher im Englischen, dort wird es allerdings „marmalade“, mit „a“ in der Mitte, geschrieben. Da sagt mir mein Gefühl: „EU-Bürokraten, Hände weg!“
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615. |
Aber um eine Verbesserung automatisierter Übersetzungen zwischen den EU-Sprachen müsste sich die EU sehr bemühen, obwohl das eine schwierige und aufwendige Arbeit ist. Die ersten automatischen Übersetzungen gab es schon vor Jahrzehnten. Damals brauchte man dafür noch Großrechner. Die heutigen Übersetzungsprogramme laufen zwar auf dem PC und dem Smartphone, die Ergebnisse sind aber immer noch nicht sehr gut. Es sollte ein großes und wichtiges Ziel der EU sein, alle Verordnungen, Entscheidungen, Vorschläge und sonstigen Schriftsätze automatisch aus dem Englischen in gut verständliche Übersetzungen jeder EU-Sprache übertragen zu können. Auch das ließe Europa zusammenwachsen.
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616. |
Unsere Umweltprobleme wollen wir mithilfe von „Verschmutzungsrechten“ lösen. Hier soll nicht beurteilt werden, ob die dahinter stehenden Funktionen für eine Übergangszeit sinnvoll sind. Aber dass Firmen eine „Berechtigung“ kaufen, ihren Verschmutzungs-Abfall anderen vor die Füße bzw. in die Luft zu kippen, kann nur eine Behelfskonstruktion sein und trüge deshalb besser einen Behelfsnamen. Man könnte fast vermuten, dass die Banken vor der 2008er-Finanzkatastrophe geglaubt haben, dass sie unbegrenzte „Betrugsrechte“ hätten. Jäger würden sich vermutlich wehren, wenn man ihre Zulassung, eine bestimmte Anzahl Wild zu schießen, „Tötungsrechte“ nennen würde.
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617. |
Jetzt kommt ein Bogen zu den neuen Aufgaben des Bundespräsidenten. Der sollte zwar kein direktes Vetorecht gegen unsinnige Begriffe haben, aber er sollte solche Fälle in die Medien tragen und zur Diskussion anregen. Zu seinen Aufgaben sollte gehören, sich für die Vereinfachung und Verdeutlichung unserer Sprache und der Begriffe einzusetzen.
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618. |
Wahrscheinlich ist zusätzlich noch eine staatliche „Akademie der deutschen Sprache“ nötig, vergleichbar der Académie Française. 1949 wurde in der Frankfurter Paulskirche die deutsche „Akademie für Sprache und Dichtung“ gegründet. Das ist eine private Organisation, die überwiegend von der öffentlichen Hand finanziert wird. Der Namensteil „Dichtung“ hört sich eher unwissenschaftlich an. Seit 1947 gibt es die „Gesellschaft für deutsche Sprache“, auch fast ausschließlich vom Steuerzahler finanziert. Sie arbeitet hauptsächlich für die Kultusministerkonferenz und den Kulturstaatsminister. 2007 wurde in Köthen die „Neue fruchtbringende Gesellschaft“ gegründet, die eine Gesellschaft aus der Barockzeit aufleben lassen will, zur Pflege der deutschen Sprache.
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619. |
Der Journalist Andreas Hock hat sich in der Süddeutschen im August 2014 in einem Interview beklagt ([121]). Darin behauptet er erstens, dass die jungen Leute einen immer geringeren Wortschatz haben. Zum anderen kritisiert er die Pflege der Sprache: „In Frankreich sorgt der Staat für den Schutz der Sprache. Wir überlassen unsere sich selbst.“ Vielleicht sollten wir uns da an unserem Nachbarn orientieren, auch mit einer Akademie. Denn mit ihr haben die Franzosen schon ein paar Jahrhunderte gute Erfahrungen gemacht; Gutes sollte man übernehmen!
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620. |
Ein wichtiger Schritt in Richtung Eindeutigkeit könnte folgende Regel sein: „Auf jedes Ding gehört sein Name!“ ergänzt noch in kleinerer Schrift „zusätzlich in englischer Sprache“. Das Wichtigste ist aber der Name auf dem Ding. Auf meinem Garmin-Navi stand nur Nürvi, das könnte man für Navi auf Türkisch halten, ist aber eine Garmin-Serie gewesen. Das hilft nicht bei der Eindeutigkeit der Begriffe. Auch sinnfreie Kennzeichnungen wie XYZ4711 tragen nicht dazu bei. Das Prinzip sollte nicht übertrieben und damit unglaubwürdig gemacht werden. Niemand soll auf Lebensmittel kleine Etiketten aufkleben oder Namen einbrennen, um dieses Prinzip zu wahren. Da stören heute die Marken-Etikettchen auf Äpfeln beim Waschen schon genug.
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621. |
In der EU gibt es eine Initiative „Leichte Sprache“, die eigene Regeln formuliert hat. Zum Beispiel diese: Nur kurze Sätze, je Satz nur eine Aussage usw. Sogar der Deutsche Bundestag gibt Informationen in dieser Sprache heraus, die eine Teilmenge der jeweiligen Sprache ist ([122]). Sie hat keine eigenen Wörter und keine abweichende Grammatik. Die einzige Ausnahme bildet der „Medio•punkt“, der das Lesen langer –im Regelfall zusammengesetzter- Wörter erleichtern soll. Für seine Verwendung gibt es aber keine eindeutige Regel. Informationen in dieser Sprache gibt es zumeist parallel zur normalen deutschen Sprache. Die Initiative ist europäisch gestartet, sie funktioniert aber grundsätzlich in jeder Sprache. Es gibt zusätzlich eine deutsche Initiative „Einfache Sprache“, die noch stärkere Vereinfachungen anstrebt, die aber den „Medio•punkt“ nicht verwendet, aber dafür Bindestriche, mit denen alle langen unübersichtlichen Wörter getrennt werden dürfen. Die USA versuchen beispielsweise, ihr Standard-Englisch in eine vereinfachende Richtung zu entwickeln.
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622. |
Aber leider ist schon das Logo der Leichten Sprache im Deutschen missverständlich. Es ist ein Bildchen mit Kopf, Buch und Hand in Europablau und heißt: „Signet von Inclusion Europe“. Inklusion ist in Deutschland und in der EU aber ein wichtiges politisches Vorhaben mit ganz anderer Zielsetzung. Und Inklusion bzw. Inclusion wird im Deutschen auch noch anderweitig verwendet. |
623. |
Wenn wir einen höheren Grad an Klarheit und Eindeutigkeit der Sprache anstreben, aus Rücksicht auf Kinder, Alte, Schwache, Kranke und Migranten, müssen wir Mehrfachbedeutungen begrenzen.
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624. |
Dafür kann natürlich niemand alle Veröffentlichungen durchforsten, um solche Fälle zu sammeln und zu klären. Da könnte man sich gut Online-Prüfungen vorstellen. Neue Wörter in den offiziellen Wörterbüchern müssten durch den Flaschenhals einer Online-Zulassung. Eine Veröffentlichung mit nicht zugelassenen Wörtern sollte nicht zitierfähig sein und in Schulen und anderen Ausbildungen nicht verwendbar sein. Dass jemand mit neuen Wortschöpfungen spielt, soll dadurch nicht behindert werden. Diese Wortschöpfungen stehen dann aber nicht im Wörterbuch. Auch hat es schon immer Wörter gegeben, die mehrere Bedeutungen haben. In einem alten Spiel werden sie „Teekesselchen“ genannt. Bei der Krone der Uhr und der Krone des Königs ist die Bedeutung aus dem Zusammenhang leicht zu erkennen, aber bei Fremdwörtern wie Inclusion bzw. Inklusion kann das zu großen Unsicherheiten führen.
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625. |
Zum Prinzip der Klarheit, Einfachheit und Eindeutigkeit gehören für mich auch noch die Exaktheit und damit die Präzision der Uhren und der Zeitsteuerung. Die Umstellungen von Winter- und Sommerzeit sollte gesamtwirtschaftlich eine Energieeinsparung bringen. Heute meint man, dass das nicht erreicht worden ist. Mit jeder Zeitumstellung wird eine Phase der Unsicherheit ausgelöst. Und jedes Mal passieren Irrtümer. Ich stand vor Jahren selbst schon einmal eine Stunde zu früh bei Leuten, die ich besuchen wollte, auf der Matte und habe peinliche Irritationen ausgelöst. In der betrieblichen Zeitauswertung traten in der 24-Stunden-Produktion oft Probleme auf, wenn die Zeit zurückgestellt wurde, weil es dann eine Stunde lang Doppelzeiten von Maschinenaktionen gab. Wenn Züge während der Zeitumstellung eine Stunde lang stillstehen, fasst man sich doch an den Kopf. Die letzte Zeitumstellung erwischte einen Bekannten, dessen Armbanduhr eine neue Batterie brauchte, die nicht sofort verfügbar war. Da nahm er seine alte noch funktionierende Uhr ohne zu merken, dass sie noch Winterzeit anzeigte und prompt kam er eine Stunde zu spät. Dazu gibt es die nicht ganz ernst gemeinte Geschichte einer Großmutter. Wenn ihre Wanduhr 10-mal schlug, die Zeiger 9 Uhr anzeigten, dann war es im Sommer genau 8 Uhr, im Winter natürlich genau 7 Uhr. Und erst als die Großmutter das mit dem Aufziehen nicht mehr so genau hinkriegte, geriet ihr bis dahin „präzises System“ außer Tritt.
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626. |
Wer stellt eigentlich all die Uhren richtig um, die nicht ferngesteuert sind und mit welchem Aufwand? Und wie viele werden vergessen? Wir wollen ein Land sein, das mit Qualität und Präzision seinen Platz auf dem Weltmarkt sichert? In China, Japan und Korea gibt es keine Sommer-Winter-Zeitumstellung. Die meisten EU-Staaten sind mittlerweile für eine Abschaffung der Zeitumstellung. 2018 gab es eine Bürgerbefragung im Internet, deren Votum eindeutig für die Abschaffung war, sie sollte im nächsten Jahr europaweit umgesetzt werden, ist es aber im Jahr 2024 immer noch nicht.
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627. |
Meinem Anliegen zum Prinzip der Klarheit, Einfachheit und Eindeutigkeit steht auch die Vielfalt internationaler Verträge entgegen. Die EU will Verträge wie das transatlantische Handelsabkommen (TTIP) unterschreiben, dem soll noch ein Dienstleistungsabkommen folgen. Die EU hat schon ein Handelsabkommen mit Kanada unterschrieben. Die USA haben ein Handelsabkommen mit Mexiko und Kanada (Nafta). Die USA planen Sonderabkommen mit dem Pazifikraum. Es gibt auch Abkommen, an denen die USA nicht beteiligt sind. Beispielsweise das Finanzabkommen BRICS zwischen Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. China hat schon viele Rohstoffabkommen mit afrikanischen Ländern abgeschlossen. Russland plant Abkommen mit China und Indien. Da blicken nachher nur noch hochbezahlte Spezialisten durch. Die aus den Verträgen entstehenden Regressforderungen sollen von geheim tagenden Privatgerichten geregelt werden. Da wird das wichtige Prinzip der Rechtsstaatlichkeit so ganz nebenbei abgeschafft. So kann keine gerechte und vernünftige Weltordnung entstehen!
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628. |
Bei einer Welthandelskonferenz der WHO wollte Indien sehr verständliche Zugeständnisse zu einer eigenen Nahrungsmittelproduktion haben, die sind abgelehnt worden und das Abkommen kam nicht zustande. Dabei denken dann Oberschlaumeier: Man muss sich ja gar nicht weltweit einigen, sondern kann im Stillen mauscheln. Da die Verträge dann geheim verhandelt werden, entsteht bei allen jeweils nicht Beteiligten leicht der Eindruck, dass sie benachteiligt werden. Und so eine Weltordnung sollen wir anstreben? Unsere Politiker müssen da gegensteuern! Wir müssen dazu beitragen, die Welt zu vereinfachen, damit mehr Menschen sie verstehen können.
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629. |
Wenn wir uns bei so vielen Verträgen mit einem Entwicklungsland auf ein vielversprechendes Förderprogramm geeinigt hätten, wie in Kapitel 16. beschrieben, müssten wir dann künftig evtl. Ablösesummen an alte Vertragspartner bezahlen und wer sollte das deutschen Steuerzahlern erklären. So kommen die Entwicklungsländer nicht auf die Beine.
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630. |
Auf die Idee, dass man verständliche, anschauliche Erklärungen braucht, um -in diesem Fall- wissenschaftliche Ergebnisse allgemeinverständlich zu präsentieren, sind natürlich auch schon andere gekommen. Klaus Tschirra (1940-2015), ein Mitbegründer des Softwarehauses SAP, hat dafür eine Stiftung gegründet. Sie prämiert jährlich naturwissenschaftliche Arbeiten, die wegen ihrer klaren Sprache vorbildlich sind.
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631. |
Wenn es gelingt, die Kommunikation mit Englischsprachigen zu erleichtern, würde auch das dem Prinzip der Einfachheit entsprechen. Dazu ein Vorschlag mit je einem deutschen und englischen Rumpfwortschatz. Heute sprechen alle ausländischen Forscher und wissenschaftliche Spezialisten Englisch. Die deutsche Sprache ist für deren zukünftige Karriere nur begrenzt brauchbar. Da wir an deutschen Forschungsinstituten internationale Ideen und internationales Personal brauchen, muss in den deutschen Instituten -zumindest überwiegend- Englisch gesprochen und publiziert werden. Bis hierhin war das noch nichts Neues.
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632. |
Jetzt kommt das Neue: es muss ein Konzept für die Erleichterung der Integration der Englischsprachigen geben. Die Idee dazu ist, zwei Rumpfwortschätze von beispielsweise je 2000 Worten zusammenzustellen, ein Rumpfwortschatz deutsch und einer englisch. Damit sollte man sich im täglichen Leben leidlich zurechtfinden können. Dazu käme noch eine stark vereinfachte Grammatik. Den englischen Rumpfwortschatz sollten möglichst viele Deutsche erlernen, den deutschen sollten unsere englischsprachigen Gäste lernen. Beide Wortschätze sollten sich in den Wortbedeutungen weitgehend überlagern. Damit würde die Möglichkeit der Verständigung verbessert. Es sollte auch ein gutes Gefühl erzeugen, mit einem begrenzten Aufwand einen Beitrag zur Integration zu leisten. Selbstverständlich wäre der deutsche Rumpfwortschatz auch ein Hilfsmittel für Flüchtlinge und Migranten. Beide Wortschätze sollten kostenlos im Internet angezeigt und gedruckt werden können.
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633. |
Wer bereits einen größeren Wortschatz hat, bräuchte kaum etwas Neues zu lernen. Er sollte nur wissen oder nachschlagen können, welche Vokabeln gebräuchlicher sind und deshalb im Rumpfwortschatz enthalten sind und dadurch von mehr Menschen verstanden werden. Hinzu könnte noch eine Hilfe bei Benennungen und Schildern in Deutschland kommen. Schilder von Geschäften, Ämtern, Ärzten usw. und Produkt-Etiketten sollten grundsätzlich 2-sprachig -deutsch und englisch- sein.
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634. |
18. Bürgerinfo im Internet und Sicherheit im Netz
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635. |
Mehr Information für die Bürger liegt nicht nur im Trend der Zeit, sondern wird notwendig. Notwendig, wenn man fordert, dass Banken, Fonds, unternehmerische Heuschrecken, aber auch Politiker stärker von den Bürgern kontrolliert werden sollen. Allein mehr staatliche Kontrolle könnte zur Diktatur und zum Totalitarismus führen. Kontrolle bringt für die Kontrolleure immer die Versuchung zur Vorteilsnahme. Wenn absichtlich weniger streng kontrolliert wird, könnte das eine „Gegenleistung“ wert sein. Deshalb müssen die Kontrollergebnisse und die Arbeit der Kontrolleure unbedingt transparent sein.
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636. |
In einer guten Demokratie sind die Bürger die eigentlichen Kontrolleure, die Politiker sind Ausführende ihres Willens. Klar ist dabei, dass es keinen einheitlichen Bürgerwillen gibt und geben kann. Der Bürgerwille ist vielfältig und muss gut strukturiert aufbereitet werden, damit er darstellbar wird. Mehr Bürgerinfo ist in einer Hightech-Gesellschaft über viele Medien möglich, gezielt auswählbare Information für jedermann aber nur über das Internet.
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637. |
Allen Bürgern muss viel politische Information, gut strukturiert, im Internet angeboten werden. Bürger ohne Internet-Zugang oder solche mit Schwierigkeiten beim Bedienen müssen vielfältige Hilfen bekommen: |
638. |
1. in den Rathäusern 2. die Kommunen sollen Bürgerzentren und Seniorenclubs fördern, die das leisten. |
639. |
3. Schulungen an Volkshochschulen und anderen Institutionen der Erwachsenenbildung, für Bedürftige kostenlos. |
640. |
4. in Internet-Cafés oder PC-Verkaufsstellen: Diese müssten Kapazität vorhalten zur Aufklärung von Leuten ohne Netzzugang. Entweder wird das eine Voraussetzung für ihre Betriebslizenz oder es muss steuerliche Anreize geben. |
641. |
5. Einheits-Notebook-Anwendungen mit eingeschränktem, preiswertem Netzzugang und wenigen standarisierten Möglichkeiten wie E-Mails, Textverarbeitung, Speichern und Zeigen von Bildern, Infos aus dem Internet lesen. Man könnte so eine Anwendung Senioren-Internet-Zugang nennen. Der einfache, sichere Netzzugang soll natürlich allen unsicheren oder finanziell eingeschränkten Anwendern offen stehen, also nicht nur Senioren. Die Bedienung sollte einfach sein und in Volkshochschulen, im Fernsehen und über sonstige Medien vermittelt werden. Wenn die Entwicklung so weiter geht, dass immer mehr Menschen –auch Ältere- mit dem Smartphone arbeiten und immer weniger mit dem Laptop, dann könnte die Konzeption eines Handys mit vielen Sicherheitsvorkehrungen und Bedienungs-Normierungen vordringlicher werden.
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642. |
Durch striktes Beibehalten eines Software-Standards könnte unerwünschte Fremdsoftware abgewehrt werden. Ein tragbarer PC bzw. ein Notebook könnte dann im Fachgeschäft abgegeben werden, wie ein Paar Schuhe beim Schuster. Wie die Schuhe mit neuen Sohlen, so käme der Computer mit neuem Softwarestand zurück. Vielleicht noch versehen mit einer Plakette wie beim TÜV, damit man nachsehen könnte, wann das letzte Update erfolgt ist und wer es gemacht hat. Automatische Updates der Programme mit Abfragen an ahnungslose Nutzer sollten dann unterbunden werden. Vermutlich müsste es eine zentrale Registrierung geben. Dort würde der Besitzer und die unveränderbare Identifikation seines Computers festgehalten. Solche Fixierungen sollten nur zur Sicherheit unsicherer Bürger gemacht werden. Sie sind nicht für Anwender gedacht, die sich gut auskennen und die unbeschränkte Arbeits-Möglichkeiten brauchen. Aber die geistige Kraft auch dieser Anwender wird einmal nachlassen, dann werden sie froh sein über einen Netzzugang mit erhöhter Sicherheit.
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643. |
Man müsste bei Senioren-Anwendungen auch daran denken, die Werbung auszuschalten, zumindest stark zu reduzieren. Bewegliche farbige Bilder, die ohne eigenes Zutun eingeblendet werden, verwirren und überfordern nicht nur ältere Menschen. Eine Möglichkeit der Werbereduzierung wäre es, einen werbearmen Bereich zu schaffen, über den alle Senioren-Anwendungen ausschließlichen Zugang zum Netz haben. Dort dürften nur solche Anbieter Infos bereitstellen, die sich an sehr restriktive Werberegeln halten. In einem Staat, der seine Bürger gut informieren will, brauchen wir viel mehr gut aufbereitete, aktuelle Information und die kann es nur im Internet geben. Hier ist eine Hilfe von Brüssel unbedingt nötig.
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644. |
Das könnte dann wieder wie zur Zeit des VW-Käfers werden, als viele Menschen Tipps zu diesem Auto geben und sich bei Problemen gegenseitig helfen konnten und Erfahrungen gerne ausgetauscht haben. Ohne einen solchen Austausch von Wissen werden sich viele alte, kranke und fremde Menschen ausgegrenzt fühlen. Der Staat informiert dann generell vielleicht gut, aber die Informationen erreichen zu wenige. Bei der Verbreitung so einer neuen Technologie ist nicht das Wichtigste, einzelne Belange zu optimieren, sondern möglichst viele Bürger zu erreichen und Fehlerquellen zu vermeiden.
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645. |
Ein Beispiel für die Wichtigkeit klarer Information ist eine Sonderaktion des Autobauers General Motors (GM). Anfang 2014 musste dieser Hersteller 1,6 Millionen Autos zurückrufen wegen Problemen an Zündung und Airbag. 31 Unfälle mit 13 Toten könnten mit den technischen Problemen zusammenhängen. Die damals neue GM-Chefin Mary Barra hat eine interne Untersuchung eingeleitet mit dem Ziel „ein detaillierter und ungeschönter Bericht über das, was passiert ist“ ([123]). Ein Schreiben an die Mitarbeiter unterstrich die Wichtigkeit, die sie persönlich dem Bericht beimisst. Wenn die Ergebnisse allerdings GM vor Gericht oder in der Öffentlichkeit schaden könnten, werden wir diesen interessanten Bericht vermutlich nicht zu sehen bekommen. Ich habe bis heute (2024) nichts mehr von dieser löblichen Initiative gehört. Und sogar Frau Barras Nachfolger ist mittlerweile schon zurückgetreten.
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646. |
Es gibt so viele Missstände, wo der Bürger die Notwendigkeit sieht, einen „detaillierten, ungeschönten Bericht, über das, was passiert ist“, zu bekommen. In Köln hatte das Absacken des Stadtarchivs im Februar 2017 sein achtes Jahresjubiläum, aber erst im Mai 2017 wurde so ein erklärender Bericht vorgelegt, der allerdings noch vor Gericht angefochten wird. Nach so langer Zeit kann man gar nicht mehr verlangen, dass sich alle Beteiligten an wichtige Einzelheiten erinnern. Das Große und Ganze erklärt aber zu wenig. Der Teufel der Erkenntnis steckt im Detail. Einen gut erklärenden Bericht würden die Bürger gerne im Netz finden, für alle zugänglich.
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647. |
Eine kleine Besonderheit zur Erleichterung der Computerarbeit muss ich noch erwähnen. Bei der Schulung von Computeranwendungen in einem Produktions-Betrieb bei Leuten ohne PC-Erfahrung hat sich gezeigt, dass der Doppelklick mit der Computermaus große Schwierigkeiten macht. Das gilt dann erst recht für alte Menschen oder z.B. Behinderte. Den Doppelklick ist aus Patentgründen ausgedacht worden. Aber es ist schon unsinnig, eine Klick-Technik patentieren zu können, das darf es in Europa nicht geben! Der Doppelklick gehört in die Mottenkiste unsinniger Erfindungen, untergegangen im Bemühen um Vereinfachung. Natürlich muss die derzeitige Funktionalität auf andere Art realisiert werden. Akzeptabel wäre, wenn der Doppelklick einem Expertenmodus vorbehalten bliebe, den man für Senioren-Computeranwendungen nicht verwenden könnte. Die generelle Regel kann nur lauten: Einmal anklicken heißt, das zu beginnen, wo der Cursor (=Zeiger) steht oder, wenn es mehrere Möglichkeiten geben soll, muss ein Fenster mit Wahlmöglichkeiten geöffnet werden, in dem einzelne Möglichkeiten angeklickt d.h. ausgewählt werden können.
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648. |
Die Idee des vorangegangenen Abschnitts soll dahingehend erweitert werden, dass auch die EU sich mit der leichten und sicheren Erreichbarkeit des Internets für möglichst viele Bürger befasst. Sie soll dann Regeln vorgeben für alle, die Hardware oder Software an Senioren verkaufen wollen. Und sie soll individuelle Lösungen einzelner EU-Länder daraufhin überprüfen, ob auch andere davon profitieren können.
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649. |
Ich hoffe, dass die negative Entwicklung der Piraten-Partei nicht die Wichtigkeit der Daten im Netz für eine aktuelle Bürgerinformation infrage stellt. Man konnte aus deren Fehler lernen, dass aktuelle Bürgerinfo nicht heißen kann, einen Datenmarktplatz zur Verfügung zu stellen, auf dem jeder, wie an „Speakers Corner“ in London auf eine Apfelsinenkiste steigen kann und alles loswerden kann, was ihn so bedrängt. Im Netz häufen sich beleidigende Kommentare zu politischen Entscheidungen und zu Personen. Diese Kommentargeber müssten sich persönlich identifizieren, damit sie juristisch belangt werden können, genau wie bei persönlicher Konfrontation. Die Bereitstellung von Bürger-Daten muss über verantwortungsvolle Dateneingaben gehen, die auch nachträglich identifiziert und kontrolliert werden können. Eine gut informierte demokratische Bürgergesellschaft muss viel Erfahrung sammeln, wie kritische Informationen im Netz verständlich aufbereitet werden können.
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650. |
Das Kulturdezernat der Stadt Köln hatte am 27. Juli 2010 einen Auftrag an eine Agentur aus Graz in Höhe von 780.000 Euro vergeben, um das Projekt Archäologische Zone vor dem Rathaus kommunikations- und marketingmäßig zu begleiten und zwar mit Eintragungen in Wikipedia. Bei Wikipedia ist da zum Glück etwas aufgefallen. Deshalb ist dort der Vortext vorgeschaltet worden: „Die Neutralität dieses Artikels oder Abschnitts ist umstritten“ usw. Der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete darüber unter dem Titel: „Stadt ließ Wikipedia-Text schönen“([124]). Das Ganze ist aufgefallen und im Kölner Rat im Januar 2013 kritisiert worden.
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651. |
Daran zeigt sich eine Problematik offener Software wie Wikipedia. Die Stadt Köln wollte vermutlich nichts Gefährliches oder Schädliches damit bezwecken. Aber der Schritt vom Beschönigen zu klarem Betrug ist nur ein kleiner. Ein Bekannter, der sich lange mit dem Thema Sicherheit von Software beschäftigt hat und sich dazu wiederholt in den USA aufgehalten hat, behauptet, dass der CIA Wikipedia systematisch manipuliert hat. Vermutlich ist so ein Informationsforum am ehesten als Werbeplattform zu missbrauchen und unterdrückt dann unangenehme Tatsachen. Wichtige politische Informationen der Bürger im Netz dürfen auf gar keinen Fall von jedermann geändert werden! Änderungen müssen mit Zeitpunkt und Autor festgehalten werden, damit feststellbar bleibt, wer Missbrauch begeht. Das ist in Wikipedia nicht gegeben! Vielleicht ist Wikipedia nur der Vorläufer eines guten Bürger-online-Nachschlagewerks unter Verantwortung einer neuen Institution aller deutschsprachigen Länder.
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652. |
Wenn umfassende wichtige Bürgerinformationen nur noch über das Internet gewonnen werden können, nimmt seine Bedeutung für eine moderne Demokratie zu. Dann ist es aber unerträglich, dass dieser Platz unkontrolliert von den Geheimdiensten in der ganzen Welt durchsucht wird und geändert werden kann. Wir brauchen hohe europäische Sicherheitsstandards.
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653. |
Das wird vermutlich dazu führen, dass wir die Internet-Datenströme nicht mehr auf beliebigem Weg durch die Welt schicken. Dann darf nicht mehr passieren, dass deutsche E-Mails an unsere hiesigen Nachbarn über zentrale Server in Atlanta geleitet werden und dort nach US-amerikanischem Recht durchsucht werden können. Wir brauchen eine europäische Lösung, auch dafür ist die EU sehr wichtig.
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654. |
Dieses Thema lässt sich derzeit mit den USA noch nicht offen und ehrlich besprechen. Ein wichtiges Argument dafür ist vielleicht nicht allen präsent. Aber Hillary Clinton hat in einem TV-Gespräch bei Günther Jauch am 6. Juli 2014 darauf hingewiesen, ohne dazu gefragt zu sein. Sie war zu diesem Zeitpunkt Kandidatin für das amerikanische Präsidentenamt. Sie wies darauf hin, dass der Pilot und Mitverantwortliche für die schreckliche Katastrophe vom 11. September 2001, als ein gekapertes Flugzeug die Twin Towers des World Trade Centers in New York zum Einsturz brachte, in Hamburg Flugtechnik studiert hat. Diese Katastrophe, die Amerika stärker erschüttert hat als alles bisher Dagewesene, hat über 4000 Tote gefordert, sogar viele Helfer wurden noch mit in den Tod gerissen, viele Menschen leiden heute noch.
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655. |
Die grausigen Bilder gingen wochenlang über alle TV-Sender. In so einer Situation ist es verständlich, wenn die US-Regierung im Namen ihrer Bürger den Geheimdiensten mehr Befugnisse einräumt. Möglicherweise hat sich bei vielen Amerikanern im Unterbewusstsein festsetzt: „Die Deutschen passen nicht genug auf, da müssen wir für sie mit aufpassen“. Und so eine kritische Beurteilung lässt sich nicht durch ein paar Politikerreden korrigieren, sie wird noch Jahrzehnte bestehen bleiben!
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656. |
Der lange in Berlin lebende Amerikaner Eric T. Hansen verabschiedete sich 2014 mit seiner letzten „Die Zeit“-Kolumne und dem Hinweis: „Deutschland wird seine WG (Wohngemeinschaft) mit Frankreich und den anderen EU-Staaten ausbauen und irgendwann genauso mächtig wie die USA sein. Das ist einer der Gründe, warum wir Amis Deutschland ausspähen ([125]). Natürlich könnten wir euch einfach fragen, was ihr denn noch alles vorhabt, aber welches ausgeflogene Kind sagt seinen Eltern schon die Wahrheit?“
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657. |
Die US-Amerikaner müssen selbst überlegen, ob der Nutzen der Geheimdienste so groß ist und sein kann, dass die Bürger auf Rechte verzichten, die ihr Land bisher von Diktaturen unterschieden hat. Die Deutschen haben sowohl in der NS-Zeit als auch zu DDR-Zeiten schlechte Erfahrungen mit Geheimdiensten gemacht. Und das, was die Dienste in den letzten Jahren bei der Aufklärung der NSU-Morde geleistet haben, ist so beschämend, dass sich der damalige Bundespräsident Gauck bei den betroffenen Familien dafür entschuldigt hat.
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658. |
Vielleicht wird erst, wenn große Netzunternehmen wie Google und Facebook europäische Konkurrenz bekommen, die hier höhere Sicherheitsstandards garantieren, Bewegung in die Diskussion um die persönliche Datensicherheit kommen. Wenn in den USA Big Business unruhig wird, tut sich viel mehr als wenn sich normale Bürger oder Bürger-Gruppen beschweren.
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659. |
Wir sollten Amerikas Geheimdiensten aber keine Vorwürfe machen, bevor wir uns gründlich überlegt haben, wie wir künftig deutsche Beiträge zu Terrorakten verringern können. Das wird auf eine Einschränkung der Freiheit hinauslaufen. Da müssen auch unschuldige muslimische Mitbürger mit familiären Kontakten zu Terror-Regionen und –Personen eine verstärkte Überwachung aushalten. Vielleicht sollte man kooperative Gruppen und Personen dann dafür sogar entschädigen. Das wäre gleichzeitig eine Erinnerung daran, dass wir einzelnen Bürgern oder Bürgergruppen eine höhere Last für die allgemeine Sicherheit zumuten. Auch Konvertiten zum Islam müssten sich ausgiebig befragen und vielleicht sogar überwachen lassen und das oftmals ungerechterweise. Und bevor jemand deutscher Staatsbürger wird, sollte man auch noch über ein paar Zusatzfragen nachdenken und ihn eine Verpflichtung unterschreiben lassen und diese Daten lange Zeit festhalten.
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660. |
Die Kölner Silvester-Nacht (2015/16 am Hauptbahnhof) hat sehr deutlich gemacht, wie anfällig auch eine Demokratie gegen Vertuschen ist. Dort sind insgesamt weit über 1000 Anzeigen wegen sexueller Belästigung, Diebstahl und Gewaltandrohung eingegangen. Aber im ersten Polizeibericht war von „keinen besonderen Vorkommnissen“ die Rede, obwohl dort absolute Katastrophenstimmung herrschte und die Polizei völlig überfordert war. Danach wurde der Kölner Polizeipräsident zwar zum Rücktritt gedrängt, aber er war bestimmt nicht alleine für dieses katastrophale Lügenstatement verantwortlich. Da bleiben bei vielen Bürgern Zweifel an der Ehrlichkeit des Staates zurück.
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661. |
Das lässt noch etwas ganz Anderes, sehr Wichtiges als notwendig erscheinen. Es muss zusätzliche legale Informationswege für die Medien geben. Streifenpolizisten dürfen heute öffentlich nicht die volle Wahrheit bzw. gar nichts sagen. Und je näher die veröffentlichenden Stellen an der Politik sind, desto mehr wird überlegt, ob die Wahrheit opportun oder gefährlich ist oder ob sie missverstanden werden könnte. So kann eine gute Demokratie nicht funktionieren! Dann entscheiden Politiker vielleicht, dass das Volk aus Sicherheitsgründen belogen werden muss, na dann Prost! Besonders die Polizeiführungen müssen den Bürgern gut bekannt sein und müssen transparent mit den Datenschützern zusammenarbeiten, da die Polizei kritische Daten von den Bürgern braucht, diese aber nicht in falsche Hände gelangen dürfen.
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662. |
In ihrem Buch „Deutschland im Blaulicht“ berichtet die griechisch-stämmige deutsche Polizistin Tanja Kambouri von libanesischen Großfamilien im Ruhrgebiet, die sich nicht um deutsches Recht scheren. Die Landespolitik nimmt keine Kenntnis oder duldet rechtfreie Räume. Frau Kambouri erfährt viel Ermutigung, die Wahrheit zu sagen. Sie ist eine junge, sehr mutige Frau. Diesen Mut kann man nicht von jedem verlangen. Die rechtsfreie Situation dort ähnelt nordafrikanischen Problemfällen in Köln und anderswo, die zwar als Flüchtlinge zu uns kommen, aber als Diebe in einer wohlhabenden Gesellschaft reichere Beute als zu Hause machen wollen. Ihre Abschiebung ist sehr schwer, da ihre Heimatländer sie verständlicherweise auch nicht haben wollen. Sie haben ihre Ausweise oft weggeworfen und sind missbräuchlich als „Flüchtlinge“ gekommen, manche sind auch schon Deutsche geworden. Da können die Heimatländer dann sagen, das sind gar nicht unsere Bürger oder sogar: die sind als anständige Bürger weggegangen und in der Fremde unter die Räder gekommen. Da soll sich diese Fremde doch anstrengen, sie wieder zu anständigen Bürgern zu machen, dann können wir über Rücknahme reden!
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663. |
Das Eingestehen unangenehmer Wahrheit ist aber nicht nur ein Problem der Politik. Auch Unternehmen und Gesellschaften tun sich da oft schwer. Im August 2017 wurde in den Medien ausführlich über den niedersächsischen Krankenpfleger N.H. berichtet, der für den Tod von über 80 Menschen verantwortlich war. Er gab ihnen überdosierte oder falsche Injektionen, um dann als erster bei den anschließenden Wiederbelebungsversuchen dabei zu sein. Das Problem, wie das Gehirn dieses Menschen so abartig funktioniert hat, ist das eine. Aber in den Krankenhäusern war bekannt, dass die Todesrate überall dort, wo er eingesetzt war, stark angestiegen ist. Und niemand hat etwas nach außen dringen lassen. Da gab es ebenfalls „keine besonderen Vorkommnisse“ wie in der Kölner Silvesternacht. So kann gute Demokratie nicht funktionieren! Hier muss es zusätzliche Informationswege und Kontrollen geben.
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664. |
19. Wirtschaftskrisen – Klimakatastrophen – Luftverschmutzung
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665. |
Wiederkehrende Wirtschaftskrisen müssen grundsätzlich nichts mit Kapitalismus oder unserer Wirtschaftsform zu tun haben. Es gab sie immer und wird sie immer geben. Bereits in der Bibel ist von einer Abfolge von sieben fetten und sieben mageren Jahren die Rede. Damals wurden die mageren Jahre von Missernten, Trockenzeiten, Krankheiten, Heuschrecken, Mücken, Kriegsfolgen, Vulkanausbrüchen, Erdbeben und Überschwemmungen ausgelöst. Auch die Sintflut war vielleicht eine Klimakatastrophe oder ihre Folge. Und diese Katastrophen kamen ohne Kapitalismus.
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666. |
Die mageren Jahre waren für nicht privilegierte Menschen Zeiten existenzieller Bedrohung. Der biblische Josef sorgte angeblich in Ägypten durch Lagerhaltung für die Verstetigung des Getreideangebots. So wie damals Josef die Schwierigkeiten der mageren Jahre minderte, so erwarten wir heute von unseren Politikern, dass sie die Krisen erträglich gestalten.
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667. |
Es sieht so aus, als würden Klimakatastrophen wie Waldbrände, Insektenplagen, Erdbeben, Starkregen, Überschwemmungen, Schneemassen und Wirbelstürme zunehmen. Innerhalb von zehn Jahren ist in Deutschland bereits die zweite Jahrhundertflut an der Elbe hereingebrochen, das weist in dieselbe Richtung. Diese Zunahme wird weltweit zu steigenden Kosten bei der Bekämpfung führen.
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668. |
Bei den Klimaproblemen ist sehr wichtig, dass nicht übertrieben und dass die große Regenerationsfähigkeit der Erde bedacht wird. Beispielsweise hat sich das einst als sehr gefährlich betrachtete Ozonloch unerwartet schnell zurückgebildet. Die Warner vor den schrecklichen Folgen des Ozonlochs waren also keine kritischen Wissenschaftler, sondern Schwarzmaler.
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669. |
„Rieseneisberge bremsen die Erderwärmung“ war eine Titelzeile in Handelsblatt online vom 13.1.2016. Da tauchte plötzlich ein gravierendes Argument auf, das noch in keinem Klimamodel enthalten war. Hinter den treibenden Rieseneisbergen bilden sich deutlich vermehrt Algen. Die Rieseneisberge enthalten Spurenelemente wie Eisen und andere, die das Algenwachstum fördern. Mehr Algen nehmen dann mehr Kohlendioxid auf und bremsen somit die durch Treibhausgase bewirkte Erderwärmung. In Zukunft ist mit einer Zunahme von Rieseneisbergen zu rechnen. ([126])
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670. |
Die Bürger werden taub gegenüber übertriebenen Warnungen, wenn nicht genau gesagt wird, wo sich was bessert und dass die Wissenschaft selbst erstaunt ist, wie schnell sich Problemzonen wieder erholen können und Erklärungen dafür gefunden werden. Der Wissenschaft muss klar sein, dass die Menschen Erklärungen für die Probleme suchen, die sie erleben.
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671. |
Im Oktober 2018 berichtet Jürgen Burkhardt vom Institut für Nutzpflanzenwissenschaften und Ressourcenschutz der Uni Bonn ([127]) die neue Erkenntnis, dass Feinstaub in Kombination mit Trockenheit eine wichtige Komponente beim Pflanzensterben bildet. Nun ist Feinstaub keine unbekannte oder neue Komponente bei der Luftverschmutzung. Bisher hat sowohl die Wissenschaft als auch die Politik von der Wichtigkeit geredet, das Baumsterben aufzuklären, aber es ist gar nicht systematisch nach den einzelnen Komponenten geforscht worden! Die Politik hat also gar keine Untersuchung in Auftrag gegeben. Aber für die Weltraumforschung ist sehr viel Geld da.
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672. |
Dabei ist die Weltraumforschung für das Wohl der Menschheit relativ unwichtig. Wetterwissenschaftler haben vor Jahren gesagt, sie brauchen Computer mit höherer Leistung, mehr Messstationen und mehr Satelliten. Nun haben sie das alles und können Wetter immer noch nur für maximal drei Tage vorhersagen, zwar genauer als früher. Aber wenn etwas Unerwartetes eintritt, dann stimmen selbst die Dreitage-Prognosen nicht. Also Vorsicht, wenn Meteorologen sagen, sie bräuchten noch mehr Satelliten oder bemannte Raumfahrt und vor allem mehr Geld!
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673. |
Die Wissenschaft steht unter kritischer Beobachtung der Bürger. Wir leben in einem Zeitalter der Aufklärung und Wissenschaftler sind die wichtigsten Aufklärer. Wenn im November 2014 festgestellt wurde, dass bei den Klimamodellen bisher die Rolle der Ozeane völlig unterschätzt wurde ([128]), deutet das darauf hin, dass unsere wissenschaftlichen Klimamodelle noch in den Kinderschuhen stecken. Und wenn sich die USA aus dem Weltklima-Abkommen ausklinken, dann deutet das auch darauf hin, dass Klima-Wissenschaftler noch recht unterschiedliche Vorstellungen haben. Wenn Wissenschaftler nachweisen könnten, dass die Klimaberater von Präsident Trump nicht auf dem aktuellen Stand des Wissens waren, würde die US-amerikanische Politik der Klimavernachlässigung viel stärker unter Druck geraten.
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674. |
Der Boom der Raumfahrt ist aus dem Wettstreit des kalten Krieges heraus entstanden und brauchte sich damals nicht zu rechtfertigen. Da gab es das nicht offen ausgesprochene Ziel, irgendwo im Weltraum eine unangreifbare Plattform zu haben, von wo aus man die Gegner ausspähen kann und sie im Bedrohungsfall mit Atomraketen vernichten kann. Ich glaubte bis 2018, dass dieses Ziel aufgegeben worden ist. Aber im Januar 2019 ([129]) stellte Präsident Trump ein Strategiepapier vor und sagte dazu, dass Amerika Raketen im All stationieren will, um sich vor Angriffen von „Schurkenstaaten“ und Widersachern schützen zu können. Beginnt da ein neuer kalter Krieg? Die Raumfahrt sollte ihren Nutzen begründen. Und die Begründung mit der Teflonpfanne ist erstens falsch und wäre zweitens wegen völliger Belanglosigkeit ein Hinweis darauf, dass da nicht sparsam mit Steuergeldern umgegangen wird.
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675. |
Man wird sicher Satelliten brauchen zur Navigation, zur Wetterbeobachtung und zum Übertragen elektrischer Signale. Aber dazu braucht man keine bemannte Raumfahrt und keine Flüge zu anderen Planeten.
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676. |
Im Nachhinein lässt sich leichter darüber reden, welchen Schock der russische Sputnik am 4. Oktober 1957 in Amerika ausgelöst hat und warum. Er war der erste Satellit in einer Erdumlaufbahn. Der amerikanische Präsident Dwight Eisenhower hatte ungefähr zwei Jahre vorher einen solchen Beobachtungsposten im Weltraum gefordert. Dann hat die Sowjetunion völlig unerwartet früher als die NASA geliefert. An den Reaktionen in den USA konnte man ablesen, dass es nicht um edlen Wettstreit der Wissenschaft ging, sondern um Streben nach militärischer Überlegenheit. Deshalb gab es in Westeuropa keinen vergleichbar großen Schock, obwohl wir uns auch im Kalten Krieg befanden.
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677. |
Vielleicht wird erdnahe Raumfahrt einmal benötigt für Versuche mit Satelliten und Teilchenwolken, die die von der Erde aufgenommene Strahlungswärme reduzieren und die Wärmeabgabe der Erde erhöhen. Wenn die Klimaforscher so weit sind, dass sie wissenschaftlich und politisch akzeptierte Modelle haben, die das als sehr nützlich erscheinen lassen, dann werden die Bürger solchen Projekten gerne zustimmen. Vorher sollte sich die Forschung mehr um die vielen ungelösten Fragen und Aufgaben auf unserer Erde kümmern, zumal es laufend mehr werden.
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678. |
Anfang 2014 stöhnte das nördliche Amerika unter einer noch nie da gewesenen Kältewelle, bedrohliche Bilder kamen täglich über die Medien. Und im Folgejahr gab es schon wieder eine rekordverdächtige Kälte, sogar mit zugefrorenen Niagarafällen. Nach solchen Ereignissen ist es schwer, die Menschen von der Gefahr einer Überhitzung der Erde zu überzeugen, zumal Klimatologen vor 30 Jahren von einer kommenden Eiszeit gesprochen haben.
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679. |
Früher sind in London jedes Jahr in den winterlichen Smogzeiten viele Menschen gestorben. Im Dezember 1952 war es durch eine Inversions-Wetterlage besonders schlimm, damals starben Tausende. Dann hat man dort die so beliebten offenen Kamine verboten. Das war bestimmt für alle schlimm, die keinen guten Heizungsersatz hatten. Aber der tödliche Smog war von da an völlig verschwunden. Daraus lernen die Menschen, dass sich katastrophale Zustände schnell wieder bessern können. Vielleicht müssten wir heute – wissenschaftlich begleitet – die Zweitakt-Motoren in Motorrädern, Booten usw. verbieten. In diesen Motoren wird Motoröl, das zum Schmieren gedacht ist, zwangsläufig mit verbrannt, das kann nur umweltschädlich sein. Vielleicht würde sich die Luft nach einem Verbot deutlich verbessern. Und wenn das noch nicht ausreichen würde, müsste man Abwrackprämien für alte Dieselmotoren einführen und vor allem die Diesel-Subventionen auslaufen lassen, was sogar das Umweltbundesamt schon im Oktober 2016 gefordert hat ([130]). Man darf aber nicht die Hände in den Schoß legen. Im Dezember 2017 hat sich sogar der damalige Konzernchef von VW, Matthias Müller, für ein Auslaufen der Steuerprivilegierung von Dieselkraftstoff ausgesprochen ([131]).
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680. |
Die Entwicklung des Überschallflugzeugs Concorde war bereits eingestellt worden. Danach erfuhr die Öffentlichkeit, dass immer dann, wenn auf einem Transatlantik-Flug durch günstige Windbedingungen weniger Kerosin gebraucht wurde, große Mengen Treibstoff in der Luft abgelassen wurden, um kein zu hohes Landegewicht zu haben. Da wurde Treibstoff einfach auf das darunter liegende Wasser und Land gesprüht. So etwas müsste in gut entwickelten Demokratien vorher schon breit diskutiert werden und dürfte dann erst gar nicht zugelassen werden, Notfälle ausgenommen.
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681. |
Bei der Umweltverschmutzung mit hochgiftigem Quecksilber haben die USA eine viel strengere Schadstoffgrenze als Europa, wo man sich noch gar nicht auf einen allgemeingültigen Wert geeinigt hat. In der EU wurde zwar im Jahr 2000 die letzte Quecksilbermine geschlossen, aber die Kohlekraftwerke in Deutschland stoßen jährlich ca. sieben Tonnen giftiges Quecksilber aus ([132]). Damit ist Deutschland neben Polen und Griechenland in Europa Spitzenreiter. In den USA gilt ab 2016 ein Grenzwert von nur 4,1 Mikrogramm pro Kubikmeter Abluft. In der EU soll erst ab 2020 ein Grenzwert von 10 Mikrogramm gelten. 2015 lag der Grenzwert in Deutschland bei 30 Mikrogramm ([133]).
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682. |
20. Energie – Rohstoffe – Recycling – Normen |
683. |
Der „Club of Rome“ hat 1972 mit seiner Schrift „Grenzen des Wachstums“ vor dem grenzenlosen und verantwortungslosen Ausplündern unserer Erde gewarnt. Diese Warnung hat damals ein starkes Echo in den Medien gefunden, die Politik hat die Anregungen kurzfristig begrüßt, aber langfristig und nachhaltig ist nicht viel passiert. Damals wurde auf die begrenzte Verfügbarkeit der Rohstoffe hingewiesen, besonders von Erdöl. Wenn Öl und Benzin wirklich knapp werden, würde das großen Einfluss auf den weltweiten Handel haben. Dann sind Ersatzprodukte und sparsamer Umgang mit den knappen Gütern wichtig. Beides setzt Innovationen voraus.
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684. |
Mit Elektroautos kann in städtischen Bereichen zumindest noch so lange Benzin gespart werden, wie genügend Strom preiswert erzeugt werden kann. Unsicher ist, ob wir danach Kraftstoffe aus nachwachsenden Pflanzen oder synthetische Kraftstoffe brauchen. Zumindest für Flugzeuge, da hierbei selbst die neuesten Akkus immer noch zu schwer sein werden.
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685. |
Bei alternativen Wasserstoff-Autos besteht die Gefahr, dass ihre Entwicklung ähnlich wie die des Zeppelins verläuft. Nach den ersten Riesenunfällen mit unerwarteter Explosionswucht könnte die hochgefährliche Technologie wieder verschwinden. Wasserstoff-Fahrzeuge können nur in die eigene Garage gestellt werden; niemand sonst würde das Explosionsrisiko auf sich nehmen. Heute dürfen bereits Autos mit viel weniger gefährlichen Gasmotoren in keiner Großgarage parken. Und nach dem ersten heftigen Unfall an einer Wasserstofftankstelle, würden die Anrainer eine so gefährliche Nachbarschaft nicht mehr tolerieren. Statt von Wasserstoffantrieb wird oft von der Brennstoffzelle gesprochen. Damit ist dieselbe Antriebsart gemeint, aber man möchte dabei die Erwähnung des als sehr gefährlich bekannten Wasserstoffs vermeiden.
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686. |
Die Unfallgefährlichkeit des Wasserstoffs betrifft hauptsächlich normale PKWs. Es ließe sich ohne weiteres denken, dass Windräder zur Energiespeicherung Wasserstoff aus Wasser erzeugen und mit diesem dann in Windrad-Nähe oder in Kraftwerken Strom erzeugt wird. Unterirdisch unter Windrädern und in Kraftwerken könnte man Anwendungen der Wasserstofftechnologie relativ sicher machen und Transporte dürften nur von Profis mit Spezialfahrzeugen mit Sicherheitsbegleitung durchgeführt werden. Normale Autos mit Wasserstofftanks sind dagegen fahrende Bomben, solange man schwere Unfälle nicht verhindern kann.
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687. |
Bereits gasbetriebene Autos können bei einem Unfall sehr gefährlich werden. Am 15. August 2014 ist ein Auto mit Gasmotor in Schleswig-Holstein nach einem Unfall explodiert. Es ist auf einen Baum geprallt ist und hat dann Feuer gefangen hat. Der Fahrer starb, zehn Feuerwehrleute wurden verletzt ([134]). Der Unfallforscher Markus Engelhaaf hält Gas-Autos für absolut sicher, kann sich diesen Unfall aber nicht erklären. Wenn ein Unfall passieren würde, bei dem zehn Feuerwehrleute sterben, könnte es für die Technologie kritisch werden, auch wenn Herr Engelhaaf sie für sicher hält. Bei einer größeren Wasserstoff-Explosion hätten helfende Feuerwehrleute kaum Überlebenschancen.
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688. |
Im September 2016 berichtet Spiegel online von einem Unfall beim Betanken eines gasbetriebenen Autos ([135]). Der Gastank eines VW Touran explodierte an einer Tankstelle, der Fahrer wurde dabei schwer verletzt. VW hatte angeblich den betroffenen Autohalter vorher informiert, dass eine Überprüfung stattfinden müsse. Nun aber warnen die Ölmultis vor Gasfahrzeugen und wollen das Betanken ablehnen. Der prominente Unfallforscher Engelhaaf wird die Welt nicht mehr verstehen. Wenn ein Autohersteller einem Autohalter den Hinweis gibt, dass ein Teil ausgetauscht werden muss, ist das eine Sache. Wenn aber das Unterbleiben eines Austauschs die Explosion des ganzen Fahrzeugs verursachen kann, muss die Gefährlichkeit einer Technologie diskutiert werden.
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689. |
In einem Bericht vom Dezember 2015 im Handelsblatt ([136]) heißt es: „Wasserstoff-Autos sind nur theoretisch effizient“ und die dortige Schlussfolgerung lautet „ein Durchbruch ist vorerst nicht zu erwarten“. Und das, obwohl Honda auf der Motor Show 2016 in Tokio schicke Autos mit Brennstoffzellentechnik vorgestellt hat. Oder geht es da hauptsächlich um das Image einer Marke und nicht um die Praktikabilität einer Zukunfts-Technologie. Insgesamt „verbraucht so ein Auto mehr als dreimal so viel Strom wie ein Elektroauto mit Akku“.
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690. |
Um Rohstoffe sparen zu können, müssen rechtzeitig Produkte entwickelt werden, die knappe Rohstoffe ersetzen können oder ein Recyceln wertvoller Rohstoffe mit vertretbarem Aufwand ermöglichen. Wenn man dann erst anfängt zu forschen, wenn Rohstoffe bereits knapp geworden sind, sind Konjunktureinbrüche und Wirtschaftskrisen zu erwarten, dann würden die „sieben mageren Jahre“ anbrechen.
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691. |
Zum Produktrecycling reicht ein freiwilliges System wie „Gelber Sack“ und „Gelbe Tonne“ nicht aus, von dem sich zunehmend Produzenten verabschieden ([137]). Es muss ein europaweit vereinheitlichtes zwingendes System angestrebt werden, weil Urlauber und Reisende das System der Nachbarländer auch mitmachen müssen. |
692. |
Wenn einzelne Länder meinen, bei ihnen sei diese Vereinheitlichung nicht so wichtig, sollen sie die vereinbarte Differenzierung reduzieren können, aber das spätere Mitmachen bei einer einheitlichen Europalösung darf nicht verbaut werden. Eine nächste Regierung mit anderer Widerstandskraft gegenüber der Lobby wird die Wichtigkeit anders beurteilen. Selbstverständlich sollen auch Nicht-EU-Länder diese Recycling-Normen übernehmen können und sogar dazu ermutigt und finanziell unterstützt werden.
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693. |
Der Gelbe Sack und der Grüne Punkt könnten langfristig verschwinden, da die Bereitschaft der Deutschen sinkt, ihren Müll zu trennen. Dann könnten sich teure vollautomatische Sortiermaschinen lohnen ([138]). Dabei würde der Müll nicht vom Verbraucher in verschiedene Tonnen getrennt, sondern mit einheitlichen Tonnen gesammelt und erst danach von Maschinen getrennt. Weitergehende Versuche müssten möglichst bald mit Unterstützung des Umweltministeriums und von beauftragten Instituten in einer deutschen Großstadt gestartet werden. Die Trennung von Müll in verschiedene Tonnen funktioniert in Mehrfamilien-Häusern in Großstädten ausgesprochen schlecht. Es werden sogar getrennte Sammeltonnen bei vereinfachter Entsorgung zusammengekippt.
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694. |
Ein anderes Problem ist die Vermeidung des Ablaufens der Haltbarkeit von Lebensmitteln. Eine humane Gesellschaft muss es als Problem ansehen, dass große Mengen von Lebensmitteln weggeworfen werden und gleichzeitig Millionen Menschen hungern, viele sogar verhungern oder gesundheitliche Hungerschäden bekommen. Es gibt Großbäckereien, die einen Großteil ihrer Heizenergie aus altem Brot gewinnen. Besser ist es, wenn Lebensmittel kurz vor dem Verfallsdatum Bedürftigen zur Verfügung gestellt werden. Das lässt sich aber nicht überall organisieren. Zur Menschlichkeit gehört, nicht immer den leichtesten Weg –hier den der Vernichtung– zu wählen.
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695. |
Bei dem Bemühen weniger Lebensmittel wegzuwerfen, müssen wir neue Wege gehen. Viele Lebensmittel verfallen leider in heimischen Kühlschränken. Da ist folgender Ausweg denkbar: alle Lebensmittel müssten mit Barcodes oder Chips zur Identifikation versehen werden; diese Identifikation muss auch das Verfallsdatum enthalten. Diese Identifikationsmöglichkeit könnte in den Geschäften auch beim Aussortieren verfallener Lebensmittel helfen. Dann müsste jede Packung beim Einsortieren in den heimischen Kühlschrank erfasst und der Inhalt in ein Datensystem übertragen werden. Dort oder sogar außen auf der Kühlschranktüre könnte der Kühlschrankinhalt mit Verfallsdaten angezeigt werden. Dabei könnte künftig auch eine Sprachausgabe behilflich sein, wie zum Beispiel: „Achtung, morgen verfällt der eingefrorene Spinat“.
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696. |
Damit so eine Lösung ihren Preis wert ist, müssen vielleicht noch Rezepte anzeigbar sein, die bald verfallende Waren verwenden. Dann könnte die Antwort auf die Frage, was man kochen soll, von den Verfallszeiten der Produkte im eigenen Kühlschrank mitgesteuert werden. Wenn man eigene Rezepte ergänzen könnte, sollte so ein Datensystem mit Rezeptvorschlägen eine echte Hilfe in der umweltbewussten „Küche von Morgen“ sein.
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697. |
In den Geschäften muss es auch eine Unterstützung eines Datensystems geben, um kurzfristig verfallende Waren zu finden und zu einem reduzierten Preis verkaufen zu können. Drei Kölner Studenten haben einen Internationalen Innovationswettbewerb gewonnen. Dabei wird mittels Smartphone auf Produkte kurz vor dem Verfall hingewiesen, die dann billiger verkauft werden sollen([139]). Allerdings müssen noch Geschäfte gefunden werden, die den Vorschlag ausprobieren. Bis so etwas überall funktioniert, wird es noch ein mühsamer langer Weg sein. Nur eine allgemeine Empörung über weggeworfene Lebensmittel kann diesen Weg abkürzen. Auch bei dieser Innovation könnte Deutschland Vorreiter werden und sich internationale Anerkennung verdienen.
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698. |
Um Rohstoffe zu sparen, ist das Recyceln von Stoffen sehr wichtig. Bei knappen Rohstoffen müssen Ersatzstoffe gesucht werden, die nicht so knapp sind, aber dieser Prozess kann Jahre dauern. Und ein Ersatzstoff hat im Regelfall andere Eigenschaften, mit denen Produzenten und Verbraucher erst einmal zurechtkommen müssen. |
699. |
Beim Recyceln gibt es unter anderem folgende Problemkette: Zusammengesetzte Produkte müssen bereits so entwickelt bzw. konstruiert werden, dass sie leicht demontierbar sind und die Wertstoffe leicht abgetrennt werden können.
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700. |
Als konkretes Beispiel soll hier einmal Gold dienen. Gold ist ein sehr guter elektrischer Leiter, der kaum oxidiert. Da wird man versucht sein, elektrische Kontaktstellen damit zu belegen, besonders wenn die Stromflüsse geringer werden, weil man Energie sparen will. Betrachten wir zur Vereinfachung nur Handys und ähnliche Kommunikationsgeräte. Gold wird dort an Kontaktstellen auf Leiterplatten aufgetragen, wenn auch nicht generell. Also müsste es einen Zerlege-Automaten geben, der unbrauchbare Geräte zerlegen und die Leiterplatten aussortieren kann. Bis man verwendbares Gold zurückgewonnen hat, bedarf es noch weiterer Schritte. Der nächste Automat (oder der nächste automateninterne Schritt) muss Gold mit minimaler Trägersubstanz abtrennen. Danach muss sich ein galvanischer Prozess anschließen, der das Gold abscheidet. Die Leiterplattenreste müssen auch noch weiter entsorgt oder verbrannt werden.
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701. |
Die Komplexität eines solchen Ablaufs wird erst klar, wenn man überlegt, was mit einem Zerlege-Automat alles zusammenhängt. Jeder Handyhersteller muss seine Handys so bauen, dass standardisierte Automaten beim Zerlegen damit fertig werden. Für jeden Handytyp muss ein Zerlege-Programm erstellt werden, das die Zerlege-Automaten verstehen und die Automaten müssen den Handytyp maschinell erkennen. Am Ziel der Entwicklung müsste es Zerlege-Automaten geben für alle Produkte, die in großen Mengen hergestellt werden und die recycelbare Komponenten haben, also nicht nur für Handys und nicht nur für Gold.
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702. |
Zusätzlich würde noch ein Pfandsystem benötigt. Gehen wir vereinfacht einmal von 10 Euro je Handy aus. Die müsste man beim Kauf mehr bezahlen und würde sie zurückbekommen, wenn man ein kaputtes Handy an einer am Kreislauf beteiligten Sammelstelle oder beim Händler abgibt. Wenn es dafür aber kein Zerlege-Programm gibt, bekäme man vielleicht nur einen Teil zurück, als Anreiz dafür, ein nicht recycelbares Handy nicht wegzuwerfen.
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703. |
Es müsste aber noch andere Sparanreize geben. Wenn beispielsweise ein Handy weniger als eine winzige definierte Menge Gold und anderer Wertstoffe enthält, könnte auf das komplizierte Recycling verzichtet werden. Das wäre sicher ein starker Sparanreiz, in diesem Beispiel bei der Verwendung von Gold.
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704. |
Zum radikalsten Rohstoff-Sparen, nämlich gar kein Handy zu kaufen und Konsumverzicht zu üben, sind am Ende des Buches einige Überlegungen zu finden.
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705. |
Eine Welt mit vielen knappen Rohstoffen wird komplizierter, da man viele Sparregeln und Sparabläufe braucht, die auch noch laufend korrigiert und optimiert werden müssen. Da ist es sehr wichtig, dass die Politik, die über solche Regeln entscheidet, nur sachliche Argumente berücksichtigt und dass Vorteilsnahme und „wohlmeinende“ Parteispenden ausgeschlossen werden.
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706. |
Noch ein Beispiel für diese Regeln, das bisher noch nicht in den Zusammenhang passte. Platin oder Platin-Iridium ist ein wichtiges Katalysator-Material. Beides sind seltene Edelmetalle; auch das Pariser Urmeter besteht daraus. Da ist es denkbar, dass man eines Tages seine Verwendung für Schmuck begrenzen muss. Natürlich sollte man erst einmal nach Katalysator-Alternativen suchen. Es lässt sich aber vorstellen, dass eine umsichtige Gesellschaft entscheiden muss, dass dieses Material nicht mehr zu Schmuck verarbeitet werden darf. Bei der Verabschiedung solch radikaler Regeln, ist die Gefahr materieller Interessiertheit der entscheidenden Politiker besonders groß. Hier würde ein Gesetz nur für Deutschland kaum etwas bewirken, es müsste schon eine weltweite Initiative über die UN angestoßen werden. Da ahnt man gleich, wie lange so eine Vereinbarung dauern könnte und man fürchtet, dass Protz liebende Menschen oder Querdenker dann gerade solchen selten werdenden Schmuck haben wollten.
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707. |
Mindestens so wichtig wie Sparen und Spar-Regeln sind innovationsfreudige Unternehmer und Kooperationen von Hochschulen, Instituten und Unternehmen und ihre Förderung, um überhaupt Ersatzstoffe zu finden und sie erproben zu können. |
708. |
Hochschulen bzw. Hochschulinstitute sollen sich ebenso wie Institute für ausgeschriebene Projekte bewerben können. So soll die Politik, zum Beispiel Wissenschaftsministerium und Parlament, steuern können, dass volkswirtschaftlich wichtige Fragestellungen auf jeden Fall mit genügend Personal und Mitteln bearbeitet werden. Natürlich gibt es bereits seit langem Forschung an Hochschulen, die mit der Industrie zusammenarbeiten.
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709. |
Aber die Kölner Universität war beispielsweise noch Anfang 2014 der Ansicht, dass entsprechende Verträge mit der Industrie geheim bleiben müssen. Dann kann die Politik wenig steuern und es besteht die Gefahr, dass individuelle Vorteile privatisiert werden. Gesamtwirtschaftlich wichtige Forschungsvorhaben können liegen bleiben, weil sich kein privater Sponsor findet.
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710. |
Es gibt auch Professoren, die meinen, dass zur Freiheit der Wissenschaft unbedingt gehört, dass sie das Gebiet ihrer Forschung ohne Einschränkungen und Kontrollen aussuchen dürfen. Dann kann es passieren, dass Probleme der Waffenindustrie, der Weltraumfahrt oder der Pharmaindustrie viele gut dotierte Problemlöser finden, aber volkswirtschaftlich wichtige Probleme ungelöst bleiben. Die, die heute diese Privilegien genießen, werden nur in Ausnahmefällen einsehen, dass dieser Teil der „Freiheit der Wissenschaft“ eine komplexe Form von Bestechung ist. Und dass da Transparenz unbedingt notwendig ist und dass entsprechende Verträge mit Universitäten auf gar keinen Fall geheim bleiben dürfen. Und dass die Universitäten das nicht selbst entscheiden dürfen.
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711. |
Wir müssen nicht nur Ersatzstoffe für knappe Rohstoffe finden, sondern auch Ersatzstoffe für gesundheitsgefährdende Stoffe. Heutzutage müssen viele öffentliche Gebäude saniert werden, weil dort zu hohe PCB-Konzentrationen gemessen werden. PCB gast aus Anstrichen und Dichtungen aus. Deshalb sind Fertigbauten, Fertigbauelemente und Verkleidungen besonders häufig betroffen. Es gibt die generelle Vermutung, dass die Zunahme an Krebserkrankungen mit all diesen zivilisatorischen Giften zusammenhängt; auch wenn man die Zunahme dieser Krankheit durch gestiegenes Durchschnittsalter berücksichtigt.
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712. |
Mit Hilfe eines oben aufgeführten Zerlege-Automaten kann man den Zusammenhang von Recycling und Normung gut erklären. Genormte Bauteile können ausgetauscht werden, eventuell wiederverwendet und bei Bedarf automatisch entsorgt werden, wenn die Teile dem Automaten bekannt sind und sie automatisch ausgebaut werden können.
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713. |
Bei genormten Teilen ist der Nachteil zu akzeptieren, dass sie nicht immer 100%ig für ihre spezielle Funktion passen. Zum Beispiel können Norm-Akkus zu groß dimensioniert sein. Wenn sie zu klein wären, könnten sie ihre Funktion nicht erfüllen. Wir machen uns heute keine Gedanken mehr, wenn in einem Bauteil eine M8-Schraube (mit 8 mm Gewinde-Außendurchmesser) enthalten ist und genau an der Stelle von der Festigkeit her eine kleinere, leichtere M7-Schraube gereicht hätte. Aber die ist seit langem ungebräuchlich, weil sie kein Normmaß hat. In keinem Baumarkt wird man sie finden. Wichtig dabei ist, dass heute M7-Schrauben nicht vermisst werden. Die Menschen können gut damit leben, dass genormte Teile nicht in allen Größen zu haben sind.
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714. |
Ein ganz anderer Bereich, in dem der Nutzen der Normung besonders auf der Hand liegt, sind die Spurweiten oder Spurbreiten bei Eisenbahnen. In Wikipedia findet man an die hundert historische Varianten. Vielfach sind sie früher so gewählt worden, damit ein Nachbarunternehmen das eigene Schienennetz nicht mitverwenden konnte. Man hat auch befürchtet, dass ein Kriegsfeind leichtes Spiel haben würde, wenn er mit seinen Schienenfahrzeugen ins Nachbarland fahren könnte. Heute wären wir froh, wenn wir nicht mehr so viele Sondergrößen hätten. In der EU haben wir in Spanien Probleme mit der breiteren iberischen Spur, sie sollte bis 2020 umgerüstet werden. Die Hochgeschwindigkeitszüge fahren heute schon überall in Europa auf Normalspur, d.h. auf Spurbreite 1435 mm oder 4 Fuß und 8 1/2 Zoll. Der ungerade Wert weist darauf hin, dass der englische Eisenbahnpionier George Stephenson einen vorgefundenen historischen Wert übernommen hat, vermutlich die Wagenbreite der Römer. Auch der vierrädrige römische Wagen im Römisch-Germanischen Museum in Köln hat ungefähr diese Spurweite, ich habe nachgemessen! Vor der Eisenbahn gab es schon Pferdebahnen, deren Wagen auch auf Schienen fuhren, um den Rollwiderstand gering zu halten. Stephenson hat vielleicht einfach deren Spurbreite beibehalten. Zum Erfolg der Eisenbahnen gehörte auch die Entwicklung eines hochbelastbaren Schienenstahls, damit die Schienen das hohe Gewicht der Lokomotiven überhaupt ausgehalten haben. Dabei war die Entwicklung von Steinkohle zu Koks wichtig, womit höhere Temperaturen erreicht werden konnten.
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715. |
Gerade an diesem Beispiel sehen wir, dass der Staat bzw. eine Staatengemeinschaft es nicht einzelnen Unternehmen gestatten kann, sich gegen andere abzugrenzen, sondern sie müssen gezwungen werden, kompatibel zu sein. Nachträgliches Kompatibel-Machen kostet viel Geld.
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716. |
Wir sehen heute an Steckern und Akkus von Hightech-Geräten, dass Hersteller kein besonderes Interesse an Normung haben. Sie haben eher ein Interesse daran, marktbeherrschend zu werden und anderen ihre eigenen Schnittstellen als Lizenz verkaufen zu können. Da steht individuelles Unternehmensinteresse gegen das Interesse der Gemeinschaft. In solchen Fällen hat Europa eine andere Tradition als Amerika, dort kann das Unternehmensinteresse Vorrang haben.
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717. |
Es folgen Beispiele, wo eine Normung wichtig ist, sie aber schon zum Teil besteht: Akkus und Batterien, Stecker; elektrische Transportdaten wie Spannung, Stromstärke, elektrische Frequenzen; Ladestecker und Aufladewerte für Elektroautos. Wo Normung nötig ist, dürfen nicht alte Patentinhaber die Hand aufhalten.
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718. |
Es mag Sinn machen, bei der Festlegung von technischen Normen enger mit den USA zusammen zu arbeiten. Es gibt ja internationale ISO-Normen. Die internationale Normenorganisation ISO besteht seit 1947 und hat ihren Sitz in Genf. Wir müssen aber bedenken, dass US-Amerika schon vor 1900 (!) entschieden hat, vom Zoll-System auf das metrische System umzusteigen. Angekommen ist man da nach weit über hundert Jahren aber immer noch nicht und wir werden es auch nicht mehr erleben. Es gibt dort ingenieurtechnische Bereiche, wo es versucht wird, aber beispielsweise in der Luftfahrt geht alles in Meilen und somit auch Zoll. Bei Computern gibt es ein Mix. Und ein Fußballtor ist überall 7,32 m breit geblieben, weil das genau 8 Yards sind und gut zu merken war.
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719. |
Welche Normen die geplante Transatlantische Handelsgemeinschaft TTIP vereinheitlichen will, hat sie noch gar nicht gesagt. Dass man aus diesem geheim tagenden Gremium heraus immerhin mal erwähnt hat, dass man amerikanische und europäische Auto-Rücklichterfarben (gelb und rot) vereinheitlichen will, deutet auf ein schlechtes Gewissen hin. Wieso soll solch eine völlige Nebensächlichkeit überhaupt über die EU hinaus genormt werden? Jedes Auto wird heute mit einem ganzen Bündel von Sonderwünschen gefertigt, da kommt es auf ein armseliges zusätzliches Rücklicht für ein paar Euro wirklich nicht an. Damit will man ablenken von anderen problematischen Zielen.
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720. |
Für erfolgreiche Normung gilt das Grundprinzip: Offenheit und gute Verfügbarkeit der Information. Im Prinzip sollen jeweils so viele Argumente und Erfahrungen wie möglich berücksichtigt werden. Irgendwann muss es ein vorläufiges Ende der Diskussion geben und eine Festlegung auf konkrete Daten, eben auf eine Norm. Aber wenn der damalige europäische Verhandlungsleiter der EU-USA-Freihandelszone, de Gucht, die Normung für den wichtigsten zukünftigen Bereich erklärt hat und gleichzeitig Geheimgespräche für notwendig gehalten hat, dann hat er vom Grundprinzip der technischen Normung nichts verstanden und will ganz etwas Anderes. Vermutlich will er neue Vertragsabsprachen unter Umgehung der vorhandenen Gerichte erreichen. Für Betrugsversuche braucht man Geheimhaltung, für erfolgreiche Normung das genaue Gegenteil. Schaut den TTIP-Verfechtern genau auf die Finger, ihre Argumentation stimmt hinten und vorne nicht! Es ist zu befürchten, dass da etwas faul ist.
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721. |
Ein anderes Thema: Sehr wichtig erscheint mir, dass US-Präsident Obama 2013 ein Reindustrialisierungs-Programm mit über einer Milliarde US-Dollar Volumen angestoßen hat. Die englische Premierministerin Margaret Thatcher (1925-2013, Premier: 1979-1990) hatte in den 1980er Jahren im Gegensatz dazu ganze Industriebranchen in Industriebrachen verwandelt. Dafür ist sie zu Recht sehr angefeindet worden. Die britische Industrie leidet noch heute darunter. Immerhin ist die stolze erste deutsche Eisenbahn „Adler“, die Nürnberg und Fürth verbunden hat, eine Lokomotive des englischen Erfinders Stephenson gewesen. Zur damaligen Zeit war englischer Erfindergeist führend in der Welt. Und Erfindergeist brauchen wir, wenn Rohstoffe knapp werden. Wenn wir kein Öl mehr haben und wir dann nicht genügend Ersatzstoffe und Ersatzenergie haben, verhelfen uns keine Dollar-Milliarden zu einem Leben in Frieden. Passend zu der alten Indianer-Warnung: „Weißer Mann, wenn du Wasser, Erde und Luft vergiftet hast, wirst du merken, dass du Geld nicht essen kannst!“
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722. |
David Landes formuliert es etwas weniger dramatisch: „Nicht Mangel an Geld hält die Entwicklung auf. Das größte Hindernis ist die soziale, kulturelle und technologische Unfertigkeit – der Mangel an Wissen und Know-how“ ([140]). Wenn ein Land keinen Wohlstand erreicht, dann fehlen: Infrastruktur, exportierbare Produkte, Technologie, gut ausgebildete und motivierte Arbeiter und Manager, nicht aber Kapital.
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723. |
21.
Elektro-Fahrzeuge: E-Autos, E-Fahrräder, Transportsysteme; autonomes
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724. |
Die Entwicklung von Elektroautos sollten alle Autonationen sowohl gemeinsam als auch konkurrierend angehen, damit wirklich gute neue Lösungen zustande kommen. Das größte Problem sind heute effiziente, leichte und schnell aufladbare Batterien, also Akkus. Ich verwende die Begriffe Akku und aufladbare Batterie synonym. Im englischsprachigen Raum ist der Begriff Akku ungebräuchlich, das gilt dann oft auch für übersetzte Bedienungsanleitungen und Veröffentlichungen. Sicher müssen die Akkus aber sein. Brandschutz wird lebenswichtig. Man hat 2016 viel von Notebook-Bränden durch defekte Akkus gehört, die sogar zu Flugverboten für bestimmte Typen führte.
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725. |
Man kann sich gut vorstellen, dass in eine Innenstadt mit stark verschmutzter Luft nur noch Elektrofahrzeuge fahren dürfen. Das ist nicht so einfach realisierbar. Ich erinnere an die Schwierigkeiten mit der Citymaut, die der beliebte Londoner Bürgermeister Ken Livingstone hatte. Ein Vorteil seiner Beliebtheit war, dass er Regeln ausprobieren konnte, ohne gleich abgewählt zu werden. London ist nicht die erste und einzige Stadt mit Citymaut. Dort ging es aber nur um Verkehrsreduzierung und nicht um ein generelles Verbot von Verbrennungsmotoren in einer City. Das würde noch mehr Mut der Entscheider erfordern und andererseits mehr Leidensdruck für die Betroffenen bringen.
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726. |
Peking hat saisonal sehr unter Smog zu leiden. Dort oder in einer ähnlich verschmutzten Megastadt könnte vermutlich leichter entschieden werden, nur noch Elektrofahrzeuge ins Zentrum zu lassen. Solange noch nicht alle Fahrzeuge auf E-Betrieb umgerüstet sind, müsste es Ausnahmen geben für: Linienbusse, Polizei, Krankenwagen, Feuerwehr und Taxen. Es müsste auch genügend Ladestationen geben. Wenn so ein System in einer Megastadt gut funktioniert, würden sich vermutlich auch andere Städte und Staaten interessieren und an Experimente trauen. Deshalb wäre bei den ersten Einführungen auch Unterstützung durch die UN sinnvoll.
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727. |
Indonesien will eine neue Hauptstadt, Nusantara, bauen, da die alte Metropole Djakarta in absehbarer Zeit im Meer zu versinken droht. 2024 sollen schon die ersten Behörden dorthin umziehen, obwohl dort 2022 noch Urwald war. 32 Mrd. US-Dollar soll das ganze kosten. Jetzt kommt das, was ideal zu diesem Kapitel passt. Nur noch Elektrofahrzeuge werden dort zugelassen! Noch sind das anspruchsvolle Pläne. Hoffentlich läuft es besser als damals in Brasilia, Brasiliens neuer Hauptstadt.
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728. |
Ich will das Elektroauto-Szenario bewusst konkretisieren, um zu zeigen, wie komplex die Elektromotorisierung ist. Die Ladestationen müssen in ein Stromnetz mit höherer Spannung und Leistung integriert werden. Vor allem muss entschieden sein, wie die Kupplung des Ladekabels und die Entsprechung am Auto aussehen sollen und in welcher Form (Spannung, Gleich-, Wechselstrom, Frequenz, variable Stromstärke, die die Batterieladung berücksichtigt) die Energie übertragen wird und wie das Auto bzw. die Batterie/Akku identifiziert werden und wie die Daten übertragen werden. Man kann sich auch vorstellen, dass mit ein- und derselben Kupplung unterschiedliche Spannungen und Stromstärken übertragen werden. Dann müsste ein Pol die Information übertragen, welche Stromvariante jeweils gebraucht wird. So ein variables System müsste aber extrem sicher sein.
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729. |
Bei der Einführung könnte man die elektrische Energie kostenlos einspeisen, um einen Anreiz für die Elektrifizierung zu schaffen. Dann hätte man die ganze Bezahl- und Abrechnungsproblematik auf später verschoben und könnte mit den vielen restlichen Problemen Erfahrungen sammeln.
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730. |
Wenn man die ganze Elektromotorisierung betrachtet, kommt man leicht zu folgender Vermutung: Kurzfristig wird es keine gute umfassende Lösung geben. Wahrscheinlich wird man sich erst nach vielen Einzelerfahrungen zur Vereinheitlichung und Normierung durchringen. Eine Normierung ist besonders wichtig für das Recyceln der Akkus, die mehrere knappe und teure Rohstoffe enthalten.
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731. |
Am 26. März 2014 hat sich die EU auf den „Typ-2-Stecker“ geeinigt, der auch „Mennekes-Stecker“ genannt wird ([141]). Mennekes ist ein deutsches Unternehmen. Geladen wird damit Wechselstrom in variabler Leistung. In den USA und in Japan werden andere Stecker verwendet.
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732. |
Der VDA wollte ab 2013 eine Ladestation für Elektrofahrzeuge testen, die in eine Straßenlaterne integriert ist. Ende 2014 sollte sie einsatzfähig sein. Damit sollten die Kosten der Ladeinfrastruktur angeblich um 90% gesenkt werden ([142]) Ein hoher Anspruch! Hoffentlich werden diese Anlagen vandalismussicher! Eine Tankstelle wird immer überwacht, an problematischen Orten sogar mit Kameras. Bei so einem Laternen-Vorhaben kann man geradezu spüren, wie leicht das zum Misserfolg werden kann und wie wichtig die Bewährung der vielen Komponenten erfolgreicher Elektroautos und der dazu nötigen Infrastruktur noch wird. Schon Anfang 2017 hat man nichts mehr von der „Ladestation Laterne“ gehört.
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733. |
Beim Thema Bewährung der Komponenten muss man auch an die sich in letzter Zeit häufenden Diebstähle von Kupferkabeln denken. Da wurden relativ offen verlegte Kabel von Signalanlagen herausgeschnitten und für ein paar hundert Euros verkauft, die unabsehbare Folgeschäden hervorrufen. Wenn so eine Art von brutal-gedankenloser Kriminalität nicht effizient verhindert wird, kann in einer ganzen Gesellschaft öffentliche Spitzentechnologie verhindert werden. Dann werden robuste Lösungen, die gut überwacht werden können, bevorzugt und nicht die technologisch besten oder die sparsamsten.
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734. |
In Paris gab es seit 2013 autolib-Leihautos an Ladestationen mit Parkstelle, die dort elektrisch aufgeladen werden. Es handelte sich um kleine Stadtautos, alle gleichen Typs. Hier hatte man viele Probleme ausgeklammert, weil auf alle sonstigen unterschiedlichen Anforderungen verzichtet wurde. Gebucht und bezahlt wurde über Internet. Leider zeichnete sich bereits im Juli 2018 ab, dass diese beliebten Fahrzeuge nicht wirtschaftlich betrieben werden können. In Paris hat man gute Erfahrungen mit Leihfahrrädern gemacht, die übers Internet gebucht und wieder in genormte Ständer zurückgestellt werden müssen. Anders als bei verschiedenen deutschen Leihrädern, die an beliebigen Stellen stehen gelassen werden können und dann wieder entladen eingesammelt werden müssen. Wenn sie entladen sind, können sie ihren Standort nicht mehr melden und liegen im ungünstigsten Fall irgendwo im Wald oder in einem Gewässer herum.
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735. |
Ähnlich wie in Paris könnten neuartige kleine Autos funktionieren, die hier „eLeihautos“ genannt werden sollen. Auch dieses System sollte aus Leihautos bestehen, aber an zentralen Stellen mit schneller Umsteigemöglichkeit in Bahnen. Die Autos würden zu einer bestimmten Zentralgarage gehören und dort in Ladebuchten geparkt werden. Die Verbindung zu Bahnen sollte über überdachte Wege erfolgen. Die Fahrzeuge sollten dicht nebeneinander abgestellt werden. Dazu müsste man die Autos vor dem Einparken verlassen, dann würden sie automatisch in eine Nische mit Auflademöglichkeit eingeparkt. Mit diesen Autos könnte man zu seiner Arbeitsstelle oder einem anderen Ziel fahren, dort müsste es keine Aufladestellen geben. Das nächtliche Aufladen in der Zentralgarage würde ausreichen.
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736. |
Eine solche Zentralgarage könnte an einem Orten stehen, der für Verbrennungsmotoren gesperrt ist. So ein „eLeihauto“ könnte man entweder dauermieten oder man würde ein frei verfügbares Fahrzeug abholen. Für frei Verfügbare müsste es eine Buchungsmöglichkeit geben, die den Ladezustand der Batterien berücksichtigt. Gerade zurückgestellte eAutos sind im Regelfall nicht sofort verfügbar; es sei denn, dass die Restladung der Batterie noch für eine bekannte Folgenutzung ausreicht.
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737. |
Norwegen hat seit 2012 eine Vorreiterrolle bei Elektroautos. Anfang 2014 fuhren dort schon 14.000 E-Autos. Die meisten davon in der Hauptstadt Oslo, weil man dort besonders unter Umweltverschmutzung leidet und deshalb besondere Anreize geschaffen hat. Steuerfreiheit für E-Fahrzeuge gilt überall in Norwegen. In Oslo kann man darüber hinaus frei Parken, kostenlos Aufladen, Busspuren mitbenutzen und überhaupt ins Zentrum fahren. Das Mitbenutzen von Busspuren kann nur ein temporärer Anreiz sein. Er wird spätestens dann beendet, wenn der Busverkehr dadurch behindert wird. 6–9% der zugelassenen Neuwagen sind bereits Elektrofahrzeuge. Wenn Elektroautos weite Verbreitung fänden, würde man das kostenlose Aufladen vermutlich nicht mehr beibehalten. Auch das kostenlose Parken wird wahrscheinlich nur ein Einführungsanreiz bleiben.
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738. |
In Deutschland gab es Ende 2012 erst knapp 3000 E-Autos und die weitere Zunahme war recht bescheiden. Ein wichtiger Grund bei uns wird sein, dass nur Fahrzeughalter mit eigener Garage und Auflade-Möglichkeit ihr Fahrzeug regelmäßig nachladen können. Es gibt noch zu wenig geeignete Ladestationen. Und die E-Autos sind noch relativ teuer. Vielleicht sorgen die mittlerweile eingeführte Neuwagen-Prämie und die politischen Entscheidungen bald für eine stärkere Verbreitung.
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739. |
Sehr langfristig ließen
sich mit Fahrzeugen, die autonom -also ohne Fahrer- fahren, sehr
anspruchsvolle Aufgaben erledigen. Beispielsweise Kinder zu Veranstaltungen
fahren und abholen, Senioren zum Arzt oder zu Freunden bringen, zwischendurch
noch Lebensmittel zuladen oder einen online gekauften Gegenstand von einer Beladestation
abholen. Man könnte wichtige Dinge erledigen, ohne selbst dabei sein zu
müssen. Ein solches Auto könnte mich zum Frisör oder Arzt bringen und wenn es
dort keinen freien Parkplatz gibt, fährt es weiter und holt mich zu einem
gewünschten Zeitpunkt wieder ab, wie ein eigener Chauffeur, der aber
unbezahlbar ist. Danach könnte dasselbe Auto für andere Personen Chauffeur
spielen. Das ist allerdings liebliche Zukunftsmusik!
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740. |
Am Amsterdamer Flughafen Schiphol gibt es ein interessantes E-Projekt. Dort sind zehn elektrisch angetriebene Taxen im Einsatz, deren Batterien in einer Ladestation in fünf Minuten vollautomatisch ausgetauscht werden können. Die EU fördert das Projekt. Die Stadt Amsterdam ist deshalb besonders interessiert, da die Taxen vom Flughafen aus im Regelfall ins Stadtgebiet fahren ([143]). Langes „Auftanken“ wird umgangen, weil jeweils die gesamte Batterie ausgetauscht wird. Ein Taxiunternehmen kann das problemlos machen. Ein Privatmann, der beim Austausch zufällig eine schlechtere Batterie bekäme, mit der er dann nicht so weit fahren könnte, würde sich vermutlich beschweren. Oder die Batterien müssten nach jeder Voll-Ladung auf max. Leistung getestet und dann mit variablen Preisen vermietet werden. Man ahnt schon, das wird kompliziert. Besonders wenn man berücksichtigt, dass die Firma Better Place in Israel schon 2007eine Lösung dafür angeboten hat, mit der sie 2013 leider pleite gegangen ist. In China sind 2018 neue Musterlösungen eingeführt worden. Bei öffentlichen Fahrzeugen wäre wohl am ehesten eine effiziente Lösung möglich.
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741. |
Der US-amerikanische Teslakonzern wollte 2013 mit einer Kette von Elektro-Highway-Ladestationen auf der Strecke München-Amsterdam für sein Model S beginnen. Das Tesla-Auto kostete aber 72.000 Euro und kann sich vorerst nur in engen Grenzen bewegen. Einleuchtend ist die Tesla-Idee mit einer Schnellaufladung, die max. 30 Minuten dauert, die dann Zeit für eine Kaffeepause lässt und danach weitere 320 Kilometer Fahrt ermöglicht. Unklar ist, was derjenige tut, der länger warten muss. Das Tanken an Benzin-Tanksäulen dauert im Gegensatz dazu nur Minuten. Beim Elektroauto von Tesla fehlen noch die Lösungen vieler Detailprobleme ([144]). Mittlerweile ist die Automarke Tesla in den Medien sehr präsent, das wird die weltweite Autoelektrifizierung hoffentlich voranbringen.
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742. |
Auf der Hannover Messe 2014 wurde die SLAM-Technologie präsentiert ([145]). SLAM steht für Schnellladenetz für Achsen und Metropolen, wobei mit Achsen große Verkehrswege und nicht Autoachsen gemeint sind. Bis 2017 soll eine flächendeckende Versorgung stehen, mit einem Säulenabstand von 50-70 km. Dort kann folgendes geladen werden: Erstens Gleichstrom nach CCS-Standard, wobei die Batterien in einer halben Stunde zu 80% gefüllt sind. Zweitens Wechselstrom im Standard Typ2 mit Mennekes-Stecker, wobei die Ladeleistung noch nicht feststeht.
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743. |
Die Elektro-Euphorie könnte auch wegen folgendem Rückblick im Rahmen bleiben. Die Post hat bereits in den 1960er Jahren ihre Paketzustellung in Düsseldorf (und bestimmt nicht nur dort) mit akkubetriebenen Kleinlastwagen durchgeführt. Ich kenne die Gründe für die Beendigung dieses Experiments nicht, aber der Umweltschutz spielte damals keine Rolle. Da ich damals selbst beim Zustellen von Paketen mitgeholfen habe, weiß ich, dass die Autos und ihr nächtliches Laden einwandfrei funktionierten. Die Fahrzeuge hatten zwar eingeschränkte Höchstgeschwindigkeit, Beschleunigung und Reichweite. Das war im Stadtverkehr aber kein gravierender Nachteil. Zur Versorgung des Umlandes brauchte man zusätzlich andere Fahrzeuge. Seit 2016 stellte die Post sogar E-Kleintransporter für den Pakettransport selbst her, die staatlich gefördert werden. Dieses Experiment soll mittlerweile leider schon wieder auslaufen. In Italien und Frankreich hat die Post kleine Elektrowägelchen für Briefzusteller.
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744. |
Folgendes deutet auch darauf hin, dass die Technologie der E-Autos erst in eine Bewährungsphase geht. Der Mitsubishi „i-MiEV“ war eines der ersten am Markt verfügbaren Elektroautos. Der ÖAMTC, der österreichische ADAC, hat 2014 festgestellt, dass dessen Akkus bereits nach drei Jahren 17% ihrer Leistungsfähigkeit eingebüßt haben ([146]). Mitsubishi gab bisher eine Garantie für fünf Jahre. Als Ursache für den Leistungsabfall werden die Schnellladungen vermutet. Dabei verteilt sich der Strom ungleichmäßig über die Zellen. Die einfachste Gegenmaßnahme wäre, die Akkus stärker auszulegen. Das würde sie aber teurer und schwerer machen. Toyota will 2020 für die Batterie ihrer Elektroautos eine Garantie für eine Mio. km oder 10 Jahre geben. Damit soll den Kunden die Angst vor vorzeitigem Defekt der Batterie genommen werden. In einigen Fällen wird man die Batterie vorher austauschen müssen, das ist in den Preis bereits einkalkuliert.
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745. |
Ein Verfahren für kostengünstiges Aufladen soll einmal skizziert werden, um die Komplexität der E-Motorisierung zu zeigen. Schnellladung und Normalladung, letztere ist hier zur Verdeutlichung Langsamladung genannt, müssten mit demselben Stecker durchgeführt werden können. Eine Umschaltung sollte über Internet möglich sein. Beim Start des Aufladens und Einsteckens des Ladesteckers sollte man eine Vorwahl treffen können: entweder Schnell- oder Langsamladung oder ein Mix. Diese Wahl müsste sich über das Internet ändern lassen. Dabei tritt für den Anwender ein doppeltes Zeitproblem auf: Einerseits weiß er nur sehr ungefähr, wie lange eine vollständige Langsamladung einer nicht ganz leeren Batterie dauern wird. Andererseits weiß er nicht immer im Voraus, wann er das Auto braucht. Eilig gebrauchte Autos, die gerade im Langsamlade-Modus aufgeladen werden und deshalb nicht nutzbar sind, könnten sowohl ihre Nutzer zur Raserei bringen als auch die Einführung der E-Technologie erschweren. Die Langsamladung erhöht die Batterie-Lebensdauer aber deutlich, sie sollte deshalb bevorzugt werden.
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746. |
Es gibt auch eine kritische Sicht auf die E-Technologie beim Auto. Zur Stromerzeugung werden heute zumeist Kraftwerke mit fossilen Brennstoffen betrieben. Diese werden in der Regel nicht mit neuester Technologie und besten Wirkungsgraden gefahren. Dann könnten beispielsweise mit Alkohol betriebene Motoren in sparsam und leicht konstruierten Autos eine bessere Ökobilanz aufweisen; besonders wenn der Alkohol aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wird.
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747. |
E-Autos können ein Trend werden, E-Fahrräder sind es schon. Viele Menschen schauen noch auf die Entwicklung der Preise, auf die Reichweiten der Akkus und die Verfügbarkeit von Ladestationen. Mit einem E-Fahrrad für ein paar Tausend Euros traut man sich kaum, in die Stadt zu fahren und das Fahrrad unsicher abzustellen. Eine Diebstahl-Versicherung wird vermutlich teuer sein. Dennoch werden Elektro-Fahrräder eine wichtige Rolle spielen für die Mobilität einer älter werdenden Gesellschaft. Derzeit muss man bei diesen Fahrrädern mit treten. Das schränkt die Konstruktion stark ein. Ein stabileres Fortbewegungsmittel für nicht mehr ganz sichere Personen wäre eine Art Fahrrad mit niedrigem Sattel, bei dem der Fahrer mit dem ganzen Fuß sicher auf den Boden käme, man könnte dann eher von einem E-Leichtroller sprechen.
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748. |
Im Alter wird der Gleichgewichtssinn schwächer und es treten Schwindelzustände auf. Dann ist es gefährlich, auf einem Gefährt zu sitzen, auf dem man nicht sicher mit den Füßen auf den Boden kommt. Mancher wird im fortgeschrittenen Seniorenalter lieber auf einem Elektrowägelchen sitzen, das allerdings bisher nicht auf der Straße fahren darf. In den Städten können wir die Bürgersteige nicht so einfach erweitern, wenn die Anzahl der Elektrowägelchen stark zunehmen würde. Niemand kennt die künftige Entwicklung, aber E-Fahrräder werden dazugehören, wie sie dann auch immer konstruiert sind. Vielleicht mit besonderen Attraktionen wie einem beheizbaren Sitz oder einer raffinierten Wegfahrsperre.
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749. |
Auch neue kommerzielle Transportsysteme werden entwickelt. Im Kölner Stadtanzeiger vom 11. Februar 2017 wurde ein System mit unterirdischen Transportbehältern vorgestellt, es nennt sich „Cargo Cap“ ([147]). Jeder Behälter hat einen eigenen Elektroantrieb, kann mehrere Standardpaletten befördern und fährt in einem unterirdischen Einbahnstraßen-Rohrnetz. Es handelt sich um ein Warentransport-System für Innenstädte. In dem Beispiel ist Bergisch Gladbach als möglicher Einsatzort genannt. Viele Teilnehmer müssen dabei mitmachen: die Stadt, die belieferten Geschäfte, Transportunternehmer, die das neue System mit ihren LKWs beschicken müssen und nicht zuletzt Firmen zur Planung und Realisierung. Vermutlich müssen auch staatliche Zuschüsse bei der Erstellung einer Musteranlage mithelfen. Einige Vorteile eines solchen Systems liegen deutlich auf der Hand; jetzt, wo Stickoxide und Feinstaub der Autos die Ballungsräume vergiften und wo Paketdienste die Innenstädte verstopfen. In Ladezonen vor großen Geschäften staut sich der Verkehr.
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750. |
So ein unterirdisches Transportsystem könnte eine große Zukunft haben. Seine Abmessungen, Spurweiten und seine elektrische Versorgung müssten zumindest europaweit abgestimmt oder genormt werden. Die Frage, ob aus anderen lokal existierenden Systemen zur Fabrikversorgung, aus Hochregallagern und ähnlichem gelernt werden kann, spricht für eine wissenschaftliche Begleitung eines solchen Projekts. Kreuzungen mit U-Bahnen, Tunnelanlagen und Flüssen könnten so ein System sehr aufwendig machen.
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751. |
Es gibt bereits andere vergleichbare Systeme. Das ist nicht erstaunlich, da es schon sehr lange Rohrpostanlagen und U-Bahnen gibt. Das Schweizer System Cargo Sous Terrain ist ähnlich und scheint schon weiter fortgeschritten ([148]). Es soll im Endausbau quer durch die Schweiz führen. Man überlegt bereits Gesetzesänderungen, um Eigentumsprobleme pauschal lösen zu können. Ein englisches, unterirdisches Gütertransportsystem wurde 2002 vom Unternehmen Mole Solution (mole = Maulwurf) entworfen. Die Machbarkeit sollte überprüft werden; angeblich sollte sich Northampton gut für eine Musterinstallation eignen ([149]). Allerdings hat man nichts mehr davon gehört, obwohl schon von Anwendungen in Indien und China die Rede war. Von internationaler Abstimmung wird nirgendwo gesprochen. Gemeinsam ist allen Systemen, dass sie Normpaletten befördern sollen und dass sie überfüllte Straßen entlasten sollen.
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752. |
Bei der Weiterentwicklung automatisch fahrender Systeme kann man sich auch folgendes vorstellen. Auf Straßenbahnschienen bestimmter Linien würden nur noch fahrerlose kleinere Wagen mit Elektroantrieb fahren. Der Vorteil wäre, dass man bei Bedarf Wagen von dezentralen Depots einfügen könnte. Die Depots könnten in verkehrsarmen Zeiten mit automatisch dorthin dirigierten leeren Wagen wieder aufgefüllt werden. Hierbei könnte man auch Wagen, die nur Güter transportieren, einschieben. Größten Wert müsste bei einem solchen System auf intelligente Unfallvermeidung gelegt werden. Zur intelligenten Unfallvermeidung könnten auch kleine Vorlaufroboter beitragen, wie sie in Kap.9. beschrieben sind. In Paris fährt übrigens die Metrolinie 14 seit Jahren fahrerlos und in Kopenhagen die komplette Metro.
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753. |
Auch fahrerlose kleinere langsame Taxi-Fahrzeuge auf eigenen Trassen könnten uns bald begegnen. Vielleicht als kostenlose? Verbindung von Stadtrand-Parkplätzen zum Stadtzentrum. Bis aber im täglichen Individual-Verkehr fahrerlose eAutos zugelassen werden, da dürfte noch sehr viel Zeit vergehen. Da müsste beispielsweise auch die Möglichkeit, dass Terroristen mit fahrerlosen Fahrzeugen Katastrophen verursachen, ausgeschlossen werden.
Auch der Wissenschaftsredakteur Ranga Yogeshwar ist skeptisch gegenüber autonom fahrenden Autos. Er hat 5/2019 schon praktische Erfahrung mit verschiedenen Marken gemacht und sagt, dass bei jeder Fahrt Pannen aufgetreten sind! ([150]) Er bringt ein anschauliches Beispiel. Menschen wissen, dass hinter einem auf die Fahrbahn fliegenden Ball ein Kind hinterherlaufen kann. Ein Automat weiß das nicht. Wenn die Konzentration eines Fahrers nachlässt und ein Automat warnt oder sogar bei zu dichtem Auffahren bremst, kann das schwere Unfälle vermeiden helfen. Das sollten bald alle Autos haben, insbesondere alle LKWs. Letzteres ist erst ein kleiner Schritt hin zu einem autonom fahrenden Auto und noch sehr weit von diesem Ziel entfernt.
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754. |
2018 ist ein besonders trockenes Jahr geworden mit vielen Waldbränden, sogar in Schweden und in Ostdeutschland. Da könnte man sich den Einsatz von riesigen autonom fahrenden Fahrzeugen auf nicht brennbaren Ketten vorstellen, mit denen man Waldbrände bekämpfen kann. Mit Kamerahilfe ferngesteuert könnte man damit den Einsatz auch an kritischen Stellen wagen, wo ein Fahrzeug im schlimmsten Fall ein Opfer der Flammen werden könnte. Heute wird der Einsatz der Feuerwehr an kritischen Stellen aus Gefährdungsgründen der Feuerwehrleute ausgeschlossen. In Brandenburg gibt es Waldgebiete mit Munitionsrückständen, die bei Bränden explodieren können. In solchen Fällen würde der Einsatz der Elektrotechnologie nur eine sekundäre Rolle spielen, hauptsächlich um die Explosion von Treibstofftanks auszuschließen.
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755. |
Besonders wichtig für die Verbreitung von eAutos ist, dass sehr früh über das Recyceln von aufladbaren Batterien (=Akkus) nachgedacht wird. Sonst entstehen Engpässe und riesige Preissteigerungen bei den Metallen Lithium und Kobalt. Da es um eine erwartete Rohstoffverknappungen geht, sind alle Lithium-Ionen-Akkus betroffen, auch die aus Kommunikationsgeräten und Computern. Da muss der Anreiz zum Nicht-Wegwerfen unbedingt durch ein Pfandsystem verstärkt werden. Sehr wichtig wird auch die Forschung nach alternativen Materialien für Akkus. Es gibt zwar schon Schwefel-Akkus, die aber nur bei höheren Temperaturen funktionieren. Diese Temperaturen kann man unter Windrädern, in Kraftwerken und vielleicht in Spezialfahrzeugen beherrschen, aber nicht in normalen Autos.
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756. |
Zur Verbesserung des Recyclings von Lithium-Akkus muss es vermutlich verbindliche konstruktive Vorgaben für alle Hersteller geben. Für Handys könnte das zum Beispiel so aussehen: 1.) es darf nur noch austauschbare Akkus geben. 2.) die Akkus müssen an Kabeln festgeschraubt sein, die Kabel am Handy. 3.) wenn die Akkus sich beim Recyceln nicht abschrauben lassen, kann man sie zur Not abreißen. Fest geschraubt ist der Stromübergang deutlich besser als bei klemmbaren Akkus, die schon wiederholt Brände verursacht haben. 4.) Ein Handy-Akku müsste beim Recyceln mit deutlich mehr als 10 Euro vergütet werden. Wenn künftig kein Ersatz für Lithium gefunden wird, wird dieses Metall wichtiger als Gold! Bei Nicht-Handy-Akkus aus Lithium muss es vergleichbare Recycling-Regeln geben. Eine normale Auto-Batterie ist auch ein Akku, sie besteht aber nicht aus Lithium, sondern Blei.
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757. |
22. Überwindung der Entfremdung der Arbeit durch Humanisierung der Arbeitswelt
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758. |
Ein wichtiges Ziel jeder humanen Gesellschaft muss sein, die Entfremdung der Arbeit zu reduzieren. Monotonie der Arbeit stumpft die Menschen ab und verhindert ihr Engagement für Qualitätsverbesserungen und Innovationen. Die sind aber lebenswichtig für ein Industrieland wie Deutschland. Dabei sollte immer gelten: Gute Lösungen für Deutschland können unsere europäischen Nachbarn zum Nachahmen und zur Verbesserung anregen und gute Ideen werden an europäischen Grenzen nicht Halt machen. Der Psychiater Joachim Bauer meint dazu: „Das neurobiologisch verankerte Bedürfnis des Menschen, Sinnvolles zu erleben und zu tun, kann am Arbeitsplatz nicht einfach abgeschaltet werden.“ ([151]) Und dieses neurobiologisch verankerte Bedürfnis ist in Deutschland nicht anders als sonst wo auf dem Globus.
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759. |
Die These des Sozialforschers Gerhard Schulze lautet: „Allein im Tun erfahren wir uns selbst“ ([152]). Also nicht gedanklich in uns herumstochern und nach unserer Selbstverwirklichung suchen. „Die Menschen erwarten Sinn, Erfüllung und Freude von ihrem Beruf. Sie wollen nicht mehr nur für ihre Arbeit leben, diese soll ein lohnendes Erlebnis sein“.
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760. |
Der Soziologe Richard Sennett von der New York University ist 2014 davon überzeugt, „dass sich das Gefühl einer grundlegenden Zufriedenheit einstellt, wenn man das Gefühl hat, seine Sache gut zu machen.“ ([153]). Eine hohe berufliche Mobilität mit ständig neuen Aufgaben verhindert aber, diesen Zustand zu erreichen.
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761. |
Die Arbeitswelt ist heute hektischer denn je. Dazu tragen auch die neuen Kommunikationsgeräte bei. Man kann mit ihnen überall verfügbar sein und sich umfassend über Dinge informieren, die mit der zu bewältigenden Aufgabe nur Berührungspunkte haben. Dadurch steigen die Komplexität des Lebens und der Stress. Die Krankschreibungen aus psychischen Gründen (Burn-out und Depression) haben deutlich zugenommen. Es gibt Firmen, die mit Fitnessangeboten und Unterstützung von Physiotherapeuten und anderen Fachleuten gegensteuern. Das bleiben aber individuelle Hilfsangebote, die am Trend nichts ändern. Wenn sich die Mehrzahl der Firmen da in der Verantwortung sähe, könnte sich das ändern. Der IT-Experte und Philosoph Gunter Dueck schreibt 2013: „Wer am Arbeitsplatz ständig überwacht wird, beginnt nervös Geschäftigkeit vorzutäuschen; trotz der Hetze gelingt weniger.“ ([154]) Und die Überwachungsmöglichkeiten und -versuche nehmen generell zu.
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762. |
Der Verhaltensökonom Matthias Suttner weist 2014 in einem „Zeit“-Interview auf die Wichtigkeit von Ausdauer bei der Leistung hin. Er glaubt, dass Geduld genauso wichtig wie Intelligenz und Talent ist. In seinem Buchtitel ist seine zentrale Erkenntnis enthalten: „Ausdauer schlägt Talent“. Der Volksmund weiß schon lange: Mit Geduld und Spucke fängt man eine Mucke. „Wenn es darum geht, die Geduld aufzubringen, langfristig etwas im Unternehmen zu verändern, wird ein Zeitarbeiter wenig Anreize dazu haben, wenn sein Vertrag nach kurzer Zeit endet. Insofern sind die vielen befristeten Verträge in der Arbeitswelt ein Problem.“ ([155]) Und die befristeten Verträge haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Wer denkt dabei an die Auswirkung auf die Zufriedenheit der Menschen und weiter noch an die Qualität ihrer Arbeitsleistung, letztlich also die Qualität der Produkte?
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763. |
Die Hektik wird heute noch durch andere Faktoren verstärkt. Niemals früher gab es so viele Aufforderungen zu prüfen, ob man Dienstleistungen günstiger bekommen kann, einschließlich der Möglichkeiten zu wechseln. Stromanbieter, Krankenversicherungen, Autoversicherungen, Handytarife, Benzinpreise alles ist im Internet vergleichbar und die Aufforderung, das Günstigste herauszusuchen, kommt gleich mit. Dann gehen auch noch Dienstleister pleite und der Stress vergrößert sich, weil man nicht nur Preise vergleichen muss, sondern auch noch die wirtschaftliche Zuverlässigkeit der Anbieter kennen muss. Es entsteht ein richtiger Trend, der dazu führt, dass man sogar von Bekannten deswegen angesprochen wird. In der Summe ist das ganze „Optimieren“ den Aufwand und die zusätzlichen Unsicherheiten gar nicht wert, vom zusätzlichen Stress mal ganz abgesehen. Es ist zu befürchten, dass weniger stressbelastbare Menschen darunter besonders leiden und krank werden.
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764. |
Dahinter steckt eine Marketingstrategie, die sich auf den abwegigen Satz reduzieren lässt: „Ich bin doch nicht so blöd, irgendwo ein paar Cents zu viel auszugeben“. Aber dafür bin ich dann bereit, mich verrückt und krank machen zu lassen! Wahnsinn!
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765. |
Es gibt auch von außerhalb des Unternehmens, von Anteilseignern geforderte schnelle organisatorische Änderungen und Personalabbau in Unternehmen mit dem Ziel, den Aktienkurs hochzutreiben. Danach werden die Aktien dann schnell wieder mit Gewinn veräußert. Solche betrieblichen Eingriffe von außen ohne innerbetriebliche Notwendigkeit sind vielleicht gerade noch nicht Betrug zu nennen, sie sind aber nahe daran. Solche Spielchen gab es früher weniger, heute denken sich findige Finanzgesellschaften alles Mögliche aus, ohne Rücksicht darauf, ob es volkswirtschaftlich oder den Menschen schadet. Die findigen Finanzgesellschaften haben keine Schwierigkeiten an Beteiligungen in einer Größenordnung zu kommen, mit denen sie bestimmen können. Hier muss der Gesetzgeber schnell handeln, notfalls mehr Information fordern und die Grundgesetzforderung „Eigentum verpflichtet“ mit Leben füllen. Dabei geht es oft um große Summen, so dass die Bürger sehr kritisch aufpassen müssen, damit nicht Parteispenden die Trägheit des Gesetzgebers erklären können.
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766. |
Solche und ähnliche Überfälle von Finanzgesellschaften bzw. von „Heuschrecken“ demotivieren die arbeitenden Menschen und machen innerbetriebliche Motivationsbemühungen zunichte. (Diese Verwendung des Begriffs „Heuschrecke“ ist mit Franz Müntefering in den Medien breit getreten worden, es gab aber sowohl den Begriff als auch den kapitalistischen Missbrauch schon lange vorher.) Hier führt liberale Toleranz der Politik zur Demoralisierung von Unternehmen und der ganzen Gesellschaft. Vor allem nehmen die Möglichkeiten solcher finanzieller Großfonds zu. Sie können beispielsweise Unternehmen zum höheren als dem Marktpreis kaufen -und dabei wird dann manche Erbengemeinschaft schwach. Dann können sie in betriebliche Abläufe und Sortimenter eingreifen, allein zu dem Zweck, das Unternehmen schnell wieder teuer verkaufen zu können.
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767. |
Die Wichtigkeit der Arbeit kann man gut an Menschen mit psychischen Problemen beobachten. Wolfgang Meyer war 2014 Präsident der medizinischen Fachgesellschaft DGPPN; er meint: „Die Hälfte aller psychisch beeinträchtigten Patienten wünscht sich vor allem eine normale Arbeitsstelle, noch vor Partnerschaft und anderen sozialen Kontakten [...] Arbeit stiftet Sinn im Leben, gibt den Menschen einen Rahmen […] Arbeit schützt Menschen auch vor psychischen Erkrankungen“ ([156]).
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768. |
Arbeit ist sehr wichtig im Leben, sie kann allerdings unterschiedlich befriedigend sein. Früher wurden in Gefängnissen Tüten geklebt, das ist vielleicht besser als Nichtstun. Ob es aber sinnstiftend ist, darf bezweifelt werden. Gut ist, wenn individuelle Fähigkeiten zur Entfaltung gebracht werden. Man möchte nicht nur arbeiten, sondern sinnvolle, vielleicht sogar anspruchsvolle Aufgaben gut bewältigen. Das weckt die Bereitschaft, die Qualität des Produzierten zu verbessern. Und mit guter Produktqualität sollte Deutschland auf dem Weltmarkt doch punkten!
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769. |
Vergleich der Firmentreue in USA und in Deutschland: In den USA, die in vielem für uns Vorreiter sind, gibt es eine andere Einstellung zur Firmentreue. Einerseits hat der Arbeitgeber keine Scheu und keine gesetzliche Bremse, Leute zu entlassen. Andererseits können sich auch die Arbeitnehmer gar nicht vorstellen, ihr ganzes Leben in derselben Firma zu arbeiten. Dazu kommen dann in den USA noch bei uns unbekannte Erleichterungen wie diese: Man kauft oder mietet ein Haus, das bereits so eingerichtet ist, dass man mit wenigen Habseligkeiten einziehen kann und am nächsten Tag eine neue Arbeitsstelle antreten kann. Die Mobilität der Arbeitnehmer wird großgeschrieben.
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770. |
Eine hohe Fluktuation erleichtert zwar die Verbreitung von innovativen Ideen, sie steht aber einer systematischen Qualitätsverbesserung entgegen. Um die Entstehung von Qualitätsmängeln zu erkennen, muss man betriebliche Abläufe gut kennen, auch über den Bereich der eigenen Verantwortung hinaus. Man muss auch Personen einschätzen können, z.B. wie Kritik an Bestehendem bei Vorgesetzten ankommt. Es muss akzeptierte Abläufe dafür geben, Bestehendes zu kritisieren und zu verbessern, beispielsweise mit einem Vorschlagswesen.
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771. |
Der Sonychef sagte zu Beginn des 21. Jahrhunderts sinngemäß: „In Japan kennt jeder Betriebsangehörige eine (qualitätssteuernde) Arbeitsanweisung nach einigen Tagen. In den USA kennt sie nach einem Jahr noch immer nicht jeder“. Leider habe ich die Quelle der Aussage nicht gefunden. Vielleicht geschah sie aus Verärgerung über bestimmte Ereignisse und war deshalb auch überzeichnet. Tendenziell ist die Aussage aber so gemeint und auch richtig. In Deutschland dürfte das allgemeine Bekanntwerden einer Arbeitsanweisung länger dauern als in Japan. Allein bei Agfa in der Photochemie arbeiteten Angehörige aus zwölf Nationen in der Produktion. Alle sprachen deutsch, aber nicht alle gut genug, um komplizierte Arbeitsanweisungen ohne Hilfe zu verstehen. Und die Bitte um diese Hilfe wäre ein Eingeständnis von Schwäche, das mancher scheuen würde.
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772. |
Die Wichtigkeit der Sprache zeigt auch ein Bericht über Porsche vom Mai 2010 ([157]). Der Betriebslinguistiker Rainer Pogarell berichtet: „In großen Runden reden plötzlich nur noch die, die gut Englisch können, und nicht die, die fachlich Ahnung haben.“ Das ist für die Suche nach Fehlerdetails und für die Qualitätsverbesserung sehr nachteilig. Derselbe Autor erklärt: „Die Erfahrung zeigt, dass selbst Dipl.-Ing.-Werksleiter mit bis zu 5000 Mitarbeitern- in Meetings nichts sagen, weil ihnen auf Englisch nichts einfällt oder sie sich nicht blamieren wollen“. Diese Problematik könnte sich allerdings verringern, da die jüngeren hochqualifizierten Mitarbeiter besser Englisch sprechen.
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773. |
Abwägend kann man sich vorstellen, dass die Arbeitseinstellung in den USA vielleicht Vorteile bei der Innovationsrate bringt. Aber für eine bessere Produktqualität ist eine größere Firmentreue und höhere Verantwortung des Arbeitgebers für seine Mitarbeiter und ihre Identifikation mit den Produkten unerlässlich.
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774. |
Den Konsumenten ist meistens Qualität wichtiger als Innovation. Was nützen Autos, Waschmaschinen usw. der neuesten Technologie, wenn sie nicht funktionieren? Bei Hightech-Produkten wie Handys und Computern kann die neueste Innovationsstufe zwar das Attraktivste sein. Aber eine Mindesthaltbarkeit, also Mindestqualität, wird auch dabei vorausgesetzt. Das innovative Handy muss vor allem funktionieren.
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775. |
Im Januar 2017 ist beim Smartphone Samsung Note 7 eine Qualitätskatastrophe eingetreten. Durch zu heiß gewordene Geräte sind Brände entstanden. Fluggesellschaften haben die Mitnahme verboten. Samsung hat eine sehr aufwendige, gut dokumentierte Untersuchung gestartet. Zuerst dachte der Hersteller, ein bestimmter Zulieferbetrieb sei hauptverantwortlich, bis man erkannt hat, dass die Herstellspezifikation nicht exakt genug war ([158]). Für Samsung ist durch die zurückgerufenen Geräte ein Milliarden-Schaden entstanden, darüber hinaus ein großer Imageschaden. Je offener Samsung allerdings mit dem Fehler umgeht, desto eher glauben die Konsumenten, dass der angekündigte „Kulturwandel“ morgen zu Produkten mit besserer Qualität führen wird. Dann kann die vorbildliche Bewältigung der ursprünglichen Katastrophe zum Marketingvorteil werden.
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776. |
Die amerikanische Motorrad-Kultmarke Harley-Davidson war in den 1980er Jahren einem Bankrott nahe. Damals war eine Harley deutlich teurer als vergleichbare japanische Maschinen, deren Qualität deutlich besser war. Zum Glück haben systematisches Qualitätsmanagement, neue Motoren (zusammen mit Porsche entwickelt) und frisches Geld durch einen Börsengang die Kultmarke erhalten. Mit schlechter Qualität kann man auch eine Kultmarke ruinieren.
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777. |
Die US-amerikanische Yahoo-Chefin Marissa Mayer, die 2013 von Google kam, verbot als erstes Home-Office, also das Arbeiten von zu Hause aus ([159]). Die Mitarbeiter hatten danach im Betrieb anwesend zu sein, was die Koordination sicher erleichtert. Bei der Kundenbetreuung geht es gar nicht anders. Aber für nicht wenige war es eine unangenehme Einschränkung gewohnter Freiheit. Bei der Werbung für Großraumbüros wird die verbesserte Erreichbarkeit immer betont. Dann gilt für die Heimarbeit logischerweise das Gegenteil. Ob solche Einschränkungen allerdings zur Verbesserung des Arbeitsklimas und der Qualität beitragen, ist ungewiss. Frau Marissa Mayer war seit Januar 2017, also knapp 4 Jahre später, nicht mehr für Yahoo verantwortlich.
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778. |
Dem Software-Unternehmen Yahoo soll das Hightech-Unternehmen Trumpf in Ditzingen, Baden-Württemberg, gegenübergestellt werden. Dort gibt es Home-Office und noch mehr Komfort für Arbeitnehmer. Die Bewerberzahlen sind um 85% gestiegen in einem Markt fast ohne Arbeitslose. Der Kundendienst kann kein Home-Office machen, bekommt aber als Ausgleich einen Gehaltszuschlag. 15% der Belegschaft arbeiten kürzer als die Regelzeit, 75% arbeiten länger. Die Zufriedenheit mit dem flexiblen Arbeitsmodell ist hoch. Anfangs waren die alten Mitarbeiter und der Betriebsrat dagegen und die Geschäftsleitung skeptisch, dann sind alle von der Entwicklung überzeugt worden ([160]).
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779. |
Arbeits- und Projekteffizienz. Eine kritische Erfahrung von Agfa Leverkusen soll miteinfließen. Ein Betriebsleiter machte eine riesige Fotopapier-Begießmaschine schneller und das bei verbesserter Produktqualität. Er stellte hohe Anforderungen an sich und alle Beteiligten. Ein Ingenieur weinte vor Erleichterung, als er hörte, dass dieser Betriebsleiter ein anderes Aufgabengebiet übernommen hatte und nicht mehr sein Vorgesetzter war. Leitende Angestellte nannten ihn Psychopath, obwohl er sehr viel für die Firma getan hatte, aber im menschlichen Bereich große Schwierigkeiten hatte und machte. |
780. |
Es entspricht nicht nur meiner Lebenserfahrung, dass sehr komplexe Projekte und Aufgaben Menschen brauchen, die vom guten Normalarbeiter und vom freundlichen Kollegen abweichen. Es sollten Lösungen gefunden werden, dass die übrige Belegschaft das so weit wie möglich tolerieren kann, um den Unternehmenserfolg und die langfristige Sicherheit der Arbeitsplätze zu verbessern.
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781. |
Manche Erfinder waren so in ihre Arbeit verbissen, dass man sie sicher Workaholic, vielleicht sogar besessen hätte nennen können. Aber sie haben Entwicklungen mehr als andere vorangebracht. Ich frage mich, ob ein Mensch wie Robert Koch (1843-1910), der die Entstehungs- und Übertragungsursachen von Milzbrand und Tuberkulose fast alleine herausgefunden hat, die Ursachen von zumindest einer Krebsart bereits herausgefunden hätte.
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782. |
In Goethes Drama Faust II ist es Heinrich Faust, vor dem Gretchen sich ängstigt: „Heinrich mir graut vor dir“. Er war so ein Beweger und Anschieber, ein dynamischer, eben ein faustischer Mensch. Für den Erfolg war er sogar bereit, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen. Solche Menschen haben dazu beigetragen, dass die Wissenschaft den heutigen hohen Stand hat und dass wir im Wohlstand leben. Zum Glück haben wir heute im Rechtsstaat die Möglichkeit zu prüfen, ob der Pakt mit dem Teufel mit Verbrechen gleichzusetzen ist, dann sollten wir einen kriminellen heutigen Faust ins Gefängnis bringen.
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783. |
Ein wichtiger Punkt beim Thema Entfremdung der Arbeit sind auch die Finanzen. Die Entlohnung für einen Vollzeitjob sollte in einer wohlhabenden Gesellschaft wie Deutschland ausreichen, um sich und seine Familie ohne Sozialhilfe ernähren zu können. Und am Ende eines langen Berufslebens sollte die Rente zumindest für ein bescheidenes Leben –ohne Sozialhilfe- reichen!
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784. |
Die Menschen haben seit 2008 erlebt, wie die europäischen Regierungen zig Milliarden bewilligt haben, um unsolide Banken mit unsoliden Managern und unsolide wirtschaftende Staaten zu sanieren. Und der Einsatz von weiteren zig Milliarden dafür hört noch nicht auf. Da frustriert es doch besonders, wenn für den Einzelnen nicht genug übrig bleibt für eine solide, einfache Lebensführung. Ich halte das für skandalös. Wie will man solche Menschen motivieren, sich engagiert für Qualität und Innovationen in ihrer Arbeitswelt einzusetzen?
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785. |
Aber auch horrende Boni für Spitzenmanager, die evtl. nur abgefunden werden, demotivieren die arbeitenden Menschen. Wenn Peter Löscher von Siemens 30 Millionen Euro zum Abschied bekommen hat und die Siemens-Mitarbeiter unter dem Nachfolger Joe Kaeser für die Managementfehler des Vorgängers gerade stehen müssen, ist das sehr demotivierend ([161]).
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786. |
Auch der Vorstandsvorsitzende von Mannesmann, Klaus Esser, der eine ähnlich hohe Abfindungssumme bekam, nachdem er lange behauptet hatte, für seine Mitarbeiter den Ausverkauf an Vodafone verhindern zu wollen, ist so ein Beispiel für Demotivation. Nur der interessante Unternehmensteil mit neuer Informationstechnologie ist dann von Vodafone übernommen worden, der Rest wurde „abgestoßen“. Soll so ein „abstoßendes“ Verhalten die Mitarbeiter motivieren?
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787. |
Nach einer Studie des Bamberger Centrums für Empirische Studien ist die Akzeptanz von Boni an folgende Bedingungen geknüpft ([162]): - Es müssen mit ihnen gute Führungskräfte gewonnen werden. - Wenn die Geschäftsführer hoher Belastung und Verantwortung ausgesetzt sind. - Wenn die Geschäftsführung maßgeblich für den Unternehmensgewinn verantwortlich war. Wenn auch die Mitarbeiter am Erfolg beteiligt wurden, wurden die Boni als gerechter angesehen.
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788. |
Ein Thema, das schon in den Bereich des nächsten Kapitels reicht, ist der schwedische Versuch, ab 2015 die tägliche Arbeitszeit von acht auf sechs Stunden zu reduzieren, bei vollem Lohnausgleich ([163]). Die IG Metall hat nach dem Erreichen der 35-Stundenwoche in Deutschland ihren Fokus auf andere Ziele als die Arbeitszeitverkürzung gelegt. Die Schweden in Göteborg, einer Gemeinde mit führender Linkspartei, wollen einen neuen Versuch starten und sind überzeugt, dass wer kürzer arbeitet, der arbeitet besser und effektiver.
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789. |
Hierzu gibt es viele Skeptiker, unter anderem den Soziologen Hartmut Rosa, der meint, dass sich dabei der Effizienzdruck noch erhöhen kann und genau das erzeugt Stress und macht krank. Mit einigem gedanklichen Abstand lässt sich fragen, warum man täglich gleich zwei Stunden weniger arbeiten will; ob eine Stunde für ein Experiment nicht ausgereicht hätte. So hört sich das Ganze doch mehr nach einem politischen Paukenschlag an als nach einer soliden wissenschaftlichen Untersuchung; schade! Hoffentlich hat man in Schweden nicht Leute für das Experiment ausgewählt, die nicht ausgelastet waren. Aber es ist dennoch bestimmt interessant, zu welchem Ergebnis man dort kommt. Wir brauchen die Bereitschaft zu weiteren Experimenten, um die menschliche Arbeit humaner zu gestalten.
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790. |
Einen besonderen Nachholbedarf sieht die erfolgreiche Managerin Brigitte Ederer in Deutschland und Österreich. Nämlich die Verträglichkeit von Familie und Karriere für Frauen zu erreichen. Sie gehörte dem Siemens-Vorstand an und war EU-Staatssekretärin in Österreich. Sie hat für ihre Karriere den Preis der Kinderlosigkeit bezahlt ([164]). Frau Ederer meint, dass es in Skandinavien Vorbilder für gute Lösungen gibt.
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791. |
Erstmals seit 30 Jahren wollen die Deutschen wieder andere Arbeitszeiten, schreibt die Zeit 2014 ([165]). Vier von fünf Beschäftigten der Metallindustrie wünschen sich flexiblere Arbeitszeiten, ergab eine Umfrage unter 500.000 Mitgliedern der IG Metall. Ob das eine Verkürzung während der Kindererziehung oder eine Verlängerung ist, um eine Anschaffung stemmen zu können, ist dabei zweitrangig. Auch eine gesundheitliche Schwächephase könnte man mit einer Arbeitszeit-Verkürzung besser überstehen. Zeitsouveränität wird ein neues wichtiges Ziel. Die öffentlichen Verwaltungen sollten solche Modelle aber als letzte einführen, um der Kritik von Bürgern mit schlechten Behördenerfahrungen vorzubeugen: „Dann tun die ja gar nichts mehr!“
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792. |
Gibt es sogar einen Zusammenhang von Terrorismus und Entfremdung der Arbeit? Besonders die Kinder von Immigranten spüren, wenn ihre Eltern als Bürger nicht voll anerkannt werden. Weil sie beispielsweise wenig wertgeschätzte Hilfsjobs ausüben. Oder wenn sie sich weniger leisten können als viele ihrer Schulfreunde. Dann fällt es den Kindern schwer, die Autorität ihrer Eltern anzuerkennen. Sie werden verführbar durch falsche Versprechungen von Autorität, Würde und Selbstachtung von Seiten islamistischer Radikaler.
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793. |
Die Gesamtidee dieses Kapitels findet sich auch im Buch „Die Rettung der Arbeit“ 2019 von Lisa Herzog. Sie schreibt dem Sinne nach: Lasst uns Computer, Roboter und sonstige Hightech nutzen, wo sie dem Menschen Mühsal und Routine abnimmt. „Aber erhalten wir uns die Arbeitswelt als eine, die für den Menschen geeignet ist – für soziale Wesen, deren zwischenmenschliche Kontakte niemals durch Technik ersetzt werden können.“([166]) An manchen Stellen müssen wir diese humane Arbeitswelt nicht nur erhalten, sondern sie erst schaffen. Damit verbessern wir auch die Gesundheit der Menschen. Und das leitet dann direkt zum nächsten Kapitel über.
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794. |
23. Medizin – Gesundheit
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795. |
Corona hat die Welt vor neuartige Herausforderungen gestellt. Durch fantastisch schnell entwickelte Impfstoffe ist die Krise in Europa abgeklungen. Weltweit ist die Pandemie noch nicht ganz überstanden. Man kann schon sagen, dass wir viel aus den dabei gemachten Fehlern lernen müssen. Es dürfte nicht die letzte Pandemie gewesen sein.
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796. |
Ein unabhängig davon bleibendes Problem ist folgendes: Wir sind eine älter werdende Gesellschaft mit steigenden Krankheitskosten. Die steigenden Kosten sind oft Folgen der Erfolge der Medizin, die uns zu einem längeren Leben verhilft. Aber wir erleben das leider oft nicht im Zustand bester Gesundheit. Wir benötigen häufiger ärztliche Betreuung und teure Medikamente. Anfang 2013 sagte ein erfahrener Mediziner in der NDR-Sendung „Visite“, dass man vor Jahren noch über 80-jährige nicht mit schweren Operationen belasten wollte. Heute gäbe es diese Beschränkungen nicht mehr. Vor Operationen stehen immer sorgfältige Diagnosen, heute oft mit teuren Kernspin- und Computer-Tomografie-Geräten. Die Medizintechnik wird immer besser und immer teurer.
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797. |
Für Medikamente gilt prinzipiell dasselbe, selbst wenn die Verbesserungen bei vielen Produkten gar nicht so überzeugend sind. Andererseits nimmt die Vielfältigkeit der Krankheiten durch unsere Reisen um die Welt und Zuwanderer aus aller Welt zu. Auch durch den Import exotischer Tiere und Pflanzen nimmt die Gefährdung zu. Es gibt zunehmende Resistenzen von Keimen gegen Medikamente, besonders gegen Antibiotika. 2020 wurden Patienten, die aus deutschen Krankenhäusern kamen, in den Niederlanden aus Sorge vor multiresistenten Keimen erst einmal in Quarantäne gelegt. Wir sind nicht in der Lage, diese Probleme in absehbarer Zeit zu lösen, eher verstärken sie sich noch.
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798. |
Resistenzen gegen Antibiotika verstärken sich auch deshalb, weil bereits deutlich mehr Antibiotika in der Tiermast als in der Humanmedizin eingesetzt werden. Sie werden dort nicht nur im Krankheitsfall, sondern oft vorbeugend eingesetzt. Sie erzeugen Resistenzen, die sowohl über das Fleisch als auch über die Tierfäkalien auf den Menschen übergehen können. Bei der Tiermast werden sogar die für menschliche Notfälle reservierten „Reserveantibiotika“ wie Colestin verwendet ([167]). Der Sinn der Reserveantibiotika ist, auch dann noch wirksame Präparate zu haben, wenn die gebräuchlichen Antibiotika nicht mehr helfen. Diese bei der Tiermast zu vergeuden, ist völlig unverantwortlich. Hinzu kommt, dass kaum neue Antibiotika zur Marktreife gelangen, da die Forschung sehr aufwendig ist und die Trefferquote für neue Wirkstoffe gering ist. Einige Pharmafirmen haben ihre Forschung auf dem Gebiet eingestellt. Mittlerweile erleben wir in Corona-Zeiten, dass eine Produktion, die nur nach Kostengesichtspunkten ausgerichtet ist, bei schnell steigendem Bedarf zu Lieferengpässen führt. Bevorratung oder Produktion im der EU werden vermutlich notwendig, steigern aber die Kosten.
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799. |
Gesundheit und Medizin sind prinzipiell kostenmäßig Fässer ohne Boden. Hier ist volkswirtschaftliches Abwägen nötig, das unsere gewählten Politiker sehr offen und ehrlich mit Bürgermehrheiten im Rücken austarieren müssen. Dass hier die Lobby der Pharmaindustrie, der Ärzte und der Massentierhaltung andere Interessen vertreten, ist verständlich, deshalb müssen ihre Aktivitäten transparent gemacht werden.
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800. |
Wir brauchen unbedingt einen starken innovativen industriellen Bereich, der mit hoher Qualität so viel erwirtschaftet, dass wir uns eine gute allgemeine Gesundheitsversorgung leisten können. Gute medizinische Versorgung nur für die, die es bezahlen können, würde eine Ungerechtigkeitsdiskussion verschärfen, die wir heute schon beim Thema Organtransplantation haben und die könnte den sozialen Frieden stören. Wohlhabende Menschen haben überall in der Welt eine höhere Lebenserwartung als Arme.
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801. |
Zu den Punkten, die uns deutlich machen, wie weit unser Staat noch von einem idealen Staat entfernt ist, gehört beispielsweise der Skandal (ab 1957) um das Schmerz- und Schlafmittel Contergan. Jedem Bürger muss klar sein, dass innovative Forschung, die wir für den Wohlstand von morgen brauchen, auch Gefahren beinhaltet. Entscheidend ist dann eine „Gefahren-Feuerwehr“. Und die hat bei Contergan in Deutschland völlig versagt. In den USA und in Österreich haben mutige Medizinerinnen das Schlimmste verhindert, auch in der DDR gab es viele Warner. |
802. |
Tausende Missgebildete litten und leiden darunter. Anfang 2016 lebten in Deutschland noch 2400 Geschädigte. Ein wichtiger Erklärungsteil der Katastrophe war das Profitinteresse der Firma Grünenthal, die eine frühere Marktrücknahme des Medikaments verhindert hat. Besonders wichtig bei der kritischen Analyse des Falles ist die Erkenntnis, dass es viele knifflige juristische Probleme gab. Aber das Grundproblem der Sicherheit einer Gesellschaft ist kein juristisches!
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803. |
Contergan war damals nicht verschreibungspflichtig, das heißt die kritischen Fälle liefen nicht automatisch bei verschreibenden Ärzten zusammen. Aber ein großes Krankenhaus hätte spätestens beim zweiten Fall mit damals ähnlich gelagerten Missbildungen ein Gesundheitsamt informieren müssen. Hierbei wird jedem klar, dass es in Deutschland eine zentrale Gesundheitsbehörde geben muss. Wenn eine Frau mit einem missgebildeten Kind zu einer Beratung geht, muss dort die Information –vielleicht anonymisiert- sofort an ein Gesundheitsamt weitergegeben werden. Dasselbe gilt für das Sozialamt, Jugendamt, den Hausarzt, das Krankenhaus, aber auch zum Beispiel für eine Koranschule. Das Gesundheitsamt muss sofort etwas unternehmen. Das kann bei einem so kritischen Fall wie Missbildung nur heißen, es muss eine Gruppe mit medizinischer Fachkompetenz zentral zusammengestellt werden, die Informationen sammelt, die aber auch schriftlich und im Fernsehen darüber informiert, dass alle weiteren Fälle an diese Zentrale zu melden sind. Der Gesetzgeber muss so schnell wie möglich entscheiden, ob weitere Fachleute zu der Problemlösungs-Gruppe dazukommen sollen. Dann muss der erste Schritt sein, dass ein kritisches Medikament verschreibungspflichtig wird, mit Rückmeldepflicht des Arztes.
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804. |
Die NRW-Regierung hat im Jahr 2014 den Historiker Niklas Lenhard-Schramm von der Uni Münster beauftragt, den Contergan-Skandal historisch aufzuarbeiten ([168]). Dass dieses Medikament vier Jahre auf dem Markt war und allein 5000 Contergan-Babys in Deutschland verschuldet hat, ist ein irrsinniger Skandal für eine moderne, kultivierte Gesellschaft. Ich habe noch das Bild eines kleinen Schimpansen vor Augen, dessen Händchen unmittelbar aus den Schultern gewachsen waren. Ein australischer Arzt hatte einer trächtigen Affen-Mutter Contergan verabreicht. Das Bild ging durch die Weltpresse. Grünenthal-Juristen konnten sich damals herausreden mit dem Spruch: Tierversuche sagen nichts über den Menschen aus.
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805. |
Da brauchen wir eine Ethik-Kommission mit Medizinern und Biologen, die sagen: Stopp! Das ist nicht primär ein juristisches Problem! Es müssen auch Sanktionsmöglichkeiten festgelegt werden für den Fall, dass so wichtige Informationen nicht oder nicht rechtzeitig weitergegeben werden. Ich will als Bürger frühzeitig eine Information über so einen Skandal im Netz finden, zusammengestellt von den Gesundheitsbehörden mit allen Konsequenzen und Lehren, die aus dem Fall gezogen worden sind und noch gezogen werden. Unsere Gesellschaft muss ausländischen Firmen klarmachen, dass hier der Mensch Vorrang vor Profitinteresse hat. Das schließt ein, dass es auch zu Vorsichtsmaßnahmen kommen kann, die sich später leider als Irrtum herausstellen und für die eventuell sogar Entschädigung bezahlt werden muss. Es ist natürlich auch klar: Wir haben heute eine vollständigere Erfassung der Probleme als früher und somit eine höhere Zahl der erfassten Problemfälle. Das muss noch keine Zunahme der Probleme gegenüber früher bedeuten.
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806. |
Bei Fortschritten der Medizin ist mehr Demut gefragt. In „Die Zeit“ vom 2. März 2014 wird vom Hirnforscher Ulrich Schnabel berichtet ([169]). Seine Erkenntnis ist: „Nach welchen Regeln das Gehirn arbeitet [...] und wie es künftige Aktionen plant, all dies verstehen wir nach wie vor nicht einmal in Ansätzen.“
Dazu passt, dass die vor zehn Jahren prognostizierten großen Fortschritte beim Verstehen von Alzheimer und Parkinson bloße Hoffnungsfunken oder Werbesprüche für mehr finanzielle Unterstützung gewesen sind. Wenn wir bei menschlicher Gehirnaktivität die elektrischen Aktivitäten von Gehirnbereichen online sichtbar machen können, hat das mit dem Verstehen, wie da was passiert, noch gar nichts zu tun. Um darüber hinaus zu erkennen, was dabei falsch funktioniert, sind dann noch weitere hohe Hürden zu nehmen.
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807. |
In diesem Kapitel sollen nicht nur die Hilfen, die die Bürger gesund machen, abgehandelt werden, sondern auch Probleme, die krank machen können.
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808. |
Der Evolutionsbiologe Daniel Lieberman ist Professor in Harvard und meinte 2014: „Viele Menschen sind so dick, dass sie ihre Gesundheit gefährden“ ([170]). Der Mensch hatte seit Urzeiten selten zu viel zu essen. Deshalb stand selten zu viel Fett als Nahrung zur Verfügung. Fett wird im Körper schnell eingelagert, aber nur langsam wieder verbraucht. Bewegung ist dabei sehr wichtig, aber wir müssen unsere Lebensweise darauf einstellen. Liebermans Vorschlag ist, Bewegung in Vereinen steuerlich zu fördern und ungesundes Essen, wie Fast Food, mit Verbrauchssteuern zu belegen, ähnlich wie bei Zigaretten. Lieberman ist Jahrgang 1964, er läuft 60 bis 70 km pro Woche, im Regelfall barfuß und mit anderen, um sich beim Laufen unterhalten zu können.
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809. |
Ich erinnere an einen Ausspruch von US-Präsident Kennedy, der sinngemäß lautet: „Frage nicht, was der Staat für dich tun kann, sondern frage dich, was du für den Staat tun kannst“. Das muss auch für Firmen gelten. Wenn McDonald’s und andere Fastfood-Unternehmen an dicken Menschen gut verdienen und das Dicksein ein volkswirtschaftliches Problem darstellt, dann müssen diese Firmen sich fragen, was sie zur Lösung des Problems beitragen können. Wie im ganzen Buch bemühe ich mich um konkrete Vorschläge, die –wenn irgend möglich- übertroffen werden sollten. Meine Vorschläge bei Fastfood sind: 1. Riesenportionen abschaffen. 2. „all you can eat“ abschaffen, also zu einem Festpreis so viel zu essen wie man will oder kann. 3. Als Gratisbeilagen sollten Salat und Obst angeboten werden. Sie sollten aber nicht automatisch dabei sein, damit sie nicht im Abfall landen. 4. Für gesundes Essen und Beilagen müssten die Fastfood-Unternehmen umfangreiche Gesundheits-Aufklärung und Werbung betreiben. Auch Light-Produkte mit weniger Zucker müssten angeboten und beworben werden.
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810. |
Es sollten auch Innovationspotentiale bei der Herstellung der Produkte, die dick machen, gesucht werden. Statt im heißen Fett könnten Fritten auch im heißen Dampf (Fett-, Wasserdampf, heißer Luft oder in einem Gemisch) gegart werden. Oder sie kämen nach dem Frittieren in eine Abtropfschleuder und würden deshalb beim Verkauf weniger Fett enthalten. Die Vorschläge sollen nur deutlich machen, dass da viele hilfreiche Ideen auf ihre Realisierung warten. Auch werden Teile meiner Vorschläge vielleicht irgendwo bereits realisiert sein, umso besser.
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811. |
Die Menschen in Deutschland müssen zornig werden, wenn Firmen in solchem Zusammenhang argumentieren, dass sie sich doch an die Gesetze halten und Gutachten anfertigen lassen, die besagen, dass sie alles in ihrer Macht Liegende tun bzw. getan haben. Solche Argumente reichen nicht, um Deutschlands Entwicklung voranzubringen. Natürlich hoffe ich darauf, dass auch außerhalb Deutschlands ausprobiert wird, was zur Gesundheitsverbesserung und zur Beteiligung der Fastfood-Unternehmen getan werden kann. Und irgendwo gibt es auch bei Eigentümern und beim Management der Fastfood-Ketten Einsichtsfunken. Schließlich geht es auch um deren Gesundheit und einige haben vermutlich auch zu dicke Kinder.
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812. |
Einige Einsichtsfunken sind bereits geflogen. Im Juli 2019 wurde der Ex-McDonald-Manager Harald Sükar im Spiegel online zu seinem Buch interviewt. Es heißt etwas dramatisch „Fast Food ist Kindesmisshandlung“. Auslöser für sein Umdenken war ein achtjähriges Kind, das an Diabetes erkrankt war und bereits eine Fettleber hatte. Sükar selbst wog zwei Jahre vorher noch 111kg, 2019 aber nur noch 89kg. Er hat keinen Groll gegen McDonald und schreibt ganz pragmatisch: „Wenn die Konsumenten kein ungesundes Essen mehr wollen, müssen Fast-Food-Ketten umdenken“ ([171]). Und es ist für ihn völlig selbstverständlich, dass sie das dann auch tun.
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813. |
Vielleicht ist eine aktive Beteiligung am Prozess der Gesundheitsförderung leichter, wenn jede internationale Fastfood-Kette in Deutschland (das könnte für andere Länder genauso gelten) eine Landesorganisation hat mit einem hochrangigen Manager für Qualität, Gesundheit und Öffentlichkeitsarbeit, der die Landessprache gut beherrscht und der Verantwortungsgefühl für seine Kunden hat. Mit diesen Personen müssten Gespräche stattfinden mit Gesundheitsbehörden und Wissenschaftlern zur Verbesserung der Allgemeingesundheit. Von diesen Gesprächen sollte eine deutsche Prüfgesellschaft öffentlich zugängige Protokolle anfertigen. Es darf keine Geheimverhandlungen geben, womöglich noch mit Sonderkonditionen für Firmen, die sich mit Parteispenden revanchieren. Dann könnten die Bürger lesen, was die Firmen für die Gemeinschaft und die Volksgesundheit tun und wer sich weigert, mitzumachen. Testzeitschriften und andere Medien sollten dann Firmen ohne Engagement fragen, wieso sie zu wenig für die Gemeinschaft leisten, an der sie gut verdienen. Ganz ohne staatliche Lenkung denken Marktliberale gerne, ihre einzige Aufgabe sei es, Geld zu verdienen. Und wenn sie Puritaner sind, meinen sie auch noch, dabei Gottes Segen zu haben.
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814. |
Die Grundidee der Kritik an den Fastfood-Unternehmen lautet: Wer der Gesundheit der Bürger schadet und an den Bürgern verdient, der muss Wiedergutmachung leisten. Und diese Wiedergutmachung soll ganz öffentlich sein, Bürger und Medien sollen auch Nachbesserungen fordern können. Das trifft auf Zigaretten- und Tabak-Firmen mindestens ebenso zu. Sie helfen dem Staat allerdings bereits mit der Tabaksteuer, mit der Gesundheitsvorsorge betrieben werden sollte. In den USA gibt es Millionen-Klagen Hinterbliebener gegen Tabakfirmen wegen fahrlässiger Tötung rauchender Angehöriger. Ich bezweifle, dass das der richtige Weg ist. Bei den „armen Starkrauchern“ ist eine hohe Selbstverantwortung für ihren Lungenkrebs anzunehmen. Dass aber ein großer volkswirtschaftlicher Schaden durch das Rauchen entsteht, ist unstrittig. Also Zigarettenfirmen tut etwas für die Allgemeinheit! Schadet nicht nur der Allgemeinheit, sondern macht euch nützlich und zwar am besten da, wo eure Kunden sind!
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815. |
Die Anzahl übergewichtiger Menschen nimmt in unserer Gesellschaft bedenklich zu. Da kommen riesige Probleme auf die Pflege zu. Einerseits können stark Übergewichtige kaum noch bis zum allgemeinen Renteneintritt arbeiten. Andererseits kann Krankenhaus- und Pflegepersonal diese Menschen nicht mehr ohne technische Hilfsmittel heben, drehen und befördern. Bei vielen Operationen besteht ein höheres Risiko. Der auf uns zu rollende Schwarm von Elektrowägelchen muss ebenerdig in Fahrstühle, Wohnungen, Bahnen, Geschäfte, Bürgersteige usw. passen.
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816. |
Für fast alle Kapitel des Buches gilt es, bei der Gesundheit wäre es aber besonders engstirnig, nur national zu denken. Wir müssen Menschen und Unternehmen bedrängen, mehr für die Allgemeinheit und die Zukunft des Landes zu tun. Aber beim Bedrängen, glaube ich, wäre es anmaßend, den nationalen Bereich zu überschreiten. Das ist auch ein sehr wichtiges Argument gegen eine zu enge EU. Dann könnten die Verbraucher nur noch europaweit protestieren. Und dann würden französische Gaulloise-Raucher denken: Ihr lieben Deutschen haltet euch bei unseren Gewohnheiten bitte raus! Und ich bin sehr dafür, dass wir uns da heraushalten.
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817. |
Im September 2014 kamen von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), den „Ärzten ohne Grenzen“ und anderen internationalen Hilfsorganisationen Hilferufe, dass in Westafrika eine Ebola-Epidemie außer Kontrolle geraten war. Es gab Tausende Todesfälle, die Zahl der Infizierten lag wesentlich höher und die Überlebenschancen waren ungünstig. Wenn auch intensiv an Impfstoffen geforscht wurde, gab es während der Epidemie kein zuverlässiges Gegenmittel.
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818. |
Welche Probleme bei solchen Katastrophen entstehen können, ist erstaunlich: Aus medizinischen Isolationszentren in Afrika sind Menschen geflohen, weil dort das Gerücht aufgekommen war, Ebola sei nur ein Phantom. In den Zentren würden den Menschen Organe entnommen, die dann verkauft würden. In unaufgeklärten Gesellschaften ist nicht jede Hilfe möglich. Wenn diese weltbedrohende Gesundheitskrise mit regionaler Konzentration auch viele Mängel in den Gesundheitssystemen gezeigt hat, so ging sie doch im Jahr 2015 relativ unspektakulär zu Ende. Aber es wird noch viel Hilfe und finanzielle Unterstützung gebraucht, um entstandene Schäden zu beheben und die medizinische Versorgung zu verbessern.
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819. |
Im Januar 2016 verkündete die WHO: Westafrika ist Ebola-frei. Mehr als 11.000 Menschen sind an der Krankheit gestorben. 15.000 gelten als geheilt, leben aber mit der Gefahr, dass noch Krankheitskeime in ihrem Körper zurückgeblieben sind und wieder ausbrechen können. Das Ebola-Virus überlebt vermutlich in Fledermäusen und kann deshalb nicht ausgerottet werden. Dass die Medikamente, die zum Teil bereits im Erprobungsstadium eingesetzt worden sind, auch wirklich helfen, konnte nicht bestätigt werden, mit Ausnahme eines Impfstoffes, der aber auch noch weiter geprüft werden muss ([172]). 2018 sind im Kongo leider neue Ebolafälle aufgetreten.
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820. |
Auch die Corona-Viren, die Anfang 2020 zuerst in China bereits zu über tausend Todesfällen geführt haben, zeigen die große Hilflosigkeit des Menschen gegenüber den „Launen der Natur“. Ab April 2020 sprach man von einer weltweiten Pandemie. China hat ein hoch entwickeltes staatliches Gesundheitssystem und ein empfindliches politisches Sicherheitssystem. Gebraucht würde aber eher ein robustes politisches Sicherheitssystem. Der Arzt, der die Gefahr einer Epidemie schon im November 2019 erkannt hat, wurde von Partei und Polizei zum Wiederruf und zur Verschwiegenheit verpflichtet. Mittlerweile ist er bereits an Corona gestorben und hat wegen seiner verbotenen Warnungen, die im Internet millionenfach gelesen wurden, eine Märtyrerrolle bekommen. Beim Versuch, schnelle Aufklärung zu leisten, ist eine Diktatur im Nachteil, da es für sie selbstverständlich und leichter ist, Unliebsames zu vertuschen. Auch die WHO ist vermutlich so spät informiert worden, um zu vertuschen. Nach dieser Krise müssen wir unsere Gesundheitssysteme daraufhin überprüfen, wie wir künftig besser vorbereitet sind.
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821. |
Bei solchen Menschheits-Problemen kann und soll sich Deutschland nicht heraushalten. Vergleichbare Probleme werden in der Zukunft nicht abnehmen und werden viel kosten. Wenn es um kurzfristige Sicherheitsmaßnahmen der Länder geht, dann erweist sich Brüssel schon als zu langsamer Entscheider, die UN bzw. ihre Unterorganisation WHO sind es erst recht.
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822. |
Auch mit der Genmanipulation wollen sich Forscher und Firmen an der Gesundheitsvorsorge beteiligen. Im November 2018 hat der chinesische Forscher Je Jiankui menschliche Embryonen so verändert, dass die daraus entstehenden Kinder HIV-resistent sein sollen. Die entstandenen Kinder hatten gesunde Mütter, aber HIV-kranke Väter. Der Eingriff erfolgte mit der Genschere Crispr/Cas9, die erst vor kurzer Zeit entdeckt worden ist und deren Entdeckung schon mit einem Nobelpreis ausgezeichnet worden ist. Eine ihrer Entdeckerinnen befürchtete allerdings damals schon, dass damit bald auch menschliche Experimente gemacht würden. Dennoch gab es einen weltweiten Aufschrei in den Medien und in der Wissenschaft. Danach haben auch die chinesischen staatlichen Forschungsgremien das oben genannte genetische Experiment als gesetzeswidrig und unethisch verurteilt. Es wurde besonders kritisiert, dass hierbei keine unbehandelbare Krankheit angegangen wurde. Es gibt bereits Medikamente, die eine HIV-Ansteckung der Kinder durch ihre Väter sehr unwahrscheinlich machen. Zusätzlich ist es möglich, dass durch diesen genetischen Eingriff die Gefahr, andere Krankheiten zu bekommen, deutlich erhöht wird. Herr Je Jiankui hatte bereits ein Marketingunternehmen beauftragt, für eine positive öffentliche Meinung zu sorgen. Man kann nur empört sein über diese Skrupellosigkeit. Wenn irgendwo auf der Erde die Möglichkeit entstehen würde, sich oder die eigenen Nachkommen durch genetischen Eingriff schöner, klüger und gesünder machen zu lassen, wird niemand den Strom der Reichen dieser Welt aufhalten können, dorthin zu pilgern. Das könnte für den Rest der Menschheit sehr unerfreulich werden. Die dabei missglückten genetischen Eingriffe brächten neue Probleme für die gesamte Menschheit.
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823. |
24. Schluss Zusammenfassung und Ausblick
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824. |
Mein Buch zeigt Probleme in unserer Gesellschaft auf. Viele davon müssen unbedingt relativ kurzfristig gelöst werden. Es weist auch auf Stellen hin, wo mehr kontrolliert werden muss, um Missbrauch, Korruption und Schlendrian zu reduzieren. Aber wir dürfen nicht zu einem Staat werden, der alles kontrollieren will und damit den Bürgern das Leben vermiest oder erschwert. Deshalb muss bei jeder Vorschrift gefragt werden: Bringt sie viel und ist sie wirklich nötig? Die folgenden Beispiele zeigen, dass zu viele Vorschriften auch schaden können.
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825. |
Im Bundeswahlkampf 2013 spielte der von den Grünen propagierte zwangsweise Veggie-Day eine von den Medien überbetonte Rolle. Weltweit wird darunter nicht nur ein rein vegetarischer Tag, sondern zum Teil nur ein fleischloser Tag verstanden. Aber sogar den Grünen in Baden-Württemberg kam eine zwangsweise Einführung freiheitsberaubend vor. Da entstand viel Häme bei politischen Gegnern und in den Medien. Das hat dieser Partei geschadet, deshalb wurde die Idee nach der Wahlanalyse nur noch als freiwillige Maßnahme propagiert.
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826. |
Weiter zurück liegt die politische Forderung nach 5 DM für einen Liter Benzin (5DM = 2,50Euro), um den Verbrauch zu drosseln. Diese Forderung wird eines Tages erfüllt sein. Doch damals, als sie aufgestellt wurde, hat sie für viel Unmut bei den Autofahrern gesorgt und für das Einsparen von Benzin fast nichts gebracht.
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827. |
Auch Polizei und Geheimdienste üben Kontrolle aus, die nicht ausufern darf. Eine Ausweitung der Aufgaben der Polizei erscheint vielen nötig, zum Beispiel um öffentlichen Hightech weiterhin zu ermöglichen, ohne dass Kabeldiebe für ein paar Euro ganze Infrastrukturen lahmlegen. Oder um nicht zehn Jahre zu brauchen, bis rechtsradikale NSU-Mörder gefunden werden. Überfälle und Wohnungseinbrüche sind auf hohem Niveau, mit niedrigen Aufklärungsquoten. Da sind viele alte Leute betroffen und verängstigt.
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828. |
Dagegen erscheint die Nützlichkeit der Geheimdienste unklar. Da sollte man prüfen, wo man einsparen kann. Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt hat 2014 wiederholt, dass er während seiner Amtszeit keine Geheimdienstberichte gelesen hat, weil er die für nicht zuverlässig gehalten hat. Mich würde sehr interessieren, wie es mit der Betrugsanfälligkeit aussieht. Bei „den Diensten“ wird die Nützlichkeit ja hauptsächlich damit begründet, dass man Schreckliches verhindert hat. Das lässt sich schwer kontrollieren, aber leicht übertreiben. Die älteren Menschen aus Ostdeutschland haben erlebt, wie die große Wichtigkeit, die einer geheimen Staatssicherheit beigemessen worden ist, sogar eine ganze Volkswirtschaft ruinieren kann.
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829. |
Im Internet brauchen wir dringend mehr Sicherheit, da helfen uns aber öffentliche Hinweise von Privatpersonen, die auch offen kritisiert und relativiert werden können, viel mehr als geheimdienstliches Wirken. Solide Erkenntnisse entstehen häufig aus ersten Vermutungen, die dann sehr sorgfältig und kritisch geprüft werden müssen. Alles muss mit vielen Pros und Kontras offen diskutiert werden, bis aus Vermutungen abgesicherte Aussagen werden. Geheimes und Unkontrollierbares verdeckt Unfähigkeit und ist eine Vorstufe von Rechtsbruch.
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830. |
Ziel der Kontrollen und Vorschriften sollte eine gerechte und dynamische Wirtschaftsordnung sein, die Deutschlands Wohlstand sichert in einer unsicheren Welt mit alternder Bevölkerung.
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831. |
Beim Ziel Gerechtigkeit müssen wir immer den Gesamtzusammenhang sehen, sonst bräuchten wir für jeden Behinderten, Alten, Kranken eine individuelle Förderung und Pflege, was keine Gesellschaft bezahlen kann. Wenn wir z.B. die Pflege von Dementen so ausweiten würden, wie es vielleicht optimal wäre, wir dann aber kein Geld mehr für die Verbesserung der Kindererziehung hätten, dann wäre das Ziel der Gerechtigkeit und der volkswirtschaftlichen Effizienz verfehlt.
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832. |
Alles kann anders sein, wenn man sich nur dafür einsetzt. Harald Welzer nennt das 2013 in seinem Buch „Selbst denken“ „Selbstwirksamkeit“, ohne den Begriff erfunden zu haben ([173]). Ein Text wie dieser will alle politisch denkenden Menschen und Gruppen zur Verstärkung ihrer Aktivitäten anregen. Dieser Text soll gerne als Ausgangsmaterial, als Ergänzungsmaterial oder als Baukasten für eigene Ideen zur Verbesserung unseres Landes und möglichst sogar unserer Welt verwendet werden.
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833. |
Ein Konzept wie dieses muss der politischen Realität vorausgehen, damit sich Menschen für die Mitgestaltung ihrer politischen Zukunft engagieren können. Andererseits dürfen keine unhaltbaren Heilserwartungen geweckt werden. Wer sehr viel verspricht, wird nicht alle Versprechungen halten können. Besonders an nicht gehaltenen Versprechungen wird sich die Kritik festbeißen, egal wieviel Positives erreicht worden ist.
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834. |
Die wichtigsten Vorschläge, die in diesem Text ausgeführt worden sind, sind folgende: Das harmonische, friedliche Zusammenleben europäischer Völker ist sehr wichtig. Dabei könnte zu viel Zentralismus der EU kontraproduktiv sein.
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835. |
Wir müssen mit den Gütern unserer Erde sparsam umgehen! Es ist noch davon auszugehen, dass wir morgen mehr Menschen ernähren müssen. Und es gibt viele Menschen, die nicht in Würde leben können, sondern fast verhungern und in ungesunden Verhältnissen leben müssen. Wir müssen klug und nachhaltig überlegen, wie wir die Zustände verbessern können.
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836. |
Wenn kostenloses „Brot für die Welt“ dazu führt, dass wir einheimischen Nahrungsproduzenten die Lebensgrundlage entziehen, müssen wir das offen und ehrlich zugeben. Und wenn unsere Nahrungsgeschenke zu falscher Ernährung führen, haben wir das nächste Problem erzeugt. Wenn die Verteilung kostenloser Kleidung dazu führt, dass einheimische Produzenten nicht bestehen können und die Menschen dann Kleidung tragen, die ihrer Tradition fremd ist, müssen wir unsere Geschenke und unser großes Herz kritisch prüfen. Kommen sich die peinlich Bekleideten dann erst recht wie Bettler vor? Denken wir darüber nach, ob die Kinder in den Zielländern mit unseren gespendeten Spielzeugen gut spielen können? Und wie weit kommt der kleine Junge im Hungergebiet mit dem Sack Reis auf dem Kopf, den wir im Fernsehen sehen? Oder wird ihm der Reis sofort abgenommen, sobald die Kamera weg ist?
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837. |
Wenn in Haiti noch im Jahr 2014, also Jahre nach der verheerenden Erdbeben-Katastrophe vom Januar 2010 trotz Milliardenhilfe wenig Wiederaufbau zu sehen war, müssen wir bei jeder großen Hilfsaktion einen Schwerpunkt auf die Bekämpfung von Korruption legen und nicht nur die Ärmsten unterstützen, um unser Gewissen zu beruhigen. Führt unsere Hilfe wirklich zur Beseitigung der Armut oder nur zur Vermehrung der Bettler und der korrupten Hände? Vielleicht muss es eine „UN-Treuhand“ geben, die die Weitergabe von Spenden bestätigt und vor allem transparent macht, damit nicht gesagt werden kann: „Riesige Spenden? Davon ist bei uns nichts angekommen.“ Korrupte Hände kann es auch in den Geberländern geben, die Spenden erst gar nicht weiterleiten. In sinnvollen Zeitabschnitten müsste eine „UN-Treuhand“ dann nachhaken: Was ist mit den Spenden, deren Höhe öffentlich bekannt gemacht sein muss, geschehen? Erst nach einer zufriedenstellenden Auskunft dürften weitere Spenden freigegeben werden.
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838. |
Wenn wir mit den Gütern der Erde sparsam umgehen wollen, gibt es noch einen ganz anderen Ansatz. Der Spiegel wählte am 31. März 2014 als Titelgeschichte „Überdruss am Überfluss“ ([174]) und brachte Beispiele, wie sich junge Menschen vom Konsumterror losgesagt haben. Wenn Sebastian alles bis auf hundert Dinge weggibt, ahnt man allerdings schon, dass er morgen nicht mehr mit diesen hundert Dingen auskommt, die heute für ihn die wichtigsten sind. Ältere Menschen irritiert besonders, dass er seine ganze Vergangenheit mit seinen Fotos entsorgt hat. Wenn Jonas Lebensmittel aus Abfallcontainern von Supermärkten „rettet“, um mit dem dabei Gesparten im Reformhaus einkaufen zu können, ahnen wir, dass er das nicht lange durchhält und sei es nur, dass sich sein/e Freund/in vor dem aus dem Abfallcontainer „Geretteten“ ekelt. Die Fantasie, mit der junge Menschen nach neuen Lebensansätzen suchen, sollte aber unser Interesse finden. Uferloses Konsumverhalten müssen wir morgen auf jeden Fall einschränken.
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839. |
Den Begriff Lobby habe ich oft verwendet und ich halte Aktivitäten von Lobbyisten für wichtig, aber auch für so gefährlich, dass ihr Einfluss offen gelegt werden muss. Ich habe einmal eine interessante Reise gemacht. Sie wurde organisiert von einem Arbeitgeberverband, mit einem freundlichen, gebildeten, kultivierten Reiseleiter, der auch Verbandsfunktionär war. Diesem wollte ich – ohne Zeitdruck – klar machen, dass eine Ausbildungsabgabe doch eigentlich auch im Interesse der Firmen liegen müsse, die überdurchschnittlich viel ausbilden. Eine sachfremde Verwendung der Mittel sollte dabei ausgeschlossen bleiben. Dieser Mann – mit wirtschaftswissenschaftlichem Studium – konnte bzw. wollte darüber nicht rational diskutieren. Selbst als Marktliberaler müsste man einsehen, dass Ausbildungs-Trittbrettfahrer den Viel-Ausbildern einen Aufwandsausgleich bezahlen sollten. Es entspräche auch einem Gebot der Fairness. Aber dieser Mann hatte vermutlich die unausgesprochene oder sogar ausgesprochene Vorgabe, darüber nicht zu diskutieren. Ansonsten würde er seinen interessanten und bestimmt gut bezahlten Job verlieren. Und diese Interessenlage könnte oft eine uneinsichtige Lobbyisten-Position erklären.
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840. |
Das ist für die Weiterentwicklung unserer Demokratie hinderlich. Vermutlich werden viele Arbeitgeber einsehen, dass eine Ausbildungsabgabe sinnvoll wäre. Besonders einsichtig sind bestimmt die Firmen, die mehr als andere ausbilden. Aber die Mehrheit sieht es nicht oder noch nicht ein und ein Lobbyist darf dabei vermutlich auf gar keinen Fall Vorreiter sein. So wird der Lobbyeinfluss generell eher von Uneinsichtigkeit in gesamtwirtschaftliche Interessen geprägt sein, besonders, wenn diese den Einzelinteressen vieler Mitglieder zuwiderlaufen. Mitstreiter für neue Ideen im Unternehmensumfeld sind eher weitblickende verantwortungsvolle Unternehmer selbst als die Unternehmer-Lobby.
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841. |
So wird ein dynamischer Unternehmer, der sein Unternehmen erfolgreich selbst aufgebaut hat, eher Verständnis für eine Erbschaftsteuer haben als seine Erben, egal ob diese auch dynamische Unternehmer oder nur Nutznießer der Leistung ihrer Vorfahren sind. Und da es mehr Erben als dynamische Unternehmensgründer gibt, ist klar, welche Position die Unternehmer-Lobby hierbei vertreten muss und dann auch unerbittlich vertritt.
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842. |
Unter dem Begriff „Lobby“ könnte man jede Form von organisierter Interessenvertretung gegenüber der Politik verstehen. Dann würden auch Organisationen wie Transparency International oder lokale Bürgerinitiativen dazu gehören. Solche nicht aus Erwerbsinteresse handelnde Gruppen habe ich deshalb nicht dazu gerechnet, da sie ihre Argumente nicht mit hohen materiellen Anreizen oder juristischen Drohungen verstärken können.
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843. |
Eine Entwicklung der internationalen Finanzwelt ist seit der Krise 2008 zu beobachten. Die Notenbanken der wichtigsten Industrieländer haben die Märkte mit viel Liquidität versorgt. Früher hätte man einen generellen Anstieg der Inflation befürchtet. Aber der blieb deshalb aus, da nicht ein einzelnes Land anderen gegenüber in Schieflage geriet. So war eine allgemeine Entwicklung zu niedrigen Zinsen zu beobachten. Dann ist es noch wichtiger, das viele Geld sinnvoll auszugeben bzw. zu investieren. Innerhalb Europas war Deutschland die einzige Bastion vor Corona, die sich rühmte, keine neuen Schulden aufzunehmen. International wurden wir aber gedrängt, mehr auszugeben und damit mehr zur Stärkung der Weltkonjunktur beizutragen.
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844. |
Mit der alten bequemen politischen Leitidee „weiter wie bisher“ werden wir uns die Erde nicht untertan machen, sondern werden wir es schaffen, sie kaputt zu kriegen. Dazu brauchen wir nicht einmal Atombomben. Aber selbst damit hatte der amerikanische Präsident Donald Trump Nordkorea gedroht. In Nordkorea herrscht vielleicht eine verantwortungslose militärische Clique mit einem gefährlichen Wortführer. Aber gefährliche Regierungen haben wir auch in anderen Staaten dieser Erde. Dagegen gibt es nur international agierende Gegengewichte, am besten durch stärker werdende Vereinte Nationen.
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845. |
Eine wichtige Überlegung bei der Gestaltung unseres Staates ist folgende. Je mehr Entscheidungsvollmachten wir in eine Europa-Zentrale verlagern, desto schwieriger wird der direkte Einfluss der Bürger. Desto schwieriger wird also die Weiterentwicklung der Demokratie. Das war übrigens ein wichtiger Entscheidungsgrund für den Brexit. Die Briten wollten schnellere Entscheidungen haben und beobachten können, wie die Entscheidungen gefällt werden und wollten nicht, dass sie in einem fernen Brüssel versanden.
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846. |
Ein wichtiges Ziel dieses Buches soll die Ermutigung sein, unseren Staat nicht als zu kompliziert und als unveränderbar anzusehen. Es soll uns viele Punkte, die verbessert werden müssen, so klar vor Augen führen, dass wir unseren Staat aus Verantwortungsgefühl gegenüber kommenden Generationen verändern und verbessern wollen. Das Buch soll Teil einer neuen Anstrengung zur Verbesserung unseres Gemeinwesens sein! Der in Berlin geborene französische Widerstandskämpfer Stéphane Hessel fordert uns auf: Empört euch… und kämpft gegen die Missstände!
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847. |
25. Anhang – Wie dieses Buch entstanden ist
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848. |
Dieses Kapitel ist nur für Leser interessant, die wissen wollen, wann, warum und wie dieses Buch entstanden ist. |
849. |
Im Titel des Buches taucht der Begriff „Baukasten“ auf. Im Rückblick war ich selbst erstaunt, wie viel mein Leben bisher schon mit Baukästen zu tun hatte. Als Vorschulkind begann es mit Steinbaukasten und Holzklötzen, die mein Vater für mich in seiner Firma hatte sägen lassen. Dazu kamen Metallbaukästen aus geerbten Beständen. Dann baute ich begeistert mit Legosteinen.
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850. |
Später habe ich auf einer Hannover Messe Metallwinkel entdeckt, mit denen man aus Rohren kleinere Gerüste bauen konnte. Daraus entstand unter anderem eine Babywiege mit Bohrmaschinenantrieb zum Schaukeln meines Sohnes; eine Erfindung, die viel Schmunzeln erzeugte, sich aber nicht bewährte. Meine erste seriöse Konstruktion war eine Textilmaschine für ein Technikum. Das konnte nur eine Baukastenkonstruktion sein, da sie verschiedene austauschbare Elemente haben musste. Beim Durchforsten von Büchern und Zeitschriften für meine Diplomarbeit erstellte ich erst ca. 1000 Karteikarten mit Literaturauszügen. Dann habe ich den Text mithilfe der Gliederung baukastenartig aus den Karteikarten zusammengestellt.
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851. |
Mein Professor für Industriebetriebslehre schwärmte vom ungenutzten Rationalisierungspotential wiederverwendbarer Baugruppen (baukastenartig). Im Beruf bekam ich die Aufgabe, einen Online-Wiederholteil-Katalog für Verpackungsmaschinen zu programmieren. Das war ein organisatorisches Hilfsmittel für die Wiederverwendung von Baugruppen. |
852. |
Nach meinem Vorruhestand stürzte ich mich auf die Bearbeitung eigener Fotos mit Photoshop. Hunderte Bilddrucke in vielen Kästen waren nur durch eine Klassifikation in Form einer Baukastenstruktur zu beherrschen.
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853. |
Am 11. September 2010 in Sotteville-sur-Mer in der Normandie fiel dann die Entscheidung für dieses Buch. Ich konnte nicht schlafen, weil mir das Abendessen nicht gut bekommen war. Viele Ideen waren schon vorher da; eine Materialsammlung hatte ich schon begonnen. Der Entschluss, meine Ideen in einem Buch zu bündeln, fiel in dieser kritischen Nacht. Vorher hatte ich mich 10 Jahre intensiv mit Kunst, Photographie, Photoshop und Malerei beschäftigt. Nun wollte ich mich mehr mit kulturellen Problemen, mit Politik (nicht Parteipolitik) und mit Texten befassen.
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854. |
Als Student hatte ich mich politisch engagiert, wobei der Vietnam-Krieg mein Einstiegspunkt war. Im Beruf mit Haus und Familie hatte ich dann keine Zeit mehr für politische Aktivitäten. Aber die Entwicklung unseres Staates habe ich immer mit Interesse verfolgt. Insgesamt lebt man ganz gut in unserem Deutschland, wenn die Politik auch vieles hätte besser machen können. Die künftige Entwicklung droht mit einer „weiter so“-Mentalität allerdings in einen kritischen Zustand abzurutschen, der für viele ärmere, ältere, schwächere Bürger zu einem Desaster werden könnte und unseren sozialen Frieden sprengen könnte.
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855. |
Als Jugendlicher wollte ich Erfinder werden. Ich bin Ingenieur und Betriebswirt geworden. Das Thema meiner Diplomarbeit hieß: „Einflüsse der Organisationsstruktur auf den Prozess der Produktinnovation in Unternehmungen“. Vom potentiellen Erfinder zum wichtigen Thema Innovation in diesem Buch war nur ein kleiner Schritt.
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856. |
Meine Stellungnahme zum gebührenfreien Studium gehört nicht zum eigentlichen Thema des Buches, ist aber ein persönliches Anliegen zur sozialen Gerechtigkeit in unserem Staat. Ich selbst bekam beim Studium Ausbildungsförderung nach BAföG, nachdem mein Vater in Rente gegangen war und dann wenig verdiente. Ich war froh über diese Förderung, die ich nach dem Studium zurückzahlen musste. Während meiner Berufszeit, meiner Betriebspraktika und Semesterferienjobs habe ich viele rechtschaffene Menschen kennen gelernt, deren Kinder nicht studieren konnten oder wollten. Sollten sie etwa dafür mit bezahlen, dass Kinder von mehrheitlich wohlhabenderen Eltern keine Studiengebühren bezahlen müssen? Das kann doch niemand für gerecht halten! Und wenn ein armer Schlucker nach seinem Studium wenig verdient und seine Schulden aus der Studienförderung nicht zurückzahlen kann, dann bekommt er in Deutschland Zahlungsaufschub. Er wird weder gepfändet noch in einen Schuldturm geworfen. Und die Studiengebühren gleichen nur einen kleinen Teil der staatlichen Kosten für ein Studium aus, die unsere Gemeinschaft ohne zu murren trägt.
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857. |
Nach einer Gesundheitskrise beschloss ich, mein Buchprojekt im Jahr 2014 abzuschließen und bis dahin keinen Urlaub zu machen. Danach habe mich auf das Ende der freiwilligen Gefangenschaft des Recherchierens und Schreibens gefreut. Mit dem Buchprojekt habe ich eine wichtige Erkenntnis gewonnen: Ein Sachbuch zu recherchieren und zu schreiben ist mühsam, hält aber geistig fit und ergibt viele interessante Gesprächsanlässe. Nun will ich mein Buchprojekt noch einmal überarbeiten und aktualisieren, bevor ich es selbst als solide fleißige Arbeit akzeptieren kann. Meine Überarbeitungen übertrage ich von Zeit zu Zeit in meine Homepage „politik-baukasten.de“.
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858. |
Mark Twain hat mich mit folgendem Satz getröstet und ermutigt: Menschen mit einer neuen Idee gelten solange als Spinner, bis sich ihre Sache durchgesetzt hat. |
859. |
1. Buchtitel mit in den Endnoten (weiter unten) verwendeten Kürzeln
Kürzel |
vollständige Titelangabe |
Bauer-1 |
Joachim Bauer, Arbeit; warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht; Karl Blessing Verlag München 1. Aufl. 2013 |
Brynjolfsson-1 |
Brynjolfsson, Erik und McAfee, Andrew, The Second Machine Age, (deutsch) Plassen-Verlag; 2014 |
Chang-1 |
Ha-Noon Chang, 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen; Goldmann-Verlag München; 2. Aufl. 2012 |
Herzog-1 |
Lisa Herzog, Die Rettung der Arbeit; Ein politischer Aufruf; Carl Hanser Verlag München, 1.Aufl. 2019 |
Landes-1 |
David S. Landes, Wohlstand und Armut der Nationen; warum die einen reich und die anderen arm sind; Siedler-Verlag, Berlin 2000 |
Marcuse-1 |
Ludwig Marcuse, Argumente und Rezepte. Ein Wörterbuch für Zeitgenossen. Diogenes Zürich 1973 |
Miegel-1 |
Meinhard Miegel, Hybris; Die überforderte Gesellschaft; Ullstein Verlag Berlin 2014 |
Streeck-1 |
Wolfgang Streeck, Gekaufte Zeit; Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus; Suhrkamp Berlin 2.Aufl. 2013 |
Welzer-1 |
Harald Welzer, Selbst denken; Eine Anleitung zum Widerstand; S.Fischer Verlag Ffm. 2013 |
Viele andere Bücher haben mir auch noch gute Anregungen gegeben, daraus habe ich aber keine wörtlichen Zitate entnommen. Ich danke allen Freunden und Angehörigen für Anregungen, kritische Fragen, Korrekturen und Diskussionen. Besonders danke ich für alle Ermutigungen, weiterzumachen.
2. Endnoten (=Verweise aus dem Word-Text) mit Kürzeln für Buchtitel.
Zeitungs-, Zeitschriften- und online-Auszüge liegen bei mir als Ausschnitte oder Kopien vor.
Mit KStA ist der Kölner Stadtanzeiger gemeint; mit KStA Mag das dort beiliegende Magazin.
[1] Beispiels-Endnote = erste im Literatur-Verzeichnis
[2] Lit.2018-11-19 KStA: Del Ponte: „Uno ist eine Schwatzbude“
[3] Lit.Buchtitel Welzer-1 S.222
[4] Lit.2013-08-01 Süddeutsche.de Ilse Wehrmann: Erzieher mit Fachkompetenz; Ablage& eigene Datei
[5] Lit.2013-02-15 KStA: Wir haben jetzt eine historische Chance; Interview mit Prof. Wassilios Fthenakis
[6] Lit.2013-08-01d Bild d. Wissenschaft: Ich essen Eis; Sprachförderung für Migrantenkinder; von Susanne Danner
[7] Lit.2014-06-26c Süddeutsche.de Unterricht in der Grundschule; Warum die Evolution schon Kindern erklärt werden sollte. Prof. Dittmar Graf, Uni Gießen.
[8] Lit.2014-05-21 FAZ: Bildungspolitik; Grenzen der Inklusion
[9] Lit.2014-05-20c Spiegel online Schüler mit Behinderung „Wolln ma trazen?“; Inklusion
[10] Lit.2014-08-13 KStA: Eine Aufgabe für die Gesellschaft; Konzepte zur Integration Behinderter...
[11] Lit.2014-07-22b Süddeutsche.de Vernachlässigte Kinder Beschädigte Seele, geschwächter Körper
[12] Lit.2019-04-02a KStA: Ende der Inklusion an Gymnasien
[13] Lit.Buchtitel Marcuse-1 S.79
[14] Lit.2014-02-08 KStA Jeder sollte Anarchist sein.
[15] Lit.2014-05-21 KStA Mag: Die Kraft der Konsumenten kann Nachhaltigkeit fördern; Interview Caspar Domen.
[16] Lit.2016-07-20a KStA: Wir müssen junge Muslime erreichen. Großmufti Allam beklagt Versäumnisse…
[17] Lit.2016-10-14c Wikipedia-Auszug: Ambedkar
[18] Lit.2020-02-27 Zeit online: Viele sitzen vor mir und weinen; Hamburger Lehrerin zu Schülerinnen mit Kopftuch
[19] Lit.2014-06-03e KStA: Kölner Unternehmerpreis; drei Unternehmen ausgezeichnet
[20] Lit.2013-10-15b Spiegel online Quandt Spende an die CDU; Merkel und der Vorwurf der gekauften Republik: S.1,5 Düsseldorfer Parteienrechtler Martin Morlok: „Unternehmen spenden nicht, sie investieren.“
[21] Lit.2016-07.22a KStA: Quartalsdenken beeinträchtigt den Erfolg; Finanzberichte; US-Unternehmen….
[22] Lit.201609-09d Zeit online Nobelpreisträger R.Shiller: „Wer im Kapitalismus zu moralisch ist, wird weggefegt“
[23] Lit.Buchtitel Landes-1 S.326,8
[24] Lit.2016-02-13b Spiegel online: Geräte-Verschleiß; Wege aus der Wegwerfgesellschaft
[25] Lit.2014-01-06 Spiegel online Vertraulicher Bericht nennt Schuldige des Elbphilharmonie-Desasters
[26] Lit.2014-04-11d Zeit online Elbphilharmonie: „Ich war der Sündenbock“, Hartmut Wegener
[27] Lit.2014-0722a Zeit online Hamburg Transparenzgesetz: Ein durchsichtiger Plan
[28] Lit.Buchtitel Landes-1 S.206,4
[29] Lit.Buchtitel Landes-1 S.207,5
[30] Lit.Buchtitel Brynjolfsson-1 S.103f
[31] Lit.2016-11-07 FAZ online: Ablenkung im Büro; Das Märchen vom Multitasking
[32] Lit.2013-12-01 Wikipedia Auszug VW Halle 54
[33] Lit.2016-04-07f Zeit online: Ein Restaurant in China feuert Roboter-Kellner, weil sie zu ungeschickt sind.
[34] Lit.2014-04-04d KStA: Jeder zweite Job fällt durch Automatisierung weg
[35] Lit.2014-04-20 Zeit online: Kolumne; Surren, blinken Leben: Fehler sind mein Hobby; Gero von Randow
[36] Lit.Buchtitel Miegel-1 S.27,6
[37] Lit.2016-02-26a KStA: Eine Kette von Fehlern; Fahrdienstleiter hat vier Mal falsch gehandelt.
[38] Lit.2016-07-12a Zeit online: Bari: 20 Tote bei Zugunglück in Italien. Bei einem Frontalzusammenstoß…
[39] Lit.2021-07-10 KStA: Ein Waggon geht baden; ein Regionalzug ist entgleist, ein Waggon landet im Fluss
[40] Lit.2016-07-02 KStA Tödlicher Unfall durch Autopilot; Mann stirbt in selbststeuerndem Tesla.
[41] Lit.2018-02-27b Spiegel online: Tödlicher Crash in Mali; falsch eingestellter Autopilot leitete „Tiger“-Sturzflug ein
[42] Lit.2014-06-18b ksta.de Bahnverkehr in NRW; S6 fährt bis Donnerstag nicht; Kabeldiebe
[43] Lit.2014-06-05 Spiegel online: Gigaliner; EU-Verkehrsminister verbieten Grenzübertritte mit Riesen LKWs
[44] Lit.2014-07-30 KStA: Kampf um die Letzte Lücke; rund 1000 Autobahn-Parkplätze für LKW fehlen um Köln
[45] Lit.2014-07-18a KStA: Viele fahren einfach weiter.
[46] Lit.2019-11-27c Zeit online: Introvertierte Menschen: Leiser, bitte!
[47] Lit.2019-11-27b Zeit online: “Human Brain Project” Hirnforschers Mondfahrt
[48] Lit.2014-11-22 Zeit online: China modernisiert ganz Asien; 50 Mrd. für AIIB (Asiat. Infra. Invest. Bank)
[49] Lit.Buchtitel Chang-1 S.226 Regulierung Finanzmärkte
[50] Lit.2014-07-23 Süddeutsche.de: Federal Reserve Bank; US-Aufsicht: Deutsche Bank falsche Bilanz
[51] Lit.2013-08-17 KStA Banken tricksen und täuschen
[52] Lit.2014-06-02 Spiegel online: Milliarden-Risiken; BaFin Chefin fordert mehr Kontrolle der Schattenbanken
[53] Lit.2014-07-03d Spiegel online Hedgefonds; Die Perversion des Profits; von Rudolf Augstein
[54] Lit.2013-11-06 KStA Frick gesteht Kursmanipulation
[55] Lit.2014-07-16 KStA Investoren kaufen in Deutschland ein.
[56] Lit.2014-04-16 Süddeutsche.de Kaffeehauskette Starbucks will mehr Steuern zahlen.
[57] Lit.2014-01-27b Süddeutsche.de Bundesbank zur Eurokrise; Ran an die Vermögen.
[58] Lit.2014-06-21c KStA Wir haben die Kontrolle völlig verloren; Meinhard Miegel beklagt Größenwahn;
[59] Lit.2014-06-26a Zeit online TTIP: „Kontrolle gefährlicher Produkte wird dem Bürger überlassen“; Edda Müller
[60] Lit.2016-04-07 Süddeutsche.de Landwirtschaft; Saatgut-Inkasso fordert Millionen von deutschen Bauern
[61] Lit.2014-05-28b Süddeutsche.de Genmais; EU-Staaten wollen nationales Verbotsrecht: Opt-out-Klausel
[62] Lit.2014-06-21d Spiegel online USA; Obama-Regierung will massenhaftes Bienensterben stoppen.
[63] Lit.2014-07-09c Zeit online Insektizide: Das Gift, das Vögel verhungern lässt;
[64] Lit.2013-09-20 Spiegel online: Neue Erkenntnisse zur Epidemie 2011; Der EHEC-Skandal, nie aufgeklärt
[65] Lit.2014-01-18a KStA Auf dem Postweg gestohlen; Betrugsserie mit Kredit- und EC-Karten
[66] Lit.2014-02-24 Spiegel online Rostige Atommüllfässer; Das passiert in jedem Zwischenlager.
[67] Lit.2014-09-05 Spiegel online Atomausstieg; Stromkonzerne verweigern Zahlung für Endlager-Projekte
[68] Lit.2014-11-18 Spiegel online: Strahlender Abfall; Kontrolleure finden Hunderte beschädigte Atommüllfässer
[69] Lit.2014-06-02 KStA Atomarer Störfall durch Bio-Katzenstreu im Endlager
[70] Lit.2016-07-28b Zeit.de: C&A-Eigentümer: „Wir sind mehr als tausend“
[71] Lit.2013-11-22a Spiegel online: 700 Unternehmen d. Wasserwirtschaft
[72] Lit.2013-08-29 Spiegel online: Massensterben seltener Fische in Kentucky
[73] Lit.2012-09-07 KStA: Fracking Verfahren und Risiken
[74] Lit.2014-07-31b KStA: Umweltbundesamt lehnt Fracking ab
[75] Lit.2014-07-25 Spiegel online: Rekord-Dürre; Grundwasser-Verlust in USA schockiert Forscher
[76] Lit.2014-03-19c KStA: 10 Mio. Euro für neue Shell-Pipeline
[77] Lit.2014-03-19c KStA: 10 Mio. Euro für neue Shell-Pipeline
[78] Lit.2016-03-17b KStA: Shell pumpt kaum noch Kerosin ab
[79] Lit.2014-05-28a Süddeutsche.de Ölleck im Münsterland; Naturdesaster wegen unterirdischem Ölspeicher
[80] Lit.2014-04-12c Süddeutsche.de Belastetes Trinkwasser in Deutschland; Es stinkt zum Himmel: zuviel Nitrat
[81] Lit.2014-08-03b Süddeutsche.de US-Bundesstaat Ohio; Trinkwasser Hunderttausender Amerikaner verseucht
[82] Lit.2014-08-02a KStA Asphalt kann Krebs auslösen; Bundesrechnungshof warnt vor Folgekosten.
[83] Lit.2018-08-23b KStA Schaumschläger & Wichtigtuer, Historiker J. Dülffer über Rolle „Organisation Gehlen“..
[84] Lit.2013-11-28c Zeit: Europa braucht einen Putsch!
[85] Lit.2021-06-23 Spiegel online: Bundeswehr-Abzug aus Afghanistan: Ex-Soldatin über deutschen Einsatz
[86] Lit.2013-08-09 Süddeutsche.de: Seehofer dringt auf Ratifizierung der UN-Konvention
[87] Lit.Buchtitel Streeck-1 S. 254,5.
[88] Lit.2014-01-02 Zeit Mein rollendes R; Bericht von Christine Lemke-Matwey
[89] Lit.2014-01-02c Zeit: Du bist nicht willkommen, Fremder, in GB; von Reiner Luyken
[90] Lit.aus Wikipedia: Henry Kissinger: in Kap. Politische Laufbahn
[91] Lit.2016-01-09a (Hamburger) Ökonom (Thomas) Straubhaar zur Globalisierung
[92] Lit.2016-04-07c KStA: Nur Toskanisches auf den Tisch; Florentiner Restaurants müssen 70%....
[93] Lit.2021-07-03 ntv.de: Chinas magische Waffe heißt Einheitsfront, von Marcel Grzanna
[94] Lit.2014-01-17a Süddeutsche.de Trotz Spionage; EU spricht mit USA weiter über Freihandel
[95] Lit.2014-08-12 Süddeutsche.de: Freihandel; von Nafta lernen; USA, Kanada, Mexiko
[96] Lit.2014-01-04 Süddeutsche.de: Juraprof. in Passau: was eine Verfassung leisten muss.
[97] Lit.2014-01-09 Zeit: Schwerpunkt: Neustart für Europa; Frage und teile.
[98] Lit.2014-02-18 Süddeutsche.de Karussell-Geschäfte mit CO2-Zertifikaten
[99] Lit.2014-08-03 Spiegel online Ausstiegsszenarien; Britischer Bericht hält EU-Austritt für machbar
[100] Lit.2013-03-15 KStA Wolfgang Streeck: Europa
[101] Lit.2014-03-05a Spiegel online: Finanzinvestor und Merkel-Kritiker; Was George Soros treibt.
[102] Lit.2021-11-18 KStA: Ein Loblied auf den Nationalstaat; der Soziologe Wolfgang Streeck analysiert…
[103] Lit.2017-06-27a KStA: Leserbriefe Afrikanische Eliten sichern sich ihre Pfründe
[104] Lit.2014-01-05 KStA Neue Statistik; Zuwanderung so hoch wie seit 20J. nicht mehr
[105] Lit.2013-12-21b KStA: Ich bin der Boss von Palermo (und nicht die Maffia)
[106] Lit.2018-08-10b KStA: Am Ende d.Welt;...kämpft d.Inselstaat Tuvalu im Südpazifik gegen d.Klimawandel.
[107] Lit.2016-11-11a KStA: Frische Farbe gegen den Schmerz; Mrd. fließen in zu Ghettos verkommene Vorstädte
[108] Lit.2017-02-06 Spiegel: Das Paradies als zentraler Punkt; Terrorexperte David Thomson über IS-Kämpfer
[109] Lit.2021-10-15 Spiegel online: Wir haben es mit einer 4.Generation von Terroristen zu tun; Prof. Gilles Kepel
[110] Lit.2013-12-28d Spiegel online Uranabbau im Niger: Fluch des strahlenden Reichtums; franz. Konzern Areva
[111] Lit.2014-10-22 aus Wikipedia; auch Wiederholung eines TV-Interviews.
[112] Lit.2016-01-00 Bild d. Wissenschaft: Das rote Gold des Regenwalds; nachhaltiger Anbau von Palmöl
[113] Lit.2013-11-09 KStA Sipri-Chef Tilman Brück: Friedliche Länder haben mehr Wachstum, sind wohlhabender
[114] Lit.Buchtitel Landes-1 S.378,8 Samurai mit Schwertern gegen Bauern mit Musketen
[115] Lit.2014-07-19b Zeit online: Südsudan: Nach 3 Jahren wieder am Nullpunkt
[116] Lit.2014-01-01 Spiegel online Entwicklungshilfe; warum Mikrokredite den Armen nur selten helfen.
[117] Lit.2017-05-20a KStA: Martin Luther ist doppelt gescheitert; Philosophin Thea Dorn über den Reformator...
[118] Lit.2017-07-26 KStA: Wie ein Vogel im Käfig; Seyran Ates hat in Berlin eine Moschee … gegründet.
[119] Lit.2014-08-08 Bild.de: Olympia-Geschichte verfällt; vor 10 Jahren olympische Sommerspiele in Athen
[120] Lit.2017-08-22 Süddeutsche.de: Meerwasserentsalzung; Wie Dubai dem Meer Trinkwasser abringt.
[121] Lit.2014-08-14b Süddeutsche.de Entwicklung deutsche Sprache: Junge Leute haben geringeren Wortschatz
[122] Lit.2014-04-23b KStA: Es geht auch einfach; Texte in „Leichter Sprache“ liegen im Trend
[123] Lit.2014-03-05c Spiegel online: Rückruf von 1,6 Mio. Autos
[124] Lit.2013-01-26a KStA: Stadt ließ Wikipedia-Text schönen. Archäologische Zone Köln
[125] Lit.2014-07-17 Zeit online Kapitalismus: Deutsche erkennt euch selbst.
[126] Lit.2016-01-13a Handelsblatt online: Klimawandel; Rieseneisberge bremsen die Erderwärmung
[127] Lit.2018-10-08bKStA: Feinstaub schwächt Bäume; Weltklimarat veröffentlicht Sonderbericht Kli.Erwärmung
[128] Lit.2014-09-09 Zeit online Treibhausgase in Atmosphäre auf Rekordniveau; Rolle der Ozeane unterschätzt.
[129] Lit.2018-01-18 KStA: Trump will Raketen im All stationieren; USA rüsten sich für Abwehr gegen China…
[130] Lit.2016-10-13 Handelsblatt online: Umweltbundesamt fordert Aus für Diesel-Subventionen (-2025)
[131] Lit.2017-12-10 Spiegel online: Steuervorteile; VW-Chef Müller für Abschaffung von Diesel-Privilegien
[132] Lit.2016-01-04b KStA: Hoher Ausstoß von Quecksilber
[133] Lit.2015-05-29 KStA: Ausstoß von Quecksilber soll gesenkt werden
[134] Lit.2014-08-15b Spiegel online Toter und Verletzte in Schleswig-Holstein; Gas-Auto explodiert nach Unfall
[135] Lit.2016-0914c Spiegel online: Aral, Shell und Co. Ölmultis empfehlen Verzicht auf Erdgas.
[136] Lit.2015-12-04c handelsblatt.de: Alternative Antriebe; Wasserstoff-Autos sind nur theoretisch effizient
[137] Lit.2007-02-15 Zeit online: Müll; Kampf um die Gelbe Tonne; Ausstieg aus dualem System
[138] Lit.2013-12-19b Wikipedia Auszug: Gelber Sack; S.2 Zukunft
[139] Lit.2014-02-11d ksta.online: Preis für Kölner Studenten; APP gegen Lebensmittelverschwendung
[140] Lit.Buchtitel Landes-1 S.283,8 Es fehlt nicht Geld sondern Know-how
[141] Lit.2014-03-27 Spiegel online Elektroauto-Infrastruktur; EU beschließt Einheitsstecker
[142] Lit.2013-12-28b KStA Strom laden an der Straßenlaterne.
[143] Lit.2013-01-05 KStA: E-Mobilität ohne Ladehemmung; Unternehmen Better Place; Batterietausch in Schiphol
[144] Lit.2013-12-18 Manager Mag. Supercharger-Netz; was taugt Teslas elektrischer Highway?
[145] Lit.2014-04-07c Zeit-online: Elektroauto: Der Anfang vom Ende des Ladeelends
[146] Lit.2014-11-27 Süddeutsche.de Elektroauto im Test; Akkuschwund schon nach 3 Jahren; Test ÖAMTC
[147] Lit.2017-02-11b KStA: In Bergisch Gladbach sollen unterirdische Transportkapseln den Verkehr entlasten
[148] Lit.2017-02-11c Tagesanzeiger.ch: Unterirdisch durch die Schweiz; eine Lastmetro von St.Gallen bis Genf
[149] Lit.2017-02-11d ingenieur.de: Die Maulwurf-Lösung Gütertransport im unterirdischen Tunnelsystem
[150] Lit.2019-04-08 KStA: Wir brauchen Kartellrecht für Daten; Ranga Yogeshwar über Chancen der KI und …
[151] Lit.Buchtitel Bauer-1 S.50
[152] Lit.2014-04-07b Zeit online Gerhard Schulze: Selbstverwirklichung: allein im Tun erfahren wir uns selbst.
[153] Lit.2014-06-27a Zeit online Arbeitswelt: So sieht die Berufswelt der Zukunft aus. Sven Rahner interviewt 18 Wissenschaftler und wichtige Zeitzeugen.
[154] Lit.2013-07-13b KStA Kontrolle entmenschlicht; von Philosoph Gunter Dueck
[155] Lit.2014-03-01 Zeit online: Verhaltensforschung: Nur Geduld; Interview mit Matthias Suttner
[156] Lit.2014-01-10b Spiegel online Arbeit macht krank – und gesund
[157] Lit.2010-05-11 Süddeutsche.de Beispiel Porsche: Sprache in Firmen
[158] Lit.2017-01-24a KStA: Samsung verkündet Kulturwandel; Handys brannte, weil Akkus nicht passten
[159] Lit.2013-11-12 Spiegel online Bewertungssystem; Yahoo-Chefin Mayer knöpft sich Minderleister vor.
[160] Lit.2014-04-19 Zeit online: Generation Y: die sind auch mal weg.
[161] Lit.2014-05-20a Zeit online: Motivation: Der Bonus des Chefs demotiviert die Mitarbeiter
[162] Lit.2014-05-20a Zeit online: Motivation: Der Bonus des Chefs demotiviert die Mitarbeiter
[163] Lit.2014-05-19b Zeit online: Arbeitszeit: sechs Stunden arbeiten reicht
[164] Lit.2014-08-14 Zeit online Brigitte Ederer: „Ich habe einen Preis für meine Karriere bezahlt“
[165] Lit.2014-09-13 Zeit online Arbeitszeit: Sie wollen an der Uhr drehen
[166] Lit.Buchtitel Herzog-1 S.190,7 Rettung der Arbeit
[167] Lit.2019-03-18 KStA: Ein Tsunami in Zeitlupe; der Arte-Dokumentarfilm „Resistance Fighters“ beleuchtet die Bedrohung durch antibiotika-resistente Keime (Film am 19.3.2019 20.15 in Arte)
[168] Lit.2014-02-19a KStA: Alter Skandal in neuem Licht
[169] Lit.2014-03-02 Zeit: Hirnforschung; die große Neuro-Show von Ulrich Schnabel
[170] Lit.2014-03-24c Süddeutsche.de: Nur liegen ist schöner; Daniel Lieberman
[171] Lit.2019-07-08 Spiegel online: Ex-McDonalds-Manager Harald Sükar: „Fast Food ist Kindesmisshandlung“
[172] Lit.2016-01-14a Spiegel online: Westafrika; Was die Welt aus der Ebola-Epidemie lernen muss
[173] Lit.Buchtitel Welzer-1 S.100,2 Selbstwirksamkeit
[174] Lit.2014-03-31 Spiegel Titel: Überdruss am Überfluss (Kopien)